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Merzhausen mit
Willingshausen und Schrecksbach
(Gemeinde
Willingshausen, Schwalm-Eder-Kreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Merzhausen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938/40. Ihre Entstehung
geht in die Zeit des 17./18. Jahrhunderts zurück. 1646 gab es 5 jüdische
Haushaltungen am Ort, 1744 bereits 10.
In Willingshausen lebten gleichfalls spätestens im 18. Jahrhundert jüdische
Familien. So erfährt man 1743 von einem Textilienhändler Eysermann Levi aus
Willingshausen.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie folgt: 1837 72 jüdische Einwohner (11,4 % von insgesamt 633), 1861 75
(10,6 % von 710), 1871 61 (8,9 % von 683), 1885 36 (5,3 % von 674), 1905 45 (6,0
% von 748). Zur Gemeinde in Merzhausen gehörten auch die in Willingshausen
und Schrecksbach lebenden jüdischen
Personen. Dabei wurden gezählt: in Willingshausen 1842 30 jüdische Einwohner
(von insgesamt 645 Einwohnern), 1861 45, 1905 27; in Schrecksbach 1835 10 jüdische
Einwohner, 1861 27, 1905 6. Die jüdischen Familien lebten überwiegend vom
Textilhandel.
Die Mehrzahl der jüdischen Familien in Merzhausen lebte zunächst in der heute
noch sogenannten "Judengasse".
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische
Schule (1833/36 bis 1878/79 und wieder seit 1886 bis 1932 Israelitische
Elementarschule), ein rituelles Bad (im ehemaligen Haus Nr. 61, abgebrochen)
und ein Friedhof.
Die Israelitische Elementarschule wurde 1833 bzw. 1836 eingerichtet, jedoch
1878/79 wieder geschlossen, da die Gemeinde durch Verarmung das Gehalt des
Lehrers nicht mehr aufbringen konnte. 1886 (siehe Ausschreibungstext
unten) wurde die Elementarschule wieder eröffnet, nachdem es damals wieder 20
Schulkinder gab. An jüdischen Lehrern sind bekannt: Geisel Rothschild
(um 1868, ab 1871 in Ziegenhain), Manasse Blumenthal (um 1873), Nathan Ehrenreich (1886/87 bis 1891,
danach in Wehrda und Langenselbold),
Marcus Rapp aus Eiterfeld
(1891 bis 1912, siehe Bericht unten), Jakob Schiratzki (Schiratzky; 1913 bis
1927, vgl. Mitteilung von 1912 und Bericht zum Tod von Bertha Plaut; danach
wechselte Lehrer Schiratzki nach Reichensachsen),
Lehrer Stern (nach 1927, vgl. unten Berichte zum Tod von David Plaut und Jonas
Spier). Die jüdischen Lehrer waren zugleich Vorbeter und Schochetim (Schächter)
der Gemeinde.
Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Oberhessen mit Sitz in Marburg.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Leopold Lippmann
gen. Spier (gef. 1.10.1915).
Um 1924, als zur jüdischen Gemeinde noch 35 Personen gehörten (in 14
Haushaltungen, 4,75 % von insgesamt etwa 800 Einwohnern, dazu 21 Personen in Willingshausen
und 5 in Schrecksbach), war der Gemeindevorsteher David Plaut. Als Lehrer
und Kantor war der bereits genannte Jakob Schiratzki tätig. Er unterrichtete
1924 acht schulpflichtige jüdische Kinder in der Israelitischen Konfessionsschule.
An jüdischen Vereinen gab es den Wohltätigkeitsverein Chewras
Gemilus Chassodim (1924/32 unter Leitung von Wolf Spier) und den Israelitischen
Männerverein. 1932 war Gemeindevorsteher Abraham Plaut
(Willingshausen). Im Schuljahr 1931/32 besuchten nur noch sieben Kinder die
Israelitische Konfessionsschule. 1932 wurde die israelitische Konfessionsschule
aufgelöst (Bericht).
1933 lebten noch 20 jüdische Personen in Merzhausen (in 7 Familien,
2,4 % von insgesamt 838 Einwohnern; dazu eine jüdische Familie in Schrecksbach
und fünf Familien in Willingshausen). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts
sowie der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Einige Familien konnten in
die USA und nach Palästina emigrieren, andere verzogen in andere Orte in
Deutschland. Letzter Gemeindevorsteher war bis zur Auflösung der Gemeinde
Abraham Plaut. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge teilweise zerstört
(siehe unten). 1939 wurden noch neun jüdische Einwohner gezählt. Die
meisten von ihnen wurden in Vernichtungslager deportiert.
Von den in Merzhausen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Betty Blach
geb. Spier (1896), Rosa Frühauf geb. Spier (1908), Jettchen Heilbrunn (1879),
Moses Kaufmann (1873), Giedel Oppenheimer geb. Spier (1861), Sally Rothschild
(1865), Adolf Spier (1894), David Spier (1895), Emma Spier geb. Oppenheimer
(1904), Gitta Spier (1935), Helmar Spier (1906), Hermann Spier (1899), Jeanette
Spier geb. Rothschild (1856), Jenni Spier (1898), Julius Spier (1879), Leopold
(Liebmann) Spier (1862), Samuel Spier (1901), Walter Spier (1907), Willi Spier
(1891), Willi Spier (1896), Hans Siegbert Stern (1928), Ida Stern geb. Schirling
(1876).
Von den in Willingshausen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Betti Kugelmann geb. Plaut
(1884), Selma Menke geb. Plaut (1896), Selma Nathan geb. Plaut (1882), Abraham
Plaut (1873), David Plaut (1898), Franziska Plaut geb. Buchheim (1882), Walter
David Plaut (1908), Moses Spier (1878), Willi Spier (1889), Toni Stein geb.
Spier (1894).
Von den in Schrecksbach geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Rebekka Bodenheimer geb.
Spier (1868), Therese Luise Böttcher geb. Spier (1886); ergänzt zu diesen
Listen: Hermann Spier (1885).
Von den Überlebenden kam Salomon Spier 1945 aus Theresienstadt nach Merzhausen
zurück; er starb jedoch bereits 1947 an den Folgen der erlittenen
Misshandlungen und wurde im jüdischen Friedhof in Merzhausen beigesetzt. Sein Haus ist erhalten (siehe Foto unten). In den 1960er-Jahren lebte noch Rudolf
Spier in Merzhausen (war mit einer Christin verheiratet, kam 1945 noch ein paar
Monate in ein KZ, das er überlebt hat; kam nach Merzhausen zurück und ist 1974
gestorben).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1886 /
1891
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25. Oktober 1886: "Bekanntmachung.
Bewerber um die neu begründete israelitische Elementarlehrer- und Vorsängerstelle
in Merzhausen, im Kreise Ziegenhain, mit welcher neben freier
Dienstwohnung und Feuerung ein fixes Gehalt von jährlich 750 Mark
verbunden ist, werden aufgefordert, ihre Meldungsgesuche, mit den
erforderlichen Prüfungs- und Führungszeugnissen versehen, binnen 3
Wochen bei der unterzeichneten Behörde einzureichen.
Bemerkt wird, dass der Lehrer verpflichtet ist, 2mal wöchentlich den
Religionsunterricht in Schrecksbach zu erteilen. Marburg, den 5.
Oktober 1886.
Israelitisches Vorsteher-Amt. Dr. Munk." |
Auf diese Ausschreibung hin bewarb sich
erfolgreich Lehrer Nathan Ehrenreich. |
Anzeige in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Mai 1891: "Die israelitische Elementarlehrer-
und Vorsängerstelle zu Merzhausen im Kreise Ziegenhain, mit welcher
neben freier Dienstwohnung und freier Feuerung ein kompetenzmäßiges
Gehalt von jährlich 750 Mark verbunden ist, kommt zum 1. Mai dieses
Jahres zur Erledigung. Geeignete Bewerber um dieselbe werden aufgefordert,
ihre mit den nötigen Prüfungs- und Führungszeugnissen versehenen
Meldungsgesuche innerhalb drei Wochen bei unterzeichneter Behörde
einzureichen.
Marburg, 21. April 1891. Israelitisches Vorsteheramt: Dr. Munk." |
Auf diese Ausschreibung hin bewarb sich
erfolgreich Lehrer Markus Rapp aus Eiterfeld. |
"Gedenkblatt" für Lehrer Nathan Ehrenreich (1928, 1886/87 - 1891
Lehrer in Merzhausen)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juli 1928: "Ein
Lehrerveteran. Ein Gedenkblatt, gewidmet von seinem früheren Schüler. Lehrer
S. Freudenberger.
Mit den besten Wünschen verließ der emeritierte Lehrer, Herr Nathan
Ehrenreich - Langenselbold, seinen langjährigen Wirkungskreis, um seinen
Lebensabend im Kreise seiner Söhne in der Reichshauptstadt zu verbringen.
Ehrenreich war stets ein Musterlehrer, eine sehr bescheidene, selbstlose
Persönlichkeit, ein Charakter ohne Falsch und Tadel.
Nachdem Ehrenreich im Jahre 1883 das jüdische Lehrerseminar in Würzburg
verlassen hatte, wurde er zum Präparandenlehrer an der
Talmud-Thora-Schule in Höchberg
ernannt. Nach vierjähriger Tätigkeit an der Talmud-Thora-Schule wurde
ihm von der Königlichen Regierung in Kassel die Volksschullehrerstelle in
Merzhausen (Rabbinat Marburg) übertragen. Schüler von ihm, die
heute als Direktoren von Waisenhäusern und als Lehrer wirken,
bestätigen, mit welch unermüdlichem Fleiße und Geschicke er hier seines
Amtes gewaltet. Von 1891-1901 wirkte Ehrenreich als Volksschullehrer und
Vorsänger in Wehrda Kreis Hünfeld. Hier gründete der pflichteifrige
Lehrer einen Literatur- eigentlich Lernverein; mit vielen Kosten legte er
hier einen Eruw an, der heute noch vorhanden ist. Als im Jahre 1901 die
viel umworbene Lehrerstelle in Langenselbold vakant war und bereits ein
anderer Lehrer von der Regierung seine Bestätigung erhalten, eilte der
verstorbene Provinzialrabbiner Dr. Salomon Bamberger - das Gedenken an
den Gerechten ist zum Segen - in die Provinzialhauptstadt, um die
Annullierung des Regierungsbeschlusses zu erwirken und die Anstellung
Ehrenreichs durchzusetzen. In Langenselbold war der Höhepunkt seines
rastlosen Wirkens. Hier streute er reichen Samen aus, der zu schönster
Frucht sich entfaltete. Besonders viel Anerkennung verschafften ihm seine
interessanten, belehrenden Vorträge, die er allwöchentlich nach Schluss
des Gottesdienstes hielt. Darf man sich wundern, dass dem so erfolgreich
Wirkenden so viele Freunde erwuchsen, weit über den Kreis seiner Gemeinde
hinaus. Möge ihm ein glücklicher Lebensabend beschieden
sein!" |
40-jähriges Dienstjubiläum von Lehrer Markus Rapp (1931; 1891 bis 1912 Lehrer
in Merzhausen)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Oktober 1931: "Kirchhain,
5. Oktober (1931). Am 1. Oktober jährt sich zum 40. Male der Tag, an dem
Herr Lehrer Markus Rapp in das Schulamt eintrat. 21 Jahre wirkte er in Merzhausen,
19 Jahre in Kirchhain. Durch sein
liebenswürdiges, zuvorkommendes Wesen erfreute sich Herr Rapp allgemeiner
Wertschätzung. Seine Schüler lieben und verehren ihn, seine Kollegen
schätzen und achten ihn. Alle vereinen sich in dem Wunsche, dass es dem
Jubilar vergönnt sein möge, noch lange zum Wohle seiner Gemeinde in
Gesundheit und Rüstigkeit wirken zu können." |
Lehrer Markus Rapp wechselt nach Kirchhain (1912)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 18. Oktober 1912: "Merzhausen. Lehrer M. Rapp
dahier wurde von der Gemeinde Kirchhain
gewählt und von der Regierung bestätig. Herr Rapp, der hier 21 Jahre
gewirkt hat, erfreute sich nicht allein bei den Gliedern seiner Gemeinde,
sondern auch bei der übrigen Bevölkerung großer Beliebtheit, weshalb
sein Scheiden allgemein bedauert wird."
|
Zum Tod des Lehrers Markus Rapp (1936; 1891 - 1912
Lehrer in Merzhausen)
Anmerkung: Lehrer Markus Rapp ist am 18.
Juli 1870 in Eiterfeld geboren. Er war
verheiratet mit Lina geb. Spier (geb. 27. Februar 1876 in Merzhausen, gest. 10.
Mai 1919 in Kirchhain) und nach deren
frühem Tod mit Frieda geb. Bachenheimer (geb. 5. November 1876 in Kirchhain,
gest. 1971 in New York, USA). Aus der ersten Ehe entstammten die Kinder Johanna,
Sophie, Käthe, Leo, Berthold, Fred Schraco und Ilse. Markus Rapp starb am 23.
Dezember 1936 in Frankfurt. Zur Familie siehe
https://www.geni.com/people/Markus-Rapp/6000000001787614178.
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Januar 1937: "Lehrer Markus Rapp.
Das Andenken an den Gerechten ist
zum Segen. Wir freuten uns, als Lehrer M. Rapp zu uns kam, um
seine wohlverdiente Ruhezeit in unserer Kehilla
(Gemeinde; vermutlich Frankfurter Gemeinde gemeint) zu verbringen. Wir
hatten ihn in kurzer Zeit alle so ungemein lieb gewonnen; waren wir doch
mit ihm eng verbunden in jeder Lernstunde, bei jedem Vortrag unserer
Vereine, bei jeder Gelegenheit, die sich für gemeinsame geistige Arbeit
bot. Da sahen wir den stattlichen Mann auf seinem Platze, mit strahlendem
Gesicht, ganz hingegeben dem Gegenstand, als wollte er an einem schönen
anregenden Lebensabend noch manches nachholen, was er vielleicht in jungen
Jahren versäumt hatte. Nun ging er von uns und wir weinen um ihn, als wäre
er stets der unsrige gewesen.
Aus dem Kurhessischen, wohin die geistige Sphäre des alten Fuldaer Raw
– das Andenken an den Gerechten
ist zum Segen – noch hinreichte, entstammte Markus Rapp, und schon
früh wandte sich der Knabe, der Leidenschaft seines Herzens folgend, der
jüdischen Lehre und dem Lehrerberuf zu. In und nach der Seminarzeit war
es stets sein Bestreben, sich mehr und mehr jüdisches Wissen anzueignen.
Dann trat er in den Beruf und fand ein weites Feld, um als
Volksschullehrer und zugleich Religionslehrer und Vorbeter für
Tora und Wahrheit zu wirken und kleineren Gemeinden, die damals noch
im Blühen waren, den geistig gesunden Nachwuchs zu sichern.
Zwanzig Jahre wirkte Lehrer Rapp in Merzhausen, nahezu dreiundzwanzig
weitere Jahre in Kirchhain, nicht nur in der Schule, sondern als Lehrer
auch der Großen, als Verbreiter jüdischen Wissens und jüdischer Ideale
für Alt und Jung. Er war der Vater seiner Gemeinde, Freund eines jeden
Einzelnen, und ein väterlich mahnendes Wort aus seinem Mund genügte, um
Widersetzlichkeiten und Zwistigkeiten im Keime zu ersticken. Ein Förderer
des Friedens war er, aber nicht des schwächlichen Friedens auf Kosten der
Treue und Wahrheit, sondern ein Verfechter und Vertreter des Torafriedens
im besten Sinne.
Sechs Kinder entstammten aus diesem Lehrerhause, vier Töchter und zwei Söhne,
die zum Teil, in Amerika und auch in Frankfurt, Häuser ganz im Geiste des
Vaters führen. Mit ihnen beweint die Gattin, die den Kindern aus erster
Ehe eine wahre, liebevolle und aufopfernde Mutter geworden war, den
besten, edelsten Gatten.
Die Bestattung fand auf Wunsch des Heimgegangenen und seiner Gemeinde am
Sonntag in Kirchhain statt, und hier spiegelte sich alle Liebe und Treue,
die dieser Lehrer in einem Menschenleben gespendet und vielfach wieder
empfangen hat, in ergreifender Weise wider. Die Beteiligung war so stark,
dass der ganze Ort unter dem Eindruck der Trauerkundgebung stand. In der
Synagoge, wohin der Sarg
gebracht wurde, hielt nach kurzen Abschiedsworten des ersten Vorstehers,
Herrn Siegmund Stern, Herr Rabbiner Peritz, Marburg, eine Gedenkrede, die
die ganze Persönlichkeit und das Lebenswerk des Heimgegangenen an unserem
Auge noch einmal vorüberziehen ließ. Darauf sprachen nacheinander die
Herren Lehrer Plaut, der als Nachfolger Rapps gelobte, an seinem Werke in
gleichem Sinne fortzuarbeiten, Lehrer Schaumberg, früher in Alsfeld,
Lehrer Stern, Frankenberg und Herr Isaac im Namen des
'Reichsbundes jüdischer
Frontsoldaten'.
Nach dieser ergreifenden und zugleich erhebenden Feier wurde die Bahre
unter überaus großem Geleite nach dem Friedhof geführt, wo ein
Ehrengrab für den heimgegangenen Lehrer bestimmt war. Dort sprach noch
Herr Rabbiner Cohn, Marburg - Fulda, herzliche Worte des Abschieds. Wie im
Leben, so wird er nun auch im Tode die treue Wacht über seine geliebte
Gemeinde halten, und sein Verdienst wird ihr beistehen. Seine Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens." |
Lehrer Schiratzki kommt nach Merzhausen (1912)
Anmerkung: Lehrer Schiratzki unterrichtete von 1913 bis 1938 die Kinder der
jüdischen Schule und war als Kantor und Schochet der Gemeinde tätig. Wenn der
Lehrer der Gemeindeschule verhindert war, unterrichtete er zeitweise auch die
evangelischen Kinder.
Mitteilung
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 20. Dezember
1912: "Merzhausen. Für die seit 1. Oktober (1912) vakante
hiesige Lehrerstelle ist Herr Schiratzki aus Marburg von der
Gemeinde gewählt worden." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod von Bertha Plaut in Willingshausen (1921,
Mutter des Waisenhausdirektors Plaut, Hamburg s.u.)
Anmerkung: Bertha Plaut geb. Goldschmidt (geb. 1842 in Falkenberg,
gest. 1921 in Willingshausen) war verheiratet mit Moses Plaut (geb. 1841 in
Willingshausen, gest. 1891 in Marburg). Die beiden hatten sieben Kinder: Levi
Yehuda (1873), Pauline (1874), Raphael (späterer Waisenhausdirektor, s.u.;
1876), David (späterer Gemeindevorsteher, s.u.; 1878); Jonas (1880, Vater von
Rabbiner Wolf Günther Plaut s.u.); Selma (1882), Betti
(1884).
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Dezember 1921: "Willingshausen
(Hessen), 11. Dezember. Am 4. Kislew wurde hier Frau Bertha Plaut, die
Gattin des verstorbenen Gemeindeältesten Moses Plaut, unter zahlreicher
Anteilnahme der Ortsbevölkerung zur letzten Ruhe gebracht. Die
Heimgegangene, welche ein Alter von fast 80 Jahren erreichte, war in der
ganzen Gegend durch ihre große Frömmigkeit, Klugheit und Herzensgüte
hoch geehrt. Aus allen umliegenden Gemeinden waren Glaubensgenossen
herbeigeeilt, um der bedeutenden Frau die letzte Ehre zu erweisen. Im Trauerhause widmete
der Sohn, Waisenhausinspektor Plaut aus Hamburg, seiner heimgegangenen
Mutter ergreifende Abschieds und Dankesworte. Herr Lehrer Schiratzki
zeichnete ein getreues Lebensbild der Entschlafenen, deren ganzes Leben
Arbeit und stille Wohltätigkeit, deren Haus der Sammelpunkt der Gemeinde
und mit deren Tod ein Stück Geschichte der Gemeinde zu Grabe gehe.
Nachdem Herr Lehrer Rapp, Kirchhain, die Friedhofsgebete verrichtet hatte,
wölbte sich der Hügel über die sterbliche Hülle der seltenen Frau,
deren ganzes Leben eine wahrhafte Heiligung
des Gottesnamens gewesen ist.
Ihre
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod des Gemeindevorstehers David Plaut (1927, Bruder des Waisenhausdirektors
Raphael Plaut, Hamburg s.u.)
Anmerkung: David Plaut (geb. 1878 in Willingshausen; gest.
1928 in Merzhausen) war verheiratet mit Frieda geb. Herzberg (geb. 1884 in
Breidenbach, gest. 1923 in Merzhausen): sie hatten vier Kinder: Blanca (1910),
Hilde (1912), Manfred (1913), Ruth (1920).
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. Juni 1927: "Merzhausen, 30.
Mai (1927). Unsere Gemeinde hat einen schmerzlichen Verlust zu beklagen.
Im 49. Lebensjahre starb unerwartet der Vorsitzende der hiesigen
Synagogengemeinde, David Plaut. Am 17. Ijar wurde er zur letzten Ruhe
gebracht. Eine imposante Trauerkundgebung legte Zeugnis ab von dem hohen
Ansehen, dessen sich der Dahingeschiedene bei Juden und Nichtjuden zu
erfreuen hatte. Aus vielen Gemeinden der Rabbinatsbezirke Marburg und
Kassel waren die Glaubengenossen herbeigeeilt, um dem ausgezeichneten
Manne den letzten Liebesdienst zu erweisen. Vor dem Trauerhause entwarf
Herr Provinzial-Rabbiner Dr. Cohn – Marburg ein treffendes Lebensbild
des Entschlafenen und richtete herzliche Trostesworte an die tief gebeugte
Gattin und die früh verwaisten Kinder. Vor der Synagoge, deren Lichter
brannten und deren Pforten weit geöffnet waren, ruhte zum letzten Male
die sterbliche Hülle des heimgegangenen Führers. – Dann bewegte sich
der unübersehbare Trauerzuge zum Friedhofe, wo Herr Lehrer Stern namens
der Gemeinde um den Verlust des wackeren Oberhauptes klagte. Für die
schmerzgebeugte Familie nahm Herr Waisenhausinspektor Plaut – Hamburg
von dem geliebten Bruder in innigen Dankesworten Abschied. In tiefster
Ergriffenheit gedachte sodann der ehemalige Lehrer, Herr Rapp – Kirchhain, seines früh vollendeten, ausgezeichneten Schülers und treuen
Freundes, dessen gesegnetes Andenken für alle Zeiten in der Gemeinde
fortleben wird. Seine Seele sei
eingebunden im Bund des Lebens." |
|
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Juni 1927: "Merzhausen
(Kreis Ziegenhain), 20. Juni (1927). Im Alter von 49 Jahren verschied hier
Herr Gemeindeältester David Plaut, der sich bei Juden und Christen der
ganzen Umgegend größter Beliebtheit erfreute. Ein großes Trauergefolge
gab ihm das letzte Geleit. Herr Provinzialrabbiner Dr. N. Cohn –
Marburg
hielt im Trauerhause die Gedächtnisrede. Auf dem Friedhof sprachen noch
die Herren Lehrer Stern, Waisenhausinspektor Plaut, Hamburg, und
Lehrer Rapp - Kirchhain." |
Zum 75. Geburtstag von Jonas Spier (1929)
Artikel in
der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Februar 1929: "Merzhausen bei
Ziegenhain, 18. Februar (1929). Seinen 75. Geburtstag beging in körperlicher
Rüstigkeit und Geistesfrische Herr Jonas Spier dahier. 30 Jahre
bekleidete er das Amt des Gemeindeältesten und über 50 Jahre fungiert er
als ehrenamtlicher Vorbeter. Dabei ist er ein meisterhafter Vorsänger. Es
wurden ihm viele Ehrungen zuteil, Herr Lehrer Stern hielt eine warme
Festrede." |
Über Raphael Plaut (1876-1940) und Sohn W. Gunther
Plaut (geb. 1912)
In
mehreren Berichten oben (zum Tod seiner Mutter Bertha Plaut und zum Tod seines
Bruders David Plaut) wird Waisenhausdirektor Raphael Plaut genannt
(Foto links; geb. 1876 in Willingshausen, verh. mit Elsa geb. Frankel; gest.
18. April 1940): von
1920 bis 1940 Leiter des "Hamburgischen Deutsch-Israelitischen
Waisen-Instituts" in Hamburg, vgl. Link,
woher auch das Foto links übernommen wurde).
Ein Neffe von Raphael Plaut Rabbiner Dr. Wolf Günther Plaut (geb. 1912 in
Münster als Sohn von Jonas Plaut [geb. 1880 in Willingshausen, gest. 1948
in Fargo, North Dakota/USA] 1935 in die USA emigriert, 1945 als amerikanischer
Militär-Rabbiner in Aachen; Rabbiner in Chicago und St. Paul, 1961-1966
Senior Rabbi in Toronto; ), ein international höchst anerkannter
Gelehrter und Rabbiner, einer der bedeutendsten jüdischen Prediger des
20. Jahrhunderts. Ausführlich: Wikipedia-Artikel
zu Wolf Gunther Plaut, weiterer Artikel
im Canadian Who's Who. |
Links:
eine der zahlreichen Veröffentlichungen des hoch bedeutenden Rabbiners
Dr. Wolf Gunther Plaut: abgebildet ist die 2007 erschienene Publikation
(Predigtsammlung, die zu seinem 95. Geburtstag herausgegeben wurde):
"One Voice - The Selected Writings of W. Gunther Plaut". Dundorn
Press 2007.
Rabbiner Gunther Plaut starb im Alter von 99 Jahren am 8. Februar 2012 in
Toronto, Kanada.
Zwei Monate nach ihm starb auch sein Sohn, Rabbiner Dr. Jonathan V. Plaut
(geb. 1942, gest. am 17. April 2012 in Farmington Hills, Michigan); vgl. Wikipedia-Artikel
Jonathan V. Plaut).
|
Über die beiden Lehrer Hermann Spier und den Lehrer
Leopold Spier - aus Merzhausen
und aus Schrecksbach
(erstellt unter Mithilfe von Waltraut Zachhuber, Magdeburg)
Aus Merzhausen und Schrecksbach stammen
zwei Personen namens Hermann Spier, die beide Lehrer geworden sind: |
Der ältere Hermann Spier (geb. 22.
April 1885 in Schrecksbach, umgekommen nach Deportation 1942)
erhielt seine Ausbildung am Lehrerseminar in Kassel, die er 1906
abgeschlossen hat. Er war verheiratet mit Frieda Kaufmann, mit der er drei
Kinder hatte: Hans, Ruth und Siegbert. Er war als Lehrer tätig im
ostpreußischen Braunsberg (bis Anfang 1934), danach in Prenzlau
(Brandenburg) und zuletzt - seit Juni 1939 in Magdeburg. Im April 1942
wurden er und seine Frau von Magdeburg aus deportiert. Sie wurden
ermordet. |
|
Der jüngere Hermann Spier (geb.
20.
Januar 1899 in Merzhausen, umgekommen nach Deportation 1942), hat sich
gleichfalls am Lehrerseminar in Kassel
ausbilden lassen und dort im Februar 1920 seine erste Lehrerprüfung
abgelegt. Er war seit 1924 verheiratet mit Caroline
geb. Nussbaum, geb. 1900, gest. 1938; zur Familie von Caroline geb.
Nussbaum siehe Seite
über Sara Nußbaum bei Regiowiki Kassel). Das Ehepaar hatte zwei
Kinder: Henriette genannt Henny (geb. 1924) und Berna (geb. 1928). Seine
erste ständige Stelle war in Abterode, wo er seit dem 1. Oktober 1927
tätig war. Hier in Abterode hat Spier im Mai 1929 seine zweite
Lehrerprüfung abgelegt. Nachdem Anfang 1934 die Israelitische
Elementarschule in Abterode aufgelöst worden war, bewarb sich Hermann
Spier auf die Lehrerstelle im ostfriesischen Leer, die er im April 1935
antreten konnte. Bis 1938 blieb Spier in Leer. Seine Frau Caroline starb
Anfang Oktober 1938 an Multipler Sklerose. Nach dem Novemberpogrom 1938
meldete Hermann Spier, der inzwischen die Lehrerstelle in Hildesheim
übernommen hat, seine Kinder für einen Kindertransport nach England an.
Am 6. Januar 1939 verließen Henny und Berna Spier Deutschland. Hermann
Spier wurde im März 1942 nach Warschau deportiert und in Treblinka
ermordet.
Foto links aus dem Archiv von Yad VaShem Jerusalem (Link);
weitere Fotos und Dokument zu Hermann Spier siehe Seite zu Abterode.
Vgl. Beitrag: Hartmut Häger: Hermann Spier, der letzte Lehrer der jüdischen
Schule in Hildesheim (1938-1942). Eingestellt als pdf-Datei in
http://vernetztes-erinnern-hildesheim.de/media/pdf-dateien/Spier-Aufsatz.pdf |
|
Leopold (Liebmann) Spier (geb. 10.
September 1862 in Merzhausen): war später Kantor und Lehrer in
Zerbst (genannt in Verzeichnissen 1924/25 und 1932), von wo er im November
1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurde und am 30. Mai 1943
umgekommen ist. Er wohnte im Zerbster jüdischen Gemeindehaus in der
Brüderstraße, zusammen mit seiner Tochter Recha (geb. 1891 in Lichtenau), die bereits im April
1942 in den Osten deportiert wurde. |
Über den Lehrer Menko Schirling (geb. 1876 in
Merzhausen, gest. 1936; Lehrer in Rauschenberg von 1896-1925, danach in Hoof)
Bericht zur slbernen Hochzeit von Lehrer Menko Schirling und seiner
Frau Frieda geb. Stern (1931 in Hoof)
Anmerkung: Menko Schirling ist am 21. April 1876 als Sohn von Victor (Meier)
Schirling und seiner Frau Jettchen geb. Spier in Merzhausen geboren (Personalkarte).
Er legte 1896 am Israelitischen Lehrerseminar Kassel die erste Lehrerprüfung
ab, 1900 ebd. die zweite Lehrerprüfung. Seine Frau war Frieda geb. Stern (geb.
1881 in Niederurff, umgekommen 1942 im
Ghetto Minsk). Die Kinder Ilse (Irma) Schirling (geb. 1907 in Rauschenberg,
später verh. Cohen, wohnhaft in Oldenburg, Rüstringen und Wilhelmshaven) und
Agathe Schirling (geb. 1911 in Rauschenberg,
wohnhaft in Aurich und Hoof, nach 1934 in den Niederlanden) wurden beide nach
der Deportation ermordet. Menko Schirling, der von 1896 bis 1925 in Rauschenberg
als Religionslehrer tätig war, wechselt danach nach Hoof.
Er starb 1936.
Artikel in der "Jüdischen Wochenzeitung" für Kassel, Kurhessen
und Waldeck"
vom 27. Februar 1931: "Hoof. Am 7. März dieses Jahres
begeht Herr Lehrer Schirling und seine Frau, Frieda geb. Stern, das
Fest der Silbernen Hochzeit. Wir wollen bei dieser Gelegenheit nicht
unerwähnt lassen, welch großer Beliebtheit in wenigen Jahren ihres
Hierseins sich Familie Schirling erfreut, nicht nur in jüdischen Kreisen,
sondern auch bei Nichtjuden der hiesigen Gemeinde. Herr Schirling ist
stets bestrebt, für das Wohl der Gemeinde zu sorgen. Er hat es sich
angelegen sein lassen, das religiöse Leben unserer Gemeinde zu fördern.
Stets hat er für alle Arten der Wohltätigkeit eine offene Hand. Möge
der Familie noch weiter lange Jahre alles Gute beschieden
sein." |
Über Sara Nussbaum geb. Rothschild
(geb. 1868 in Merzhausen, gest. 1956 in Kassel)
Anmerkung: Sara Nussbaum wirkte 33 Jahre lang als Gemeindeschwester im jüdischen
Altersheim und im
Israelitischen Waisenhaus in Kassel. 1934 wurde sie verhaftet, da sie
sich ablehnend gegenüber dem "Dritten Reich" geäußert habe;
1942 in das KZ Theresienstadt deportiert, wo sie als freiwillige Pflegerin
in der Typhusabteilung todkranke Häftlinge betreute, überlebte schwerst
erkrankt die KZ Zeit. Seit März 1946 wieder in Kassel; erhielt im April
1956 als erste Frau das Ehrenbürgerrecht der Stadt Kassel. Vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sara_Nussbaum.
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige aus Willingshausen (1890)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. Oktober 1890:
"Eine junge israelitische Witwe sucht Stelle als Haushälterin oder
zur Stütze der Hausfrau. Offerten unter M.M. 100 Willingshausen bei
Ziegenhain postlagernd." |
Zur Geschichte der Synagoge
Ein Synagoge für die in den drei Orten lebenden jüdischen
Personen gab es nur in Merzhausen. Über die Geschichte des Gebäudes ist
nur wenig bekannt. Es handelte sich um ein einfaches Fachwerkgebäude mit
steilem Walmdach und hohen, rechteckigen Fenstern im Bereich des
Betsaales.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge geschändet
und ausgeraubt, teilweise zerstört. Das ehemalige Synagogengebäude wurde von
Landwirt Knauf, dem Eigentümer des neben der Synagoge gelegenen Bauernhofes
erworben. 1951 ließ dieser das Synagogengebäude abbrechen.
Erhalten blieb das
ehemalige jüdische Schulhaus, das zu einem Wohnhaus umgebaut wurde.
Aktuell (2016) ist es das Vereinsheim des Motorradclubs.
In den 1990er-Jahren gab es Bemühungen des ehemaligen jüdischen
Gemeindemitgliedes Theo Plaut, eine Gedenktafel im Bereich der ehemaligen
Synagoge aufstellen zu lassen. Seine Bemühungen blieben damals erfolglos.
Anfang Oktober 2016 wurde vom Arbeitskreis Dorferneuerung Merzhausen im
Rahmen des Projektes "Erlebbare Geschichte Merzhausen" eine
Informationstafel über die jüdische Gemeinde Merzhausen am Eingang der
Judengasse aufgestellt.
Außerdem wurden Hinweisschilder für das frühere jüdische Schulhaus und den
jüdischen Friedhof sowie auf die ehemalige Synagoge und die abgebrochene Mikwe
angebracht (siehe Fotos unten).
Vgl. Presseartikel in HNA.de vom 7. Mai 2013: "In Merzhausen sollen
künftig Informations- und Hinweistafeln auf das kulturelle Erbe aufmerksam
machen. Rundgang durch die Geschichte..." (Link
zum Artikel)
Die Infotafel auf einer
pdf-Datei.
Adresse/Standort der Synagoge: Ziegenhainer
Straße 30 (Adresse 1932: Dorfstraße
10)
Fotos
Zeichnung der Synagoge |
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Dorfkalender der
evangelischen Kirchengemeinde Merzhausen 2012: Titelbild mit einer
Zeichnung der ehemaligen Synagoge
(eingestellt mit Genehmigung von
Johannes Knauf, Merzhausen - zugeschickt von Ingeborg Hoos, Merzhausen). |
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Portalinschrift der
ehemaligen
Synagoge in Merzhausen
(Foto:
Martin Hoos, Wolfenbüttel) |
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Die Inschrift der
Portalinschrift: obere Zeile Zitat aus Psalm 118,20:
"Dies ist das Tor zum Herrn, Gerechten treten durch es hinein"
(das Foto oben ist in hoher Auflösung eingestellt) |
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Das Gebäude der ehemaligen
Israelitischen Konfessionsschule
(Quelle: Altaras 1988 S. 55) |
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Die ehemalige Synagoge stand
links des abgebildeten Schulhauses |
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"Judengasse"
in
Merzhausen
(Foto: Martin Hoos, Wolfenbüttel) |
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In
Merzhausen erinnert die "Judengasse" an die frühere
jüdische Geschichte
des Ortes; Blick auf das Gebäude Judengasse 4, ein ehemaliges, 1801
erbautes jüdisches Wohnhaus ("Schlöümehaische";
"Schlöüme"
ist die Schwälmer Aussprache von Salomon (Spier). Im Haus finden sich
noch mehrere
Erinnerungen an die jüdische Geschichte.
Ein Tür-Balken mit
hebräischer Schrift aus der früheren Synagoge ist ebenfalls im Besitz
der Eigentümer. |
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Beschilderung der
wichtigsten Orte der jüdische
Geschichte in Merzhausen seit Oktober 2016
(Fotos von Heinrich Keller,
Verbund Dorfgemeinschaft Merzhausen
e.V.) |
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Informationstafel
über die "Jüdische Geschichte Merzhausen" am Eingang der
Judengasse. |
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Hinweisschild zum
jüdischen Friedhof
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Hinweisschild am Standort der
ehemaligen Mikwe
(früher Haus Nr. 61, etwa 1931 abgebrochen)
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Hinweisschild am ehemaligen
Wohnhaus von Salomo Spier
(1945 aus dem Ghetto Theresienstadt zurückgekehrt
und 1947 verstorben) |
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Hinweisschild an der
ehemaligen Judenschule |
Hinweisschild am Standort der
Synagoge |
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Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
Dezember 2019:
Erinnerungen an die jüdische
Gemeinde in Merzhausen - Schilder werden aufgestellt
(vgl. Fotos oben)
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Artikel
von Sylke Grede in der "hna.de" vom 9. November 2016:
"In Merzhausen gab es eine jüdische Gemeinde - Der Dorfverbund
erinnert an sie.
Merzhausen. Der 9. November 1938 gehört zu den dunkelsten Kapiteln der
deutschen Geschichte. Es brannten jüdische Geschäfte und Synagogen. In
Merzhausen gibt es noch einige Spuren der jüdischen Gemeinde. Hinweistafeln
erinnern jetzt an die einstigen Nachbarn. Die neuen Hinweistafeln des
Merzhäuser Dorfverbundes lassen auf ein einst vielfältiges kulturelles Leben
der jüdischen Gemeinde in Merzhausen schließen. Da ist die Judengasse in der
Ortsmitte, in der früher in fast jedem Haus jüdischen Mitbewohner lebten.
Dort ist die Stelle an der die Mikwa, das Ritualbad, stand. Da ist die
jüdische Schule, die jetzt als Vereinsheim genutzt wird, und da ist auch das
Haus des Salomon Spier, der 1945 aus dem Lager Theresienstadt nach
Merzhausen zurückkehrte und dort 1947 starb.
1933 gab es unter den 750 Einwohnern Merzhausens 53 Juden. Wie kaum ein
anderer Hinweis symbolisiert das weiße Schild an einem Baum hinter dem
kleinen Fachwerkhaus in der Ziegenhainer Straße, der ehemaligen jüdischen
Schule, das jähe Ende der Gemeinschaft. Gottfried Ruetz (von 1951 bis 1969
Pfarrer in Merzhausen,† 1990 in Schwalmstadt) bescheinigte den Merzhäusern,
ihren jüdischen Mitbewohnern nicht feindlich gegenüber gestanden zu haben.
Nur wenige seien bedingungslos der Propaganda und Hetze gegen die Juden
gefolgt, so Ruetz im Buch „Heimatvertriebene Nachbarn, Beträge zur
Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain“. „Die Schreie der gemarterten
Juden sind vielen, die das miterlebten, unvergesslich im Ohr geblieben.“
Dennoch habe der Krieg weitere Einschnitte für die jüdische Bevölkerung
gebracht. Unvergessen blieb vielen der Tag, an dem die letzten jüdischen
Männer ins kleine Wachthäuschen gesperrt wurden und dort verprügelt wurden.
„Die Schreie der gemarterten Juden sind vielen, die das miterlebten,
unvergesslich im Ohr geblieben“, schreibt Ruetz.
Gebäude abgerissen. Zuletzt waren nach Auswanderung und Deportation
alle Juden aus Merzhausen verschwunden, ihre Häuser verkauft, die Synagoge
geschlossen. Dieses Gebäude wurde 1951 komplett abgerissen.
Das Zusammenleben. Ruetz berichtet auch vom Zusammenleben der
Merzhäuser unterschiedlicher Konfessionen. Zum Beispiel störten die
katholischen Bewohner des Weiterhausenschen Gutshofes den protestantischen
Gottesdienst am monatlichen Bettag mit dem Rasseln der Milchkannen, weil es
ein Wochentag war. Und laute Unterhaltung und Handel der jüdischen
Handelsleute am Sonntag störte die Kirchenbesucher. Zu einem Zerwürfnis soll
es auch im Männergesangverein gekommen sein, dem viele jüdische Männer
angehörten. Es gab Ärger um die hohen christlichen Feiertage, wenn die
jüdischen Sänger fehlten. Letztendlich führten die Reibereien zum Bruch.
Gegen den Willen der jüdischen Sänger wurde der Verein aufgelöst und der
neue Christliche Männergesangverein gegründet. "
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Quellen:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 71-73. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. 148. |
| Gerhard Rütz: Von den Juden in Merzhausen.
Schwalmer Jahrbuch 1979 S. 112-129. |
| ders.: Von den Juden in Merzhausen. In: H. Bambey, A.
Biskamp und B. Lindenthal (Hrsg.): Heimatvertriebene Nachbarn. Beiträge zur
Geschichte der Juden im Kreis Ziegenhain. Schwalmstadt-Treysa 1993. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 55. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 51. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 187-188. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 511-512. |
| Barbara Greve: Bericht von der Hinterlassenschaft der Schutzjuden Eysermann und Hirt Levi zu
Willingshausen. In: Schwälmer Jahrbuch 1988, S. 51-63. |
| dies.: Fragebögen – Stempel – Formulare. Die „geordnete“ Flucht der Familie Josef Plaut aus
Willingshausen. In: Bernd Lindenthal (Hrsg.), Heimatvertriebene Nachbarn, Bd. 3. Schwalmstadt-Treysa 2008, S. 473-492.
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Beitrag
über die Familie Plaut: Elisabeth S. Plaut: The Plaut Family. Tracing
the Legacy. Edited by Jonathan V. Plaut
When Elizabeth S. Plaut began tracing her husband’s family roots forty
years ago, she had no idea how this undertaking would change her life and
turn her into a serious genealogist. A trained researcher, she corresponded
with hundreds of people around the world to glean information about the
various branches of the family; scoured cemetery files, archives, and other
available sources; and maintained copious files brimming over with her notes
and charts. Beginning with her quest to find the roots of her husband’s
branch of the family from Willingshausen, Germany -many years before
genealogy became popular - Elizabeth Plaut discovered families in dozens of
small villages in Germany. She tracked the relationships between more than
11,000 people and separated the branches according to the many cities where
the families originated. Impressive in its scope and in Elizabeth Plaut’s
meticulous commitment to detail, The Plaut Family: Tracing the Legacy will
be of immense value to all those interested in knowing more about their
roots. 7" x 10" 420 pp. softcover $45.00. Vgl.
http://www.avotaynu.com/books/Plaut.htm.
Family Trees Organized by German Town of Ancestry: Bodenteich, Bovenden,
Falkenberg, Frankershausen, Frielendorf, Geisa, Gudensberg, Guxhagen,
Melsungen, Obervorschuetz, Ottrau, Rauschenberg, Reichensachsen, Rotenburg,
Schmalkalden, Wehrda, Willingshausen. |
Hinweise auf eine Publikation zur Schwälmer
Tracht und den jüdischen Textilhändlern, die in früheren Jahrhunderten die
Stoffe dafür besorgt haben:
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Heidrun Merk: Leinen, Samt und Seide. Luxusstoffe für die
Schwälmer Tracht. Schwälmer Dorfmuseum Holzburg 2021. 6 €.
https://www.dorfmuseum-holzburg.de/
zur Publikation (u.a. beim Museum erhältlich)
Die Kulturanthropologin Heidrun Merk, Leiterin des Schwälmer Museums in
Holzburg, hat mit 'Leinen, Samt und Seide' eine Publikation
herausgegeben, die sich mit Geschichte, Herkunft, Materialität der
kostbaren Stoffe beschäftigt und wie sie den Weg in die Schwalm gefunden
haben. Im Mittelpunkt der Publikation steht die zentrale Rolle der
jüdischen Händler und Kaufleute in der Schwalm. Erwähnt werden u.a.
(vgl. die oben wiedergegebenen Seiten) der Heereslieferant Joseph
Dannenberg in Ziegenhain (1697),
der Textilienhändler Eysermann Levi aus Willingshausen (1743),
der Wollhändler Jacob Salomon in Treysa
(1774), der Textilienhändler Baruch Jacob aus
Breitenbach (1790), der
Handelsmann Mordechai Löw/Preußje von
Schlüchtern (um 1815), der
Handelsmann Julius Jüdel aus Fulda
(1824), die Ellenwarenhändler Michael Katzenstein und Lazarus Levi aus
Eschwege (1826), das Textilgeschäft
Abraham Baum in Treysa (um 1900), das
Textilgeschäft Moritz und Karl Wallach in
Ziegenhain, ab 1908 in
Treysa. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Merzhausen (now
part of Willingshausen) Hesse-Nassau. Jews from Willingshausen and Schrecksbach
formed part of the community, which numbered 147 in 1861 and maintained an
elementary school (1833-1933). Affiliated with the Marburg rabbinate, the
Jewish population dwindled to 20 by 1933. The synagogue was vandalized on Kristallnacht
(9-10 November 1938) and at least two of the remaining Jews were deported.
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