LpB-Rheinland-Pfalz
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Wo waren Sie, als die Mauer fiel? Der Mauerfall vor 25 Jahren gehört wie der Kennedymord, die Mondlandung, der 11. September, zu den Ereignissen in der Geschichte, bei denen viele Menschen diese Frage ad hoc beantworten können. Wir haben die Kuratoriumsmitglieder der LpB gefragt, wo sie damals waren, wie ihre Erwartungen waren bzw. welche Bedeutung sie dem Tag im Rückblick beimessen? Die Antworten dokumentieren wir auf dieser Seite.
Der ehemalige Leiter der LpB, Hans-Georg Meyer, und das LpB-Kuratoriumsmitglied Josef Zolk berichten in einem Interview (Meyer) und einem persönlichen Rückblick (Zolk) von ihren besonderen Erlebnissen im revolutionären Berlin. Zudem haben wir Listen mit Literatur aus Bibliothek und Publikationenzusammengestellt und weisen auf eine große Allensbach-Studie im Auftrag von 15 ostdeutschen Tageszeitungen hin - wie etwa der Märkischen Allgemeinen und der Thüringer Landeszeitung. Fazit: Deutsche aus Ost und West nähern sich an. Die Vorurteile aber bleiben. Der Deutschlandfunk veröffentlicht in seinen Mauersplittern bisher unbekannte Tonbeiträge aus der Wendezeit.
Volker Gallé, Kulturkoordinator der Stadt Worms
Ich weiß nicht mehr, wo ich am 9. November 1989 war. Den Weg der Menschen durch und über die Mauer habe ich im Fernsehen mitverfolgt. Außerordentlich mitgefreut habe ich mich über die sichtbare Freiheitsfreude. Im Januar 1990 habe ich in Bautzen Kontakt mit der Bürgerbewegung aufgenommen. Einheit war für mich kein Thema. Einheit war für mich ein Begriff, den man der Bevölkerung mehrfach in der deutschen Geschichte als Ersatz für Gleichheit und Brüderlichkeit verkauft hat, den eigentlichen Geschwistern der Freiheit im republikanischen Denken der Demokraten vor und nach 1849. Ich hätte mir einen gesellschaftlichen Neuanfang in beiden Deutschland und in Europa gewünscht. Es ist anders gekommen. Der nationalistische Popanz marschiert vielerorts. Zum Glück regiert immer noch Besonnenheit.
Susanne Wingertszahn, Geschäftsführerin DGB Rheinland-Pfalz/Saarland
1989 war ich 14 Jahre alt und habe im Saarland gelebt. Von der DDR wusste ich vor allen Dingen, dass der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker ebenfalls aus dem Saarland kam. Als er seine Geburtsstadt 1987 besuchte, sind wir mit der Familie in die Kuchenbergstraße nach Wiebelskirchen gefahren. Der 9. November hatte damals zwei Bedeutungen für mich: es war das erste Mal, dass wir beim Abendbrot den Fernseher anhatten und ich erinnere mich, dass von da an viel mehr über Politik geredet wurde, insbesondere in der Schule.
Josef Zolk, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Flammersfeld
9. November 1989: Ankunft Berliner Flughafen Tegel abends zur Tagung der Bundeszentrale für politische Bildung „40 Jahre politische Bildung in der Demokratie“. Kein Taxi, kein Bus, um in die City zu kommen, dafür jede Menge Trabis. Da wurde klar: die Mauer ist offen! Die Stadt in heller Aufregung und Aufbruchsstimmung. Politische Bildung live: Stehen auf der Mauer am Brandenburger Tor, gefühlte Unsicherheit – selbst, aber auch bei den Menschenmengen aus Ost und West. Unglaubliche Freude, große Hoffnung. Überall Lieder wie „Dona nobis pacem“ oder „Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ne kleine Wanze“, die abwechselnd selbst die Geräusche der Trabis übertönten. Wenn ich heute über den Ku`damm laufe, habe ich noch immer „Dona nobis pacem“ von damals im Ohr.
An diesem 9. November war ich mir sicher, eine Zäsur der Geschichte miterlebt zu haben.
Einen ausführlicheren Rückblick von Josef Zolk finden Sie hier.
Manfred Geis, Mitglied der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz
Als die Mauer fiel, saß ich – ausnahmsweise – zu Hause vor dem Fernsehapparat. Gebannt.Irgendwie hatte man Lust, ganz schnell ein paar Sachen zusammenzupacken und los zu fahren – dabei zu sein, die Menschen zu sehen, die das bewerkstelligt hatten, ihre ausgelassene Freude zu teilen. Freiheit und Selbstbestimmung, das war das Spontane; dann eine große Neugierde, wie es weitergehen könnte, aber auch da auf jeden Fall unter Selbstbestimmung und Mitgestaltung derer, die die Wende herbeigeführt haben.
Dr. Susanne Ganster, Mitglied der CDU-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz
Ich war damals 12 Jahre alt und habe nicht mehr viele Erinnerungen daran. Ich weiß nur, dass ich nach dem Klavierunterricht nach Hause kam und meine Eltern Fernsehen schauten. Das war am frühen Abend und daher sehr ungewöhnlich. Sie erklärten mir, was passiert war und ich erinnere mich nur noch an diese Bilder, wie Menschen über die Mauer kletterten und sich in die Arme fielen. Als Kind konnte ich die Ereignisse vor 25 Jahren noch nicht in vollem Umfang einordnen. Dass meine Eltern aber so bewegt die Fernsehbilder verfolgten, ist mir in bleibender Erinnerung - es ließ mich damals annähernd erahnen, dass es wirklich ein ganz bedeutsames und großes Ereignis war.
Gunther Heinisch, Mitglied der Fraktion Bündnis`90/DIE GRÜNEN im Landtag Rheinland-Pfalz
Am 9. November 1989 lebte ich - wie auch in den Tagen und Wochen davor und danach - in Mainz und ging in der 5. Klassenstufe zur Schule. Für mich steht dieser Tag heute dafür, wie für uns hier und heute scheinbar selbstverständliche Grundrechte wie Reisefreiheit und Freizügigkeit zunächst unter Vorbehalt gewährt, beharrlich ertrotzt und schließlich mit friedlichen Mitteln erkämpft wurden. Es darf nicht eine fernliegende Utopie bleiben, dass grenzenlose Freizügigkeit in Europa und weltweit zur fortschreitenden Durchsetzung von Grundfreiheiten und Menschenrechten umfassend erreicht werden muss.
Marlies Kohnle-Gros, Stellv. Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz und des Kuratoriums der Landeszentrale
Ich weiß genau, wo ich am 9. November 1998 war, nämlich im Landstuhler Nardini-Krankenhaus. Am 6. November war unser Sohn geboren worden. Und trotz des persönlichen Glücks habe ich über den Fernseher die Entwicklung in Berlin mitverfolgt. Ich sehe noch heute die Bilder vom an der Wand hängenden Bildschirm vor mir. Schon damals war ich ein politischer Mensch und darüber hinaus als Parteigeschäftsführerin der CDU in der Westpfalz über alle Phasen der Entwicklung in der DDR informiert. Sehr gefreut habe ich mich darüber, dass wir gut daran getan haben, immer an die Wiedervereinigung zu glauben und: dass Helmut Kohl zum richtigen Zeitpunkt gehandelt hat und seine Vision Wirklichkeit wurde.
Christoph Grimm, Landtagspräsident a. D. und Vorsitzender des Kuratoriums der Landeszentrale
Es schien ein gewöhnlicher Wochentag zu sein. Gegen 22.00 Uhr bin ich wieder zu Hause, zurück von einer öden Parteiveranstaltung. Alltag eines Abgeordneten. Im Autoradio erste Berichte aus Berlin: Tausende strömen zur Mauer, in Ost und West. Was läuft da ab? Also Fernseher an!
ARD und ZDF "vor Ort", in Berlin, am Brandenburger Tor, den Übergängen. Hunderte klettern auf die Mauer, tanzen, singen, skandieren Forderungen. Die DDR-Polizisten und-Soldaten schauen rat-und fassungslos drein. Selten war Fernsehen spannender.
Um 22.30 Uhr kommt meine Frau nachhause. "Komm, sieh dir das an, ich glaube die Mauer fällt." Unfassbar! Und so kommt es im Laufe der Nacht. Nicht daran zu denken ins Bett zu gehen. Wir sind Zeugen wie ein Regime zerbricht, als Fernsehzuschauer. Tränen der Freude.
Der 9. November ist wieder einmal ein herausragendes Datum der deutschen Geschichte.
Bettina Brück, Mitglied der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz
Am Abend des 9. November 1989 saß ich zu Hause am Fernseher, gefesselt und emotional sehr bewegt von den Bildern aus Berlin. An diesem langen Fernsehabend wurde mir sehr deutlich, was Freiheit wirklich bedeutet. Schon Wochen zuvor hatte ich die friedlichen Demonstrationen in der ehemaligen DDR und die Geschehnisse in Osteuropa in den Medien mit verfolgt. Der 9. November 1989 hat mir sehr klar gemacht, wie wichtig es ist, sich mit friedlichen Mitteln für Grund- und Menschenrechte einzusetzen und diese nicht einfach für selbstverständlich zu halten. Ein bedeutender Tag in der deutschen Geschichte.
Ulla Brede-Hoffmann, Stellv. Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag Rheinland-Pfalz
Ein Donnerstag. Tagsüber die Kinder in der Schule, ich in der Ortsverwaltung Altstadt. Kein Radio an, kein Fernsehen: ein ganz normaler Tag. Trotz der politischen „Großwetterlage“ ahnte ich nichts von wirklich großen politischen Veränderungen an diesem 09. November.
Sehr großes Staunen abends beim Einschalten der Tagesschau. Alle Pläne für den Abend wurden umgeworfen. Ich war wie vor den Fernsehapparat geklebt. Mehr gefühlt als echt begriffen habe ich an dem Abend, dass sich hier die Demokratie friedlich, ohne Blutvergießen und ohne Einsatz von Waffen ihren Weg bahnte, dass die Entschlossenheit der Menschen, sich ihre Freiheit und politische Selbstbestimmung allein mit der Kraft ihres Willens und der Stärke der Einigkeit der Bürger erkämpft hatten. Irgendwie hatte ich schon das Gefühl, dass ich gerne Bestandteil wäre dieses Freiheitskampfes. Aus diesem Grund sagte ich wenig später „Ja, ich bin dabei“, als Freiwillige in der Mainzer SPD gesucht wurden, die in der Mainzer Partnerstadt Erfurt der jungen, neu gegründeten SPD zur Seite springen und sie im Wahlkampf unterstützen sollten.
Noch immer spüre ich die Faszination dieses Abends und dieser Nacht des 09.11.1989 beim Erinnern an die Bilder von Menschen, die ihre neue Freiheit bejubeln und darüber in Tränen ausbrechen. Ich weiß, dass bei vielen der Fernsehbilder auch mir die Tränen in den Augen standen. Zeitzeugin einer solchen großen friedlichen Revolution gewesen zu sein ist ja auch ein Erlebnis, das historisch sein Beispiel sucht!
Dieter Skala, Leiter Katholisches Büro Mainz
1989 waren unsere Kinder noch sehr klein und unsere Gedankenstränge in andere Bahnen gelenkt. So findet sich die Erinnerung an den Mauerfall eingebettet in die Ereignisse der Wochen davor und danach. Damals sahen wir jeden Abend fasziniert und atemlos die Flüchtlingsströme aus Ungarn, die Ereignisse in der Deutschen Botschaft in Prag, die Demonstrationen und personellen politischen Veränderungen in der DDR. So war der 9. November 1989 nur noch ein weiterer, damals unglaublicher „Baustein“. Für mich ist etwas eingetreten, das ich zu meinen Lebzeiten (* 1960) eigentlich nicht mehr für möglich gehalten, geschweige denn erwartet hätte – was mich jedoch schon damals mit großer Freude und Dankbarkeit erfüllt hat.
Karl-Heinz B. van Lier, Leiter des Landesbüros Rheinland-Pfalz der Konrad-Adenauer-Stiftung
Am 9. November 1989 weilte ich in Santo Domingo, zuständig dort als Auslandsmitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung. Monate zuvor hatte der dortige Außenminister in einer Rede vor Diplomaten darauf hingewiesen, dass die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bald anstehen würde. Ich habe diese Äußerung zum Anlass genommen zu intervenieren und erklärte ihm aus voller Überzeugung, dass die Wiedervereinigung sich allenfalls in Jahrzehnten ereignen könne. Er hatte mir eine Wette angeboten, die ich nicht wirklich ernst nahm. Als ich dann die Bilder von dem Fall der Mauer in CNN sah, dachte ich zuerst an eine schlechte Filmmontage. Aber es dauerte nicht lange bis der Außenminister mich anrief und mich triumphierend an die Wette erinnerte. Ich war reichlich beschämt, aber dennoch glücklich und lud ihn und mehr als Hundert Gäste zu einem rauschenden Fest in unsere „Residenz“ ein. Dort gab es staatstragende Reden, die Nationalhymne wurde intoniert und die Einheit besungen.
Dr. Thomas Posern, Beauftragter der Evangelischen Kirchen
Wie ich den 9. November 1989 verbracht habe, erinnere ich heute nicht mehr. Doch Wochen und Monate schon hatten auch mich die Ereignisse in der DDR, in der Tschechoslowakei, in Ungarn in ihren Bann gezogen. Als die Rufe bei den Demonstrationen von einem demokratiebetonten „Wir sind das Volk“ in ein eher national orientiertes „Wir sind ein Volk“ umschlugen, wurde meine Sorge vor einem neuen Nationalismus in Deutschland größer. Zu dicht waren noch die Erfahrungen des Unheils, den der deutsche Nationalismus über die Welt gebracht hatte, die mir als Nachkriegskind hautnah präsent waren.
Am Abend des 9. November überwog dennoch die Begeisterung darüber, dass friedliche Demonstrationen und Gebete zur Öffnung der Mauer führten, deren Einsturz ich, wenn überhaupt, erst in Jahrzehnten erwartet hätte. Denkwürdig war mir eine Veranstaltung in einem Arbeitszentrum meiner Kirche wenige Tage danach, bei der wir mit einem lutherischen Pfarrer aus Brasilien zu Themen der weltweiten Ökumene arbeiteten. Am Abend sahen wir zusammen Fernsehberichte über die Öffnung der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten: Zahllose Menschen strömten zu Fuß, aber auch in ihren Trabis, Wartburgs und Ladas über die Grenze und genossen die neue Freiheit. Der Pfarrer aus Brasilien, der uns gerade von der bitteren Armut der brasilianischen Landbevölkerung und der Menschen in den Favelas berichtet hatte, meinte an dieser Stelle: „…aber sie kommen mit ihren eigenen Autos“.
Diese Aussage, die mir seit nunmehr 25 Jahren im Gedächtnis geblieben ist, erinnert mich immer wieder daran, dass wir zwar in unserem Land relativ viel Freiheit genießen können, aber in weiten Teilen der Welt das Freiheitsversprechen der Moderne nicht eingelöst ist, weil die Menschen nicht genug Mittel zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse haben. Hier liegen uns seit Jahrzehnten große Aufgaben vor den Füßen, die wir ständig beiseite schieben.