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- Berichte aus dem jüdischen Gemeinde- und
Vereinsleben im 19./20. Jahrhundert
- Berichte über die Rabbiner, die
jüdischen Lehrer und weitere Kultusbeamte sowie die jüdische Schule und
das Lehrerseminar
- Berichte zur
Geschichte des Israelitischen Waisenhauses in Kassel (diese
Seite)
- Berichte zu einzelnen Personen aus der
jüdischen Gemeinde
- Zur Seite über den jüdischen Friedhof in
Kassel-Bettenhausen
Kassel (Kreisstadt)
Das Israelitische Waisenhaus (1856-1938)
"Die Philipp Feidel
und Emilie Goldschmidt'sche Stiftung zu Kassel"
Übersicht:
Zur Geschichte des
Israelitischen Waisenhauses
Die Gründung eines Israelitischen Waisenhauses in Kassel war 1856 möglich,
nachdem der Bankier Philipp Levi Feidel hierfür am 27. Februar 1855 -
wenige Wochen vor seinem Tod am 1. Mai
1855 - 20.000 Taler aus seinem Vermögen bestimmt hatte. Feidel hatte die Anregung
hierzu von Landrabbiner Dr. Lazarus Adler bekommen, der in der Gemeinde für die
Einrichtung eines Waisenhauses in der Stadt geworben hatte. Eine Schwester von
Philipp Feidel - Emilie verheiratete Goldschmidt - spendete ihrerseits einen
bedeutenden Betrag für die Einrichtung der nun sogenannten "Philipp Feidel
und Emilie Goldschmidt'schen Stiftung zu Cassel". Ein Betrag von 3.000
Talern kam schließlich auch von Albrecht Feidel, dem jüngeren Bruder von
Philipp. Nach seinem Tod vermachte er weitere 20.000 Taler testamentarisch dem
Waisenhaus.
Zur Familie: Philipp Feidel ist geboren am 16. Juni 1803 in Kassel als
Sohn von Levy Feidel und seiner Frau Johanna Feidel geb. Schloss (1782-1855;
Grab in Bettenhausen:
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/juf/id/6656). Familie
Feidel war eine hoch angesehene jüdische Familie in Kassel; der Großväter von
Philipp war Oberhofagent Feidel David. Philipp war
verheiratet mit Rosette geb. Ladenburg, eine am 19. Mai 1807 in Mannheim
geborene Tochter von Wolff Hayum Ladenburg und der Wilhelmina geb. Lorch.
Philipp Feidel hatte zwei Schwestern: Julianne (1805-1839), verheiratet
mit Samson Selig Goldschmidt (1800-1874); Emilie (1808-1869), verheiratet
mit dem Kaufmann Ruben Elias Goldschmidt (1802-1879).
Das Statut für ein Waisenhaus wurde am 26. Februar 1856 unterzeichnet (ein
Teil der Bestimmungen siehe unten im Artikel von 1899 "Zur Einweihung...). Das Israelitische Waisenhaus konnte am 1. Mai 1856 - dem ersten
Jahrestag des Todes von Philipp Levi Feidel in Mieträumen am Garde-du-Corpsplatz
mit neun Kindern aus Kassel und Kurhessen bezogen werden; ein halbes Jahr später siedelte
die Einrichtung in eine Wohnung Graben 40 über. Da diese Wohnung jedoch den gesundheitlichen Anforderungen
nicht entsprach, bot Ruben Elias Goldschmidt sein hinter dem ehemaligen
Militärfriedhof (Gießbergstraße 5 und 7) gelegenes Haus mit großem Garten
als Unterkunft des Waisenhauses für einen jährlichen Mietpreis von 150 Talern
an. Bei der ersten Jahresfeier im Mai 1857 lebten zehn Kinder (sieben Jungen,
drei Mädchen) im Haus. 1869 ging das Haus in der Gießbergstraße durch Schenkung
an die Stiftung über.
Die Leitung des Waisenhauses bestand in den ersten Jahren aus dem Direktor Ruben
Elias Goldschmidt sowie dem Sekretär Samson Selig Goldschmidt, die von einem
Kuratorium unterstützt wurden. Für die Betreuung der Kinder wurde ein Hausvater
angestellt, dessen Frau die Rolle der Hausmutter einnehmen sollte. Bei
Waisenhausvater sollte es um einen "pädagogisch hierzu befähigten Mann"
handelten (Ausschreibung 1864). Für das
Kuratorium zeichneten 1871 Landesrabbiner Dr. Lazarus Adler und Samson Selig
Goldschmidt (s.u. Ausschreibung der Stelle des Waisenhausvaters).
Als Hausväter waren die Herren Landauer, Spier, Block, Gutkind und Sommer
tätig.
Seit 1895 war Waisenhausvater ("Inspektor") Adolf Scheye (aus
Buchsweiler, Elsass). Er führte im
Waisenhaus einen "Knabenhandfertigkeitsunterricht" ein, nachdem er selbst eine
entsprechende Ausbildung an der Lehrerbildungsanstalt für Knabenhandarbeit in
Leipzig absolviert hatte. Die produzierten Gegenstände konnten auf
Ausstellungen erfolgreich präsentiert werden (u.a. bei der
Jubiläums-Gewerbeausstellung 1905 in Kassel, siehe Bericht unten).
Eine besondere Persönlichkeit in der Stiftung war Alexander Fiorino, der
von 1875 bis 1897 Schriftführer des Kuratoriums der Stiftung, von 1885 bis 1905
stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums und danach erster Vorsitzender
war. 1932 konnte er seinen 90. Geburtstag feiern (siehe Bericht unten).
1899 erfolgte ein Neubau auf dem Grundstück Gießbergstraße 7, vor allem
aufgrund von Platzmangel. Nun gab es für bis zu 40 Kinder Platz im Heim, doch
wurden auf Grund der beschränkten finanziellen Mittel nie mehr als 33 Kinder
aufgenommen. Ab 1908 konnten aus ganz Preußen Kinder in das Heim ziehen. Die
Kinder blieben im Haus, bis sie mit 14 Jahren einen Beruf erlernen konnten. Das
Haus war finanziell auf Spenden und Schenkungen von Freunden und Unterstützern
angewiesen. Bis 1931 waren mehr als 2.000 Schenkungen, Vermächtnisse und
Beiträge (über 300 Mark) eingegangen. Sie wurden auf Gedenktafeln im Vorraum des
Hauses festgehalten.
1906 wurde das 50-jährige Bestehen des Israelitischen Waisenhaus, 1931
das 75-jährige Bestehen feierlich begangen. Nach der Zurruhesetzung von
Hausvater Adolf Scheye 1909 folgten als Hauseltern Levi Heilbrunn und seine
Frau.
Zu den Personen: Levi Heilbrunn ist am 13. Dezember 1878 in
Spangenberg geboren. Er war als Lehrer an
der jüdischen Volksschule in Kassel tätig und leitete seit 1919 nebenamtlich und
nach 1929 hauptamtlich das Israelitische Waisenhaus. Seine Frau Sara geb.
Neuhaus ist am 26. September 1882 in
Harmuthsachsen geboren als Sohn des dortigen Lehrers Moses Neuhaus. Beide
wohnten seit dem 1. April 1908 im Gebäude des Waisenhauses, wo ihre Söhne Oskar
(1912), Martin und Max (1918) sowie Paul (1923) geboren sind. Im August 1939
starb Levi Heilbrunn vermutlich an schweren Misshandlungen im Polizeirevier in
der Reuterstraße in Kassel. Sara Heilbrunn wurde 1943 im KZ Auschwitz ermordet.
Zur Geschichte der Söhne siehe
https://www.kassel-stolper.com/biografien/familie-heilbrunn/ (mit Fotos).
Zwischen 1899 und 1906 waren durchschnittlich 28 Kinder im Haus; 1908 waren es
33 Kinder (19 Jungen, 14 Mädchen).
Bis um 1930 konnten über 450 Waisen und hilfsbedürftige Kinder aus
Kurhessen und weit darüber hinaus in der Anstalt erzogen und auf einen Beruf
vorbreitet werden. 110 Jungen wurden Handwerker, Gärtner und Landwirte. 96
Zöglinge widmeten sich einem kaufmännischen Beruf und 21 wurden Lehrer. Von den
Mädchen erlernte 25 einen kaufmännischen Beruf, 31 wurden als Schneiderinnen und
Weißnäherinnen ausgebildet, 12 wurden Putzmacherinnen, 6 Kindergärtnerinnen und
70 betätigten sich später im Haushalt.
Seit dem Tod ihres Mannes Rudolf 1934 arbeitete die Gemeindeschwester Sara
Nussbaum neben ihren Tätigkeiten in der jüdischen Gemeinde und im jüdischen Altersheim
auch im Israelitischen Waisenhaus mit.
Zur Person: Sara Nussbaum geb. Rothschild ist 1868 in
Merzhausen geboren. Sie
heiratete 1891 den Möbelhändler Rudolf Nussbaum aus Kassel. Die beiden hatten
drei Kinder und wohnten in ihrem Wohn- und Geschäftshaus in der Schäfergasse.
Beide engagierten sich vielfältig im Leben der Stadt und in der jüdischen
Gemeinde (u.a. Aufbau der Sanitätseinheit des Roten
Kreuzes "Kolonne Nussbaum"; Sara Nussbaum ließ sich zur Rotkreuzschwester
ausbilden). 1934 starb Rudolf Nussbaum an der Folge von Misshandlungen durch
SA-Männer auf der Polizeistation. Am 7. September 1942 wurde Sara Nussbaum in das Ghetto Theresienstadt
deportiert, wo sie freiwillig in der Typhusstation der Krankenstation arbeitete.
Sie überlebte Theresienstadt und kehrte nach Kassel zurück. 1956 erhielt sie die
Ehrenbürgerschaft der Stadt. Wenig später starb sie und wurde im jüdischen
Friedhof in Bettenhausen beigesetzt. Siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Sara_Nussbaum
Nach Sara Nussbaum ist eine Städtische Kindertagesstätte in Kassel benannt wie
auch der Sara-Nußbaum-Platz.
Am 7. November 1938 wurde das Haus von SA-Männern gestürmt. Die männlichen
Bewohner wurden durch die Stadt zum Ständeplatz getrieben und dabei misshandelt.
Mit Besen, Zahnbürsten und Schrubbern mussten sie den Platz reinigen. Später
wurden sie für mehrere Tage in das KZ Buchenwald verschleppt.
Der letzte Waisenhausinspektor Levi Heilbrunn wurde 1939 verhaftet. Er kam bei
den polizeilichen Verhören ums Leben. 1942 wurde das Waisenhaus zwangsweise
geschlossen. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude kriegszerstört.
Berichte aus der Geschichte des
Israelitischen Waisenhauses
Zum Tod des Bankiers Philipp Feidel
(1855)
Anmerkung: zum
Grab des Bankiers Philipp Levi Feidel (geb. 1803, gest. 1855) in Bettenhausen siehe
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/juf/id/6461.
Genealogische Informationen zu Familie Feidel
https://www.geni.com/people/Philipp-Feidel/6000000004590137173.
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 4. Juni 1855: "Kassel,
im Mai (Privatmitteilung). Am 1. dieses Monats starb hier der Bankier
Philipp Feidel im kaum vollendeten 52. Lebensjahr. In ihm verliert
unsere Gemeinde eines ihrer bravsten, werktätigsten Mitglieder. Er war
während eines Zeitraums von 28 Jahren ununterbrochen Sekretär der
Gesellschaft der Humanität, seit vielen Jahren Kreisvorsteher, Mitglied des
Kurfürstlichen Vorsteheramtes der Provinz Niederhessen und Mitglied des
Schulvorstandes. Unter seinen Papieren fand seine Familie eine letztwillige,
gerichtlich nicht festgestellte Willensäußerung des Verewigten, wonach er
20.000 Thaler zur Gründung eines israelitischen Waisenhauses bestimmte
und seinen Bruder, Herrn Albrecht Feidel, sowie seine beiden
Schwäger, die Herren Samson Seelig und Ruben Elias Goldschmidt
zu Vollstreckern derselben ernannte. Die dabei beteiligten
Familienmitglieder haben dieselbe bald bekannt werden lassen und dadurch zur
Verklärung des Schmerzes, der Nah und Fern ergriffen hat, nicht wenig
beigetragen. Die genannten Vollstrecker werden die Sache demnächst in
Angriff nehmen, und es ist ein um so schönerer Erfolg zu erwarten, als sie,
dem Vernehmen nach, an eine zur Ausführung etwa nötige Erweiterung des
angegebenen Grundfonds in edler Betätigung ernstlich denken sollen.
Nach dem Hinscheiden seiner würdigen, alten Mutter (sc. die Mutter
Johanna geb. Schloss ist am 14. März 1855 gestorben), die der Verewigte
vor einigen Monaten mit zu Grabe geleitete, hat er sich seinem
Herzensfreunde gegenüber, einem der genannten Herren, geäußert, dass er
nunmehr seine Absicht bei seinen Lebzeiten zu verwirklichen gedenke. Im
Ratschlusse Gottes war es anders beschlossen.
Die oben genannten Ämter, welche der
|
Heimgegangene
bekleidete, lassen sich in einer Zeile hernennen; aber welchen Fleiß, welche
Widmung und Aufopferung er darauf verwandte, wie treu, eifrig und
unverdrossen er sie verwaltete, das kann nicht so schnell hervorgehoben
werden. Er war ein trefflicher Mann und - um Alles in Allem zu sagen - er
lebte seiner Pflicht. Aber nicht nur seine Leistungen sind es, die uns sein
so frühes Dahinscheiden tief beklagen lassen, sondern auch der Sinn und
Wille, der ihn erfüllte und sich in Allem, was er tat und sprach,
darstellte. Seine Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit wurde von dem
Bewusstsein dessen, was er leistete, nie überragt, oder getrübt und
geschwächt, und von seiner Milde, Wohltätigkeit und steten Hilfsbereitschaft
geben Leidende und Dürftige nah und fern lebendiges Zeugnis. Was ein so
trefflicher Mensch den Seinigen gewesen sein muss, lässt aus dem Gesagten
sich leicht ermessen. Darum waren auch alle, die am 3. dieses Monats seiner
Bahre folgten, tief ergriffen, von den armen kleinen Kindern und älteren
Zöglingen an, denen er liebevolle Teilnahme und hilfreiche Aufmerksamkeit
gewidmet hatte, und die sich deshalb auch den leidtragenden Verwandten
unmittelbar anschlossen, bis zu den ältesten ehrwürdigen Greisen, die nach
Gottes unerforschlichem Willen ihn überleben sollten.
Dürfte unser hoch verehrter Herr Landrabbiner Dr. L. Adler sich
sagen, dass seine Einwirkung im Gespräche, wie auf der Kanzel, von welcher
herab er vor einiger Zeit die inständigste Mahnung zur Erbauung eines
israelitischen Waisenhauses an die Gemeinde hat ergehen lassen, zu der
nunmehr fundierten Stiftung den ersten Impuls gegeben, so müsste das
erhebende Bewusstsein einer solchen Wirksamkeit in vertrauensvoller und
kräftiger Fortsetzung derselben ihn nicht wenig stärken und ermutigen. Möge
der Wille des Verewigten sich bald verwirklichen und zu segensreichem
Erfolge herangedeihen; möge in der kräftigen Ausführung desselben ihm ein
Denkmal erstehen, dass seinen gesegneten Namen zu fernen Geschlechtern trägt
und dauerhafter und glänzender ist, als Mausoleen von Stein und Erz, welche
die Gräber mancher anderen Reichen zieren, aber den an denselben Weilenden
keine Träne der Erinnerung abnötigen!
Leben heißt - in Taten zeigen,
Dass wir da gewesen:
Unser Wirken bleibt uns eigen.
Sterben heißt genesen".
|
Erste Jahresfeier des
Israelitischen Waisenhauses (1857)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. Juni 1857: "Kassel,
14. Mai (Privatmitteilung). Am 7. Mai hat hier selbst die erste
Jahresfeier der dahier bestehenden Philipp Feidel'schen Waisenhaus-Stiftung
stattgefunden, womit zugleich eine Totenfeier für den verewigen Stifter
verbunden war.
Das Kuratorium dieser Anstalt, bestehend aus den nächsten Verwandten des
Verstorbenen und noch einigen wohlwollenden Männern, hatte die sich hier
noch befindenden Familienmitglieder desselben und die Vorstände der dahier
bestehenden israelitischen Wohltätigkeitsassoziationen; ferner die Lehrer
der Waisenkinder und alle diejenigen Personen zu diesem feierlichen Akt
eingeladen, welche dieser Stiftung seit ihrem Bestande den Tribut der
Mildtätigkeit in einer oder anderen Weise gezollt haben, sowie ferner einige
Mitglieder des Freunde des Verewigten, deren sich derselbe ja im Leben so
vieler zu erfreuen hatte.
Der Direktor Herr Ruben Elias Goldschmidt eröffnete die Versammlung
mit einem Vortrag über die seitherigen Leistungen dieser Anstalt und der
Sekretär Herr Samson Seelig Goldschmidt trug einen ziemlich
umfassenden Rechenschaftsberichte vom verflossenen Verwaltungsjahr vor.
Hierauf ergriff der Landrabbiner Herr Dr. Adler das Wort und sprach
ausführlich über die Bedeutung und Wichtigkeit der Sache selbst; über die
Förderung und das Interesse, welches man dieser noch jungen Schöpfung
angedeihen lassen möge; und wendete sich alsdann mit einigen eindringlichen,
recht ergreifenden Worten an die Zöglinge des Instituts, gegenwärtig aus
sieben Knaben und drei Mädchen bestehend.
Hierauf schloss dieser feierliche Akt und die Versammlung trennte sich
sichtlich gerührt und unter Gesprächen der Teilnahme für das gute Werk,
welche der Stiftung auch schon durch mehrfache reichliche Gaben bewiesen
wurde, wodurch nun die Aufnahme von noch einigen Kindern ermöglicht wird.
Es steht außer allem Zweifel, dass die Sache im Laufe der Jahre einen
umfassenden Wirkungskreis erlangen wird."
|
Ausschreibung des Stelle des
Waisenhaus-Vaters (1864)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Januar 1864: "Die
Stelle des Hausvaters bei dem Philipp Feidel'schen Waisenhause dahier ist
erledigt und soll durch einen pädagogisch hierzu befähigten verheirateten
Mann, dessen Frau zur Hausmutter sich eignet, wieder besetzt werden. Hierauf
Reflektierende wollen ihre Meldungsgesuche nebst Qualifikationszeugnisse
spätestens bis zum 1. Februar kommenden Jahres anher einsenden.
Kassel, den 23. Dezember 1863.
Kuratorium der Philipp Feidel'schen Waisenhaus-Stiftung. "
|
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Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 1. März 1864: "Anzeigen.
Die Hausvaterstelle bei dem Philipp Feidel'schen Waisenhause dahier
ist besetzt.
Kassel, den 20. Februar 1864. Das Kuratorium."
|
Ausschreibung
der Stelle des Waisenhaus-Vaters (1872)
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. Januar 1872: "Am 1. April kommenden Jahres ist in dem Israelitischen
Waisenhause dahier die Stelle des Waisenhausvaters zu besetzen. Darauf
Reflektierende wollen unter Einsendung ihrer Zeugnisse sich an das
unterzeichnete Kuratorium wenden. Auf Wunsch werden die näheren
Bedingungen mitgeteilt.
Kassel, den 8. Dezember 1871. Das Kuratorium Dr.
Adler S.S. Goldschmidt." |
Hauptlehrer Adolf Scheye wechselt von
Buchsweiler an das Waisenhaus in Kassel (1895)
Anmerkung: Hauptlehrer Adolf Scheye war vor 1895 in Buchsweiler tätig, danach bis zu seinem Ruhestand 1909
Inspektor des Israelitischen Waisenhauses in Kassel. Den Ruhestand
verbrachte er in Breslau.
Artikel
in der "Allgemeinen Israelitischen Wochenschrift" vom 12. April 1895: "Herr
Hauptlehrer Scheye ist von Buchsweiler (Elsass) an das
Waisenhaus in Kassel versetzt worden."
|
Im Israelitischen Waisenhaus wird der
Knabenhandfertigkeitsunterricht eingeführt
(1895)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 31. Mai
1895: "Im israelitischen Waisenhause zu Kassel ist der
Knabenhandfertigkeitsunterricht eingeführt worden. Der neue Leiter der
Anstalt hat zu wiederholten Malen die Kurse der Lehrerbildungsanstalt für
Knabenhandarbeit in Leipzig durchgemacht." |
Zur Einweihung des neuen
Israelitischen Waisenhauses - Rückblick auf die Geschichte der Einrichtung (1899)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 10. November 1899:
"Das israelitische Waisenhaus zu Kassel. Ein Gedenkblatt zur
Einweihung des neuen Hauses.
Die israelitische Gemeinde zu Kassel kann man mit jenen Frauen vergleichen,
von denen man am wenigsten spricht, und die doch zu den besten gezählt
werden. Nur selten und spärlich dringen Nachrichten über das hiesige innere
Gemeindeleben in die größere Öffentlichkeit. Doch darf dieses nicht zu dem
Schlusse führen, als ob hier Friedhofsstille herrsche. Bedingt durch die
Gesetzgebung des ehemaligen Kurfürstentums Hessen, welche noch gegenwärtig
für die Juden des Regierungsbezirks Kassel zu Recht besteht und nach gar
vielen Seiten hin segensreich sich bewährt hat, blüht hier ein
Gemeindeleben, dass die drei Kardinalpunkte unseres Glaubens, Thora
(Lehre), Awaudoh (Gottesdienst) und Gemilus chassodim (Wohltätigkeit),
nach allen Seiten hin fördert, hebt und entwickelt. Es würde zu weit führen,
hier an dieser Stelle die Tätigkeit jener Anstalten auch nur skizzenhaft zu
schildern. Nur einer wendet sich unsere Aufmerksamkeit zu. Es ist dies das
Israelitische Waisenhaus, das im Winter dieses Jahres seinen
staatlichen Neubau bezieht. Aus diesem Anlass erschien eine vom Herrn
Landrabbiner Dr. Prager verfasste Denk- und Festschrift, aus deren reichem
Inhalt mancherlei in nachstehenden Zeilen aufgenommen ist.
In stiller Zurückgezogenheit hat bisher die genannte Waisenanstalt während
des 43-jährigen Bestehens ihre segensreiche Tätigkeit entfaltet. Ihre
Entstehung verdankt sie einer Schenkung des Bankiers Philipp Feidel zu
Kassel, der als letztwilliges Vermächtnis den Betrag von 20.000 Thalern zum
Zwecke der Errichtung eines Waisenhauses bestimmt hat. Philipp Feidel,
geboren den 16. Juni 1803, gehörte einer angesehenen und einflussreichen
Familie Kassels an, deren Name durch eine Reihe gemeinnütziger Schenkungen
und Stiftungen sich verewigt und auch in weiteren Kreisen ein Anrecht auf
dankbares Gedenken sich erworben hat. Philipp Feidel wusste die angesehene
Stellung, die sein Großvater, der Oberhofagent Feidel David, durch seine
Beziehungen zum damaligen Hofe sich erworben hatte, ungeschmälert zu
behaupten. Auch sein jüngerer Bruder, Albrecht Feidel, bedachte das
Waisenhaus wiederholt mit ansehnliche Schenkungen bei den verschiedensten
Anlässen und testierte ihm ein Legat von ebenfalls 20.000 Thalern. Auch die
eine der Schwestern, Julie, welche mit Samson Selig Goldschmidt vermählt
war, zeigte durch namhafte Zuwendungen der Anstalt ihre Gunst.
|
Nachdem
die Israeliten des hiesigen Landes ihr volles Bürgerrecht erworben, wendeten
sie besondere Aufmerksamkeit in der Erziehung der Jugend zu guten und treuen
Bürgern zu, und es entstand hier eine Reihe von Anstalten, die diese Zwecke
förderten: 'Schwesternbund zur Erziehung und Heranbildung armer Mädchen'
(1817), 'Gesellschaft der Humanität', welche gegenwärtig mannigfachen
Zweigen der Erziehung, vornehmlich dem Handwerk, ihre Wirksamkeit widmet
(1802), ferner 'Das jüdische Lehrerseminar' (1824). Für Philipp Feidel galt
es ein gemeinschaftliches Haus, gemeinschaftliche Pflege und Erziehung für
die Waisen zu schaffen. Genau 9 Wochen, nachdem sein Vermächtnis geschrieben
war, ist er aus dem Leben geschieden. Unverzüglich ging das neu gewählte
Kuratorium an seine Arbeit. Es bestand aus folgenden 11 Mitgliedern:
Landrabbiner Dr. Adler, Obergerichtsanwalt M. Alsberg, Bankier Albrecht
Feidel, Louis Flescher, Samson Selig Goldschmidt, Ruben Elias Goldschmidt,
Siegmund Elias Goldschmidt, Abraham Honnet, Dr. Salomon Leviseur und Louis
Rosenzweig.
Das Resultat der Vorarbeiten über Plan und Ziel, über Verwaltung und
Einrichtung des neu gegründeten Instituts nach Maßgabe des
Stiftungsvermögens wurde in den neu entworfenen, am 28. Februar 1856
unterzeichneten Statuten niedergelegt, welche die Gesinnung und den Geist
des Stifters charakterisieren. Sie bezeichnen als Zweck der Stiftung: 'Armen
israelitischen Waisenkindern beiderlei Geschlechts in einer abgesonderten
Anstalt Nahrung, Kleidung, Erziehung und, soweit es die Mittel der Anstalt
zulassen, Unterricht zu gewähren. Die Anstalt soll es sich zur Aufgabe
machen, die ihrer Obhut anvertrauten Waisenkinder mit elterlicher Liebe zu
sittlich guten gottesfürchtigen Israeliten und für das praktische Leben
brauchbaren Menschen heranzubilden. (§ 12.) 'Die Beköstigung und Lebensweise
sowie das geistliche Leben überhaupt muss streng nach jüdischem Ritus
erfolgen, und es wird dem Kuratorium zur Pflicht gemacht, darüber zu wachen,
dass dieser Bestimmung nach gelebt werden'. (§ 13). 'Für die physische
Erziehung der Kinder zu gesunden und kräftigen Menschen soll durch eine
einfache, nicht kärgliche Lebensweise, durch strenge Gewöhnung an
Reinlichkeit, durch häufige Bewegung im Freien und durch angemessene
Leibesübung Sorge getragen werden'. (§ 14.) 'Ebenso hat das Kuratorium für
einen genügenden Schulunterricht in der jüdischen Religion und in den
Elementargegenständen zu sorgen'. (§ 16.) Die Mittel der Stiftung, welche
vorerst in den von dem Stifter zu diesem Zwecke bestimmten 20.000 Thalern
bestanden, können anderweitig, 'sei es durch Testament, Schenkung oder in
jeder anderen Weise', vermehrt werden. Mit Nachdruck wird hervorgehoben,
dass bei größeren Schenkungen, jedoch nicht unter dem Betrag von 10.000
Thalern, die Stiftung neben dem Namen des ursprünglichen Stifters auch den
des Schenkgebers oder Testators tragen und der Name desselben in die
Benennung der Stiftung mit aufgenommen werden können (§ 12.)
Zu Mitgliedern dieses Kuratoriums ernennt das 1. Statut neben dem zeitigen
Landrabbiner Dr. Adler die drei von dem Stifter ernannten
Testamentsvollstrecker: Bankier Albrecht Levy Feidel, Kaufmann Ruben Elias
Goldschmidt und Bankier Samson Selig Goldschmidt (§ 2.)
Dem Kuratorium zu Seite stehend, sollen zwei 'Ehrenmütter' die Aufsicht über
die Pflege der Kinder und die Überwachung des gesamten Haushaltes in der
Anstalt übernehmen. Als Zöglinge sollen in die Anstalt nur solche
israelitische (vater- oder mutterlose) Waisen aus dem Inland (Kurhessen)
aufgenommen werden, die das sechste Lebensjahr erreicht und das neunte noch
nicht überschritten haben, für die Aufzunehmenden muss der Nachweis erbracht
werden, 'dass sie körperlich gesund und nicht sittlich verwahrlost sind'.
Die Zöglinge erhalten freie Wohnung, Beköstigung, Kleidung, Verpflegung und
alle Wohltaten einer geregelten und sorgfältigen Erziehung'. Sie sollen in
der Regel in der Anstalt verbleiben, bis sie für den Übergang in einen
Lebensberuf oder in eine höhere Bildungsanstalt vorbereitet sind'. (§ 10.)
Es dürfte diese Getränke aus gedrängt gedrängte Auszug aus den Statuten
genügen, um erkennen zu lassen, wie der ganze Ernst der erziehlichen Aufgabe
ebenso wie ein herzliches Wohlwollen und eine jede Engherzigkeit
ausschließende Sorgfalt bei der Schaffung des neuen Instituts mitgewirkt
haben. Mit Eifer und Freudigkeit ging das neu gewählte Kuratorium an seine
Aufgabe. In kaum 2 Monaten wurden die vielfachen und mühsamen
Vorbereitungen, welche die Errichtung der Anstalt notwendig machten,
getroffen. Das erste Heim der Anstalt war eine gemietete Wohnung, deren
Mängel sich bald in so empfindlicher Weise zeigten, dass noch in demselben
Jahre Ruben Elias Goldschmidt, ein naher Verwandter Feidels, das ihm
gehörige Haus in der Giesbergstraße zuerst zum Zweck des Waisenhauses
mietweise her gab, bis er es durch Urkunde vom 28. November 1869 als
Schenkung an die Waisenanstalt überwies, um das Andenken seiner Gattin
Emilie Goldschmidt, geborene Feidel, zu ehren. Mit dieser Schenkung war
nunmehr der feste Boden für die Sicherstellung der Anstalt gewonnen. Aber
auch nach der rechtlichen Seite war diese Schenkung von großer Bedeutung;
denn letztere wurde an die Bedingung geknüpft, dass für die Stiftung die
Rechte einer juristischen Person gewonnen werden sollten. Die Nachsuchung
dieser Rechte machte eine neue Bearbeitung der alten Satzungen erforderlich.
Die Urkunde über die allerhöchste Genehmigung weiland seiner Majestät König
Wilhelm I. ist datiert: 'Versailles, den 2. Dezember 1870'. Die Erlangung
der Korporationsrechte bildet gleichzeitig eine freudige und erhebende
Erinnerung an die große und ruhmreiche Zeit unseres Vaterlandes.
Dem Kuratorium ist es gelungen, die aus bescheidenen Ansprüchen
hervorgehende Stiftung allmählich lebens- und leistungsfähig zu machen, für
deren allseitige Ausgestaltung und Verwaltung und vor allem für die
religiöse-sittliche und praktische Erziehung der ihr anvertrauten Kinder
Sorge zu tragen. Diese Aufgabe ist wesentlich erleichtert worden durch die
stille, liebevolle Mitarbeit der Ehrenmütter, denen die besondere Aufsicht
über die Erziehung der Waisenmädchen, über die Verpflegung und Bekleidung
der Kinder und über den gesamten Haushalt im Waisenhaus übertragen wurde. Es
konnte nicht fehlen, dass das Waisenhaus auch von den hiesigen
Gemeindemitgliedern seit seinem Bestehen gefördert wurde. So oft Freud und
Leid in Familien einzog, gedachte man gern der armen Waisen und des Hauses,
dass ihnen ein Heim, ein Elternhaus zu bieten bestimmt ist.
Mehr als 600 Schenkungen, Vermächtnisse und Beiträge, welche, soweit sie den
Betrag von 300 Mark überstiegen, auf den Gedenktafeln in unserer Anstalt zu
dankbarer Erinnerung eingezeichnet sind, haben Zeugnis davon abgelegt, dass
das Waisenhaus mit unserer Gemeinde verbunden ist und ihn ihr seine Stütze
und seine Förderung findet.
Ein reicher Segen ist durch Gottes Beistand aus dieser Anstalt geflossen.
162 arme Kinder haben ihre Aufnahme, Erziehung und Heranbildung zu einem
Lebensberufe erhalten. Manch erfreuliches Resultat ist zu verzeichnen, manch
erfreuliche Lebensstellung, die hier begründet wurde, ist zu vermerken. Es
ist dem Referenten eine Freude, berichten zu können, mit welch liebevoller
Sorgfalt die Waisen erzogen und behandelt werden. Den obersten Grundsatz
bildet die streng religiöse Erziehung. Doch auch der körperlichen Pflege
wird besondere Aufmerksamkeit zugewandt. Eine Badeeinrichtung im Hause -
Wannen- und Duschebäder - für Knaben wie für Mädchen wird regelmäßig
benutzt, im Sommer das Baden und Schwimmen in der Fulda eifrig gepflegt; der
möglichst ausgedehnte Aufenthalt im Freien - es steht hierzu der große
Vorraum und Garten eines Grundstücks zur Verfügung -, größere regelmäßige
Spaziergänge und Ausflüge, Turnübungen, mehr spielend und erholend, bei den
hierzu in unserer Anstalt getroffenen Einrichtungen tragen dazu bei, die
Kinder körperlich zu kräftigen und gesund zu erhalten. Der
Gesundheitszustand war daher seit Bestehen der Anstalt ein durchaus
befriedigender.
Des Besonderen aber sei gedacht des durch den gegenwärtigen Hausvater, Herrn
Inspektor Scheye, mit so anerkennenswertem Erfolge in der Anstalt
eingeführten Handfertigkeitsunterrichts. Die wiederholten
Ausstellungen der von den Waisenkindern gefertigten Papp- und Holzarbeiten
haben ungeteilte Anerkennung den Leistungen der Kinder gebracht. Die Freude
und der Eifer der Kinder bei diesen Arbeiten, welche nicht wie ein Zwang
ausgeübt werden, sondern wobei Zulassung und Ausschließung oft als Belohnung
und Bestrafung angewandt wird, legen Zeugnis ab von dieser ersprießlichen
Beschäftigung, welche, abgesehen von der nützlichen Vorbereitung zum
Handwerksberufe, welchem die meisten Knaben zugeführt werden, den
erziehlichen Nutzen in der körperlichen Kräftigung und in der Abhaltung vom
Müßiggange recht deutlich erkennen lässt. Auch zur Beschäftigung mit dem
Gartenbau werden die Kinder, soweit die Verhältnisse des Gartens es
gestatten, herangezogen. In gleicher Weise finden auch die Mädchen ihre
Beschäftigung in den praktischen Haus- und Handarbeiten, welches sie - außer
dem vierstündigen Handarbeitsunterricht in der Schule - unter vorsorglicher
Aufsicht der Hausmutter, Frau
|
Scheye,
im Hause durch Heranziehung zu den entsprechenden Verrichtungen im Haushalt,
Reinhaltung der Räume, kleinen Ausbesserungen von Wäsche und
Kleidungsstücken zu besorgen haben. Die Zöglinge in der Anstalt bleiben in
der Regel bis zum Abschluss des schulpflichtigen Alters in derselben, um
dann einem Lebensberufe zugeführt zu werden. Die Mädchen werden, wenn nicht
seitens der Angehörigen andere Verfügungen getroffen werden, so oft
erforderlich, über dieses Alter hinaus in der Anstalt zurückgehalten, um sie
für irgendeinen Berufszweig vorzubilden. Hierzu bietet der Haushalt in der
Anstalt selbst unter Aufsicht der Hausmutter und der Ehrenmütter, vor allem
aber die alle weiblichen Berufszweige umfassende Fachschule des hiesigen
Frauenbildungsvereins reichhaltige Gelegenheit. Erforderlichen Falles
erhalten Knaben wie Mädchen besondere Kurse in Schönschreiben, Rechnen und
Buchführung. Nach besten Kräften wird seitens der Anstalt für ein
Unterkommen der entlassenen Zöglinge in kaufmännischen Geschäften oder in
Handwerkslehren gesorgt.
So wirkte die hiesige Waisenanstalt fast ein halbes Jahrhundert getreu im
Sinne der Stifter und Begründer. Nie drang eine Bitte um Zuwendungen
in die Öffentlichkeit. Doch andere Zeiten bedingen andere Verhältnisse. Das
alte Haus musste einem Neubau Platz machen, zu dem hiesige Wohltäter
namhafte Summen als Geschenke und zinsfreie Darlehen spendeten, wären
größere Kapitalien gegen mäßigen Zins (2 %) von Kasselanern gegeben wurden.
Die Festschrift des Herrn Dr. Prager führt folgende Zahlen auf, die dieses
in sehr beredter Sprache beweisen: Schenkungen für den Neubau '11.100 Mark;
für die innere Einrichtung des Waisenhauses 2.950 Mark und Schlafdecken,
Linden- und Eichenholz zur Wandbegleitung des Speisesaales, Pferdehaare zu
Bettmatratzen; 10.500 Mark zinsfrei und 44.000 Mark verzinsliche
Anteilscheine' - Summen, welche den wohltätigen Sinn der hiesigen Gemeinde
im hellsten Lichte zeigen. Möchten sich deshalb auch unter den Lesern dieser
Zeilen mildtätige Herzen finden, die das begonnene Werk vollenden helfen; es
gereicht ja der ganzen Menschheit zum Segen! Die Wohltat ist des Lebens
schönste Tat!'"
Anmerkung: Spenden nimmt Herr Bankier A. Alsberg gerne entgegen.
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Hoher Besuch im Israelitischen Waisenhaus
(1902)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Dezember
1902: "Kassel, 8. Dezember. Am letzten Samstag hatte das hiesige
israelitische Waisenhaus hohen Besuch. Seine Exzellenz der Herr
Oberpräsident und Staatsminister Graf von Zedlitz-Trützschler*, Herr
Regierungspräsident Freiherr von Trott zu Solz*, Herr Oberbürgermeister Dr.
Müller*, Herr Bürgermeister Dr. Jochmus* und Herr Stadtschulrat Bornemann,
nahmen die im Sitzungssaal der Anstalt ausgestellten Gegenstände des
Handfertigkeitsunterrichts in Augenschein und würdigten dieselben
eingehender Beobachtung. Die Ausstellung bot ein überraschendes Bild von der
Leistungsfähigkeit der Schüler, zumal die Übungen in der Handfertigkeit nur
eine Nebenbeschäftigung bilden. Beliebt es einem Kinde, in seiner freien
Zeit sich nicht mit Lesen oder dergleichen zu beschäftigen, dann nimmt es
sein Holzmodell und Kerbschnitzmesser zu Hand und arbeitet. Auf diese Weise
wurde die Lust und Liebe zu den Arbeiten geweckt und erhalten. Wohl 250-300
Gegenstände sind gearbeitet worden. Als Material wurden Modelle aus Linoleum
und Holz benutzt. Wir sahen Lampen Teller, Schreibmappen, Bilderrahmen,
Tische, Schränke, Zeitungsmappen, Barometer, Thermometer, Papierkörbe,
Stollenbretter, Servierbretter, Brot- und Kuchenteller, Tischläufer, Truhen,
Schlüsselschränke, Handschuhkasten und so fort. Alle Arbeiten, sowohl
diejenigen, welche von den jüngeren, als auch diejenigen, welche von den
älteren Zöglingen angefertigt, ließen deutlich erkennen, mit welchem Fleiß
und Eifer sie angefertigt wurden. Der Herr Oberpräsident sprach auch einige
Knaben an und dankte Herrn Inspektor Scheye für seine Hingebung und die
ausgezeichnete Leistung des Instituts in warmen Worten. Auch die zweckmäßige
Einrichtung des inneren Hauses, welches in allen Teilen besichtigt wurde,
wie das gesunde Aussehen der Kinder fanden bei seiner Exzellenz und den
Vertretern der Staats- und Stadtbehörden den lebhaften Beifall. Sicherlich
wird der letzte Samstag dem rührigen Kuratorium des Waisenhauses als
Ehrentag in bleibender Erinnerung bleiben und die Anerkennung von solch
berufener Seite die Herren in ihrem selbstlosen Streben bekräftigen." |
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Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 19. Dezember 1902: "Kassel, 10. Dezember. Am letzten
Sonnabend hatte das hiesige israelitische Waisenhaus den Besuch des
Oberpräsidenten und Staatsminister Grafen von Zedlitz-Trützschler*, des
Regierungspräsidenten Freiherren von Trott zu Solz*, des Bürgermeisters Dr.
Jochmus* und des Stadtschulrats Bornemann..."
Weitgehend derselbe Bericht wie oben im "Israelit". |
*Anmerkungen:
- Oberpräsident und Staatsminister Graf von Zedlitz-Trützschler siehe zu
Robert von Zedlitz-Trützschler (1837-1914):
https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_von_Zedlitz-Trützschler
- Freiherr von Trott zu Solz siehe zu August von Trott zu Solz (1855-1938):
http://regiowiki.hna.de/August_von_Trott_zu_Solz
- Oberbürgermeister Dr. Müller siehe zu Nikolaus August Müller (1856-1926):
https://de.wikipedia.org/wiki/August_Nikolaus_Müller
- Beim Bürgermeister Jochmus handelte es sich um Bürgermeister Hermann
Jochmus. |
Jubiläums-Gewerbeausstellung in
Kassel unter Beteiligung des Israelitischen Waisenhauses (1905)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 18. August 1905: "Von
der Jubiläums-Gewerbeausstellung in Kassel.
Das hochherzige Testament des unvergesslichen Konsul Moritz Simon,
das die reichgesegnete Lebensarbeit dieses Mannes wie in einem Brennpunkt
gesammelt noch einmal weithin erstrahlen lässt, bestimmt nach den
prinzipiell gehaltenen einleitenden Bemerkungen in dem ersten Punkte: aus
den Einkünften der Stiftung sollen israelitische Kinder vom frühesten Alter
an, namentlich in den Volksschulen, in jüdischen Waisen- und
Erziehungsanstalten, auch insbesondere durch Handfertigkeitskurse oder in
sonstiger Weise Handfertigkeitsunterricht erhalten etc. Wenn es auch
ausgesprochen werden muss, dass es nicht leicht sein wird, die Bestimmungen
der Stiftung zu realisieren, die darauf hinzielen, das Handwerk unter
den Israeliten in größerem Umfang zu verbreiten, da in der Gegenwart gerade
das Handwerk in sichtbarem Niedergang begriffen ist und durch neue
Produktionsmethoden verdrängt wird, so muss andererseits der in obigem
Passus ausgesprochene Wunsch, den Handfertigkeitsunterricht bei der
jüdischen Jugend zu fördern, als höchst bedeutsam und beachtenswert
hervorgehoben werden. Denn zahlreiche pädagogische Gründe, die vorteilhafte
Beeinflussung der physischen Entwicklung der Geschmacks- und Willensbildung
müssen immer von neuem die Notwendigkeit einer Ergänzung des theoretischen
Schulunterrichts durch praktische Beschäftigung illustrieren. Aber auch der
Gewinn des Handarbeitsunterrichts für die intellektuelle Ausbildung muss
ganz besonders betont werden, denn wie Palurgren, der Direktor der
praktischen Arbeitsschule in Stockholm, sehr richtig in seinem Vortrage 'Sur
l'importance du travail manuel dans l'éducation' bemerkt: 'Le travail
manuel occupe aussi une place éminente au point dè vue de l'éducation
intellectuelle, d'abord parcequ'il force l'enfant à concentrer ses pensées
exclusivement sur son courage'.
Alle diese Gesichtspunkte betreffs des erziehlichen Handarbeitsunterrichts
kommen naturgemäß ganz besonders bei geschlossenen Erziehungsanstalten in
Betracht. Denn so verschiedenen Charakters auch die Internate sein mögen, so
stellt sich doch bei ihnen als gemeinsames Merkmal die Notwendigkeit dar,
einen Ersatz für das Elternhaus zu schaffen und damit verbindet sich für sie
die Forderung, den Arbeitsunterricht anstelle der mannigfachen körperlichen
Arbeit, wie sie die Familie von selbst mit sich bringt, ganz besonders zu
pflegen. Darum muss es immer wieder von neuem hervorgehoben werden, dass
auch in den spezifisch jüdischen Erziehungsanstalten in dem
Arbeitsunterricht gegenüber der einseitig intellektuellen Ausbildung ein
Gegengewicht geschaffen werde. Wie schöne Erfolge nach dieser Richtung
erzielt werden können und wie haltlos der immer wieder gegen das Judentum
erhobene Vorwurf der Inferiorität auf dem Gebiet körperliche Arbeit ist,
beweisen die Leistungen des Israelitischen Waisenhauses in Kassel auf
der hiesigen Gewerbeausstellung. Schon die Ausstellung der Arbeiten wirkt
nach jeder Richtung hin anziehend und geschmackvoll.
Innerhalb der X. Gruppe, die das gewerbliche Schulwesen, die gewerbliche
Literatur und die Wohlfahrtseinrichtungen befasst, begegnen sie uns - bald
am Eingang des Saales, aber äußerlich erkennbar durch die Aufschrift:
'Israelitisches Waisenhaus Kassel: Erzeugnisse des
Handfertigkeitsunterrichts, Handarbeiten von den Schülerinnen etc.'
Nähern wir uns den ausgestellten Arbeiten, so staunen wir über die
Mannigfaltigkeit der Erzeugnisse, die die kleinen Finger der jüdischen
Waisenkinder zustande gebracht haben. Es sind in erster Linie Holzarbeiten,
und zwar Kerbschnitzereien. Praktisch veranschaulicht sehen wir da zunächst
den Lehrgang der Kerbschnitzarbeit in allen Phasen der Entwicklung. Und
immer in bunter Abwechslung: Ornamente, Blattformen, Fotografierahmen,
verschiedene Kästchen, Untersetzer, Tischbretter, Schreibzeug,
Schreibtischmappe, Tintenfässer, Lesepult etc. Vor allen Dingen erregt ein
in feinstem Kerbschnitt ausgeführter Wandschrank die Bewunderung der
Beschauer. Alle diese Arbeiten, die sauber und schön ausgeführt sind,
erfordern eine weitgehende Vertrautheit mit der Bearbeitung des Holzes und
der Zusammenstellung der Modelle. Auch die Handarbeiten der Mädchen müssen
mit besonderer Anerkennung genannt werden. Die 'Kasseler
Ausstellungszeitung' schreibt von ihnen in der Besprechung der weiblichen
Arbeiten: 'An der Ausstellung des Israelitischen Waisenhauses haben
sichtlich auch weibliche Hände mitgearbeitet. Gewiss rühren die sauberen
hübschen Stickereien von den Waisenmädchen her, die für ihr Alter tüchtiges
leisteten!' Auch muss hervorgehoben werden, dass diese Erzeugnisse sämtlich
in freien Mußestunden entstanden sind, in denen eben nicht mehr das Buch als
einziges wirkliches Erholungsmittel gilt. Neben diesem inneren Erfolge
konnte der äußere, wie er sich bereits in obiger Kritik kund gibt, nicht
ausbleiben. Der Oberpräsident von Windheim hat diese Arbeiten
besonders rühmend hervorgehoben und die Kommission der Ausstellung
hat zahlreiche Gegenstände zur Verlosung angekauft. - Die Verdienste,
die sich der ausgezeichnete Leiter des Waisenhauses, Herr Inspektor
Scheye, um das Gelingen dieser Arbeiten erwarb, näher beleuchten, hieße
dem vorausgreifen, was im Mai des nächsten Jahres, wo diese Musteranstalt
jüdischer Wohltätigkeit auf ein 50-jähriges Bestehen zurückblicken
wird, mannigfach in Wort und Schrift zum Ausdruck gebracht werden wird.
Begnügen wir uns deshalb hier mit der Bemerkung, dass dieser treffliche
Schulmann in seiner Persönlichkeit in besonders hohem Maße die Wahrheit des
Ausspruches bestätigt: 'Der Mensch hängt noch mehr an denen, welchen er
Sorge und Liebe widmet, als an denen, von welchen er Sorge und Liebe
empfängt!'"
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50-jähriges Bestehen des israelitischen Waisenhauses
(1906)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 11. Mai 1906: "Kassel, 6. Mai. Jubelfeier. Gestern
Mittag beging das israelitische Waisenhaus in feierlicher Weise das
Fest seines 50-jährigen Bestehens. Als Vertreter der Behörden waren
der Regierungspräsident Graf von Bernstorff*, der Polizeipräsident Freiherr
von Dalwigk*, der landesherrliche Kommissar, Regierungsrat Gödeke und - in
Vertretung des Oberbürgermeisters - Bürgermeister Jochmus erschienen. Die
Verwandten des Stifters der Anstalt und zahlreiche Freunde und Gönner hatten
sich eingefunden.
Nachdem die Zögling einen Psalm gesungen, gab Herr Alexander Fiorino,
der Vorsitzende des Kuratoriums, einen Überblick über die Geschichte der
Anstalt, die 1856 aufgrund einer testamentarisch gemachten Stiftung von
60.000 Mark des 1855 verstorbenen Bankiers Philipp Feidel gegründet worden
war. Die Familie Feidel und die mit ihr verschwägerte Familie Goldschmidt
haben auch weiter durch mehrfache erhebliche Stiftungen ihr lebhaftes
Interesse für das Waisenhaus bekundet. Zum Jubeltage hat Herr Kommerzienrat
Aschrott* der Aschrott-Stiftung von 24.000 Mark weiter 30.000 Mark
hinzugefügt. Nach der Rede des Vorsitzenden hielt der neue Landrabbiner,
Herr Dr. Doctor*, die Gedenkrede auf die Entschlafenen und sodann
sprach Herr Regierungspräsident Graf von Bernstorff* sehr warme Worte.
Dass die Regierung mit Anerkennung auf die Leistungen der Anstalt blicke,
erhelle die Verleihung des Kronenordens vierter Klasse an den
Waisenhausinspektor Scheye zu dem heutigen Tage; die Geschichte der Anstalt,
die der Vorsitzende soeben entworfen, sei ein beredtes Zeugnis des
Wohltätigkeitsinnes und der Menschenliebe der Kasseler Israeliten. - Nachdem
noch Herr Justizrath Dr. Rothfels* namens des Vorsteheramtes der
Israeliten, sowie ein früherer Zögling gesprochen, fand die schöne Feier mit
einem Gesang der Anstaltszöglinge ihren Abschluss."
*Anmerkungen:
- Regierungspräsident Graf von Bernstorff siehe zu Albrecht Karl Leo Adolf
Robert Percy Graf von Bernstorff (1858-1930): https://de.wikipedia.org/wiki/Percy_von_Bernstorff
- Rabbiner Dr. Doctor siehe zu Rabbiner Dr. Max Doktor
http://www.steinheim-institut.de:50580/cgi-bin/bhr?id=2106&suchename=Doctor
- Justizrat Dr. Rothfels siehe zu Max Rothfels (1854-1935)
https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Rothfels
- Polizeipräsident Freiherr von Dalwigk siehe zu Alexander Freiherr von
Dalwigk zu Lichtenfels
https://www.lagis-hessen.de/pnd/1193460972
- Kommerzienrat Aschrott siehe zu Sigmund Aschrott (1826-1915)
https://de.wikipedia.org/wiki/Sigmund_Aschrott und
https://www.vorderer-westen.net/geschichte/prominente-mitbuergerinnen/sigmund-aschrott/ |
Weiterer Bericht zum 50-jährigen
Bestehen des israelitischen Waisenhauses (1906)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 18. Mai 1906: "Brief
aus Kassel. L. Htz. Kassel, 6. Mai.
Das hiesige israelitische Waisenhaus gehört unstreitig zu denjenigen
Anstalten, die sehr wenig von sich reden machen. In stiller
Zurückgezogenheit, ohne in die große Öffentlichkeit zu treten, hat dieses
Haus nun ein halbes Jahrhundert die ihm gestellten Aufgaben getreulich
erfüllt, zum Heile der ihm anvertrauten Kinder und zum Besten der
Menschheit. Wenn nun die sonst so stillen und friedlichen Räume am letzten
Sonnabend viele Freunde und Gönner bei sich sahen, die Feier des 50-jährigen
Bestehens festlich zu begehen, so wollte man nur damit die Pflicht der
Dankbarkeit gegen diejenigen edlen Männer und hochherzigen Frauen erfüllen,
die das Haus gegründet und erhalten haben, und auch die Mitwelt mahnen, das
Erbe der Väter weiter auszubauen.
An dem Jubelfeste des Hauses nahmen alle Kreise der Stadt regen Anteil.
Leider musste der Herr Oberpräsident von Windheim noch in letzter Stunde
sein Erscheinen absagen, denn in seiner Familie war ein schwerer
Krankheitsfall. Ihn vertrat der Herr Regierungspräsident Graf von
Bernstorff, der Herr Herrn Oberinspektor Scheye den Kronenorden IV. Klasse
überreichte. Wir sahen ferner die Herren Polizeipräsident Freyherrn von
Dalwigk, Regierungsrat Gödeke, Bürgermeister Jochmus, die Mitglieder des
Vorsteheramtes der Israeliten, die Ältesten der Gemeinde, die Vertreter der
Sinai-Loge und sonstigen israelitischen Vereine unserer Vaterstadt.
Nach einleitendem Chorgesang der Zöglinge erhielt das Kuratoriumsmitglied
Herr A. Fiorino eine längere interessante Ansprache, die ein Bild der
Entwicklung der Anstalt gab, welche von Philipp Feidel durch eine
letztwillige Schenkung im Betrage von 20.000 Talern 1856 begründet wurde.
Andere Mitglieder der Familie Feidel und Goldschmidt, Herr Albrecht Feidel
haben weitere 20.000 Taler vermacht. Danach heißt die Anstalt
'Israelitisches Waisenhaus, genannt die Philipp Feidel und Emilie
Goldschmidt'sche Stiftung zu Kassel'. 192 Kinder, 119 Knaben und 73 Mädchen,
haben im Laufe der verflossenen 50 Jahre hier Aufnahme gefunden, und seit im
September 1899 das neue Haus bezogen und Platz für eine größere Anzahl
Kinder geschafft werden konnte, befinden sich jetzt 28 Kinder, "
|
nämlich
14 Knaben und 14 Mädchen in der Anstalt. Neuerdings hat Kommerzienrat
Aschrott in Berlin in der H.S. Aschrottschen und Regina Aschrottschen
Stiftung eine Summe zur Verfügung gestellt, die heute schon den Betrag von
24.000 Mark erreicht hat und deren Zinsen alljährlich zum Besten der
entlassenen Zöglinge verwendet werden sollen. Zum Jubiläum schenkte derselbe
für diese Stiftung 30.000 Mark.
Mit einer Mahnung an die Kinder, durch Folgsamkeit, Fleiß und gutes Betragen
in der Anstalt und im Leben sich auszuzeichnen, schloss Herr Fiorino seine
Ausführungen. Nachdem der Waisenknabe Steinberger einen von Herrn Hermann
Blumenthal verfassten Prolog eindrucksvoll gesprochen hatte, nahm der jüngst
zum Landrabbiner ernannte Herr Dr. Doctor aus
Bruchsal das Wort zur Gedenkrede auf die
entschlafenen Wohltäter des Waisenhauses. Er gab seiner Freude Ausdruck,
trotzdem er sein Amt noch nicht angetreten, bei dieser Festesfeier zum
ersten Mal vor den größten Teil seiner Gemeinde treten zu dürfen. Aus den
Ausführungen sehr hervorgehoben:
'Was der Gegenwart als eine soziale Pflicht erscheine, das habe die Religion
mit größtem Geschick zu einer Sache des Herzens gemacht. Dem Judentum könne
niemand die Anerkennung versagen, dass es die systematische Schulung der
Herzensregungen meisterlich verstanden habe. Im Herzen Israels zittere noch
dasjenige nach, was in der Seele der Ahnen Jahrtausende lebendig gewesen
sei. Der Weg des Leidens, den Israel habe nehmen müssen, brachte das
Mitgefühl für die Armen und Hilflosen ihm zuerst und am stärksten zum
Bewusstsein. Alle Religion gipfle aber in den Worten: 'Liebe deinen Nächsten
wie dich selbst'. Der Talmud beantworte die Frage: 'Was ist Liebe?' damit:
'Liebe ist Liebestätigkeit, ist Wohltun!' Wohltätig gegen Tote und Lebende
soll man sein; gegen Tote, weil sie nicht danken können, gegen Lebende, ohne
auf den Dank jemals zu rechnen. Das Wohltun ohne Rücksicht auf Lohn lässt
die Religion im reinsten Lichte erscheinen. Ein solches Wohltun sei die
Fürsorge an den Waisen. Der Seelsorger, der in seiner Gemeinde Sorge und Not
miterlebt, weiß genau, dass für die Sterbenden nichts schmerzlicher sei, als
in dem Gedanken zu verscheiden, ihre Kinder nun ohne Elternliebe zu
hinterlassen. Die Unruhe über das Schicksal ihrer Kinder lasse oft die
Sterbenden nicht sterben, und es sei furchtbar anzusehen, wie das
entweichende Leben gleichsam gewaltsam zurückgehalten werde. Da sei es den
tröstend und beruhigend, wenn man das Prophetenwort sagen kann: 'Überlass
mir deine Waisen, dass ich für sie sorge'. So könne man den Sterbenden die
Versicherung geben, dass gute Menschen vorhanden sind, die die Fesseln des
Egoismus niederreißen. Dieser Gedanke der Waisenfürsorge habe etwas
Göttliches in sich. So sorge Gott für die Verlassenen. Die Waisenfürsorge
sei aber auch ein Akt ausgleichender sozialer Gerechtigkeit. Es gäbe wohl
keinen fühlenden Menschen, der nicht mit Rührung und Wehmut eine Waise
erblicke und nicht das Bedürfnis empfinde, ihr zu ersetzen, was ihr fehle.
So erkläre sich jene sonderbare, aber echt jüdische Auffassung, dass wir
eigentlich die Armen als unsere Wohltäter ansehen müssten, denn ihnen
verdanken wir es, dass wir das Ideal echter Menschlichkeit verwirklichen
können. So werden die Waisen unsere Erzieher, den alle Erziehung bestehe
darin, die guten Seiten in dem Menschen zu entdecken und auszubilden. Die
Waisen aber zeigen uns unsere schönsten und besten Seiten, wir geben Ihnen
eigentlich nur zurück, wir verdanken ihnen unsere beste Erziehung.
Hochherziges Verständnis für solche hohen Ziele, echte Menschenliebe,
praktischer Sinn, haben das Israelitische Waisenhaus ins Leben gerufen. So
sei denn der heutige Tag ein Ehrentag für die hiesige jüdische Gemeinde, die
stolz sein könne auf eine solche Anstalt, in der Liebe zu Religion, zu König
und Vaterland, zu allem Guten und Schönen gepflegt werden. Wenn die Geister
der verklärten Eltern der Kinder heute herabschauen würden, so würde ein
Hauch des Segens das Haus umschweben. Möge Gott auch fernerhin in der
Anstalt seinen Segen schenken. Dankbar und pietätvoll aber soll man heute
aller edlen Verklärten gedenken, die an dem Liebeswerk mitgearbeitet
hatten.'
Nach dem Kaddischgebet nahm Herr Regierungspräsident Graf Bernstorff das
Wort, in dem er etwa folgendes sprach:
'Geehrte Versammlung, geehrte Herren des Kuratoriums der Anstalt! Wenn ich
Ihnen meinen Dank aussprechen für die freundliche Einladung zu dieser Feier,
so tue ich dies zugleich auch im Namen des Herrn Oberpräsidenten, der leider
verhindert ist, anwesend zu sein und dessen Grüße und beste Wünsche für das
Gedeihen der Anstalt ich Ihnen übermittle. Dass nicht nur wir, die hiesigen
Vertreter der Staatsregierung, lebhaftes Interesse an Ihren Bestrebungen
nehmen, sondern dass dies auch an aller höchster Stelle der Fall ist, das
beweisen zu können, habe ich die Freude und Ehre gehabt, in dem ich dem
verdienten Leiter Ihrer Anstalt eine Auszeichnung habe übergeben dürfen.
Durch die eingehenden und interessanten Ausführungen Ihres Herrn
Vorsitzenden bin ich erfreut und ergriffen worden. Ich hoffe und wünsche,
dass der bekannte und immer bewiesene mildtätige Sinn der Kasseler jüdischen
Gemeinde auch in Zukunft sich zum Besten dieses Hauses geltend macht, damit
jederzeit die Mittel vorhanden sein mögen, Ihre Aufgaben voll zu erfüllen.
Es ist vielleicht ein glückliches Zeichen, dass die Räume dieses Hauses
gegenwärtig zu groß sind, dass nur 28 Kinder aus dem ehemaligen Kurhessen
der Pflege bedürfen. Aber da sie beschlossen haben, auch Waisen aus anderen
Bezirken aufzunehmen, so werden an Ihren Wohltätigkeitssinn fürderhin neue
Anforderungen gestellt werden. Dass Ihre Anstalt sich weiter glücklich
entwickle und gedeihe, das ist der Wunsch, den ich hier aussprechen will.
Herr Justizrat Doktor Rothfels brachte im Auftrage des Vorsteheramtes und
der Gemeinde den Vertretern der königlichen Staatsregierung herzlichen Dank
für das Wohlwollen, das den Institutionen der Gemeinde stets erzeigt worden
sei und gedachte des verdienstvollen Wirkens des Kuratoriums. Namens der
früheren Zöglinge der Anstalt widmete Herr Lehrer Holzapfel aus Münden
rührende Worte der Liebe und Dankbarkeit dem Anstaltsleiter Herrn Scheye,
als einem berufenen Erzieher, der nur für seine Pfleglinge lebe, und dessen
verstorbener Gattin, die allen Kindern eine wahrhaft aufopfernde Mutter
gewesen sei. Jeder, der im Hause erzogen sei, denke im Leben mit Freude an
die dort erlebten Tage und weile gern in den Räumen, die allen so viel Gutes
geboten habe. Mit dem weihevoll vorgetragenen Choralgesang: 'Lobe den
Herrn', schloss die erhebende Feier, die einen Merkstein in der Geschichte
unserer Gemeinde bilden wird. Möge die Huld Gottes dem Hause, seinem
Kuratorium, seinen Lehrern und allen, die ihm Wohlwollen zeigen, beschieden
sein."
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Bericht über das Israelitische Waisenhaus
(1908)
Anmerkung: Der in dem Artikel besprochene Bericht ist online eingestellt:
Jahresbericht September 1899 bis Januar 1908
https://docplayer.org/155525349-Israelitischen-waisenhauses.html
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 27. März 1908: "Kassel. Das israelitische Waisenhaus
(Philipp Feidel und Emilie Goldschmidt'sche Stiftung) veröffentlicht einen
Bericht, der die letzten neun Jahre umfasst. Seit Begründung im Jahre 1856
fanden 207 Kinder Aufnahme in der Anstalt, die dem Handwerker-, Lehrer-,
Kaufmanns- oder Dienstberuf zugeführt wurden. Gegenwärtig ist mit einem
Bestande von 19 Knaben und 14 Mädchen die höchste seit der Eröffnung
erreicht. Im Jahre 1906 beliefen sich die Betriebskosten auf 20.105.22 Mark;
es waren durchschnittlich 28 Kinder im Hause; es wurden also für ein Kind
circa 720 Mark jährlich ausgegeben. " |
Der Inspektor des Waisenhauses Adolf Scheye geht in den
Ruhestand (1909)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 24. September
1909: "Kassel, 9. September. Nach 15-jähriger, selbstloser und
hingebender Tätigkeit verließ heute der Inspektor des hiesigen Waisenhauses,
Herr Adolf Scheye, seine Anstalt, um in den Ruhestand zu treten. In
geräuschloser Weise hat er seines schweren, verantwortungsvollen Amtes
gewaltet und war den gegenwärtigen und entlassenen Zöglingen ein Waisenvater
in des Wortes bester Bedeutung. Jeder war hier von seiner intensiven
Tätigkeit überzeugt. In bewegten Worten dankte der Vorsitzende des
Kuratoriums, Herr Fiorino, dem Scheidenden für seine Pflichterfüllung
und überreichte ihm eine wertvolle Stutzuhr als ein Gebinde. Herr
Landrabbiner Dr. Doctor wünschte Herrn Scheye einen ungetrübten
Lebensabend, da der hier gestreute Segen ihm in der neuen Heimat nur beste
Früchte und schönsten Lohn bringen könne. - Sicherlich werden die vielfachen
Erfahrungen auf allen Gebieten des Schulwesens und der Waisenerziehung, auch
in Breslau, dem nunmehrigen Ruhesitz des Verdienstvollen Beamten, Beachtung
finden." |
Zum Tod von Waisenvater und Lehrer E. Gutkind
(1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 17. Mai 1912: "Kassel. Nach längerem Leiden starb hier
der emeritierte Lehrer E. Gutkind im Alter von 73 Jahren. Der
Beschriebene war zuletzt viele Jahre Waisenvater und Lehrer am hiesigen
Waisenhause. Er war lange Jahre Vorstandsmitglied der Sterbekasse hessischer
Volksschullehrer und genoss in den Kreisen der Lehrer hohes Ansehen." |
Der fünfte Bericht des
Israelitischen Waisenhauses ist erschienen (1917, für die Jahre 1913 bis 1916)
Mitteilung
des Erscheinens einer Publikation in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 4. Mai 1917: "Fünfter Bericht des israelitischen Waisenhauses,
genannt die Philipp Feidel und Emilie Goldschmidtsche Stiftung zu Kassel.
Für die Jahre 1913 bis 1916." |
50-jährige Tätigkeit von Alexander Fiorino als
Kurator am Waisenhaus (1925)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. März
1925: "Kassel, 26. Januar. Am 27. dieses Jahres blickt Herr
Alexander Fiorino auf eine 50jährige segensreiche Wirksamkeit als
Kurator am hiesigen Waisenhaus zurück. 15 Jahre war er Schriftführer und
seit dem Tode des Landrabbiners Dr. Prager - das Gedenken an den Gerechten
ist zum Segen - im Jahre 1906 ist er Vorsitzender des Kuratoriums. Er ist
sehr besorgt um das körperliche Gedeihen und die geistige Ausbildung der
Zöglinge, seine Sorge hört aber mit ihrem Austritt aus der Anstalt nicht
auf." |
75-jähriges Bestehen des israelitischen Waisenhauses in Kassel
(1931)
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und
Waldeck" vom 1. Mai 1931: "Zum 75jährigen Bestehen des
israelitischen Waisenhauses am 1. Mai.
Für die Mitglieder unserer Gemeinde wie für viele Menschenfreunde in Stadt
und Land ist der heutige Freitag ein Gedenk- und Danktag. An ihm gedenken
wir jener hochherzigen Menschen, die am 1. Mai 1856 das Haus für die
jüdischen Waisen aus der Gemeinde und Provinz gegründet haben und nach
besten Kräften Kindern das Elternhaus ersetzten, sie hegten und pflegten und
zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft und treuen Anhängern
ihrer Glaubensgemeinschaft heranbildeten. Und Dank gegen den Vater im
Himmel, der selbst 'Vater der Waisen' genannt wird, strömt aus vielen
Herzen, dass er seine Gnade über dem Hause walten ließ und es durch die Nöte
der Zeit bis auf den Freudentag erhalten hat, gütige Menschen leitete, stets
offene Hände auch für diese soziale und religiöse Einrichtung unserer
Gemeinde zu haben. Vor einigen Jahren hörten wir in einer Versammlung das
Wort einer führenden Persönlichkeit: 'Unsere Schule und unser Waisenhaus
lassen wir nicht untergehen.' So steht das Haus fest und sicher und darf aus
der Vergangenheit lernen, mit Mut und Gottvertrauen dem 100. Stiftungstag
entgegenzugehen. - Die Fürsorge für Waisenkinder ist so alt wie unsere
Religion. Waisenhäuser in jüdischen Gemeinden wurden erst beim Beginn des
19. Jahrhunderts in deutschen Großgemeinden errichtet, bis dahin waren die
Pfleglinge in Familien untergebracht. Es ist nicht allgemein bekannt, dass
in Althessen schon die Gesamtjudenheit für die Unterbringung von Waisen
sorgte und der Landesrabbiner Obervormund für die Zöglinge war. Das hiesige
Haus verdankt seine Entstehung der Familie Feidel, die aus Elgershausen (vgl.
https://www.alemannia-judaica.de/hoof_synagoge.htm) stammte,
um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach Kassel zog, bei den Landgrafen und
Kurfürsten in hohem Ansehen stand und mit Gnadenbeweisen und Titeln
ausgezeichnet wurde. Ein letzter Sproß der Familie, Bankier Philipp Levi
Feidel, bestimmte in seinem Testament vom 27. Februar 1855 den Betrag
von 20.000 Talern zur Errichtung eines israelitischen Waisenhauses. Neun
Wochen nach Niederschrift dieser Bestimmung, am 1. Mai 1855, verschied der
Erblasser. Sein Tun drückt die Inschrift auf seinem Grabstein aus: 'Der Edle
starb doch viel zu früh, doch edles Wirken stirbt so nie.' Diesem
Grundvermögen fügten bald seine Angehörigen größere Summen hinzu. Albrecht
Feidel spendete anlässlich freudiger und trauriger Familienereignisse 3.000
Taler und bestimmte in seinem Testament noch 20.000 Taler für das gegründete
Haus. Ihm schlossen sich seine Schwestern Julie und Emilie, Frauen von
Samson Selig Goldschmidt und Ruben Elias Goldschmidt mit hohen Zuwendungen
an. - Das erste Statut wurde am 26. Februar 1856 unterzeichnet; als Aufgabe
der Anstalt wird gefordert, 'die ihr anvertrauten Kinder mit elterlicher
Liebe zu sittlich guten, gottesfürchtigen und für das Leben brauchbaren
Menschen heranbilden.' Dieses geschieht bis heute und wird nie anders
werden. Das erste Heim wurde am 1. Mai 1856 in Mieträumen am Garde du
Corpsplatz mit 9 Kindern bezogen; ein halbes Jahr später siedelten sie nach
Graben 40 über. Da diese Wohnung den gesundheitlichen Anforderungen nicht
entsprach, bot Ruben Elias Goldschmidt sein hinter dem ehemaligen
Militärfriedhof, jetzt Gießbergstraße 5 und 7, gelegenes Haus mit großem
Garten als Unterkunft für einen jährlichen Mietpreis von 150 Talern an.
Durch Schenkung gingen Haus und Garten als Eigentum des Waisenhauses über
als 'Philipp Feidel und Emilie Goldschmidtsche Stiftung' – 28.11.1869. - Als
Kuratoren des Waisenhauses walteten zunächst die Mitglieder der Stifter und
angesehene Männer der Gemeinde. In der ganzen Zeit bis heute galt es als
eine hohe Ehre, dem Kuratorium des Hauses anzugehören, um mit vorsorglicher
Hingebung und Opferwilligkeit wie mit vieler Liebe für das Wohl der Kinder
zu wirken, ein Ehrenamt mit vielen Pflichten. - Mehr als 2.000 Schenkungen,
Vermächtnisse und Beiträge, soweit sie 300 Mark übersteigen, sind auf den
Gedenktafeln im Vorraum des Hauses verzeichnet als Beweise des Opfersinnes
edler Menschen. Das Vermögen der Anstalt bestand außer 84.000 Mark der
Aschrottstiftung aus 450.000 Mark, von dessen Zinsen der größte Teil der
Ausgaben bestritten wurden. Bis auf einen geringen Teil schwand das Kapital
durch die Inflation dahin. Da traten in schwerer Zeit die großen
amerikanischen jüdischen Hilfsorganisationen wie viele Privatpersonen mit
Geschenken und Stiftungen helfend ein. Liebe zur alten Heimat und
Dankbarkeit ehemaliger Zöglinge halfen dem Hause über die schwerste Zeit
hinweg. Was aus der Ferne und Nähe für Kapital gespendet wurde, kann an
dieser Stelle nicht genannt werden; es würde den Raum übersteigen. Aus
diesem Grunde sind die hochherzigen Spender, die Kuratoren wie die Ärzte,
die 75 Jahre in uneigennützigster Weise dem Hause dienten, nicht genannt
worden. Über sie berichtet die von Herrn Fiorino mit Hilfe des
Anstaltsleiters Herrn |
Abbildungen:
Das israelitische Waisenhaus zu Kassel - Im Tagesraum des israelitischen
Waisenhauses zu Kassel
Heilbrunn herausgegebene Festschrift, ein Denkmal von bezeugter
Nächstenliebe und praktischem Judentum. Nur mit Herrn Alexander Fiorino sei
eine Ausnahme gestattet. Die Ehrfurcht vor dem rüstigen, gottbegnadeten
Greis gebietet sie. Vom 27. Januar 1875 bis 10. August 1897 war er
Schriftführer, vom 8. März 1885 bis zum 6. Oktober 1905 stellvertretender
Vorsitzender und seit dieser Zeit erster Vorsitzender. Diese Würde ist ihm
bis heute noch keine Bürde und noch hat er keine Zeit, müde zu sein. Mit
allen Fasern seines Herzens hängt er an der Anstalt, die er Jahrzehnte
unermüdlich förderte und betreute wie ein Vater seine Kinder. Möge es ihm
noch lange gegönnt sein, die Früchte seiner Saaten zu genießen. - Im Laufe
der Zeit stellte es sich heraus, dass das seit 1858 bewohnte Haus seinem
Zweck nicht mehr entsprach. Für einen Neubau konnte das Anstaltsvermögen
nicht benutzt werden. Durch Anregung des Landrabbiners Dr. Prager seligen
Angedenkens und Kommerzienrat Rosenzweig seligen Angedenkens fanden sich
viele Gönner, die für einen Neubau das erforderliche Kapital zeichneten und
so konnte das jetzige Gebäude 1899 errichtet werden. - Über 450 Waisen und
hilfsbedürftige Kinder aus dem ganzen Reiche konnten in der Anstalt erzogen
und einem Berufe zugeführt werden. 110 Knaben wurden Handwerker, Gärtner und
Landwirte, 96 Zöglinge widmeten sich dem kaufmännischen Beruf und 21
erhielten ihre Ausbildung als Lehrer. Von den Mädchen erlernten 25
kaufmännischen Beruf, 31 wurden als Schneiderinnen und Weißnäherinnen
ausgebildet, 12 wurden Putzmacherinnen, 6 Kindergärtnerinnen, 2
Krankenpflegerinnen und 70 betätigten sich im Haushalt. Mit Genugtuung kann
der Bericht feststellen, dass die meisten Zöglinge sich im Berufe bewährten,
einige zu großem Vermögen kamen und viele Mädchen in glücklicher Ehe leben.
- Im Weltkrieg eilten viele ehemalige als Freiwillige zu den Fahnen; acht
blühende junge Menschen ließen ihr Leben für ihr Vaterland. Ihren Namen sind
Gedenktafeln im Hause errichtet. - Das innere Leben des Hauses kann mit
einem Wort geschildert werden – es ist ein Familienheim. Dieses war
es von der Gründung an und wird es bleiben, wenn auch die ehemalige kleine
Familie wuchs. - Als Hauseltern waren tätig: Das Ehepaar Landauer, Spier,
Block, Gutkind, Sommer, Scheye und jetzt sind es L. Heilbrunn und Frau,
deren segensreiche Wirksamkeit allgemein bekannt ist. Allen edlen Menschen,
die das Haus in dieser langen Zeit durch alle Klippen geführt und damit an
der Erhaltung fast zweier Geschlechter beigetragen haben, sei an dieser
Stelle dankbaren Sinns gedacht. Jede gute Tat findet ihren Lohn in sich
selbst. Möge Gottes Auge über dem Hause offen sein Tag und Nacht.
L. Horwitz.
Anmerkungen: - Philipp Feidel (1803–1855) Bankier; war verheiratet seit
1831 mit Rosette (Rosalie) geb. Ladenburg aus Mannheim (1807-1884), die nach
der Scheidung nach Mannheim zurückkehrte und sich ihres Großneffens Hermann
Levi annahm siehe
Dokument bei Mannheim.
Das Ehepaar Feidel
wohnte 1838 (Adressbuch Kassel) am Königsplatz 157.
https://datenbank.museum-kassel.de/0/32205/
Grab von Philipp Feidel in Bettenhausen:
https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/juf/id/6461. |
90. Geburtstag von Alexander
Fiorino (1932)
Artikel in "Der Orden Bne Briss" 6/1932 S. 69: "Br.
Expr. Alexander Fiorino, Kassel 90 Jahre. Bruder Fiorino beging am
28. Mai dieses Jahres in voller Körper- und Geistesfrische seinen 90.
Geburtstag. Er darf mit berechtigten Stolz auf seinen Lebensweg
zurückblicken. Schon seine Herkunft aus alter, geistig und künstlerisch
stark veranlagter Kasseler Familie ließ ihn zum Pfleger von Wissenschaft und
Kunst werden. Kenntnisreiche Sammlertätigkeit besonders für hessische
Kunstwerke und Münzen und Förderung der kurhessischen Geschichtswissenschaft
trugen seinen Namen über seine Heimat hinaus. Sein Auge blieb offen für
Naturschönheit, sein Gemüt für Sang und Klang. Bruder Fiorino war und ist
Mitarbeiter zahlreicher wissenschaftliche Vereinigungen und wurde an seinem
80. Geburtstag Ehrenmitglied der angesehenen Kasseler 'Liedertafel'. Daneben
war er aus innerstem Herzen für die notleidende Menschheit und insbesondere
für seine jüdischen bedürftigen Glaubensgenossen tätig. Für immer ist sein
Name verknüpft mit der Geschichte des israelitischen Waisenhauses in Kassel,
dem er seit Jahrzehnten vorsteht, und der Gesellschaft der 'Humanität', die
seit über 100 Jahren Juden zu Handwerkern und anderen Berufen heranbildet.
Ein solcher Mann war prädestiniert für unsere Ordensidee, und so wurde
Bruder Fiorino vor 45 Jahren Mitbegründer der w. Sinailoge, lange Zeit deren
kluger und umsichtiger Führer und ist noch heute ihr reger Mitarbeiter.
Weite Kreise Kurhessens jeder Konfession, jedes Alters und jeder
Volksschicht bringen ihm größte Achtung entgegen. Möge es dem ehrwürdigen
Jubilar vergönnt sein, trotz seines Alters seine Empfänglichkeit für alles
Neue, seine Schätzung der Ideale sich noch lange in unverminderter Frische
zu erhalten und ihrer zu erfreuen.
H. Mosbacher." |
Fotos
Fotos / Abbildungen
werden noch ergänzt. |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. |
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