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in Speyer
Speyer (Rheinland-Pfalz)
Texte/Berichte zur jüdischen Geschichte der Stadt
Die nachstehend wiedergegebenen Texte mit
Beiträgen zur jüdischen Geschichte in Speyer wurden in jüdischen Periodika
des 19./20. Jahrhunderts gefunden.
Bei Gelegenheit werden weitere Texte eingestellt.
Übersicht:
Allgemeine Berichte
Bericht über "850 Jahre jüdische Gemeinde zu
Speyer" (1934)
Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 15. November 1934:
"850 Jahre jüdische Gemeinde zu Speyer.
In dieser Zeit, wo Heimatverbundenheit und Heimatrecht der deutschen Juden
in Frage gestellt wird, ein paar Monate nach der 900-Jahrfeier der
Synagoge zu Worms, am 13. September 1934 bestand die jüdische Gemeinde zu
Speyer 850 Jahre. -
Am gleichen Tag im Jahr 1084 n.Chr. erklärte der Bischof Rüdiger
Huosmann in einer Urkunde wörtlich, er glaube den Ruhm der Stadt Speyer
tausendfach zu mehren, wenn er (zugleich mit der Eingemeindung des Dorfes
Altspeyer die dort wohnenden) Juden aufnehme. Das ist die Geburtsurkunde
der Jüdischen Gemeinde zu Speyer.
Erwiesen aber ist, dass Juden schon lange vorher, nämlich seit dem 8.
Jahrhundert, sich in Alt-Speyer, das an den großen Handelsstraßen
Köln-Augsburg und Köln-Narbonne gelegen war, angesiedelt hatten. Luther
behauptet, dass schon in der frühesten Zeit des fränkischen Reiches hier
Juden lebten, wenngleich die Geschichte der Kultur von den Juden der
damaligen Zeit ebensowenig, wie von den Deutschen zu berichten weiß. Ja,
eine Ansiedlung schon zu römischer Zeit ist wahrscheinlich. So zählt
Speyer mit den anderen rheinischen Gemeinden Köln, Mainz und Worms zu den
ältesten jüdischen Niederlassungen in Deutschland.
Die Erinnerung, die in die Zeit vor 1084 zurückgeht, trifft in der
Speyerer Altstadt etwa um das Jahr 1000 Sprosse auf der berühmten
italienischen Rabbinerfamilie Kalonymos in einer schon damals bestehenden
Judengemeinde an, in deren Talmudschule auch Raschi gelernt hat. - Bis in
diese Zeit wohnten die Juden in der Altstadt, angesehen und ungestört
unter den christlichen Bürgern. Seit etwa 1050 aber mussten sie vor
Ausschreitungen des Pöbels geschützt werden.
So zog Bischof Rüdiger nach jener Urkunde von 1084 seine jüdischen
Untertanen auf einem besonderen Gelände zusammen, das er zu ihrem Schutz
mit Mauern umgeben ließ. Hier ist zum erstenmal in Deutschland das Ghetto
erwähnt, das aber nicht zu Hohn und Schande, sondern nur zum Schutz der
Juden errichtet wurde. Im gleichen Jahr nahm der Bischof viele Juden aus
Mainz auf, wodurch erst die Gemeinde so rasch emporblühen konnte. In dem
Privileg aber gewährte er ihnen Freiheiten und Rechte, wie sie die Juden
in Deutschland damals |
nirgends
besaßen: Handelsfreiheit, eigene Gerichtsbarkeit unter einem sogenannten
Archisynagogus, das Recht Grundbesitz zu erwerben, christliche Dienstboten
und Sklaven zu halten usw. Dafür sollten ihm die Juden jährlich 3,5
Pfund Speyerer Geldes zahlen.
Als sechs Jahre später, im Jahr 1090, Kaiser Heinrich IV. nach Speyer kam
- der Bischof war inzwischen alt geworden und Sorge für die Erhaltung
ihrer Rechte mag der Anlass gewesen sein - ließen sich die Speyerer Juden
durch Vermittlung des ihnen wohlgesinnten Bischofs auch unter seinen
Schutz nehmen. Er bestätigte ihnen ihr Privileg und vermehrte ihre
Freiheiten und ihren Rechtsschutz noch ganz bedeutend: Sie konnten im
ganzen Deutschen reich bei Zollfreiheit Handel treiben, in Prozessen mit
Christen durften sie nach jüdischem Recht Beweis führen, germanische
Gottesurteile sollten gegen sie nicht angewendet, Verbrechen gegen sie
streng bestraft werden. Dieses Privileg unterzeichnete der Kaiser
eigenhändig, nachdem er sich vorher mit dem Rabbi Kalonymus über den
Speyerer Dom, der damals erst einige Zeit fertig gestellt war, unterhalten
hatte. Auf des Kaisers Frage, ob der Dom dem salomonischen Tempel an
Schönheit nicht überlegen sei, suchte der Rabbi aus der Bibel die
höhere Würde des Tempels nachzuweisen. Dass der Kaiser die freimütige
Antwort nicht ungnädig aufnahm, zeigt das Privileg, das er
erteilte.
Obwohl nun die Juden dem Kaiser direkt unterstanden, ließ er dem Speyerer
Bischof die ihm als Stadtherrn zustehenden Rechte, sodass Bischof und
Juden in dauernder Verbindung blieben. Von ihm war der Vorsteher der
Synagoge abhängig, an seine Kammer flossen die für Verletzung der
Judenrechte erhobenen Bußgelder. Seit 1090 so unter doppeltem Schutz -
von einer finanziellen Ausbeutung konnte damals noch keine Rede sein -
bracht für die Speyerer Juden eine gute Zeit an. Unterbrochen nur von
einem Schreckenstag im Jahr 1090, wo die Kreuzfahrer einige Speyerer Juden
ermordeten. Doch bot der Bischof gleich Bewaffnete zu ihrem Schutz auf,
die weitere Gefahr abwendeten.
Jetzt begann die 100-jährige Blütezeit der Gemeinde. - Man treib nach
Belieben Handel und Geldgeschäfte. Der Wohlstand muss beträchtlich
gewesen sein. Damals entstanden die Bauten der Gemeinde in der Gegend, die
heute noch die Judengasse heißt: Eine Synagoge, als deren Baujahr schon
1084 bezeichnet wird, ein Gemeinde-, ein 'Dantz- oder Brutehaus' (Tanz-
oder Brauthaus), ein Lehrhaus und eine Mikwe aus der Wende des
Jahrhunderts, ein paar Jahre später noch eine zweite Synagoge. Von all
dem ist heute nur noch die Mikwe, das 'Judenbad' erhalten, das mehr als
400 Jahre seiner Bestimmung diente, heute seiner Renovierung harrend. Eine
unterirdische Anlage in romanischem Baustil, wie sie monumentaler in
Deutschland heute nirgends zu sehen ist. Das Speyerer Judenbad mit seinem
alten Gemäuer zwischen winkligen Gässchen verdient nicht nur als ein
verträumter Zeuge jüdischer Geschichte, sondern auch als deutsches
Kunstdenkmal aus der großen Zeit der salischen Kaiser ernstliche
Beachtung. - Von der romanischen Synagoge aber sind allein kümmerliche
Mauerreste übrig. Sonst künden nur noch ein paar verwitterte Grabsteine
von den jüdischen Menschen des alten Speyer. Deren Namen aber besaßen in
der damaligen jüdischen Welt einen guten Klang. War doch die Gemeinde,
solange Juden in größeren Massen hier lebten, ein geistiges Zentrum.
'Die Weisen von Speyer' werden mit derselben Ehrerbietung genannt, wie die
Meister von Worms und Mainz. Und dass diese drei Gemeinden eine gewisse
Einheit bildeten. SCHUM (Speyer - Worms - Mainz) ist
aus ihren Verordnung, den Tekanoth SCHUM allgemein bekannt. Von diesen
schreibt ein jüdischer Autor, Isaac aus Wien: 'Von unseren Lehrern in
Mainz, Worms und Speyer ist die Lehre ausgegangen für ganz Israel, und
seitdem Gemeinden in Deutschland und in dem (slawischen) Königreiche
sind, hat man sich daselbst an diese Vorschriften gehalten.' Wiederholt
fragten auch die Rabbinerversammlungen und der Gemeindeverband während
dieser Blütezeit in Speyer, ehe beim zweiten Kreuzzug von 1195 große
Verfolgungen über die Gemeinde hereinbrachen.
Wenn auch der Kaiser die Mörder zwang, den Juden Buße zu zahlen, es war
der Anfang des Niedergangs. 50 Jahre später schon verloren sie ihre
Handelsfreiheit: außer mit Geld, sollten sie nur mit Wein, Kräutern und
Arzneien Handel treiben. Und einige Jahrzehnte nach dieser Beschränkung
begann die finanzielle Ausbeutung durch die Kaiser, die die Speyerer Juden
von nun an wechselnd an Städte, Bischöfe und Herren verpfändeten und
wiederholt sämtliche Forderungen, die die Juden besaßen, für null und
nichtig erklärten.
Gegen Ende dieses 13. Jahrhunderts aber setzte die lange Leidenszeit der
Speyerer Juden eigentlich ein, während sie bald vertrieben oder ermordet,
bald wieder zurückgerufen wurden. So ereilte sie 1282 und 1343 das
Verderben. Und als 1348 der 'Schwarze Tod' durch Europa rast, leuchtet im
Speyerer Judenghetto die Brandfackel der sich selbst verbrennenden Juden
durch ein blutiges Morden. - Das Geschehen dieses Jahres hat vor ein
Jahrzehnt der damalige deutsche Gesandte in Wien Dr. Maximilian Pfeiffer
in seinem Buch 'Kyrie Eleison', ein Roman von Juden und Christen im alten
Speyer' gestaltet. - Dieser Schlag hatte die Gemeinde ins Mark getroffen.
Die Steine ihrer Häuser, Grabsteine und Friedhofsmauern wurden von der
Stadt zu neuen Türmen und zur Ausbesserung der Stadtmauern benützt. Zwar
durften die 1349 Entkommenen, die in Heidelberg Zuflucht gefunden hatten,
wieder zurückkehren, aber es gab nur neue Schwierigkeiten: Reibereien mit
den Zünften, ein Verbot der Errichtung neuer Schulen, eine demütigende
Kleiderordnung, Benützung der Synagoge als städtisches Haus usw. Aber
auch die dazwischen liegende Folge von Vertreibungen und Wiederzulassung
konnte die Heimatliebe der Speyerer Juden nicht ersticken, bis mit dem
großen Brand der Stadt Speyer im Jahre 1689 Synagoge und Judengemeinde
ihr Ende fanden.
Als die Stadt wieder aufgebaut war, erhielten die Juden nur 'temporarische'
Aufenthaltserlaubnis, sodass sie sich, wie ehemals in den umliegenden
Dörfern wieder ansiedelten. Nach der französischen Revolution aber kamen
die Juden aus diesen Dörfern wieder in die Stadt, und als 1806 Napoleon
den Juden deutsche Namen geben ließ, wurden schon wieder 80 jüdische
Einwohner festgestellt. Seit dieser Namensgebung tragen viele deutsche
Juden den Namen Speyer, das auch in Spier, Spiro, Spira zu finden ist.
-
Die Gemeinde erlebte jetzt einen, wenn auch mit ihrer klassischen Zeit
nicht vergleichbaren Wiederaufstieg. 1836 wurden eine neue Synagoge und
eine jüdische Schule eingerichtet, die bis heute bestehen. 1900 zählte
die Gemeinde wieder 500 Seelen, die aber heute auf 269 zurückgegangen
sind. Ein einziger Lehrer ist der Verwalter einer großen
Tradition.
Von der Not unserer Zeit sind die Speyerer Juden hart getroffen. Ein
großer Teil der Jugend ist im letzten Jahr abgewandert. Aber wenn die
Jüdische Gemeinde zu Speyer auf ihre Geschichte zurückblickt, dann weiß
sie, dass dies nicht die erste Notzeit ist, die sie bestehen musste und
überstanden hat. Reinhold W. Herz, früher Speyer, jetzt
Berlin." |
Über
die kleiner werdende jüdische Gemeinde (Bericht aus der NS-Zeit von 1936)
Artikel
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 1. September
1936:
"Schicksal in Zahlen. Von Reinhold Herz (Berlin).
Die Gemeinde Speyer, die als eine der ältesten jüdischen
Gemeinden in Deutschland 1934 achthundertundfünfzig Jahre bestand, begeht
demnächst die 100-Jahre-Feier ihrer neuen Synagoge und der
jüdischen Schule. Wir haben aus Anlass des 850-jährigen Bestehens die
wechselvolle Geschichte dieser alten Gemeinde ausführlich dargestellt.
Aus Anlass der 100-Jahr-Feier bringen wir heute einen kurzen
soziologischen Abriss ihrer gegenwärtigen Gestalt, der über Speyer
hinaus für die Situation und Entwicklung der kleineren jüdischen Gemeinde
in Deutschland nur allzu typisch sein dürfte.
Die Speyerer Gemeinde, die im Jahre 1836 mit einer Seelenzahl von 250
Menschen sich wieder eine eigene Synagoge und eine jüdische Schule
errichtete, hat in ihrer neueren Geschichte die größte Seelenzahl im
Jahre 1900 mit 520 Menschen erreicht. Seitdem ist die jüdische
Bevölkerung bis 1925 auf 350, bis 1933 auf 270 und bis 1936 auf 190
Menschen gesunken.
Der Bevölkerungsverlust von 1900 bis 1933 ist in erster Linie
durch Binnenwanderung in Großstädte entstanden. Der Bevölkerungsverlust
von 1933 bis 1936 rekrutiert sich aus: 1 Austritt, 11 Todesfälle, 36
Personen sind innerhalb Deutschlands abgewandert und zwar hauptsächlich
in die beiden Großstädte Mannheim und Frankfurt am Main. 48 Personen
sind ausgewandert, wobei, wie in sehr vielen süddeutschen Gemeinden, die
weitaus überwiegende Zahl auf die Vereinigten Staaten von Nordamerika
entfällt und die Zuwanderung zu Verwandten charakteristisch ist. Dem
Bevölkerungsverlust von 96 Personen steht eine Zunahme durch 3 Geburten
und 9 Zuzüge gegenüber. Die wirtschaftliche Entwicklung wird charakterisiert
durch 10 Fälle von Geschäftsübergabe (Verkauf oder Vermietung) und
durch die Senkung des Gemeindeetats von 15.000 auf 10.000 Mark. Auch
dieser Etat kann bereits nur noch durch freiwillige Selbstbesteuerung
einiger weniger Gemeindemitglieder aufrecht erhalten werden.
Nach dem heutigen Stand zeigt die Altersgliederung der Gemeinde mit
50 Prozent der Bevölkerung zwischen 40 und 60 Jahren und 20 Prozent über
60 Jahren eine überdurchschnittliche Überalterung. In der beruflichen
Struktur überwog bisher der Einzelhandel vorherrschend in der
Textilbranche. Dieses berufliche Gepräge löst sich auf und der
Zwischenhandel wird bestimmend. Die soziale Struktur zeigt trotz
der Überalterung nur noch etwa 50 im Erwerbsleben stehende Personen. Die
Form der Selbstständigkeit überwiegt noch. Das kulturelle Leben
verliert durch die Abwanderung der tragenden Menschen dauernd an
Selbstständigkeit. Es wird hauptsächlich durch überörtliche Quellen
gespeist: Jüdische Zeitung und Buch, auswärtige Redner und Teilnahme am
kulturellen Leben der benachbarten Großgemeinde Mannheim. Das gesellschaftliche
Leben ist durch das Fehlen eines gemeindlichen Zusammenkunftsraumes
völlig gehemmt, seitdem vor einigen Monaten die jüdische Schule in dem
einzigen Gemeinderaum untergebracht werden musste. - So bleibt der
Gottesdienst in der Synagoge als alleinige Form eines regelmäßigen
Gemeinschaftslebens.
Für die Zukunft sind in der Bevölkerungsbewegung bereits einige
klare Entwicklungstendenzen festzustellen. Etwa 20 weitere Personen, d.h.
etwa 10 Prozent der Gemeinde bereiten noch ihre Auswanderung vor. Nach diesem
erneuten Wanderungsverlust besonders von jüngeren Menschen und jungen
Ehepaaren wird die jüdische Schule, die jetzt noch 17 Kinder umfasst,
durch den Mangel an Jugendlichen selbst bei Einbeziehung der umliegenden
Landgemeinden nur noch wenige Jahre bestehen können. - Die Seelenzahl der
Gemeinde scheint sich unter Berücksichtigung der durch die Überalterung
entstehende Immobilität und eines der Altersgliederung entsprechenden
Sterbeverlustes für eine Reihe von Jahren auf etwa 130-150 Menschen neu
zu
stabilisieren." |
Artikel
über die jüdische Geschichte im Mittelalter
Beitrag aus dem Jahr 1876 von Moses Mannheimer: "Die
Judenverfolgungen in den Städten Speyer, Worms und Mainz im Jahre 1096,
während des ersten Kreuzzuges" mit Übersetzung eines mittelalterlichen
Berichtes des Elieser ben Nathan Halevi aus
Köln
Anmerkung: der Beitrag von Moses Mannheimer wurde später nochmals aufgelegt,
vgl. https://www.amazon.de/Judenverfolgungen-Speyer-Während-Ersten-Kreuzzuges/dp/0332483851
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 9. Mai 1876: "Die Judenverfolgungen in den Städten Speyer,
Worms und Mainz im Jahre 1096, während des ersten Kreuzzuges.
Aus einem hebräischen Manuskripte übertragen von Moses Mannheimer,
emeritierter Rabbinatsverweser in Darmstadt
Die Geschichte der Kreuzzüge ist bis jetzt noch nicht vollständig nach allen
ihren Beziehungen aufgehellt, so sehr auch emsige Forscher bemüht waren,
alles einschlägige, ihnen zu Gebote stehende Material zu sammeln, zu sichten
und daraus ein vollständiges, alles Bedeutsame umfassendes Bild zu schaffen.
Am wenigsten ist dies aber der Fall bei demjenigen Teile derselben, der die
Judenverfolgungen betrifft, ungeachtet Letztere große blühende Gemeinden mit
barbarischer Grausamkeit gänzlich vernichteten und auch mit den allgemeinen
politischen Verhältnissen Deutschlands in einigem Zusammenhange standen. Im
Mittelalter hat die mündliche Überlieferung die Stelle der Aufzeichnung
versehen. Sie hat in Familien und Gemeinden wie Taten und Begegnisse der
Väter, einige Generationen hindurch, frisch und lebendig erhalten, bis sie
sich allmählich trübte und dann erlosch. Das Aufzeichnen derselben und das
hinlänglich wiederholte Abschreiben des Aufgezeichneten war nicht allgemein
verbreitet, nicht genug im Gebrauch und Übung; daher fließen die
Geschichtsquellen von damals außerordentlich dürftig. –
Von den rubrizierten (= katalogisierten, aufgezeichneten)
Verfolgungen der damals bedeutendsten jüdischen Gemeinden waren kaum einige
fragmentarische Berichte zu uns gelangt. Nur eine eigentlich interne
Geschichtsquelle ist uns aufbewahrt geblieben, das ist die von Dr. Jellinek
(vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Jellinek) zum ersten Male
(Leipzig 1854) edierte Konteros tatnu (Anmerkung 1) 'Bericht
über die Leiden des Jahres 1096' von Elieser ben Nathan Halevi aus Köln (vgl.
https://en.wikipedia.org/wiki/Eliezer_ben_Nathan). Da jedoch der
Verfasser in Köln wohnte, so hat er über die dortige Verfolgung, deren
Augenzeuge er war, ausführlicher berichtet als über die, welche in Speyer,
Worms und Mainz stattgefunden hat. Hinsichtlich dieser Städte, die noch den
ersten Anprall der vertierten Blutmenschen auszuhalten hatten, ist sein
Bericht lückenhaft. Auch die Poetanen (Anmerkung 2) (Poeten),
die in synagogalen Dichtungen die Leiden der Gemeinden und ihren darüber
empfundenen tiefen Schmerz ausdrückten, konnten doch nur für ihren Zweck
einzelne Züge aus der Reihe der Begebenheiten hervorheben, und da dieselben
in ein poetisches Gewand gekleidet waren, so konnte der Leser oder Beter
leicht versucht sein, in ihnen anstatt Wahrheit nur hyperbolische
Redefiguren zu erblicken. – Unter diesen Umständen muss es uns willkommen
sein, wenn hier und da noch irgendein altes Manuskript zum Vorschein kommt,
das uns von Details Kunde bringt, die uns bis jetzt nicht bekannt waren, und
die zur Berichtigung und Ergänzung der historischen Darstellung einen
Beitrag liefern. Zu einem solchen bin ich dieser Tage gelangt. Dasselbe
enthält in hebräischer Sprache einen ziemlich ausführlichen Bericht über die
1096, während des ersten Kreuzzuges in Speyer, Worms und Mainz,
stattgefundenen schrecklichen Judenverfolgungen und ich fühle mich
verpflichtet, denselben, ins Deutsche übertragen, in dieser geschätzten
Zeitung der Öffentlichkeit zu übergeben. Dieses Manuskript befindet sich im
Besitze der Großherzoglichen Hofbibliothek (Anmerkung 3)
dahier. Vor kurzem hatte Herr Hofbibliothekar Dr. Maurer die Güte, mich
darauf aufmerksam zu machen. Es bildet ein aus ungefähr 100
Pergamentblättern zusammengeheftetes Buch, im Quartformat; ohne Einband. Der
Anfang, darunter das Titelblatt, fehlt. Es scheint durch einen Brand
geschädigt worden zu sein. – Den Namen des Verfassers sowie die Zeit, wann
er gelebt hat, habe ich bis jetzt noch nicht genau ermitteln können. – Die
darin behandelten, verschiedenen Materien scheinen übrigens verschiedenen
Verfassern (Anmerkung 4) zu verschiedenen Zeiten anzugehören.
– Die ersten 11 Blätter enthalten scharfsinnige Dezisionen, verbunden mit
kurzen Erörterungen über die jüdischen Trauergebräuche, wie diese nämlich in
besondern Verhältnissen und Umständen anzuwenden seien; die folgenden 4
Blätter umfassen eine Betrachtung über den damals erwarteten Messias und den
Krieg des Gog Magog (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gog_und_Magog) und daran schließt sich
auf den nachfolgenden 4 Blättern der Bericht über die Verfolgungen während
des ersten Kreuzzuges. Die auf diesen 19 Blättern angewandte und sich stets
gleichbleibende Schriftart ist eine ganz eigentümlich aus mehreren
Schriftarten zusammengesetzte. Manche Buchstaben haben die Form der
Quadratschrift (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Quadratschrift (ktaw meruba =
Quadratschrift) , andere kommen der sogenannten Kurrentschrift (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Kurrentschrift) sehr nahe,
bildeten vielleicht ehedem einen Übergang zu dieser. – Ich werde nun mit der
Wiedergabe des Inhalts des Berichts beginnen; jedoch werde ich alle darin
vorkommenden, wenn auch mit den stattgefundenen Gräueltaten entschuldbaren
Ausdrücke übergehen.-
Im Jahre 1028 (Anmerkung 5) nach der Zerstörung des Tempels
kamen Verhängnisse über Israel. Es erhoben sich nämlich in Frankreich
Herren, Ritter, Grafen und Fürsten, und das gemeine Volk, und berieten sich
zusammen und fassten den Entschluss, sich kämpfend Bahn zu machen und nach
Jerusalem zu wallen, zum Grabe Christi. – Und sie sprachen zueinander:
'Seht, wir wagen unser Leben, um zu streiten mit Königen der Erde, und zu
morden und zu zertrümmern solche Reiche, die nicht an Christus glauben –
seht doch, da die Juden, die ihn gekreuzigt haben – entweder sie müssen sich
zu ihm bekennen oder wir vertilgen sie von Kind bis Säugling.'
(Anmerkung 6). Und sie hefteten das Zeichen des Kreuzes an ihre
Kleider (Anmerkung 7) und setzten Helme auf. – Und als dies
die Gemeinden in Frankreich hörten, wurden sie von Entsetzen ergriffen. Sie
sandten sofort Boten mit Briefen an die Gemeinden in den Rheingegenden, dass
sie noch fasten und den, der in der Höhe thront, bitten möchten, dass er sie |
retten
wolle aus der Hand ihrer Verfolger. Und als ein solches Schreiben bei den
gottesfürchtigen berühmten Männern in Mainz (Anmerkung 8)
anlangte, schrieben sie den jüdischen Gemeinden Frankreichs folgende
Antwort: 'Alle Gemeinden (nämlich am Rhein) haben Fast- und Bußtage
angeordnet. Wir tun das Unsrige. Gott möge Euch retten aus aller Not und
Bedrängnis. Wir sind Euretwegen sehr in Ängsten. Was jedoch uns anbelangt,
so haben wir kaum etwas von der Sache gehört.' (Anmerkung 9)
Und als die Irrenden (Anmerkung 10)anfingen, hereinzukommen in
dieses Land (Anmerkung 11), da verlangten sie Geld, um Brot zu
kaufen. Wir gaben es ihnen. Wir dachten über uns nach - betrübten
(Anmerkung 12) sie doch den König überall und lebten! All dies half
uns aber nichts – unsere Sünden verursachten es - denn die Städter
(Anmerkung 13) in jener Stadt, wohin die Irrenden kamen, reizten
diese wider uns auf, standen ihnen bei, um Weinstock und Wurzel auf dem
ganzen Wege bis Jerusalem auszurotten. – Als nun eine sehr große Schar der
Irrenden angelangt war, da sprachen einige der Herren (Vorgesetzte, Ritter,
Grafen etc.), welche in diesem Königreich sich befanden: 'Warum bleiben wir
so müßig? Lasst uns mit ihnen ziehen! Denn ein Jeder, der diesen Weg geht
und sich den Strapazen und Mühen der Reise unterwirft, um zum Grabe des
Nazareners zu gelangen, ist zur Seligkeit im Paradiese bereit und bestimmt.'
Und die versammelten sich, die Irrenden und sie (die Städter), sowohl Herren
als gemeines Volk aus verschiedenen Provinzen, bis sie so viel als Sand am
Meer waren, und ließen bekanntmachen: 'Wer einen Juden tötet, dessen Sünden
sollen vergeben sein.' – Auch ein Pechach (Anmerkung 14)
(Ritter, Graf, Bischof etc.) war da, der Dithmar (Anmerkung 15)
hieß. Dieser sagte, er gehe nicht aus diesem Königreiche hinaus, bis er
einen Juden getötet hat, nur dann werde er gehen seines Wegs. – Und es
geschah als die Gemeinde zu Mainz dieses alles hörte, das schrien sie
gewaltig zu Gott, verbrachten Tag und Nacht im Fasten und Beten, auch
Klagelieder rezitierten sie, und dennoch hat sich Gottes Zorn nicht von uns
gewandt. Vielmehr kamen die Irrenden mit ihren Zeichen herbei, stellten sich
vor unsern Häusern auf, und erblickten sie einen von uns, liefen sie ihm
nach und stachen ihn mit Spießen, sodass wir nicht mehr unsre Türschwelle zu
überschreiten wagten. – Und es geschah am 8. des Monats Adar (Anmerkung
16), an einem Sabbath, da fing das schreckliche Verhängnis uns zu
treffen an. Da standen nämlich die Irrenden und die Städter zuvörderst gegen
die heiligen Männer der Gemeinde Speyer auf. Sie fassten den Entschluss, die
Juden alle in der Synagoge zu ergreifen und als sie sahen, dass ihr
Ratschluss vereitelt war, indem die Juden in der Frühe die Synagoge besucht,
daselbst eilends gebetet und sie schnell verlassen hatten, da fielen sie
über dieselben außerhalb der Synagoge her und töteten 11 Personen. Als aber
der Hegemann (Anführer, Herr, Bischof) Johann (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_I._(Kraichgau)) es hörte, kam
er mit Mannschaft herbei, um der Gemeinde Hilfe zu leisten. Viele Juden
brachte er in seine Gemächer, um sie vor der Mörderbande zu schützen. Einige
von den Städtern (Anmerkung 17) ließ er ergreifen und ihnen
die Hand abhauen. Durch ihn hat uns Gott Rettung gebracht. Auch lebte
daselbst ein Gemeindevorsteher: Rabbi Moses ben Jekuthiel. Dieser setzte
sein Leben für seine Brüder ein und bewirkte, dass die zur Taufe
Gezwungenen, welche noch hier und da im Königreiche Heinrichs vorhanden
waren, zu ihrer Religion zurückkehrten. Und auf Anordnung des Königs hat der
Bischof Johann sie in Burgen, feste Plätze gebracht, bis die Feinde Gottes
vorüber waren. Daselbst fasteten, weinten und beteten sie stets; sie waren
auch ihres Lebens überdrüssig; denn täglich sammelten sich ihre Feinde – und
Emmichen (Anmerkung 18, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Emicho_(Kreuzfahrer)) war bei ihnen -
um sie zu ergreifen und sie auszutilgen (Anmerkung 19)- Also
durch von Bischof Johann, der keine Bestechung annahm, dessen Herz vielmehr
Gott erfüllte – er war ein sehr frommer Mann – brachte Gott uns Rettung.
Anmerkungen des Einsenders
1) TTNW: Diese 4 hebräischen Buchstaben bedeuten als Zahlzeichen
856, d.h. das 856ste Jahr des fünften Jahrtausends nach Erschaffung der
Welt, das ist 1096 n. Chr.
2) In der Klag- und Bußliedersammlug (Selichot) rührt die bekannte Selicha (hebräisch
und deutsch:) 'Die Stimme ist Jakobs Stimme' von Kalonymos ben
Jehuda (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden) her. Da es aber 2 Kalonymos
ben Jehuda gab, einen in Mainz und einen in Speyer, so ist's nach Ansicht
des Herrn Dr. Grätz zweifelhaft, wer von beiden der Verfasser dieser Selicha
sei. Da aber in dem von mir entdeckten Manuskript der Mainzer Vorgänge
solche eigentümlichen Bezeichnungen von Jammerszenen vorkommen, die sich
wörtlich in der erwähnten Selicha wiederfinden, so ist es mir fast gewiss,
dass Letztere die Klagetöne und Seufzer eines Leidensgenossen und
Augenzeugen in Mainz enthält und einen solchen zu ihrem Urheber hat.
3) Die Großherzogliche Hofbibliothek (heute Stadtbibliothek Worms)
dahier ist eine der größten Deutschlands. Ihre Verwaltung ist gegenwärtig
unter der ein- und umsichtsvollen Direktion des Herrn Geheimrat Dr. Walter
eine ausgezeichnete. Die Anschaffung neuer Werke wird allen Gebieten des
Wissens, auch dem rabbinisch-talmudischen, gebührende Rechnung getragen.
4) Die Dezisionen können nicht früher als gegen das Ende des 13ten
Jahrhunderts verfasst worden sein; denn ihr Verfasser zitiert außer anderen
Autoritäten aus der Tosaphisten-Schule (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Tosafot) auch den berühmten Rabbi Meier
ben Baruch aus Rothenburg, bekannt unter dem Namen Maharam. Er führt
nur seine mündlichen Aussprüche an und scheint ein Schüler von ihm gewesen
zu sein. Rabbi Meiers Lehrhaus blühte aber erst in der zweiten Hälfte des
13ten Jahrhunderts; er wurde 1286 nach dem Schloss
Ensisheim im Elsass gebracht, wo er in
Gewahrsam blieb, bis er 1293 starb; seine Leiche wurde aber erst 1304 nach
Worms gebracht und dort begraben. Bei Abfassung der Dezisionen war Rabbi Meïer
schon gestorben, denn der Verfasser fügt bei dessen Namensnennung immer
(Hebräisch) hinzu, womit man nur einen Toten ehrte. - Dass er das von Ascher
ben Jechiel, Rabbiner zu Toledo (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ascher_ben_Jechiel) (starb 1327) verfasste
Hauptwerk für talmudische Gesetzeskunde, bekannt unter dem Namen Rosch
nicht kannte, geht daraus hervor, dass er ihn nie anführt, was jedoch nicht
auffällig sein kann, wenn man erwägt, dass 50 Jahre nach dem Tode des |
Rabbi
Ascher, dessen Schriften noch etwas Seltenes in den Rheingegenden waren
(Leopold Zunz: Zur Geschichte und Literatur, S. 211
Link zur Seite). – Der Verfasser der Betrachtung über den Messias
kann spätestens, da er die Ankunft desselben noch vor Ablauf des 5ten
Jahrtausends nach Erschaffung der Welt erwartete, im Anfange des 13ten
Jahrhunderts gelebt haben. Wann der Verfasser des Berichts über die
Verfolgungen gelebt hat, lässt sich nicht genau bestimmen.- Die Schrift
dieser drei verschiedenen Geisteszeugnisse kann nur, da sie sicher vor einer
und derselben Hand herrührt, entweder vom Verfasser der Dezisionen oder, was
mir wahrscheinlicher ist, von einem Abschreiber (Kopisten) geschrieben
worden sein.
5) Hier ist wieder ein Beispiel, dass im Mittelalter öfters nach der
Tempelzerstörung gezählt wurde. Die Vermutung des Herrn Dr. Grätz
(Geschichte der Israeliten, Band IV), dass das rätselhafte 2. Datum an der
Synagoge zu Worms, welches die Erbauung derselben in das Jahr 946 verlegt,
von der Zerstörung des Tempels an gerechnet wäre, ist demnach wohlbegründet.
6) Im Hebräischen ist dies ein bildlicher Ausdruck in der Bedeutung von
Alles. In der Tat aber schonten die Unmenschen auch die Säuglinge nicht.
In Schlossers Weltgeschichte Band V wird von den Kreuzfahrern, welche am 15.
Juli 1099 Jerusalem eroberten, berichtet: 'Die ganze Nacht hindurch wurden
die Moslemen gewürgt. Man metzelte alle Ungläubigen nieder und schonte nicht
einmal die Säuglinge.'
7) Schti waErew habe ich mit Kreuz übersetzt. Wörtlich heißt Schti
Aufzug (Zettel) und Erew heißt Durchschlag. Das Bild ist vom Gewebe
hergenommen und bezeichnet etwas, das sich kreuzt. Talmud Chullin 109b (hebräisch
und deutsch:) 'Er zerreißt es (das Herz) in Länge und Breite.'
8) Seit Anfang des elften Jahrhunderts wurde
Mainz als der Sitz talmudischer Gelehrsamkeit angesehen. Diesen Ruf
hatte es wesentlich den ausgezeichneten Leistungen des eine lange Reihe von
Jahren daselbst in Wort und Schrift lehrenden Rabbi Gerschom ben Jehuda
(vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gerschom_ben_Jehuda) zu verdanken, den
man die Leuchte des Exils nannte, um anzudeuten, wie viel man ihm zu
verdanken habe. Die von ihm gegründete Talmudschule wurde auch von Raschi
besucht. Von seinen Anordnungen, die zu allgemeinen Annahmen gelangten,
waren 3 besonders wichtig: 1) die gänzliche Abschaffung der Polygamie, eine
Verordnung, welche auch die mosaische Levirats-Ehe (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Levirat) berührte; 2) dass eine Frau
ohne ihre Einwilligung der Scheidebrief (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Scheidebrief) nicht behändigt werden
dürfe, und 3) das Briefgeheimnis, welches zu brechen bei Strafe des Bannes
verboten war. Dies ist umso notwendiger gewesen, als damals die Briefe durch
Boten übermittelt wurden.-
9) Diesen den Ereignissen vorangegangene und den damaligen Verhältnissen
angemessene Briefwechsel zwischen Mainz und den bedrohten Gemeinden ist,
meines Wissens, noch in keinem anderen Berichte erwähnt worden.
10) Hato'im Die Irrenden. So pflegten die Juden des Mittelalters die
Kreuzritter zu nennen. Leopold Zunz, Zur Geschichte und Literatur, S. 182 (Link
zur Seite), übersetzt 'die Herumirrenden', wahrscheinlich von ihrem
unsteten Umherziehen. Mir scheint es aber, dass man dabei auch an ihre
irrigen Ansichten und Neigungen dachte, daher übersetze ich 'die Irrenden'.
11) Damals begriff man unter dem Lande Lothringen auch noch die Gegenden des
linken Rheinufers und die Gelehrten in Speyer, Worms und Mainz nannte man
die Gelehrten Lothringens.
12) Die Stelle lautet: Awru et melech wechiu. Sie ist schwierig,
scheint aber folgenden Sinn zu haben: Im damaligen heftigen Streit zwischen
dem Papst Urban II. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Urban_II.) und König Heinrich IV von
Deutschland (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_IV._(HRR)), haben solche
gewiss das Kreuz nicht genommen, welche Letzterem treu gesinnt waren. Lag
doch dem Papste bei seiner an die Völker ergangenen Aufforderung, einen
Kreuzzug gegen die Sarazenen zu unternehmen, die offenbare Absicht am
Herzen, die Völker unter päpstlicher Hierarchie zu vereinigen und dadurch
die Macht des Königstums zu schwächen! - So finden wir denn auch, dass die
ihm Jahre 1091 der jüdischen Gemeinde zu Speyer vom König Heinrich IV
ausgestellte, den Juden höchst günstige Urkunde von der kreuzzüglerischen
Schar verhöhnt und missachtet wurde.- Unsre Stelle will demnach fragen, sie
konnten den König missachten, ohne das Leben zu verwirken.-
13) Ironim Stadtbewohner, Städter. Der Verfasser hat von Ir (=
Stadt) ein Denominaticum gebildet, wie von Schilo - Schiloni. - Doch
hat sich nur ein Teil der Städter mit den Kreuzzüglern verbunden, das
räuberische Gesindel; die andern blieben gleichgültig oder standen öfters
den Juden noch bei. Woher hätte denn der Bischof Johannsen die Mannschaft
erhalten können, mit welcher er gegen die Angreifenden einschritt, als aus
der Mitte der Städter?
14) Pächa heißt eigentlich Statthalter, der Verfasser scheint aber
Ritter, Grafen etc. so benannt zu haben, wie sie meistens ihre Besitzungen
zu Lehen (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Lehnswesen) hatten, demnach als
Statthalter angesehen werden konnten.
15) Die Geschichte der Kreuzzüge erzählt nichts von einem Dithmar,
demungeachtet kann derselbe noch existiert und das getan haben was hier
berichtet wird. Einen Adhemar von Puy (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Adhemar_de_Monteil) gab es, der zuerst
auf der Versammlung zu Clermont das Gelübde des Kreuzes ablegte und könnte
hier ein Schreibfehler eingeflossen sein. - Es ist merkwürdig, dass sowohl
in diesem wie in manchem anderen jüdischen Berichte nichts von Peter von
Amiens (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_der_Einsiedler) erwähnt wird.
Sollte dies nicht, wenn auch nur eine sekundäre Bestätigung der Behauptung
des Herrn Heinrich von Sybel in seiner Geschichte des ersten Kreuzzuges
sein, dass nämlich die Erzählung, Peter von Amiens habe zuerst den Papst
Urban II. und dann die Völker zur Unternehmung des Kreuzzuges aufgerufen,
nur eine Sage sein, die der geschichtlichen Wahrheit entbehre? Man wollte
die Askese verherrlichen und an dem Eremiten Peter zeigen, wessen sie
gewürdigt werde und welche Taten sie zu vollbringen im Stande sei. – In
Wahrheit aber sei es der Papst gewesen, der den Impuls zu diese großen
Völkerbewegung gegeben habe. – Herr Dr. Grätz hat in seiner Geschichte der
Juden (Band IV, S. 95) die gewöhnliche Meinung über Peter von Amiens
beibehalten.
16) Hier steht bejom chet bechodesch adar bejom haschiwa, während
nach Grätz im Berichte des Rabbiners Elieser Ijar steht (sc. zwei
unterschiedliche Monatsangaben). Möglich, dass hier ein Schreibfehler
vorhanden ist.
17) Nach Grätz waren es Wallbrüder, nach unserem Berichte aber Städter, die
Bischof Johann bestrafen ließ. Die Angabe unseres Berichts ist
wahrscheinlicher, indem über die Wallbrüder der Bischof schwerlich eine
Jurisdiktion besessen hat.
18) Lehaschmid otam kann ebenso gut bedeuten: 'Sie zu töten', als
durch Verlassen ihrer Religion sie aus der Gemeinde 'zu tilgen'.
19) Dieser Emmichen oder Emigo, Graf von
Leiningen war ein gewissenloser, blutdürstiger Wüterich. (Fortsetzung
folgt) . |
Fortsetzung
des Beitrages von Moses Mannheimer (Teil 2)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 16. Mai 1876: "(Fortsetzung)
Und es geschah, als in Worms die Nachricht angelangt, dass ein Teil der
Speyer’schen Gemeinde getötet worden war, da schrien sie zu Gott und weinten
bitterlich; denn sie sahen ein, dass vom Himmel ein böses Verhängnis über
sie beschlossen, dem sie nicht ausweichen konnten, weder nach vorwärts noch
nach rückwärts. Und die Gemeinde teilte sich in zwei Abteilungen: Die einen
flohen zum Bischof (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Johannes_I._(Kraichgau)), in dessen
Schlösser und Burgen, und die anderen blieben in ihren Häusern, vertrauend
auf die Zusicherung der Städter, die zu ihnen gesagt hatten: 'Fürchtet Euch
nicht vor ihnen (den Kreuzfahrern); denn wer einen von Euch tötet, der werde
mit dem Leben bestraft.' Allein die Versicherungen der Städter waren Worte
der List und Falschheit, geknicktem Rohre gleich, das die Hand beschädigt,
die sich darauf stützt. Sie standen den Herumirrenden bei, um uns Namen und
Überrest auszutilgen. Auch entfliehen ließen sie sie (die Jehudim =
Juden) nicht; denn die Mitglieder (Anmerkung 1) der Gemeinde hatten
ihnen ihr Gold zur Aufbewahrung gegeben, darum haben diese sie überliefert (gemeint:
ausgeliefert; nämlich den Wallfahrern). –
Und es geschah am 10. Ijar (Anmerkung 2) = 5. Mai 1096, an einem
Sonntag, da fassten sie listige Anschläge. Sie holten einen schon 30 Tage
lang begrabenen Leichnam herbei, trugen ihn in der Stadt umher und riefen
aus: 'Seht, was die Juden in unserer Nachbarschaft getan haben! Sie haben
einen Christen im Wasser gebrüht und dasselbe in unsere Brunnen geschüttet,
um uns zu töten.' Und als die Umherirrenden und Städter dies hörten, da
erhoben sie einen gewaltigen Lärm, versammelten alle Waffentragenden und
sprachen: 'Jetzt ist die Zeit gekommen, den zu rächen, den ihre Väter
gekreuzigt haben. Nun soll keiner von ihnen übrig bleiben, selbst Säuglinge
nicht in ihren Betten (Wiegen).' Und sie drangen in die Häuser und
erschlugen die, welche sich darin befanden: Greise und Greisinnen, Jünglinge
und Jungfrauen, sogar Knechte und Mägde. Alle ließen sich töten, zur
Heiligung des göttlichen Namens, des furchtbaren und ewigerhabenen, der da
herrscht in der Höhe und in der Tiefe. Er war und ist, ewiger Zebaoth ist
sein Name. Er ist gekrönt mit den Regeln (Gesetzen) der 72 Namen
(Anmerkung 3). Er schuf die Thora 974 Geschlechter (Zeitalter) vor der
Erschaffung der Welt. Und 20 Geschlechter vergingen von der Erschaffung der
Welt an bis auf Moses, den Vater der Propheten, durch welchen die heilige
Thora uns geworden ist. Und dieser Moses war herbeigekommen und hat in
dieselbe hineingeschrieben: 'Dem Ewigen hast du kundgetan, sein Volk bleiben
zu wollen.' Auf ihn und seine heilige Thora wurden sie wie Ochsen geschlagen
und auf öffentlichen Plätzen und in Straßen umhergeschleift, wie Schafe zur
Schlachtbank geschleift werden. Sie lagen da nackt, denn sie (ihre Mörder)
hatten sie entkleidet und nackt liegen lassen. -
Als nun die Übriggebliebenen ihre Brüder nackt und die Töchter Israels, die
züchtigen und verschämten, nackt da liegen sahen, da sprachen einige von
ihnen, der schrecklichen Not nachgebend: 'Lasst uns momentan ihren Willen
tun (nämlich die Taufe annehmen), damit wir unsre Brüder begraben dürfen und
unsre Kinder aus ihrer Hand retten.' Denn die Herumirrenden hatten die an
geringer Zahl übriggebliebenen Kinder ergriffen, um sie zu nötigen, ihren
Glauben anzunehmen; diese hatten es jedoch verweigert, blieben vielmehr
Gott, ihrem Schöpfer, treu. Auch die übrigen in den Gemächern des Bischofs
sich befindenden Gemeindemitglieder, darunter Häupter (Vorsteher) und
Wohltäter sandten den (den Mörderhänden der Kreuzzügler) Entronnenen Kleider
um die Getöteten zu bekleiden, und ließen ihnen den (zur Taufe) Gezwungenen
(Anmerkung 4) Worte des Trostes sagen: 'Fürchtet Euch nicht und
nehmet Euch das, was ihr getan, nicht zu Herzen, denn wenn uns der Heilige,
gelobt sei er, aus der Hand unsrer Feinde rettet, so werden wir mit Euch
sein im Leben und im Tode, weichet nur nicht vom Ewigen' (nämlich in Euerem
Inneren). –
Und es geschah am 25. Ijar = 20. Mai 1096, da sprachen die Herumirrenden und
die Städter: 'Seht, da sind noch die, welche in den Gemächern des Bischofs
übriggeblieben, lasst uns auch an ihnen Rache nehmen!' Und es sammelten sich
(Leute) aus den Dörfern in der Umgegend und die Herumirrenden und die
Städter und belagerten sie und kämpften mit ihnen (den Juden), und es
entbrannte ein heftiger gegenseitiger Kampf, bis jene die Gemächer erobert
hatten, worin die Kinder des heiligen Bundes sich befanden. Und als diese
einsahen, dass aus diesem Kampfe kein Entkommen möglich war, da erkannten
sie das über sie vom Könige aller Könige verfügte Urteil als gerecht an und
brachen Opfer der Frömmigkeit, indem sie sogar ihre Kinder ergriffen und
schlachteten auf die Einheit des göttlichen Namens, mit ganzem Herzen. –
Daselbst wurden die Besten der Gemeinde getötet. –
Und es befand sich daselbst (nämlich in den Räumen des bischöflichen
Palastes) ein junger Mann, Rabbi Meschullam ben Isaak. Er rief allen
Umstehenden sowie seiner Frau Zipporah (Anmerkung 5) mit erhobener
Stimme zu: 'Höret mich an, ihr Großen und Kleinen! Diesen Sohn hat mir Gott
gegeben, meine Frau Zipporah gebar ihn mir in ihrem vorgerückten Alter, er
heißt Isaak. Jetzt will ich ihn zum Opfer bringen wie dereinst unser Vater
Abraham getan mit seinem Sohne.' Aber Zipporah |
antwortete:
'Ach mein Herr, warte noch ein wenig, lege nicht deine Hand an den Knaben!
Ich habe ihn in meinem vorgerückten Alter geboren und ihn großgezogen (mit
einer Liebe) wie der Adler seine Jungen hegt und pflegt.' Er aber sprach:
'Ich zögere keinen Augenblick. Der ihn mir gegeben, nehme ich ihn als sein
Teil zurück und bringe ihn in den Schoß unseres Vaters Abraham.' (Anmerkung
6). Und er nahm das Schlachtmesser und sprach die Benediktion des Schächters
aus, worauf der Knabe laut sprach: Amen! und schächtete seinen Sohn. Hierauf
ergriff er seine laut schreiende Frau, und sie gingen vereint aus dem
Zimmer, und die Herumirrenden töteten sie.-
Und es befand sich daselbst (Worms) ein junger Mann, Isaak ben Daniel.
Diesen fragten sie (die Kreuzfahrer): '´Willst du deinen Gott vertauschen?'
Er antwortete: 'Fern sei es von mir, ihn zu verleugnen. Im Vertrauen auf ihn
will ich mich stärken und dann ihm meine Seele übergeben.' Und sie banden um
seinen Hals einen Strick, schleiften ihn damit im Gassenkot bis zur Kirche,
und da seine Seele noch in seiner Höhlung (Anmerkung 7) (Innere) war,
sprachen sie zu ihm: 'Noch kannst du dich retten. Willst Du deinen Gott
vertauschen?' Er aber, der nicht mehr sprechen konnte, gab ein Zeichen mit
seinen Fingern, andeutend: 'Schneidet mir den Kopf ab!' Und sie taten es. –
Und die Übrigen, nachdem sie täglich gefastet und schwach geworden, dass sie
sich nicht zur Wehre setzen konnten, und nachdem sie ihre getöteten
Hausgenossen und Freunde beweint hatten, übergaben sie ihr Leben, sprechend:
'Lasst uns fallen in die Hand Gottes und das große Licht im Jenseits
schauen.' -
Noch ein junger Mann war daselbst, Rabbi Simcha Hakohen, Sohn unseres
Meisters und Lehrers Isaak Hakohen. Dieser gab ihnen zur Antwort: 'Ich will
Euer Verlangen tun, führt mich aber vorher zum Bischof.' Und sie taten es.
Bis sie nun in der Wohnung des Bischofs ihn zu taufen begannen, zog er ein
verborgen gehaltenes Messer hervor, erstach den Neffen des Bischofs, der
unter ihnen tätig war, und noch zwei andere. Hierauf wurde er getötet. –
Auch eine vornehme Frau befand sich daselbst, Minna. Sie hielt sich
verborgen in einem Hause außerhalb der Stadt unter dem Erdboden. Da
versammelten sich um sie herum alle Stadtleute und sprachen zu ihr: 'Siehe,
du bist ein biederes Weib. Erkenne doch, dass Gott Euch nicht retten will,
Euere Leute liegen tot auf der Straße, und niemand begräbt sie. Taufe dich!'
– Sie fürchteten Hand an sie zu legen, weil die Fürsten des Landes und die
Vornehmen der Stadt bei ihr einzukehren zu pflegten. – Sie aber antwortete:
'Fern sei es mir, meinen Gott zu verleugnen. Auf ihn und seine heilige Thora
sollt Ihr mich töten, zögert nicht.' Und auch diese berühmte Frau wurde
getötet. – Alle wurden daselbst getötet, sie haben sich auch selbst einander
geschlachtet zur Heiligung des göttlichen Namens.
Anmerkungen des Einsenders
1) Manchmal bemerkt man im Manuskript offenbare Schreibfehler. Nach
Rektifizierung lautet diese Stelle also: (Hebräisch) was ich dahin
deute: viele Gemeindemitglieder haben ihr Geld den Städtern, ihren
Versprechungen vertrauend, zur Aufbewahrung übergeben, um es gegen
Raubgesindel zu sichern; aber bei der schlichten Gesinnung der Städter
diente dieser Umstand gerade dazu, dass sie dieselben desto eher den
Kreuzfahrern zur Niedermetzelung überlieferten, weil sie dadurch enthoben
waren, das Geld wieder herauszugeben. – Höchstwahrscheinlich ist’s, dass
nicht alle Städter solche schlechte Gesinnung teilten, und wenn der
Verfasser unter denselben keinen Unterschied setzt, so mag dies ebenso wohl
an der Ungenauigkeit der mündlichen Überlieferung liegen, die ihm geworden,
wie der schriftlichen Aufzeichnung, die er uns mitteilt. Die hebräische
Sprache hat auch Mangel an positiven Fürwörtern wie einige, etliche, manche
etc., darum bedient er sich kurzweg des persönlichen Fürworts in der dritten
Person 'sie', ohne dass er gerade alle darunter verstanden wissen wollte.
Die Solidarität in Beurteilung der Nichtisraeliten ist ohnehin dem Judentume
fremd, wie im Talmud Beispiele zeigen. Andererseits steht die Relation
dieses Manuskripts im Widerspruch mit der Behauptung des Herrn Dr. Grätz
(Geschichte der Juden, Band IV, S. 247): 'Endlich waren die Bürger und der
Rat ganz unschuldig an dem Gemetzel der Wormser Gemeinde beim ersten
Kreuzzug. Ihre Henker waren lediglich die Kreuzzügler und der Bischof.' -
2) Die Tagesdaten stimmen mit Rabbi Elieser ben Nathan nicht überein.
3) Bekanntlich eine Vorstellung der jüdischen Mystik, Kabbalah. Neben dieser
finden wir in dem Berichte dieses Martyriums Züge einer jüdischen Askese:
Tag und Nacht, fasten, sich kasteien, beten etc.; die übrigens in den
Büchern der heiligen Schrift ihr Vorbild findet, und in Zeiten der Gefahr
und des Schreckens so natürlich ist, vgl. Joel 1,14. 2,15.17. Jona 3, 5.7.8.
Esther 4, 3.16. und von anderen Stellen.
4) (Hebräisch:) Zur Taufe Gezwungenen. Später, als sich der
kreuzzüglerische Schwarm verzogen hatte, beanstandeten fromme Israeliten,
die als ihre Brüder anzusehen, welche sich aus Todesfurcht hatten taufen
lassen, obgleich sie sofort wieder zum Judentume zurückgekehrt waren. Als
dies Raschi (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Raschi) zu Ohren kam, sprach er sich
entschieden dagegen aus: 'Ferne sei es von uns, uns von den Zurückgekehrten
abzusondern. Nur aus Furcht vor gewissem Tode haben sie es getan (sich
getauft), sind aber sofort wieder zu uns zurückgekehrt.' Nicht lange nachher
starb Raschi, 13. Juli 1105. – Um uns zu zeigen, warum die Israeliten ein
unbezwingliches Entsetzen vor dem damaligen Christentum und der Taufe
empfunden haben, verweisen wir auf Grätz (Geschichte der Juden, Band VI, S.
103).
5) Ulemarat Zipora tiomato Wörtlich: Und der Gebieterin
(Herrin) Zippora, seiner Schwester. Also bezeichnet Rabbi Meschullam seine
Frau, die er sogleich Ischti (= meine Frau) nennt. Bekanntlich wird
in jüdischen Schriften seit uralter Zeit der Frau das Epitheton (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Epitheton) (Marta, Marat) (chaldäisch)
Herrin, Gebieterin beigelegt, als Beweis, in welcher hohen Achtung die
Frauen im Judentum standen. Hier wird dieselbe aber auch noch als Ausdruck
inniger Zärtlichkeit Tiomata (chaldäisch) Zwillingsschwester,
Schwester genannt.
6) Der Israelite drückt bei der Erfüllung irgendeines Gebots seinen Dank
gegen Gott aus, dass er ihn dazu gewürdigt und berufen hat. – Der hier
erzählte Vorfall ist so der biblischen Erzählung von der Opferung
nachgebildet und so drastisch dargestellt, dass wir an der Wahrheit des
Faktums zweifeln müssten, wäre es nicht so anderwärts verbürgt. Zunz (Der
synagogale Ritus, S. 20) zählt, unter den namhaften Wormser Märtyrern:
'Zippora, eine alte Frau und ihr Sohn Isaak', doch fehlen ihr Mann und alle
Lebensumstände.
7) Die Konstruktion veranlasste mich, das Wort täläd nicht 'Leben
oder Lebenszeit' zu übersetzen, sondern nach dem Chaldäischen 'Höhlung'.
(Fortsetzung folgt)
Worterklärungen: Herumirrende - Kreuzzügler; Kreuzfahrer – Kreuzzügler;
Wallfahrer – Kreuzzügler, auf dem Weg nach Jerusalem.
|
Fortsetzung
des Beitrages von Moses Mannheimer (Teil 3)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 23. Mai 1876: "Fortsetzung (Teil 3 / Schluss).
Und es geschah, als die frommen Männer der heiligen Gemeinde zu
Mainz hörten, dass ein Teil der Gemeinde
Speyer und die ganze Gemeinde Worms
getötet worden, schmolz ihnen das Herz zu Wasser, und sie schrien zu Gott:
'O, Ewiger, willst Du dem Reste Israels ein Ende machen?' Und es traten
zusammen die Führer der Gemeinde Speyer
und begaben sich zu dem Bischof und seinen Beamten und sprachen: 'Was sollen
wir Juden unter diesen Umständen tun?' Diese antworteten: 'Höret unsern Rat!
Bringet all Euer Geld in unsere Schatzkammern zur Aufbewahrung und Ihr, Eure
Weiber und Kinder, begebet Euch in den Hofraum des Bischofs, da könnet Ihr
gerettet werden.' Dies (Anmerkung 1) rieten sie, um uns wie Fische im
Netze auf einmal zu fangen und zu ergreifen.- Der Bischof hat auch wirklich
seine Beamten und Diener, sowie Fürsten, Ritter, Herren, Befehlshaber und
Vornehme des Landes versammelt, um uns zu helfen und uns zu retten vor den
Herumirrenden, denn anfänglich war dies wirklich keine Absicht, aber am Ende
wurde es schlecht. (Anmerkung 2). –
Eines Tages kam in den Straßen eine Christin einhergegangen und führte eine
Gans mit sich, die sie von damals an, da dieselbe noch ein Küklein war,
großgezogen hatte, und die gewöhnt war, überall hin ihr zu folgen. Sie
redete alle Vorübergehenden an: 'Sehet, die Gans verstand, dass ich sagte,
ich wolle zur Kirche gehen.' Und alsbald versammelten sich um uns die
Herumirrenden (Kreuzzügler) und die Städter und sprachen: 'Wo ist
Euer Ruhm? (Anmerkung 3) Wie könnt Ihr Euch retten? Sehet, was
Christus diesen Gänsen tut.' (Anmerkung 4) Und sie kamen mit
Schwertern und Lanzen herzu, um uns zu töten, allein ein Teil der Städter
trat dazwischen und litt es nicht.-
Zu selbiger Zeit mordeten sie in der Umgegend des Rheines, weil sie einen
von den Herumirrenden erschlagen hatten, indem sie sprachen: 'All dieses
haben sie den Juden getan.' Und es fehlte wenig, so wären wir alle
umgekommen. Und als die frommen Männer der Gemeinde es erfuhren, redeten sie
mit ihnen harte Worte (dies könnte veranlassen, Anmerkung 5) über uns
herzufallen. Und als sie ihre Worte hörten, sprachen sie: 'O, stürben wir
doch durch die Hand Gottes und nicht durch die seiner Feinde.' – Und sie
ließen ihre Häuser öde und leer stehen, gingen auch nicht zur Synagoge außer
am Sabbat, dies war der letzte Sabbat, der nächste zu unserem Verhängnisse.
Nur wenige Leute gingen hinein zu beten. – Rabbi Isaak ben Jehuda war dabei
– sie weinten jämmerlich.
Und es befand sich daselbst (Mainz) ein
scharfsinniger gelehrter Jünger, Rabbi Baruch ben Isaak. Er sprach zu uns:
'Unser Verhängnis ist unabwendbar. Denn ich und mein Schwäher (Schwager)
Jehuda - - die Seelen, die hier gebetet hatten mit lauter Stimme wie Weinen,
und wie wir die Stimmen hörten, glaubten wir, vielleicht seien einige
Gemeindemitglieder aus dem Hofe des Bischofs hinweg und in der Mitte der
Nacht in die Synagoge gegangen, um da in Not und Herzenskummer zu beten. Wir
liefen an die Synagogentüre und sie war verschlossen. Die Stimmen hörten
wir, schauten aber nichts. Da kehrten wir zurück in das Haus, welches nahe
bei der Synagoge war.' –
Und als wir diese Worte hörten, fielen wir auf unser Antlitz zur Erde und
sprachen: 'Willst Du, Ewiger, dem Reste Israels ein Ende machen?' Und sie
gingen hin und erzählten ihre Begegnisse auch ihren Brüdern im Hofe des
Statthalters und im Hofe des Bischofs. Und auch sie weinten sehr (Anmerkung
6).-
Und es geschah am 1. Siwan (= 25. Mai 1096), da kam Emicho (Anmerkung 7,
vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Emicho_(Kreuzfahrer)), der Bösewicht
mit einem großen Heere aus Herumirrenden und gemeinem Volke bestehend, vor
der Stadt |
an.
Auch er wollte zum Grabe Christi gehen (sc. nach Jerusalem). Er war unser
grausamster Feind, ein Wütrich, der weder den Greis noch den Säugling und
den Kranken verschonte, Alle tötete. – Und sie lagerten außerhalb der Stadt
zwei Tage lang.
Da sprachen die Häupter der Gemeinde: 'Wir wollen ihm (Emicho) Geld senden
und durch ihn an die Gemeinden schreiben, dass sie ihn gut aufnehmen
möchten, vielleicht hilft dieses.'- Sie hatten bereits zwecklos gegen 400
Halbe (Anmerkung 8) (vielleicht halbe Golddenare) an den Bischof,
Statthalter, an die Beamten und Städter verschenkt gehabt. –
Und es geschah am 3. Siwan (27. Mai 1096) mittags, da rückte der Bösewicht
Emicho mit seinem Heere gegen die Stadt heran, und die Städter öffneten ihm
die Tore. Und es sprachen die Feinde Gottes, einer zu andern: 'Sehet, die
Tore sind von selbst aufgegangen, das hat Christus getan, um Rache an den
Juden nehmen zu können.' Und sie zogen mit ihren Fahnen vor das Tor des
bischöflichen Palastes, worin die Juden versammelt waren. Und als die
heiligen Männer die große Menge erblickten, stärkten sie sich im Vertrauen
auf Gott und Bewaffneten sich von groß bis klein und Rabbi Kalonymos ben
Meschullam (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden) stand an ihrer Spitze.
Daselbst war auch ein Chassid, einer der größten des Zeitalters, Rabbi
Menachem (Anmerkung 10) ben Rabana, Rabbi David Halevi. Dieser
sprach: 'Ganze Gemeinde! Heiliget den Namen Gottes, des ehrfurchtsvollen!
Eure Väter sprachen um diese Zeit (der Gesetzgebung auf Sinai): 'Wir wollten
vollbringen und gehorchen.' Und sie riefen laut aus: 'Höre Israel, der
Ewige, unser Gott ist einzigeinig.' (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schma_Jisrael) -
Und (Anmerkung 11) sie (die Juden) näherten sich dem Tore und
kämpften daselbst mit den Herumirrenden und den Städtern; aber die Sünden
verursachten, dass die Feinde siegten und das Tor eroberten. Und die Leute
des Bischofs, welche den Juden versichert hatten, ihnen Beistand zu leisten,
waren die ersten, welche die Flucht ergriffen, sie waren unzuverlässig. Da
drangen denn die Feinde in das Tor und erschlugen alle, die nur finden
konnten, darunter auch Rabbi) Isaak ben Moses. – Nur 53 Personen (Anmerkung
12), darunter auch Kalonymos, flohen durch die Gemächer des 13
Bischofs, bis sie in ein langes Gemach kamen, das man Schinger (Anmerkung
13) hieß, woselbst sie blieben.
Und als die Juden sahen, dass Rettung unmöglich sei, schrien sie: 'Auf,
lasset uns nicht zögern, die Feinde sind gleich da, lasset uns uns selbst
opfern vor unsrem Vater im Himmel! Wer ein Schlachtmesser hat, komme und
schlachte uns zur Heiligung des Namens des Einen-Einzigen; alsdann
durchbohrte er sich selbst. Und sie schlachteten sich gegenseitig. Männer
schlachteten ihre Frauen und Kinder. Manche Frauen warfen den Feinden Geld
zu, um sie so lange aufzuhalten, bis sie ihre Kinder geschlachtet hätten.
Zärtliche Mütter erwürgten ihre Kinder und zeigten deren Gesichter den
Feinden. Jünglinge und Jungfrauen schauten durch die Fenster und riefen den
Feinden zu: 'Sehet, was wir tun, um unsere Gottheit nicht vertauschen zu
müssen.' - Und die Geschlachteten und die Sichselbstentleibten lagen in den
Zimmern in langen Reihen, und das Blut strömte zu den Zimmern hinaus. Und
als die Feinde die Türen zerbrochen hatten und in dieselben eindrangen und
die Juden sich im Blute wälzend fanden, da zogen sie ihnen die Kleider aus,
nahmen deren Geld und schlugen die noch Übriggebliebenen tot.
Nur ein Zimmer widerstand durch seine Festigkeit ihren Angriffen bis gegen
Abend. Als nun die Heiligen (Anmerkung 14) daselbst sahen, dass die
Feinde stärker als sie waren, da rafften sich die Männer und Frauen auf,
schlachteten zuerst ihre Kinder, dann sich gegenseitig. Und es warfen Frauen
Steine durch die Fenster auf die Feinde, und diese schleuderten Steine auf
sie, sodass diesen Gesicht und Leib zerfleischt wurden. Darunter befand sich
auch eine sehr geachtete Frau, Rachel, Tochter der Rabbi Isaak ben Ascher
(vgl.
http://www.jewishencyclopedia.com/articles/8158-isaac-ben-asher-ha-l).
Sie sprach zu ihrer Freundin: 'Ich habe vier Kinder. Auch sie sollt Ihr
nicht verschonen, damit sie nicht im Irrtum erzogen werden.' Ein
Schlachtmesser wurde von einer Freundin herbeigeholt und die vier Kinder,
zwei Söhne, Aaron und Isaak und zwei Töchter, Bella und Matrone (Anmerkung
15), wurden geschlachtet. Und die Herumirrenden, die sie bei ihren
Kindern sitzen, klagen und weinen fanden, erschlugen auch sie (Anmerkung
16). Hierauf warfen sie alle Ermordeten, Geschlachteten,
Sichselbstentleibten aus den Fenstern hinaus. Das taten sie in allen
Gemächern.
Und es entstanden viele Haufen von Leichnamen, so hoch wie Berge (Anmerkung
17). Und unter den zu den Fenstern Hinausgeworfenen waren manche, welche
noch Leben in sich hatten. Sie winkten mit ihren Fingern: 'Gebet uns
Wasser!' Aber die Herumirrenden, die dies merkten, fragten sie: 'Wollt Ihr
euch taufen?' Und da sie es mit Kopfschütteln verneinten und ihre Augen zum
Himmel aufschlugen, wurden sie vollends getötet. –
Nachdem dies vorüber war, gingen die Herumirrenden mit ihren Fahnen in den
Hof des Statthalters, das ist der Burggraf (Anmerkung 18), wo der
übrige Teil der Gemeinde war. Und sie eroberten den Eingang des Hofes,
kämpften mit ihnen und erschlugen auch sie. Daselbst war ein Mann, Mar
Chelbo ben Moses. Dieser sagte zu seinen zwei Söhnen: 'Nun ist das Paradies
und auch die Hölle offen, wählet!' Und sie wählten Ersteres. Hierauf wurden
sie samt ihrem Vater erschlagen. Auch eine Thorarolle fanden die
Herumirrenden in einem Zimmer daselbst, und sie zerrissen sie in Stücke. Da
hoben Männer und Frauen zu klagen und zu jammern an. 'Wie ist doch die
heilige Thora, die wir in der Synagoge so hoch verehrt haben, jetzt zu
Schanden geworden!' Und Rabbi David ben Rabana Menachem sprach: 'Zerreisset
Eure Kleider wegen der heiligen Thora.' Und sie taten also. Und gerade
fanden sie einen Herumirrenden in irgendeinem Zimmer und steinigten ihn. Da
bestiegen die Herumirrenden und die Städter den Söller (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Söller) und schossen mit Pfeilen auf
die dort sich befindenden Juden und stachen sie mit Lanzen. Da war ein Mann,
Max Jakob ben Sulam, dessen Mutter keine Jüdin war, Auch er entleibte sich,
um dem |
Ewigen
treu zu bleiben. Ebenso tat ein Greis, Rabbi Samuel ben Mordchai.
Hierauf zogen die Herumirrenden und Städter in die Stadt, in den Hof eines
Geistlichen. Dort hatte sich der Gemeindeeinnehmer, Max David ben Nathaniel
versteckt, er, seine Frau und Kinder. Der Geistliche sprach zu ihm: 'Siehe,
von den Juden sind nur die übriggeblieben, die die Taufe angenommen haben.
Taufe dich und du bist gerettet.' Er erwiderte: 'Geh hin und sage den
Herumirrenden, sie möchten daherkommen.' Er tat es, und mehrere Tausende
versammelten sich um das Haus. Da rief ihnen Max David zu: 'Ich vertraue auf
den Ewigen. Wenn ihr mich getötet habt, so wird meine Seele im Paradiese
ruhen, ihr aber werdet in die Hölle fahren.' Und sie töteten ihn und alle
seine Angehörigen. –
Ebenso verfuhren sie mit einem andern Manne, der in seinem Hause geblieben
war, Rabbi Salomon ben Naamon. Als er ihr Verlangen, sich taufen zu lassen,
verneinte, erschlugen sie ihn und seine Angehörigen. -
Ich habe hier einige Männer mit Namen (Anmerkung 19) angegeben. Was
hingegen andere Gemeindeglieder, insbesondere die Führer der Gemeinde für
die Einheit des Königs aller Könige gesprochen und gewirkt haben, wie Rabbi
Akiba (Anmerkung 20, vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rabbi_Akiba) einst getan, ist mir
nicht näher bekannt geworden. – Gott erlöse uns von dieser Trübsal.
Anmerkungen des Einsenders:
1) Diese Absicht scheint wenigstens bei dem Bischof nicht vorhanden gewesen
zu sein, wie dies aus den nachfolgenden Worten hervorgeht
2) (Hebräisch), eigentlich heißt es: Und zuletzt wurde er sauer;
allein wir finden den Ausdruck schon im Talmud rosch haschana 3 b bildlich
in der Bedeutung von 'schlecht' gebraucht. – Über das Verhalten des Bischofs
Ruthart (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruthard_(Mainz)) sind die Meinungen
geteilt. Die einen beschuldigen ihn, den Überfall begünstigt und am Raube
teilgenommen zu haben, während die andern ihn von aller Schuld freisprechen.
Der Verfasser des vorliegenden Berichts scheint das Richtige mitgeteilt zu
haben. 'Anfänglich hatte er den Willen, uns zu retten, zuletzt wurde er
'schlecht'. Dass er die Absicht hatte, sie zu retten, beweist die
Mannschaft, die er zur Beschützung der in seinem Hofraume sich befindenden
Juden aufgeboten hatte. Als aber dieselbe zu schwach war, der großen Masse
der Kreuzfahrer Widerstand zu leisten, und als die Juden allesamt teils
durch die Kreuzfahrer, teils durch Selbstentleibung umgekommen waren, wollte
er ihre Schätze nicht ganz den bluttriefenden Händen des kreuzzüglerischen
Gesindels überlassen. Er nahm teil am Raube und wurde deshalb später von
Heinrich IV. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_IV._(HRR)) zur Rechenschaft
gezogen.
3) (Hebräisch) Ruhm, es könnte jedoch auch ein im Talmud vorkommendes
chaldäisches Wort (Chaldäisch) sein und Gewinn, Vorteil bedeuten.
4) Man müsste solchen Blödsinn für ein Märchen halten, fände er sich nicht
anderwärts bestätigt. Grätz (Geschichte der Juden, Band IV, S. 162) erzählt
von den Wallfahrern unter den französischen Ritter, Wilhelm der Zimmermann:
'Sie hatten eine Gans und einige Ziegen, die sie vor sich gehen ließen, und
von denen sie glaubten, sie seien vom heiligen Geiste angehaucht und würden
ihnen den Weg nach Jerusalem zeigen.'
5) Das Eingeklammerte habe ich suppliert. Der ganze Absatz ist dunkel. Man
weiß selten, wer das Subjekt der Handlung ist.
6) Die hier erzählte Begebenheit ist sehr dunkel. Meines Erachtens soll sie
den Gedanken darstellen, man habe mitten in der Nacht eine
weinerlich-betende Stimme von abgeschiedenen Seelen vernommen, und dies habe
man als ein böses Omen angesehen.-
7) Dass dieser Emicho, Graf von Leiningen (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Leiningen_(Adelsgeschlecht)), ein
Bösewicht war, bezeugen die Historiker. Schlosser, (Weltgeschichte, Band 5)
nennt ihn roh, gewalttätig; H. von Sybel (a.a.O. S. 245) nennt ihn grausam,
tyrannisch und Grätz (a.a.O. S. 105) gewissenlos, blutrünstig. Dieser Graf
Emicho hauste in der Gegend von Mainz. Der Auswurf der englischen,
flandrischen, französischen und lothringischen Völker versammelte sich
daselbst unter seiner Anführung, sodass seine Schar auf 14.000 Kreuzfahrer
anwuchs. Auch Wilhelm der Zimmermann, Vicomte von Melun (vgl.
https://www.geni.com/people/Guillaume-de-Melun-Vicomte-de-Melun/6000000002248212482),
dieser rohe, gewalttätige Mensch, der durch Plünderung französischer Bauern
sich die Mittel zum Zuge erworben hatte, war zu Emicho gestoßen. Dieser
Emicho soll auch derjenige gewesen sein, welcher den Plan zur Vertilgung der
Juden zuerst entworfen und als zündenden Funken unter die verwilderten
Kreuzscharern geschleudert habe.
8) Im Manuskript heißt es (Hebräisch), worunter ich 400 Golddenare (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Denarius) verstand, weil diese
Münzsorte seit den Karolingern (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karolinger) stark im Umlauf war.
9) Dieser Meschullam ist wahrscheinlich der bekannte fruchtbare Pajetan, der
zu den Lehrern Raschis gezählt wird.
10) Dieser Menachem könnte vielleicht der in Tosaphot vorkommende sein, doch
ist dies hier ungewiss. Sein Vater Rabbi David Halevi ist der Verfasser der
bekannten Selicha (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Slichot) Adonai elohai rabbat
zeraruni, welche die Kreuzzugsschrecken zum Thema hat.
11) Der Verfasser unterbricht hier häufig die Erzählung von dem Geschehen
mit dem Ausdrucke des tiefsten Schmerze, den sein Herz empfindet, und mit
Worten des Trostes, die er den Märtyrern in den Mund legt. Er beklagt es,
dass mit der Hinschlachtung so vieler frommer und gelehrter Männer der Glanz
des Torastudiums sich verdunkelt habe; Demut, Frömmigkeit und echte
Wohltätigkeit geschwunden seien. 'Sonne und Mond, ruft er aus, warum habt
Ihr Euer Licht nicht entzogen denen, die den Namen Israels austilgen
wollten?' Die Märtyrer lässt er sagen: 'Wir vertauschen dieses Leben der
Not, Finsternis und Vergänglichkeit mit dem Leben der Freude, des Lichtes
und der Ewigkeit. Sein Stil erinnert an die Dichter der Buß- und Klagelieder
(Selichot weKinot). Des Zusammenhanges und der Abkürzung willen, habe
ich diese eingefügten elegischen Stücke weggelassen.
12) Elieser ben Nathan berichtet in seinem Martyrologium, in dem Schatzhause
des Doms (Bebait HaOzar schäl tehom) hätten sich an diesem Tage 60
Personen gerettet, die vom Bischof nach dem Rheingau gebracht, aber später
auch von den Feinden erschlagen worden wären.
13) Dieses Wort (Schingir) war mir unerklärlich.
14) Dieser Ausdruck ist antizipatorisch zu fassen, denn erst in der Folge
pflegt man die Märtyrer Heilige zu nennen, gegen den Geist des Judentums,
das nur Einen als heilig anerkennt, das ist Gott. |
15)
Im Manuskript heißt es (Hebräisch), was ich nicht anders als Matrone
deuten kann. Matrone ist ein bei Jüdinnen im Mittelalter häufig vorkommender
Name.
16) Unser Martyrologe hat diese Schlachtszene so drastisch dargestellt, dass
sie auf den Leser einen erschütternden Eindruck zu machen nicht verfehlt.
Bei der Übersetzung habe ich krasse Nebenumstände beiseite gelassen.
17) Nach dem Berichte des zeitgenössischen Rabbi Elieser betrug in Mainz die
Gesamtsumme der Getöteten und Selbstentleibten 1.300 Personen.
18) Im Manuskript (Hebräisch). Burggravo ist Altdeutsch und
bedeutet: Burggraf, Stadthauptmann, Stadtrichter. (Pacha) heißt in
biblischem Gebrauch: Statthalter (Pascha) ist aber hier in dem näher
bezeichneten Sinn zu nehmen. – Im Mittelalter sind manche Burggrafen in
Stadtgrafen (comites urbis) übergegangen. – Die Vorgänge bei dem
Statthalter sind neue Details, die bisher unbekannt waren. Einen Söller,
worauf Juden waren, gegen welche die Kreuzfahrer mit Pfeilen und Lanzen
zuerst kämpften und sie endlich alle getötet haben, kennt wohl Albertus
Aquensis, nicht aber Rabbi Elieser ben Nathan.
19) Die hier besonders hervorgehobenen Namen stimmen mehrenteils mit denen
überein, die auch bei Rabbi Elieser ben Nathan vorkommen.
20) Anspielung auf Rabbi Akiba, den um 130 n. Chr. Rufus unter grausamen
Martern hat hinrichten lassen und der seinen Geist aushauchte, mit dem
Bekenntnis: 'Höre Israel, der Ewige, unser Gott ist einzig-einig.' - " |
Zur Geschichte der Juden von Worms und Speyer (Artikel
von 1897)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. Mai 1897: "Zur Geschichte der Juden von Worms und Speyer.
Von Samson Rotschild – Worms.
Es ist das überaus große Verdienst des Baseler Professors, Dr. Heinrich
Boos (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Boos), dass er das hiesige
städtische Archiv, welches lange Jahr sehr im Argen gelegen, auf
Veranlassung des Freiherrn v. Heyl zu Hernsheim (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heyl_zu_Herrnsheim und
http://www.alemannia-judaica.de/herrnsheim_synagoge.htm) in
vortrefflicher Weise geordnet hat. Nachdem die Ordnung des Archivs im
Wesentlichen 1883 vollendet war, bearbeitete Professor Boos die Wormser
Geschichtsquellen in drei Bänden. Sein neuestes Werk, das vor kurzem
erschienen ist, trägt den Titel: 'Geschichte der rheinischen Städtekultur
von den Anfängen bis zur Gegenwart mit besonderer Berücksichtigung von
Worms.' Freiherr v. Heyl hat das großartig ausgestattete Werk in einer
beschränkten Anzahl von Exemplaren drucken lassen. Es ist
selbstverständlich, dass ein Verfasser, welcher die Geschichte von ehemals
hervorragenden Städten wissenschaftlich zu behandeln hat, nicht gleichgültig
an den alten Dokumenten der jüdischen Gemeinde vorbeigehen kann.
Ebenso selbstverständlich ist es, dass er hierbei sein Hauptaugenmerk der
jüdischen Gemeinde von Worms und Speyer zuwendet. Dies hat der geniale
Professor in so gründlicher und objektiver Weise getan, dass es sicher für
viele Ihrer Leser von Interesse sein dürfte, Näheres zu erfahren.
Nachdem Boos das berühmte Privileg von Heinrich IV. (1056 -1106) (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_IV._(HRR)) für Worms
bespricht, sagt er: 'Höchst bedeutsam ist es, dass als Nutznießer der
Zollfreiheit die Juden in erster Linie von den übrigen Einwohnern von
Worms
genannt werden.' (Judaei et coeteri Vuormatienses). Nicht ohne Grund.
Denn die Juden bildeten ein wichtiges, ja unentbehrliches Element der
damaligen städtischen Bevölkerung. Sie vor Allen waren Kaufleute und werden
als solche ebenfalls in dem Privileg Kaiser Ottos des I. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_I._(HRR)) für Magdeburg vom 9. Juli
965 den christlichen Kaufleuten vorangestellt. Im zehnten Jahrhundert galten
Jude und Kaufmann als synonyme Begriffe.'
Nachdem Boos über das Verhältnis des jüdischen und christlichen Kaufmanns,
über die soziale und geschäftliche Stellung der Juden spricht, fährt er wie
folgt fort: 'In den rheinischen Städten finden wir die Juden schon sehr
früh. Bereits für das Jahr 321 ist die Existenz einer jüdischen Gemeinde in
Köln bezeugt. Im Anfang des 11. Jahrhunderts besuchten die Juden von Mainz
und Worms die Kölner Messe. Der christlichen Sage nach sollten Juden schon
vor der Geburt des Stifters der christlichen Religion in
Worms gewohnt und
ihre Glaubensgenossen in Jerusalem von der Kreuzigung, von der sie glaubten,
dass sie durch Juden stattfand, abgemahnt haben. Darum das Sprichwort:
'Wormser Juden, fromme Juden.' Einzelnen Inschriften auf dem jüdischen
Friedhofe vor dem St. Andreastor in Worms wird ein hohes Alter
zugeschrieben. Wie dem auch sei, jedenfalls beweist die im romanischen Stil
monumental erbaute
Synagoge,
dass in Worms eine große Judengemeinde bestanden hat. Laut einer hebräischen
Inschrift wurde die Synagoge oder die Judenschule 1060 vollendet; urkundlich
wird sie erst seit 1290 erwähnt, auch stammt der jetzige Bau erst aus dem
13. Jahrhundert, der Frauenbau, der 1349 verbrannt sein soll, erst aus der
gotischen Bauperiode und die Raschikapelle ist noch späteren Datums.
Wie es im Mittelalter allgemein üblich war, wohnten die Juden in einem
Quartier, oder einer Gasse zusammen, und zwar in Worms in der Pfarrgemeinde
St. Paul. Damit der Pfarrer in St. Ruprecht in seinen Einnahmen nicht
verkürzt wurde, mussten die Juden wie die Christen Stolgebühren (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stolgebühr) bezahlen. Schon im Jahr
1080 wird die Porta Judaeorum erwähnt, also darf man das Zusammenwohnen der
Juden nicht als eine Folge des Judenmordes (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Emicho_(Kreuzfahrer)) des Jahres 1096
ansehen. Wir wissen ja, dass die Friesen, dass die Welschen (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Welsche) etc. ebenfalls abgesondert in
eigenen Quartieren wohnten. Bei den Juden war das Zusammenwohnen durch ihre
religiöse Stellung bedingt. Ganz besonders lehrreich ist die Urkunde, die
Bischof Rüdiger (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Rüdiger_Huzmann) 1084 zu Gunsten der
Juden ausstellte. Aus früheren Urkunden ist uns bekannt, dass außerhalb der
ummauerten Altstadt Speyer ein Dorf lag, das zum Gerichtsbezirk der Stadt
gehörte. Hier hatten sich, wie zu Straßburg und Köln, Kaufleute, darunter
auch Juden, niedergelassen. Der genannte Bischof Rüdiger, der auch den Namen
Huzmann führte, erklärte nun, dass er aus diesem Dorfe eine Stadt machen
wolle, und dass er in dieser Vorstadt die Juden ansiedle. Damit sie aber
nicht durch die Unverschämtheit des Pöbels gestört werden, will er sie mit
einer Mauer umgeben! Das Land zu dieser Ansiedlung hat der Bischof teils |
durch
Kauf, teils als Geschenk der Markgenossen erworben und schenkte es nun den
Juden, unter der Bedingung, dass sie ihm jährlich einen Zins von 3 ½ Pfund
Speyerer Münze zu Frommen des Domstiftes bezahlen sollen. Zugleich erhalten
sie das Recht, innerhalb ihrer Ansiedelung in der Gegend zwischen da und dem
Hafen, am Hafen und durch die Stadt frei Gold und Silber zu wechseln, zu
kaufen und verkaufen, was sie wollen. Sie bekommen ferner aus dem
Kirchengute einen Begräbnisplatz zum
erblichen Besitz, das Recht, fremde Juden zollfrei bei sich zu beherbergen;
ihr Archisynagogus (Synagogenvorsteher) erhält eine Gerichtsbarkeit, wie sie
der Tribunus urbis, d.h. der Stadtschultheiß (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schultheiß), über die Bürger hat; in
schwierigen Fällen sollen sie an den Bischof oder seinen Camerarius (=
Kämmerer) appellieren. Wach- und Schutzdienste brauchen sie nur innerhalb
ihres Bezirks zu tun, und die Verteidigung führen sie gemeinsam mit den
Mannen des Bischofs. Sie dürfen auch christliche Ammen und Dienstboten
mieten und unkoscheres Fleisch können sie den Christen verkaufen. Als
höchsten Grad des Wohlwollens gewährt ihnen schließlich der Bischof das
beste Recht, das die Juden in irgendeiner Stadt des Reiches besitzen. Diese
neubegründete Judenstadt ist später unter dem Namen der Vorstadt Altspeyer,
im Norden der Stadt, gelegen. Sie wurde 1632 von den Schweden verwüstet und
dem Boden gleichgemacht.
Im Jahre 1090 baten die Speyerer Juden Judas, der Sohn des Calominus,
David, der Sohn des Meschullam und Moses, der Sohn des Guthihel,
für sich und ihre Angehörigen den Kaiser Heinrich IV. um Aufnahme in seinen
Schutz. Sie gehörten einer berühmten Rabbinerfamilie an, die aus Lucca
stammte. Bekanntlich geriet Kaiser Otto II. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_II._(HRR)), nach der
Sarazenenschlacht 982 in große Lebensgefahr, aus welcher er durch Hilfe
eines Juden Kalonymus, Sohn des Meschullam, aus Lucca gerettet wurde. Der
Kaiser bewies ihm seine Dankbarkeit, indem er ihn nach Deutschland
verpflanzte. Diese Familie war im Besitz eines Schutzbriefes (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Judenschutz), den einst ein
karolingischer König ausgestellt hatte. Otto oder seine Nachfolger haben
dieses Privileg bestätigt und aufgrund dieser Bestätigung ließ dann Heinrich
IV. am 19. Februar 1090 zu Speyer den obengenannten drei Juden eine
Neuausfertigung ausstellen, und zwar in einer Fassung, die zu Gunsten des
Bischofs Rüdiger von Speyer geändert worden war. Auch die Wormser Juden
erhielten zur Zeit, als Salmann Judenbischof https://de.wikipedia.org/wiki/Judenbischof
war, vom Kaiser Heinrich IV. einen Schutzbrief, der jedoch in manchen
Punkten vom Speyerer Diplom abweicht. Im Speyerer Privileg werden dem
Bischof die Rechte vindiziert, welche das Wormser dem Kaiser zuschreibt.
Auch ist die Stellung der Speyerer Juden abhängiger und ungünstiger, als die
der Wormser.
Die Wormser Juden gehören zur Kammer des Königs und stehen unter der
ausschließlichen Gerichtsbarkeit desselben und ihres selbstgewählten
Bischofs. Der König ist für die Juden in Worms die oberste Berufsinstanz.
Alle Bußen fallen dem königlichen Fiskus zu. Niemand darf die Wormser Juden
in ihrem Besitz, Immobilien und Mobilien, stören, wer dies doch tut, fällt
in die Ungnade des Königs, und wer einem Juden etwas nimmt, muss das
Doppelte ersetzen. Auch soll ihnen erlaubt sein, beim Bau ihrer Häuser die
Stadtmauer zu benutzen. In der Tat sitzen noch heute die Häuser in der
Judengasse auf der Stadtmauer, die gerade in dieser Gegend zwischen dem
Martinstor und dem Judentor aus der romanischen Zeit stammt. Die Juden haben
das Recht, in der ganzen Stadt Gold zu wechseln, außer vor dem Hause der
Münzer oder da, wo die Münzer einen Geldwechsel errichtet haben. In ganz
Deutschland dürfen sie freien Handel und Wandel haben, und kein Zoll darf
von ihnen abverlangt werden, noch soll ihnen irgendjemand eine öffentliche
oder private Leistung auferlegen. Auch ist ihnen erlaubt, den Christen
Weine, Salben und Arzneien zu verkaufen. Unter diesen Weinen sind offenbar
südländische zu verstehen, indem namentlich die schweren, edlen Weine aus
Kleinasien und Griechenland beliebt waren. In ihren Häusern brauchen sie
ohne ihre Einwilligung keine Einquartierung aufzunehmen. Niemand darf von
ihnen ein Pferd zur Heerreise des Königs oder des Bischofs fordern oder eine
königliche Heersteuer. Wenn eine gestohlene Sache bei ihnen gefunden wird,
so soll der Jude seine Aussage, dass er sie gekauft habe, nach seinem Gesetz
beschwören und dann gegen Zurückerstattung des Kaufpreises das gestohlene
Gut dem Eigentümer zurückgeben. Niemand darf ihre Kinder gegen ihren Willen
taufen oder er muss zur Strafe 12 Pfund Gold dem König bezahlen. Wer von den
Juden freiwillig getauft zu werden wünscht, soll drei Tage warten, damit man
erkenne, ob er es entweder um des christlichen Glaubens oder erlittener
Unbill willen tut, dann aber soll er mit dem Glauben auch die Erbschaft
seiner Väter abschwören. Ihre heidnischen Sklaven soll keiner unter dem
Vorwande, sie im christlichen Glaube zu taufen, ihnen wegnehmen oder drei
Pfund Silber zur Strafe dem König bezahlen und die Sklaven wieder
zurückgeben. Der Sklave soll seinem jüdischen Herrn in allen Dingen gehorsam
sein, ausgenommen, wenn es den christlichen Glauben angeht. Es soll ihnen
erlaubt sein, christliche Mägde und Ammen zu haben und christliche
Dienstboten zur Verrichtung von Arbeiten zu mieten, es sei denn, dass der
Bischof oder ein Kleriker diesen an Sonn- und Feiertagen den Dienst
verbietet. Sie dürfen aber keine christlichen Sklaven haben. Streitigkeiten |
zwischen
Christen und Juden sollen nach dem versöhnlichen Rechte beider Teile
entschieden werden, hingegen Streitigkeiten unter den Juden von ihren
Glaubensgenossen nach jüdischem Rechte. Niemand darf einen Juden dem
Gottesurteil (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Gottesurteil) unterwerfen, wie das
glühende Eisen, die heiße oder kalte Wasserprobe, oder ihn durch Prügel zum
Geständnis zwingen, sondern der Jude schwört nach seinem Gesetze. Auch darf
keiner durch Zeugen, es seien denn zugleich Juden und Christen überwiesen
werden; ihm steht die Appellation an den König frei. Wer gegen diese
Bestimmungen fehlt, zahlt dem Kaiser 3 Pfund Gold. Wer gegen einen Juden
eine Verschwörung macht oder ihm Nachstellungen bereitet, so dass der Jude
dabei umkommt, so sollen beide, der Verschwörer, wie der Totschläger, dem
König 12 Pfund Gold bezahlen; wenn aber der Jude nur verwundet wird, ein
Pfund Gold. Ist es jedoch ein Höriger, der ihn getötet oder verwundet hat,
so büßt der Herr für diesen oder bestraft ihn. Kann der Täter die Strafe aus
Armut nicht bezahlen, so soll er bestraft werden, wie jener, der den Juden
vivus getötet hat, nämlich mit dem Verluste der Augen und der rechten Hand.
Freilich, weder der König noch der Bischof konnten die Juden vor der
fanatischen Wut der Kreuzfahrer und des christlichen Pöbels schützen. In der
Not ließen sich viele Juden taufen. Damals, 1096, nahm sich Rabbi Moscheh,
Sohn des Rabbi Jekuthiel (das ist Moses, Sohn des Guthihel in der Urkunde
von 1090) seiner Glaubensgenossen in Speyer kräftig an. Durch seine
Vermittelung kehrten die zwangsweise Getauften wieder zum Glauben ihrer
Väter zurück.
So erwies sich der Schutzbrief der Juden doch noch wirksam. Die
Judenverfolgung des Jahres 1096 erschütterte die ehrenvolle Stellung der
Juden. In der Betätigung der Wormser Zollfreiheit durch Heinrich V. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_V._(HRR)) vom 16. Oktober
1112 stehen die Juden nicht mehr in erster, sondern in zweiter Linie und in
der Bestätigung Friedrichs I. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_I._(HRR)) vom 3. Januar 1184
werden sie überhaupt nicht mehr erwähnt. Während bis zur Zeit Heinrichs V.
die Juden den übrigen Kaufleuten vorangestellt waren, trat nun eine scharfe
Scheidung zwischen Juden und Christen ein. Die zweite Judenverfolgung vom
Jahre 1146 offenbarte von neuem ihre gefährdete Lage. Ja, sogar der allseits
verehrte Bernhard von Clairvaux (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_von_Clairvaux) erregte den
Unwillen des Volkes, als er gegen den fanatischen Mönch Radulf (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Radulf_der_Zisterzienser), der das
Volk gegen die Juden aufhetzte, predigte. Es ist nicht allein religiöser
Fanatismus, der das Volk wider die Juden aufbrachte, sondern es wirkten dazu
noch mehr wirtschaftliche Motive. Man bedurfte nun, da die Städte im Laufe
des 11. Jahrhunderts aufgeblüht waren, der merkantilen Vormundschaft der
Juden nicht mehr, und ihre gefährliche Konkurrenz erregte den erbittertsten
Hass. Wir können an der Hand der Urkunden Schritt für Schritt verfolgen, wie
die Juden seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts rechtlich
heruntergedrückt wurden. Nur noch beim König fanden sie Schutz, den sie
freilich mit schwerem Gelde erkaufen mussten. Friedrich I. nahm sich ihrer
an. Von Worms aus erließ er am 06. April 1157 ein Privileg, worin er den
Schutzbrief Heinrichs IV. bestätigte. Während der Landfrieden Heinrichs IV.
vom Jahre 1103, den für die Stellung der Juden maßgebenden Satz
ausgesprochen hatte, dass alle Juden im Reiche unter dem Frieden des Königs
stünden, betont Friedrich I. schärfer die Unterordnung der Juden unter die
königliche Gewalt. Von da ab bewegt sich die Geschichte der Juden in
absteigender Linie. Der fremde Kaufmann, welcher sich in einer Stadt
niederlässt, verschmilzt mit den übrigen Einwohnern, der Jude hingegen sinkt
zum königlichen Kammerknecht herab und sondert sich von der christlichen
Bevölkerung. Friedrich II. nennt 1236 die Juden Kammerknechte. Universi
Alemanniae servi camerae nostrae. Selbstverschuldung der Juden, Neid,
Habgier und fanatischer Glaubenshass der Christen trugen dazu bei, die Lage
der Juden immer gefährlicher zu machen.
Man warf den Juden den Mord von Christenkindern (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Ritualmordlegende) vor, und der von
keinem Glaubenszweifel heimgesuchte Kaiser Friedrich II. beeilte sich, sie
von dem Verdachte völlig freizusprechen, indem er ein wissenschaftliches
Gutachten über die Anklage des rituellen Christenmordes abfassen und
gestützt darauf ein reichsgerichtliches Urteil fällen ließ. Auch Papst
Innozenz IV. (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Innozenz_IV.) erhob am 5. Juli
1247 dagegen seine Stimme. Es nützte den Juden wenig, denn bis zur heutigen
Stunde herrscht noch in gewissen Gegenden dieser gotteslästerliche Wahn.'
So weit die Mitteilungen des Herrn Prof. Boos über die Geschichte der Juden,
welche in anderen Kapiteln zuweilen noch gestreift wird. Das Werk selbst
beschließt den 1. Band mit dem Kapitel: 'Der große rheinische Städtebund.'
Wir freuen uns schon jetzt auf den folgenden II. Band, der jedenfalls am
interessantesten und speziell für die jüdische Geschichte, dem ersten nicht
nachstehen wird."
Vgl.
https://www.historicum-estudies.net/etutorials/tutorium-quellenarbeit/beispielanalysen/privileg-barbarossas
Zur Familie des Kalonymus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalonymiden. |
Über die Judenverfolgungen
während des Ersten Kreuzzuges 1096 (Artikel von
1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
21. Mai 1925: |
Besprechung eines Romans über Juden und Christen im
mittelalterlichen Speyer (1926)
Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 8. Februar 1926: |
Artikel
über die jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert
Aus der
Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule
25-jähriges
Ortsjubiläum von Lehrer Ludwig Schloss (1862)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 2. Dezember 1862; "Speyer, 15. November (1862). Heute
feierte Herr Schloß, Lehrer der hiesigen israelitischen Schule,
sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum. Es wurde von vielen
Teilnehmenden, von Schülern, Freunden und Kollegen des verdienten Mannes
als ein Fest begangen. Unter vielen Ehrengeschenken und Gratulationen
heben wir den von vielen Gemeindemitgliedern gewidmeten und von einer
herzlichen Ansprache begleiteten silbernen Pokal, sowie die Deputation des
Lehrerkollegiums und die am Abend dargebrachte Serenade hervor. Möge Herr
Schloß noch viele Jahre der kräftigsten Wirksamkeit und des
Familienglückes erleben!" |
70. Geburtstag und 50-jähriges Amtsjubiläum von
Lehrer Ludwig Schloss (1883)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 20. November 1883: "Bonn, 11. November (1883). Man
schreibt aus Speyer vom 6. November: Heute feiert der israelitische
Lehrer L. Schloß seinen 70-jährigen Geburtstag in Verbindung mit dem
50-jährigen Amtsjubiläum. Das gesamte Lehrerpersonal brachte dem greisen
Kollegen gestern Abend ein Ständchen, wobei zwei Chöre vorgetragen
wurden." |
Auszeichnung von Lehrer Ludwig Schloss
(1887)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 21. April 1887: "Der 'Speyerer Zeitung' entnehmen
wir: Ein höchst feierlicher Akt vollzog sich am 2. dieses Monats
Vormittags im großen Saale des Rathauses: die Dekorierung des Herrn
Lehrers Ludwig Schloß dahier. Schon vor 11 Uhr hatten sich die Vertreter
der Stadtverwaltung, den Herrn Bürgermeister Süß an der Spitze, die
protestantischen Distrikts- und Lokalschulinspektoren, die Lehrerkollegien
der Volks-, Real- und Töchterschule, der Vorstandschaft der
israelitischen Kultusgemeinde sowie zahlreiche Bekannte und Freunde des
Jubilars aus Nah und Fern in dem bezeichneten Lokale eingefunden, um Zeuge
einer Ehrung zu sein, die einem verdienten Lehrer für treues 50-jähriges
Wirken in der Schule durch die Gnade Seiner Königlichen Hoheit des
erhabenen Prinzregenten Luitpold von Bayern erwiesen wurde. In einer
warmen Ansprache zeichnete der Königliche Regierungsrat und
Bezirksamtmann Herr von Moers ein Bild des Strebens und Wirkens des
Gefeierten, verlas die hierher gehörigen amtlichen Schriftstücke und
endigte mit dem Wunsche, es möge Herrn Schloß noch lange vergönnt sein,
zum Segen der Schule und unserer Stadt mit Erfolg arbeiten zu können.
Alsdann schmückte der Herr Redner die Brust des Jubilars mit der goldenen
Ehrenmünze des bayerischen Ludwigsordens. Weitere Ansprachen hielten der
Herr Bürgermeister Süß, welcher namens der Stadtverwaltung einen
hübschen Regulator mit einer auf einer Silberplatte eingravierten Widmung
überreichte, Herr Stadtpfarrer und Distriktsschulinspektor Ney, Herr Herz
als Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde, welche dem Jubilar ein
Ruhebett zum Geschenk gemacht, dann Herr Hauptlehrer Berger im Namen der
Kollegen des Gefeierten, Herr Dr. Bender, Königlicher Rektor der Realschule,
an welcher Anstalt Herr Schloß schon 29 Jahre als Religionslehrer wirkt,
und Herr Vollert, Hauptlehrer an der hiesigen Töchterschule, woselbst der
Gefeierte ebenfalls als Religionslehrer tätig ist. Auf jede dieser
Ansprachen wusste Herr Schloß, sofort schlagfertig, richtige Worte der
Erwiderung zu finden, die in den Gedanken ausgedrückt sind: ich danke
tiefgerührt zunächst dem Herrn aller Herren, der mich so lange hat
wirken lassen, und dann meinem Königlichen Landesvater, dem erhabenen und
vielgeliebten Prinzregenten Luitpold, der mir die hohe Auszeichnung zuteil
hat werden lassen, dann meinen verehrten Herren Vorgesetzten für die
warme Anerkennung meiner bescheidenen arbeit, dann meinen lieben Kollegen,
meinen werten Glaubensgenossen und allen Freunden für das stets erwiesene
Wohlwollen. - Mit einem dreifachen Hoch auf Seine Königliche Hoheit,
unsern Prinzregenten Luitpold, ausgebracht durch Herrn Regierungsrat und
Bezirksamtmann von Moers, wurde die erhebende Feier beschlossen. Des
Abends fand ein sehr animiertes Festmahl
statt." |
Lehrer
Ludwig Schloss ist in den Ruhestand getreten (1889)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 31. Oktober 1889: "Der Lehrer Schloß in Speyer ist
nach mehr als fünfzigjähriger segensreicher Lehrtätigkeit in den
wohlverdienten Ruhestand getreten. Möge er diesen noch recht lange
genießen!" |
Anstellungsprüfung eines jüdischen
Schulamtskandidaten (1909)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 22. Oktober 1909: |
Ausschreibung der Lehrerstelle
(1928)
Anzeige in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 15. August 1928:
"Israelitische Kultusgemeinde Speyer am Rhein.
Infolge der Berufung des Herrn Kauflehrer Krämer nach München ist die Lehrerstelle
an der israelitischen Volksschule zu besetzen. Mit der Stelle ist die
Erteilung des Religionsunterrichts am Gymnasium, der Realschule und dem
höheren Mädchenlyzeum verbunden. Die Mitwirkung am Gottesdienst in der
Synagoge soll ebenfalls übernommen werden. Bewerber wollen sich an die
unterfertigte Stelle wenden.
Der Synagogenrat der Israelitischen Kultusgemeinde Speyer. B. Cahn,
Vorsitzender." |
Jakob Krämer verlässt die Pfalz (1928)
Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 13. September 1928: "Speyer am Rhein. Am 1. September
verließ Hauptlehrer Jakob Krämer die Pfalz, um einer ehrenvollen
Berufung der Kultusgemeinde München folgend, die Stelle eines
Religionslehrers in dieser Gemeinde zu übernehmen. Der Freien Vereinigung
Israelitischer Lehrer und Kantoren der Pfalz war Krämer seit 1907 ein
beständiger und verständiger Mitarbeiter und seit 1924 ein tatkräftiger
und erfolgreicher Führer. Hier und ebenso im Ausschuss des Verbandes der
Israelitischen Kultusgemeinden der Pfalz sowie als Mitglied der Tagung des
Verbandes Bayerischer Israelitischer Gemeinden - überall hat Krämer
fleißig und zielbewusst geholfen, die Gegenwartsaufgaben der Pfälzer
Judenheit ihrer Lösung näher zu bringen. Die Achtung und Wertschätzung
weiter Kreise dieser Pfälzer Glaubensgenossen begleiten Krämer an seinen
neuen Wirkungskreis. Möge seiner Tätigkeit auch dort reicher Erfolg
beschieden sein.
An die Pfälzer Kollegen! Bei meinem Scheiden aus der mir in
21-jähriger Tätigkeit liebgewordenen Pfalz sage ich allen Pfälzer
Kollegen herzlichst Abschiedsgrüße.
Speyer, 31. August 1928. Krämer." |
In
Speyer besteht noch eine der letzten jüdischen Schulen der Pfalz (1936)
Artikel
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 1.
Oktober 1936: "Speyer am Rhein. Am 1. September wurden im
Bereich des Regierungsbezirkes Pfalz in vier Städten jüdische
Sonderklassen der allgemeinen Volksschulen errichtet, in Ludwigshafen
zwei Klassen (vorläufig nur mit einem Lehrer besetzt), in Kaiserslautern,
Landau und Neustadt
an der Weinstraße je eine Klasse. Nach Ludwigshafen
wurde Lehrer und Kantor Schottland (Frankenthal)
angewiesen, nach Kaiserslautern
Lehrer i.R. Langstädter, nach Landau
Lehrer und Kantor Zeilberger (Landau)
und nach Neustadt Schulamtsbewerber
Samson aus Landau. Sämtliche
Lehrkräfte sind auf Dienstvertrag mit monatlicher Kündigung angestellt.
Jüdische Schulen entsprechend dem bayerischen Schulbedarfsgesetz, deren
Lehrer Beamte sind, bestehen noch in Speyer, Pirmasens
und Rodalben." |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Oktober 1936:
"Jüdische Schulen und Schulklassen.
Frankfurt am Main, 6. Oktober (1936). Im bayerischen Regierungsbezirk
Pfalz wurde zum 1. September in vier Städten jüdische Sonderklassen an
allgemeinen Volksschulen errichtet, und zwar zwei Klassen in Ludwigshafen
und je eine in Kaiserslautern, in Landau und Neustadt.
Außerdem bestehen noch seit früher jüdische Schulen in Speyer,
Pirmasens und Rodalben..." |
70. Geburtstag von Lehrer Leon Waldbott
(1937)
Leo Waldbott wurde am 28. Januar 1867
in Oberlustadt als zweiter Sohn des Lehrers und Autors Lazarus Waldbott geboren.
Nach dem frühen Tod seiner Vaters (1869) wuchs er bei seinem Großvater, dem Lehrer und Kantor Levi Waldbott (1809 - 1889), auf, dessen vier Söhne alle Lehrer waren.
Auch Leo Waldblatt ließ sich zum Lehrer ausbilden (am protestantischen Lehrerseminars in Kaiserslautern):
von 1885 bis 1890 war er als Lehrer in Hagenbach tätig,
seitdem als
Lehrer mit Rabbinerfunktionen und als Kantor in Speyer. Er war Mitglied der Speyerer Liedertafel, Organist und Dirigent des Synagogenchors. Mit dem in Königsberg tätigen berühmten Kantor Eduard Birnbaum (1855 - 1920), der als weltweit führender Experte auf dem Gebiet der Synagogalmusik galt, war Leo Waldbott eng befreundet. Bei der Eröffnung der neuen Speyerer Synagoge im Jahr 1894 hatte Leo Waldbott die Ehre, die Festansprache halten zu dürfen. 1911 wurde er Hauptlehrer, 1916 Oberlehrer.
Leo Waldbott galt als eine der angesehensten Persönlichkeiten des pfälzischen Judentums vor dem 2. Weltkrieg. Jahrzehntelang war er Vorsitzender des Vereins der jüdischen Lehrer und
Kantoren der Pfalz sowie Vorstandsmitglied im Reichsverband jüdischer Lehrervereine in Deutschland. Besonders engagiert war Leo Waldbott auch im sozialen Bereich. Auf seine Initiative ging die Gründung des ersten Jüdischen Altersheimes für die Pfalz (in Neustadt) zurück. Zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1938 wurde ihm vom Bezirksrabbinat der altehrwürdige Ehrentitel
"Chaver" (Ehrenrabbiner) verliehen.
Die beiden Söhne Leo Waldbotts, Emil und George, wanderten in jungen Jahren in die USA aus und folgten damit den Spuren ihrer Tante Flora
Waldbott, die bereits im 19. Jahrhundert ebenso wie ihr Bruder, der Botaniker Dr. Sigmund
Waldbott, in die USA ausgewandert war. Leo Waldbott, der stolz auf die jahrhundertelange Geschichte seiner Familie in der Pfalz und am Rhein war, wollte eigentlich in Deutschland bleiben, doch bewogen ihn, den deutschjüdischen Patrioten, die Ereignisse der "Reichskristallnacht", schweren Herzens in seinen alten Tagen noch zu emigrieren. Er starb am 26. Mai 1940 in
Cincinnatti/Ohio.
Obige Informationen nach der Website www.angelfire.com/art/gregorbrand/bios/LeoWaldbott.html;
hier finden sich als Literaturangaben:
Reinhold Herz: Gruß für Leon Waldbott. In: Israelitisches Gemeindeblatt 1937 (15. Jg.), Nr. 3, S. 12
Katrin Hopstock: Leon Waldbott. In: Speyerer Vierteljahreshefte, 1988, S. 24 - 25
George Waldbott: Memories (Mschr., unveröffentlicht, o. O., o. J.)
Leo Waldbott: Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30. Januar 1933 (Mschr., Detroit/USA 1940, unveröffentlicht). |
|
Lehrer Waldbott
leitet eine Jahresversammlung der Lehrer und Kantoren der Pfalz und wird
wieder zum Vorsitzenden gewählt (1908) |
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 12. Juni 1908: "Kaiserslautern. Die
Jahresversammlung der Freien Vereinigung der israelitischen Lehrer und
Kantoren der Pfalz wurde von Lehrer Waldbott - Speyer
geleitet. Lehrer Wetzlar - Ludwigshafen
erstattete Bericht über die Tagung des Verbandes der israelitischen
Lehrervereine im Deutschen Reiche. Dann folgte eine Besprechung über
Jugendschriften und Jugendliteratur. Lehrer Waldbott - Speyer
wurde wieder zum Vorsitzenden gewählt. Ort der nächsten Tagung ist Neustadt
a. d. Haardt." |
|
Würdigung von Leon
Waldbott zu seinem 70. Geburtstag (1937 in Speyer) |
Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 15. Januar 1937: "Gruß für Leon Waldbott. Am 28.
Januar vollendet in Speyer Oberlehrer a.D. Leon Waldbott in
ungewöhnlicher Schaffenskraft das 70. Lebensjahr. Leon Waldbotts
Tätigkeit in der Speyerer Gemeinde reiht ihn in die bewährte Tradition
'unserer Lehrer von Speyer' ein, wie es in alten Dokumenten heißt. Von
1890 bis 1923 wirkte er hier als Leiter der Schule und als 1. Kantor, seit
1923 als Dirigent des Synagogenchors. In ihm verbinden sich pädagogische
und musikalische Begabung, Lauterkeit des Charakters und des
Gemeinschaftssinnes zu einer Wirkungskraft, die sich weit über Speyer
hinaus Sympathie und Begehrtheit erwarb. So zählte ihn die Vereinigung
israelitischer Lehrer und Kantoren der Pfalz und der Reichsverband
jüdischer Lehrer in Deutschland 26 Jahre zu ihrem Vorstandsmitglied. Aber
die zentrale Leistung Leon Waldbotts liegt in seiner sozialen Arbeit: Das
pfälzische Judentum verdankte seiner Initiative im Jahre 1908 die
Gründung des israelitischen Altersheims für die Pfalz in Neustadt
a.d.H. und eine seitdem unermüdliche Arbeitsliebe für dieses Werk,
die ihn immer wieder von seinen zahlreichen Reisen nach den Vereinigten
Staaten hierher zurückrief. - Sein 70. Lebensjahr vollendet Leon Waldbott
als ein Unermüdlicher. Er schließt gerade in diesen Tagen eine
literarische Arbeit ab, in der er die Geschichte des israelitischen
Altersheimes für die Pfalz niedergeschrieben hat und seine Sorge für die
Alten findet neuerdings wieder ihre Ergänzung in einer zukunftsbahnenden
Bemühung um die Jugend. Alle, die Leon Waldbotts Lebenswerk kennen,
verbindet an diesem Tage der Dank für das Geleistete und der Wunsch für
seine weitere Vollendung in ungebrochener Lebenskraft. Reinhold
Herz." |
Aus dem jüdischen
Gemeinde- und Vereinsleben
Rückschritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung
(1846)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 30. November 1846: "Speyer, 16. November (1846). Die
Maßregeln wegen des Moralpatents der Juden nach dem Gesetze vom 17. März
1808 sind neuerdings wieder verschärft worden, während man auf
Abschaffung desselben gehofft hatte. Um diesem veralteten Überbleibsel
einer finsteren Zeit zu entgehen, werden wieder viele Bekenner des
mosaischen Glaubens nach Amerika auswandern." |
Der Verein Ez-Chajim will eine Tora-Rolle schreiben
lassen (1886)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
25. Februar 1886: "Für Soferim
(Toraschreiber).
Der Verein Ez-Chajim in Speyer beabsichtigt ein neues kleines Sefer
(Torarolle) (in der Höhe von ca. 50 cm) anzuschaffen. Offerten mit Muster
von Pergament und Schrift, sowie Preisangabe zu richten an den
Vorstand
S. Wolff II." |
Antijüdisches im "Hirtenbrief" des Bischofs
(1904)
Anmerkung: 1904 war Bischof: Joseph Georg von Ehrler (Bischof
in Speyer von 1878 bis 1905), siehe Wikipedia-Artikel
"Joseph Georg von Ehrler".
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
22. Februar 1904: "Speyer, 15. Februar (1904). Der hiesige
Bischof veröffentlichte im 'Rheinischen Volksblatt' seinen diesjährigen
Fasten-Hirtenbrief. Es seien demselben folgende Stellen entnommen, die wir
den Lesern dieses geschätzten Blattes zum Selbsturteil
unterbreiten:
Unter anderem heißt es in dem Briefe: 'Der Erfolg des Auftrages des Stifters
der christlichen Religion ist bekannt und der wunderbare Erfolg über das
Heidentum und Judentum (?) unter den schwierigsten Verhältnissen bei der
Zähigkeit, mit der sowohl die Heiden, als die Juden an ihren
althergebrachten Lehren und Sitten hingen usw.'
Zwei Fragen seien uns hier gestattet: 1) Worin sich der Sieg des
Christentums über das Judentum bekundet? und 2) ob die christliche
Religion ihr Entstehen nicht den Lehren und Sitten der jüdischen Religion
zu verdanken hat? J. Schön." |
Die
israelitische Kultusgemeinde gratuliert dem neuen Bischof in Speyer (1905)
Anmerkung: Konrad von Busch (siehe Wikipedia-Artikel
"Konrad von Busch") war von 1905 bis 1910 Bischof der
römisch-katholischen Diözese Speyer.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 5. Mai 1905: "Speyer, 2. Mai (1905). Dem neuerdings zum Bischof
von Speyer ernannten Domdechanten Busch überbrachte auch die
hiesige israelitische Kultusgemeinde durch ihren Vorstand, Herrn Sog.
Herz, die innigsten Glückwünsche. Bei dieser Gelegenheit und wiederholt,
als der hohe Herr den Besuch erwiderte, versicherte derselbe den
Gratulanten seines aufrichtigen Wohlwollens und seiner Sympathie. Wie
bisher, so werde er auch künftighin für den Frieden unter den
Konfessionen und das Wohlergehen der Gesamtbevölkerung unserer Stadt von
ganzem Herzen wirken. Es war der besondere Wunsch des Herrn Bischofs, dass
dieser Ausdruck seiner loyalen Gesinnungen den Mitgliedern der
israelitischen Kultusgemeinde bekannt gegeben
werde." |
Festgottesdienst aus Anlass der Räumung der Pfalz
(1930)
Artikel in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung"
vom 15. Juli 1930:
"Kultusgemeinde Speyer - Festgottesdienst aus Anlass der Räumung der
Pfalz am 1. Juli 1930.
Die Wiege des deutschen Judentums stand am Rhein und in der Pfalz, wo die
Juden an den Anfängen der deutschen Kultur beteiligt waren. Rhein-Juden
und Pfalz-Juden, aus ihrem Vaterland vertrieben, waren die Vorfahren der
Ostjuden, die sich in späteren Jahrhunderten wieder an den Rhein
zurückwandten. Die altehrwürdigen Judengemeinden in Speyer, Worms und
Mainz bestanden schon im ersten Jahrtausend nach
Christus.
Die Juden in der Pfalz waren nach dem Anerkenntnis der bayerischen
Staatsregierung während der 11-jährigen Besatzung ein Muster der Treue
und Anhänglichkeit an das Deutschtum.
Der Festgottesdienst der israelitischen Kultusgemeinde Speyer am 1. Juli
1930 wurde von Gesängen und Psalm-Rezitationen eingerahmt. Die
Festpredigt hielt Bezirksrabbiner Dr. Steckelmacher. Die Ansprache
lautete:
Andächtige Festgemeinde! Mit ganz besonderen innigen Dankgefühlen
nahen wir heute unserem Gotte, betreten wir diese heilige, der
Gottesanbetung geweihte Stätte. 'Diesen Tag hat uns der Ewige gewährt,
wir wollen jubeln und uns freuen an ihm!' Viele bange und schwere Jahre
liegen hinter uns. Aber jetzt ist aller Druck von uns gewichen. Die Pfalz
ist wieder frei. Wir Deutsche am schönen deutschen Rhein sind wieder ein
freies Volk. Es hat sich an uns erfüllt, das Gotteswort, das an Pharao
ergangen war:
'Lass frei mein Volk'. Es hat sich an uns bestätigt:
'Auch uns hat der Ewige herausgeführt aus der Knechtschaft zur Freiheit,
aus dem Kummer zur Freude; aus der Trauer zum Festtag, aus der Dunkelheit
zu hellstem Lichte.'
Aber nicht ganz ungetrübt ist unsere Freude, noch immer hat die Stunde
der Befreiung für viele Deutsche noch nicht geschlagen. Wir denken da
ganz besonders an die Deutschen an der Saar, deren wir uns in innigstem
Mitgefühl in dieser festlichen Stunde erinnern. Und ferner: Auf Millionen
deutscher Menschen, oft Familienväter, die Arbeit suchen, und nicht
finden können, lastet ungeheuere Not und Sorge, hervorgerufen durch eine
Wirtschaftskrise größten Ausmaßes, wie sie unser Vaterland noch nicht
erlebt hat. Und endlich gerade jetzt, da der äußere Druck von unserem
Vaterland gewichen, ist es innerlich im Geiste in seinen sittlichen
Entscheidungen sehr unfrei geworden. Glaubenshass hat heute mehr, denn je
breiteste Schichten des deutschen Volkes ergriffen. Wie kann nun wohl unser
deutsches Volk auch die innere Freiheit, die Freiheit im Geiste und in der
Seele, wiedergewinnen? Über diese Frage nachzudenken, entspricht gewiss
dem Sinn und der Bedeutung dieser festlichen Stunde. Jenes Gotteswort, das
sich an unserem deutschen Volke so wunderbar bestätigt hat, spricht bezeichnender
Weise nicht nur von Befreiung, sondern auch vom Dienen. 'Lass frei mein
Volk, damit es mir diene.' Und warum wohl das letztere? Weil der Dienst,
den wir Gott widmen, erst zur rechten Freiheit, zur inneren Freiheit, zur
Freiheit des Geistes und der Seele führt. Denn in den Dienst Gottes sich
stellen heißt doch vor allem, den Gottesglauben auch durch die Tat
bewähren, sich nciht aufhalten in den Niederungen ungehemmter
Leidenschaften und Triebe, sondern hinansteigen zu den Höhen einer edlen
Menschlichkeit, kundtun, dass das Göttliche in uns wirksam ist, in jeder
Stunde unseres Daseins. Halten wir nicht nach solchem Tun, das allein des
Menschen als eines im Ebenbilde geschaffenen Wesens würdig wäre, so oft
vergeblich Ausschau? Müssen wir uns nicht immer wieder davon überzeugen,
dass das Ungeistige und Ungöttlichste, nämlich Glaubenhass, triumphiert
in der deutschen Welt? Wir haben wohl heute große Erfolge zu verzeichnen
auf allen Gebieten der Wissenschaft und Technik und zwar der Technik,
nicht nur im eigentlichsten Sinne, sondern auch der Technik des Lebens,
also der äußeren Gestaltung unseres Daseins, wir haben aber vielleicht
gerade darum, weil unsere Blicke ausschließlich auf die äußere Formung
des Lebens gerichtet waren, vergessen, unser |
Augenmerk
auf das Wichtigste und Entscheidenste zu richten, nämlich auf die
Gestaltung unseres Innenlebens, wir haben verlernt, um in der Sprache der
Bibel zu reden, Gott zu dienen in der rechten weise. Wenn also Alle,
welche die deutsche Heimat nährt und trägt, sich entschließen wollten,
Gott zu dienen in der Weise, wie wir es soeben angedeutet, werden sie
gewiss die innere Freiheit, die Freiheit des Geistes
zurückgewinnen. Werden wir wohl uns bald zu einer Befreiungsfeier
in dem angedeuteten Sinne rüsten können? Die Ereignisse sprechen leider
nicht dafür. Oder können wir an eine Wandlung und Erneuerung glauben,
solange Leidenschaften, die aus den dunkelsten Tiefen des Menschenherzens
hervorquellen, ihr Spiel treiben mit den deutschen Menschen, solange etwas
so Verkehrtes und Falsches wie Glaubenshass sie irre führen
darf?
Und doch hoffnungslos wollen wir nicht sein, zumal nicht in einer so
festlichen Stunde, wie der heutigen. Und unser Teil wollen wir dazu
beitragen, dass die Kluft geringer werde, welche die Kinder des gleichen
Vaterlandes heute trennt. Lauterkeit und Ehrenhaftigkeit in Gesinnung und
Tat, soll das Losungswort jedes deutschen Juden sein. Unser Tun soll
niemals irgendwelche Angriffsflächen darbieten. In unserer
Anhänglichkeit an unser Vaterland, in unserer Liebe zur Heimat, in der
gewissenhaften Erfüllung unserer staatsbürgerlichen Pflichten, soll uns
niemand übertreffen können. Dann haben wir getan, was in unserer Macht
steht, damit die Zeit reife für jene Befreiungsfeier, die wir noch
erwarten, und erhoffen, jene Befreiungsfeier, die unser deutsches Volk
erst dann begehen kann, wenn es sich selbst überwunden, und von allen
Vorurteilen abgewendet, wenn es nicht nur, wie jetzt, vom äußeren Druck,
sondern auch innerlich und im Geiste, in der Seele frei geworden ist.
Amen" |
Jüdischen Geschäftsleuten ist das Hissen von
schwarz-weiß-roten Fahnen untersagt (1933)
Anmerkung: Die Farben Schwarz-Weiß-Rot waren von 1871 bis 1919 sowie von
1933 bis 1945 die Reichsfarben des Deutschen Reiches.
Siehe Wikipedia-Artikel
Schwarz-Weiß-Rot.
Der genannte Ministerpräsident General von Epp (Franz Ritter von Epp) war von
1933 bis 1945 Reichsstatthalter in Bayern.
Siehe Wikipedia-Artikel Franz
Ritter von Epp.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
21. April 1933: "München. Nach einer Meldung der
'Münchener Zeitung' wurde in Speyer jüdischen Geschäftsleuten das
Hissen von schwarz-weiß-roten Fahnen untersagt. Alle dort zu Ehren des
Besuches des Ministerpräsidenten General von Epp an jüdischen Häusern
gezeigten nationalen Fahnen mussten wieder eingezogen
werden." |
Dank
für Stuhlspenden für das Israelitische Altersheim (1938)
Artikel in "Jüdisches Gemeindeblatt für das Gebiet
der Rheinpfalz" vom 1. November 1938: "Aus Speyer. Die
Verwaltung des Israelitischen Altersheims dankt allen Angeboten von
Tischen und Stühlen. Der Bedarf ist jetzt gedeckt. Es wird gebeten, von
weiteren Angeboten abzusehen.
Besonders herzlichen Dank namens der Insassen unserer Anstalt den
verschiedenen Weinhandelsfirmen in Landau und Böchingen für die
freundlichen Spenden von Wein zu den hohen Feiertagen. S. Marx, 1.
Vorsitzender." |
Berichte
zu einzelnen Personen aus der jüdischen Gemeinde
Erinnerung an die Auswanderungen im 19.
Jahrhundert - Grabstein für Oscar Matzger (Metzger) aus Speyer in New
Orleans (1848-1867)
Anmerkung: das Foto wurde von Rolf Hofmann (Stuttgart) im April 1994 im 1860
eröffneten Hebrew Rest Cemetery in New Orleans, 2100 Pelopidas at Frenchman
Street, near Elysian Fields and Gentilly Blvd.,
aufgenommen.
Grabstein im "Hebrew Rest Cemetery" in New Orleans:
"Hier ruht ...
Oscar Matzger
born in Speyer Bavaria
April 5, 1848
Died Aug. 19, 1867 Aged 19 y. 4 m. & 14 d.
May his soul rest in peace.
Seine Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
80. Geburtstag des langjährigen Gemeindevorstehers
Sigmund Herz (1908)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 17. Januar 1908: "Speyer. Der hiesigen Kultusgemeinde war
es vergönnt, den 80. Geburtstag ihres langjährigen verdienten
Vorstehers, des Herrn Sigmund Herz, festlich zu begehen. Zahlreiche
Glückwünsche von nah und fern legten beredtes Zeugnis ab von der großen
Beliebtheit, deren sich der Jubilar bei allen, die sein warmes Herz kennen
gelernt haben, namentlich in allen Kreisen von Speyer ohne Unterschied von
Konfession und Stand erfreut.
Aus der nach Hunderten zählenden Menge mündlicher und schriftlicher
Beglückwünschungen seien hier nur die des Bürgermeisters
erwähnt, der in dankbaren Worten der 25-jährigen Tätigkeit des
Jubilars als Stadtrat gedachte. Sehr sinnig war eine Huldigung des
von dem Jubilar mitbegründeten Synagogenchorvereins: sie bestand
in einem Ständchen und in Überreichung eines künstlerisch ausgeführten
Diploms als Ehrenmitglied des Vereins. Nachdem noch Herr Vorsteher Max
Elb - Dresden die Wünsche des Deutsch-israelitischen
Gemeindebundes übermittelte hatte, nahm Herr Herz selbst das Wort,
nicht nur, um für die ihm offenbar wohltuenden Liebesbeweise zu danken,
sondern, um gleichzeitig mit bewundernswerter rhetorischer Kraft das
Programm seiner Gemeindeverwaltung für Vergangenheit und Zukunft klarzulegen.
Schließlich ehrte sich die Gemeinde selbst am meisten, indem sie den dem
Festtag folgenden Sabbatgottesdienst zu einer Art Festgottesdienst
für ihren jugendfrischen Führer machte." |
85.
Geburtstag des langjährigen Gemeindevorstehers Sigmund Herz (1913)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 10. Januar 1913: "Speyer, 5. Januar (1913). Am 3. dieses
Monats vollendete der Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Speyer,
Herr Sigmund Herz in körperlicher und geistiger Frische sein 85.
Lebensjahr. Von 1861 ab gehört er dem Synagogenausschuss an, und 1872
wurde er zum Vorstand dieser Gemeinde gewählt, welches Amt er bis heute
ununterbrochen verwaltete. Seit dem Jahre 1861 ist Herr Herz auch als
Vorsitzender des Verwaltungsausschusses, des Wohltätigkeitsfonds des
Rabbinatsbezirks Speyer-Frankenthal ununterbrochen tätig. Genannter Herr
hat sich während seiner langjährigen treuen und gewissenhaften
Tätigkeit um das Wohl der hiesigen israelitischen Gemeinde sehr verdient
gemacht. Möge Herrn Herz ein recht froher Lebensabend beschieden
sein." |
|
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 10. Januar 1913: "Am 3. Januar vollende Sigmund Herz,
Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde Speyer, sein 85.
Lebensjahr". |
Zum
Tod des aus einer jüdischen Familie stammenden Domkapitular Dr. Zimmern (1914)
Anmerkung: es handelt sich im Sigmund Joseph Zimmern (geb. 1838 in
Mannheim, gest. 1914 in Speyer). Weitere Informationen zu ihm über den Wikipedia-Artikel
Sigmund Joseph Zimmern.
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 10. April 1914: "Der vor kurzem in Speyer am Rhein im Alter
von 76 Jahren verstorbene Domkapitular Dr. Zimmern entstammte einer
geachteten jüdischen Kaufmannsfamilie in Mannheim, deren einzelne Glieder
heute noch angesehene Israeliten sind. Gelegentlich einer Jesuitenmission
in seiner Vaterstadt wurde der Verstorbene als vierzehnjähriger Knabe mit
einer älteren Schwester getauft; ob damals noch die Eltern lebten, bzw.
ob der Übertritt mit deren Einwilligung geschah, ist zu bezweifeln. Dr.
Zimmern, der über 20 Jahre dem bayerischen Landtag als Mitglied des
Zentrums angehörte, bewahrte in Fragen, die seine ehemaligen
Glaubensgenossen berührten, eine wohlwollende
Neutralität." |
Zum Tod des
langjährigen Gemeindevorstehers Sigmund Herz (1918)
Artikel
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 26. Juli
1918: "Speyer, 19. Juli (1918). Am 11. dieses Monats
wurden die sterblichen Überreste des im Alter von fast 91 Jahren
gestorbenen Rentiers Herrn Sigmund Herz zu Grabe getragen. Außer
zahlreichen Mitgliedern der israelitischen Kultusgemeinde und
Andersgläubigen aus den besten Kreisen hatten sich Vertreter der
israelitischen Korporationen, ferner Herr Dekan Cantzler, Herr
Adjunkt Graf als Vertreter der Stadt Speyer, die Herren
Kommerzienrat M. Wolff und Fabrikant Mann (Ludwigshafen)
sowie Herr Kultusvorstand Strauß (Bad
Dürkheim) als Vertreter des Rabbinatsbezirkes Frankenthal
eingefunden. Auch das Kommando der hiesigen Feuerwehr war in Uniform
erschienen, um den letzten der Gründer zur ewigen Ruhe zu begleiten. Herr
Bezirksrabbiner Dr. Steckelmacher (Bad
Dürkheim) gedachte in ergreifenden Worten der glänzenden
Eigenschaften des Entschlafenen als Vater und Verwandten, seiner
vielseitigen Tätigkeit im Dienste der hiesigen israelitischen
Kultusgemeinde sowie als würdigen Vertreters der pfälzischen Judenheit;
weiter erwähnte er, dass ihn das Vertrauen seiner Mitbürger wiederholt
in den Stadtrat berief, wo er seine reiche Erfahrung und vielseitigen
Kenntnisse bereitwilligst in den Dienst der Allgemeinheit stellte, dass er
aber auch ein echter Patriot warm der treu an seinem Vaterlande hing. Herr
Fabrikant B. Cahn entbot dem scheidenden Ehrenvorstand die letzten
Grüße der israelitischen Kultusgemeinde, während Herr Kultusvorstand
Strauß in bilderreicher Sprache die Verdienste des Verblichenen um
den Wohltätigkeitsfonds und die sonstigen Einrichtungen des
Rabbinatsbezirkes Frankenthal pries. Der Vorsitzende des Israelitischen
Altersheims für die Pfalz, Herr Dr. S. Reis (Heidelberg), widmete
warme Worte der Anerkennung dem dahingeschiedenen Ehrenvorsitzenden, der
diesem Werke der Wohltätigkeit jederzeit mit hilfsbereitem Rat und
opferwilliger Tat zur Seite gestanden. So gestaltete sich die Trauerfeier
zu einem würdigen Abschied von der irdischen Hülle dieses
ausgezeichneten Mannes, dessen Geist noch lange in den beteiligten Kreisen
fortleben wird." |
|
Links:
Grabstein im jüdischen Friedhof in Speyer
mit der Inschrift: "Hier ruhen unsere unvergesslichen
Eltern
8. IX. 1835, Julie Herz geb. Gross 23. X, 1889,
3. I. 1828 Sigmund Herz 9. VII. 1918.
Vorstand der isr. Kultusgem. Speyer von 1872 - 1913
von da ab Ehrenvorsitzender bis zu seinem Tode."
(Foto links: Stefan Haas, Fotoseite) |
Todesanzeige
für Dr. med. Eduard Dreifuss (1924)
Anzeige in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des Central-Vereins)
vom 26. Juni 1924:
"Statt besonderer Anzeige!
In tiefstem Schmerz geben wir von dem am 11. Juni in Ferrara erfolgten
Hinscheiden unseres lieben
Herrn Dr. med. Eduard Dreyfuss
Kenntnis und bitten um stilles Beileid. Er starb nach schwerem Leiden als
Opfer seines Berufes.
Speyer, 15. Juni 1924. Namens der trauernden Hinterbliebenen: Sigmund
Dreyfuss." |
Zum
Tod des Synagogenvorstandes Leopold Klein (1934)
Artikel
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 15.
März 1934: "Nachruf für den verstorbenen Synagogenvorstand
Leopold Klein, Speyer.
Die ehrwürdige israelitische Kultusgemeinde Speyer mit ihren Vereinen,
der Rabbinatsbezirk Dürkheim-Frankenthal, der Verband der
pfälzisch-israelitischen Kultusgemeinden, die Tagung des Bayerischen
Gemeindeverbandes, beklagen tief den Heimgang des Synagogenvorstandes
Leopold Klein.
Das israelitische Altersheim für die Pfalz in Neustadt a.d. Haardt, ein
Heim, das mit das Lebenswerk des Verblichenen genannt werden darf, trauert
um den langjährigen Vorsitzenden, um den edlen Menschenfreund.
Der Tod dieses Mannes bedeutet für das Judentum einen schweren Verlust.
Haben wir doch mit ihm so viele Jahre im Dienste unserer
Glaubensgemeinschaft zusammengearbeitet und ihn stets als einen erprobten
Mann von vornehmer Gesinnung und reichen Gaben des Geistes erkannt, als
einen rechten und gerechten Mann von klarem Erfassen, klarem Urteil und
warmem menschenfreundlichen Herzen.
Dafür sei dem Verblichenen als letzten Abschiedsgruß der aufrichtigste
Dank für all das, was er Gutes und zum Wohle des Judentums vollbracht
hat, in seine letzte Ruhestätte
hinabgerufen." |
Silberne
Hochzeit von Synagogenrat Eugen Loeb und Flora geb. Haß (1937)
Artikel in "Jüdisches Gemeindeblatt für das Gebiet
der Rheinpfalz" vom 1. September 1937: "Aus Speyer. Am 12.
August feierten Herr Eugen Loeb (Synagogenrat) mit seiner Gattin
Flora geb. Haß das Fest der silbernen Hochzeit. Aus Anlass dieses
Festes hat das Jubelpaar der Gemeinde eine prachtvolle Vorbetertefillah
überreichen lassen." |
75.
Geburtstag von Albert Mayer (1938)
Artikel in "Jüdisches Gemeindeblatt für das Gebiet
der Rheinpfalz" vom 1. Oktober 1938: "Aus Speyer. Am
6. Oktober begeht Herr Albert Mayer, Hauptstraße 66, seinen 75.
Geburtstag. Wir wünschen dem Jubilar noch viele Jahre in Gesundheit und
Frische bis 120 Jahre." |
Reinhold
Herz wandert in die USA aus (1938)
Artikel in "Jüdisches Gemeindeblatt für das Gebiet
der Rheinpfalz" vom 1. Januar 1938: "Speyer. Abschied.
Nach meiner Auswanderung nach USA rufe ich allen Freunden und Bekannten in
der Pfalz auf diesem Wege noch ein herzliches Lebewohl zu. Reinhold
Herz.
In diesen Tagen wanderte Herr Reinhold Herz nach USA aus, um dort sein Studium
fortzusetzen. In jungen Jahren veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze in
verschiedenen jüdischen Zeitungen. Außerdem hat er sich für die
jüdische Jugendbewegung in der Pfalz und im Reich sehr verdient gemacht.
Er verfasste eine 'Gedenkschrift anlässlich des 100-jährigen Bestehens
der Synagoge in Speyer' und eine geschichtliche Darstellung 'Die Juden in
der Pfalz'. Wir wünschen ihm alles Gute auf seinem
Lebenswege." |
Erinnerungen
an die Deportation in das südfranzösische Internierungslager Gurs im Oktober
1940: Grabsteine in Gurs
Der Grabstein in Gurs (im Vordergrund) erinnert an das Schicksal von Siegmund
Seligmann (geb. 22. Mai 1879 in Speyer, auch später wohnhaft in
Speyer), der am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs deportiert
wurde und dort am 15. Dezember 1940 umgekommen ist. |
|
Der Grabstein in Gurs (linker Stein) erinnert an das Schicksal von Lina
Altschüler (geb. 16. Dezember 1874 in Speyer, auch später wohnhaft
in Speyer), die am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs
deportiert wurde und dort am 21. Dezember 1940 auf Grund einer
Ruhrepidemie umgekommen ist.
Lina Altschüler betrieb gemeinsam mit ihrem Bruder Julius in der Maximilianstrasse 61/62 ein Textilgeschäft
, das sich seit drei Generationen im Familienbesitz befand. Julius Altschüler war ein Wohltäter im Verborgenen und ein Mäzen in der Öffentlichkeit: häufig wechselte das Gemälde eines Jungkünstlers gegen Stoff den Besitzer. Im Februar 1939 emigrierte Julius nach London. Lina
starb nach der Deportation in Gurs. Im Januar 1948 kehrte Julius nach Speyer zurück, wo er als einziger jüdischer Heimkehrer im Juli 1954 starb.
(Quelle). |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeigen
der Metzgerei und Wurstlerei Hermann Hanauer (1901 / 1906)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 14. Oktober 1901: "Metzgerlehrling.
Ein anständiger Junge kann gründlich die Metzgerei und Wurstlerei, sowie
Vieh-Einkauf lernen bei
Herm. Hanauer, Metzgerei und Wurstlerei, Speyer am
Rhein." |
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Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 18. Mai 1906: "Metzger-Lehrling a
uf sofort oder später bei guter Behandlung gesucht.
Hermann Hanauer, Metzgerei, Wurstlerei und Viehhandlung,
Speyer am Rhein." |
Anzeige des Kurz-, Weiss- und Wollwarengeschäftes A.
Westheimer & Co. (1905)
Anzeige im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 8. Juni 1905: |
Weitere Dokumente
Werbemarken
der Firma Marx Mayer
für Bonbons und Kaffee
(aus der Zeit ca. 1905 bis 1920)
(aus der Sammlung von Peter Karl Müller,
Kirchheim / Ries, weitere Angaben
gleichfalls von Peter Karl Müller) |
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Marx Mayer (geb. am 17. Februar 1846,
gest. am 3. Dezember 1903, beigesetzt im jüdischen Friedhof in
Speyer, Grabstein abgebildet in der Video-Dokumentation 1 von Michael
Ohmsen). Die Firma Marx Mayer bestand laut Angaben einer Rechnung von 1915 aus
Kaffee-Import, Groß-Rösterei, eigene Verleseanstalt und einer Zuckerwarenfabrik.
In der Schriftenreihe der Stadt Speyer im Band 12 - Schicksale Speyrer Juden - 1800-1980
von Johannes Bruno verfasst, findet sich ein Beitrag mit dem Titel - "Der Fabrikgründer mit Talent und Fürsorge - Marx Mayer und Co"
Im Buch "Geschichte der Juden in Speyer" , Band 6 aus der Reihe - Beiträge zur Speyerer Stadtgeschichte - findet sich
S. 125 der Hinweis, dass Hedwig Marx-Mayer auf der Ersatzliste der Deutsch-Demokratischen Partei
aufgestellt war. Die Werbemarken ( Vignetten ) stammen aus der Zeit ca. 1905 -
1920. |
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