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Gerolstein
Geschichte der jüdischen Gemeinde
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Beschreibung
Der jüdische Friedhof von Gerolstein und die Geschichte der jüdischen Gemeinde
Von Lutz Engelskirchen

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Gerolsteins

Der jüdische Friedhof legt auch heute, fünf Jahrzehnte nach dem Ende ihres Bestehens, Zeugnis ab über die jüdische Gemeinde von Gerolstein. Jüdisches Leben ist in Gerolstein - mit Unterbrechungen - seit dem hohen Mittelalter bezeugt. Im Zusammenhang mit den Pogromen der großen Judenverfolgung von 1349 sind auch jüdische Einwohner in Gerolstein erwähnt. Die Judenverfolgung von 1349 war auf weite Teile des alten Reiches ausgedehnt; ihr fielen rund zwei Drittel aller jüdischen Gemeinden in Mitteleuropa zum Opfer. Ausgangspunkt dieser Verfolgung war der große Pestzug von 1347 (der "Schwarze Tod"), der seit 1348/49 auch die Länder des deutschen Reiches erreicht hatte. In den Juden wurden vielerorts die Schuldigen für das Auftreten der Pest gesehen. In diesem Zusammenhang kam es zu spontanen Pogromen an der jüdischen Bevölkerung.

Auch für die frühe Neuzeit sind für die Stadt Gerolstein Bürger jüdischen Glaubens bezeugt. Im Jahre 1719, als Burg und Stadt Gerolstein Teil der Grafschaft Manderscheid-Blankenheim waren, lebten zwei jüdische Familien im Orts. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kann allerdings nicht von einer lückenlosen Gemeindegeschichte gesprochen werden. Die unter französischer Besatzung von Mai bis Juli 1808 vorgenommene Zählung weist für Gerolstein keine jüdischen Bürger aus. Auch in der Zählung des Jahres 1843 - die Eifel ist Teil Preußens - werden für Gerolstein keine Juden genannt. Da den jüdischen Bürgern bis zur Verleihung der vollen Bürgerrechte (= Emanzipation) eine Berufsausübung nur in den Bereichen von Handel und Geldgewerbe erlaubt war, konnte sich, bedingt durch den wirtschaftlichen Niedergang des Hocheifelraumes nach dem Ende der französischen Besetzung, bis zur Jahrhundertmitte keine jüdische Gemeinde in Gerolstein bilden. Dies änderte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Judenemanzipation von 1848 und endgültig 1869 brachte die volle bürgerliche Gleichstellung. Am wirtschaftlichen Aufschwung, der seit den 1860er Jahren in Preußen stattfindet, partizipieren auch die jüdischen Bürger, die auch nach der Emanzipation überwiegend in ihrem seit Jahrhunderten angestammten Bereich, dem Handel, tätig sind.

So entsteht auch in Gerolstein durch Zuzug aus moselländischen oder Südeifler Gemeinden eine kleine, aber stetig wachsende jüdische Gemeinde. Im Jahre 1868 leben 17, im Jahre 1896 23 und im Jahre 1911 45 Bürger jüdischen Glaubens in Gerolstein. Diese Anwachsen der jüdischen Gemeinde muss in engem Zusammenhang mit der Stadtentwicklung Gerolsteins, seinem enormen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum gesehen werden. Aus dem - 1856 spöttisch so genannten - "kleinen unzugänglichen Eifeldorf" mit 777 Einwohnern war im Jahre 1905 einer der größten Orte der Hocheifel mit- 1564 Einwohnern - geworden.
Dieses - Bevölkerungswachstum ging parallel mit dem wirtschaftlichen Wachstum der Stadt. Die Drahtwarenindustrie, die Sprudelbetriebe und die Funktion Gerolsteins als Eisenbahnknotenpunkt und damit die außerordentlich verkehrsgünstige Lage ließen den Ort bereits zur Jahrhundertwende zu einem regionalen Wirtschaftszentrum werden. Gewerbe, eine große Kundenzahl und eine verkehrsgünstige Lage machten Gerolstein zum idealen Standort für Geschäfts- und Kaufleute, jenen Berufsgruppen also, in denen jüdische Bürger traditionell stark vertreten waren.

Ein Blick in die Standesregister jener Jahre zeigt, dass in Gerolstein - verglichen mit den umliegenden Orten - die Anzahl der Handels-, Geschäfts- und Kaufleute tatsächlich überdurchschnittlich hoch war. Die relative Größe Gerolsteins hatte auch Auswirkung auf die Art der vorhandenen Geschäfte. Die große Kundenzahl ermöglichte es der Familie Levy bzw. Mansbach sogar, ein gutgehendes Kaufhaus zu betreiben.
Die Berufe der einzelnen Gemeindemitglieder zeigten, in welch vielfältiger Weise die Gerolsteiner Juden am Wirtschaftsleben teil hatten und wie sehr sich diese Kleinstadtgemeinde von typischen jüdischen Landgemeinden unterschied. Die meisten Mitglieder solcher Landgemeinden wohnten in ärmlichen Verhältnissen und lebten, da sie vom Handwerk ebenso wie vom Ackerbau seit alters her ausgeschlossen waren, vom Handel mit Vieh, Trödel- und Krämerwaren und dem Geldleihegeschäft. Die jüdischen Bürger Gerolsteins waren darüber hinaus auch in anderen Bereichen des Handels aktiv; so gab es Metzgereien, Lebensmittelgeschäfte, eine Großhandlung und das erwähnte "Kölner Kaufhaus". Mit Dr. Walbaum praktizierte in Gerolstein zu dieser Zeit (bis nach dem Ersten Weltkrieg) ein jüdischer Arzt. Als Bürger des deutschen Reiches hatten Juden die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten wie ihre christlichen Mitbürger, und so standen im Ersten Weltkrieg auch Männer jüdischen Glaubens für das deutsche Reich im Felde. Aus Gerolstein waren dies z. B. Leo Mayer, der für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet wurde, Lazarus Levy und der "zur Fahne einberufene" Ludwig Baum, den die Nachricht der Geburt seines Kindes im Felde erreichte. Die Weltkriegsteilnahme vieler deutscher Juden ist Ausdruck eines jüdischen Selbstverständnisses, das in vielen Selbstzeugnissen des deutschen Judentums des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder deutlich wird: Nicht als Angehörige einer fremden Minderheit sahen sich die jüdischen Bürger, sondern als Deutsche jüdischen Glaubens. Der Dortmunder Rabbiner Benno Jacob schreibt dazu im Jahre 1919: "Wir fühlen uns mit allen Juden der Erde eines Stammes und Glaubens ..., aber wir deutschen Juden sind und bleiben von Religion Juden, von Nation Deutsche. Welcher anderen Nation könnten wir denn angehören, welches andere Land kann unser Vaterland sein als dasjenige, in dem unsere Wiege stand und die Gräber unserer Väter liegen, dessen Luft wir seit Kindesbeinen atmen, dessen Bildung wir in uns aufgenommen haben, dessen Sprache wir sprechen, das uns nährt und schützt und für das wir jetzt wieder geblutet und gelitten haben? Nein, wir sind auf Gedeih und Verderb mit diesem Land und dieser Nation verbunden. Am wenigsten werden wir uns darüber von Ausländern eines anderen belehren lassen ...." Dieses ausdrucksvolle Bekenntnis ist bezeichnend auch für die Haltung vieler Gerolsteiner Juden des Kaiserreiches und der Weimarer Republik: "Als der Weltkrieg begann 1914, wollte ich nicht hintenanstehen, weil ich patriotisch gesinnt war, und ich wollte meine Pflicht tun als guter Deutscher", schreibt etwa der Gerolsteiner Fritz Walbaum, dessen Selbstbiographie "Mein Leben in Fluchten" beim Eifelverein bewahrt wird.
Bis zum Jahre 1926 wächst die jüdische Gemeinde Gerolsteins auf 64 Personen an. Die Zeit der Weimarer Republik ist auch als die Blütezeit der kleinen Gemeinde anzusehen. In diese Jahre fällt auch die Planung zum Bau einer Synagoge für die Gemeinde, der aber nicht zur Ausführung kam. Hierzu ist anzumerken, dass die jüdische Gemeinde Gerolsteins bis zu dieser Zeit aufgrund ihrer geringen Größe keinen eigenen Synagogenbau und ebenfalls keinen eigenen Rabbiner besessen hat.

Organisiert im "Reichsverband jüdischer Gemeinden", war sie dem Rabinatssitz Trier und damit dem Rabbiner Dr. Altmann unterstellt einem Vertreter des liberalen Judentums -, der von 1920 bis 1938 amtierte, bevor er im Mai 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Gerolstein war Nathan Levy, der Besitzer des Kölner Kaufhauses, der von der Gemeinde bestimmte Vorbeter war bis zu seinem Tode im Jahre 1932 Hermann Levy aus dem nahen Hohenfels. Aufgrund des fehlenden Synagogenbaus wurde der Gottesdienst der Gemeinde in einem Betsaal abgehalten, einem Raum, den ein Gemeindemitglied in seiner Wohnung zur Verfügung stellte. Aus diesem Grunde wechselte der Ort des Betsaals über die Jahre hinweg mehrfach; seit 1930 befand sich der Betsaal im Hause von Ludwig Baum in der Lindenstraße.
Während die Sabbatgottesdienste 35 von Hermann Levy als Vorbeter gehalten wurden, kam zu hohen religiösen Festen der Rabbiner Dr. Altmann aus Trier nach Gerolstein.
Kennzeichnend für jüdische Bürger - insbesondere in den 1920er Jahren - war ihre starke Integration in das Gerolsteiner Alltagsleben. In engem Kontakt mit ihren Mitbürgern befanden sie sich nicht in der Isolation z. B. von Judengassen und "Schteteln" (Judenvierteln). Gemeinsamer Umgang miteinander schuf gegenseitige Bekanntheit und Vertrautheit - ein Umstand, der z. B. auch durch die Beteiligung vieler Juden am Gerolsteiner Vereinsleben unterstrichen wurde. Auch der Einsatz für bedürftige Mitbürger war nicht auf die eigene Gemeinde beschränkt. So war es in den Familien Levy-Mansbach üblich, alljährlich ein Kind aus einer bedürftigen Gerolsteiner Familie zur Erstkommunion einzukleiden.

Die jüdischen Bürger ließen ihre christlichen Mitbürger auch an ihren Bräuchen teilhaben: z. B. wurden bei einem Todesfall "auch die christlichen Nachbarn beim Beileidsbesuch gebeten, jüdischem Brauchtum entsprechend zu handeln"; so lagen z. B. auf dem Sarg des Toten Hammer und Nagel bereit, und der Besucher wurde gebeten, einen Nagel in den Sargdeckel zu schlagen.

Wie überall in Deutschland wurde auch in Gerolstein der weiteren Entwicklung der jüdischen Gemeinde und dem aufgezeigten positiven Miteinander durch die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft ab 1933 ein jähes Ende gesetzt. Der Antisemitismus war ein fester Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie, die Ausgrenzung der jüdischen Bürger war im Parteiprogramm unter dem vierten von 25 Punkten festgelegt: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksicht auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein". Dieser Programmpunkt war die Grundlage für die schrittweise Entziehung der staatsbürgerlichen Rechte, jener Rechte also, die die Juden kein Jahrhundert zuvor durch die Judenemanzipation (s.o.) erlangt hatten. Damit einher ging in den 1930er Jahren eine durch die Nationalsozialisten erzwungene Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben und der - Wirtschaft. In den Groß- und Kleinstädten, in den Ballungsgebieten. und auf dem Lande - überall wurde die schrittweise Unterdrückung der jüdischen Bevölkerung organisiert. Hätte in Gerolstein der Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933 noch keine Auswirkungen gehabt, so erschienen schon bald darauf Schilder mit Aufschriften wie "Juden unerwünscht, kauft nicht bei Juden" oder "Juden dürfen nicht bedient werden" auf Anweisung der Kreispropagandaleitung Daun-Wittlich in Straßen und Geschäften Gerolsteins. Die Schüsse des verwirrten Hersch Grünspan auf den deutschen Gesandtschaftsrat v. Rath in Paris wurden von den Nationalsozialisten als Vorwand für das Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 genommen. Diese angeblich spontane Entladung des "Volkszornes", wie es in der Propaganda dargestellt wurde, ging in Wirklichkeit nicht von der Bevölkerung aus, sondern war eine von der Partei und der SA reichsweit vorbereitete und durchgeführte Inszenierung der Gewalt gegen die jüdischen Bürger. Dabei gab es von der Gestapo genaue Anweisungen über das Vorgehen der SA: "In Geschäftsstraßen ist besonders darauf zu achten, dass nichtjüdische Geschäfte unbedingt gegen Schäden gesichert werden", so eine Anweisung des Gestapo-Chefs Heydrich. So genau wurde der angeblich spontane Volkszorn im voraus geplant.

In Gerolstein wurde das Kölner Kaufhaus in der Bahnhofstraße verwüstet, zudem zertrümmerten Bitburger SA-Kräfte die Wohnungseinrichtung der Familie Nathan Levy, der zusammen mit Fritz Mansbach für eine Nacht in "Schutzhaft" genommen wurde. Auch von der damals so genannten "Arisierung" jüdischer Geschäfte blieb Gerolstein nicht verschont: "Nach 1937 wurden viele jüdische Ladenbesitzer - Nathan und Lazarus Levy sind nur zwei Namen - zum Verkauf genötigt". Ihnen widerfuhr dasselbe Schicksal wie so vielen jüdischen Bürgern in Deutschland, die ihren Besitz weit unter dem eigentlichen Wert an "Arier" verkaufen mussten.

Die von den Nationalsozialisten betriebene Ausgrenzung der jüdischen Bürger brachte auch die Gerolsteiner Juden in zunehmende Isolation. Das NS-Regime bedrohte bekanntlich jeden, der mit Juden auch nur in Kontakt trat, mit Repressionen, begleitet von systematischen Einschüchterungen (z. B. "Jüdisches Geschäft, wer hier kauft, wird photographiert!"). Dennoch gab es auch in Gerolstein Menschen, die auch in dieser Zeit, soweit es ihnen möglich war, den jüdischen Mitbürgern Hilfe leisteten.

Die kurze Geschichte der jüdischen Gemeinde Gerolsteins endet im Sommer des Jahres 1943, als die letzten Gerolsteiner Juden in Vernichtungslager deportiert werden. Augenzeugenberichte verdeutlichen die unsäglichen menschlichen Tragödien, die mit diesen Tagen verbunden waren.

Bis zum Auswanderungsverbot von 1941 konnten jedoch über zwanzig Gerolsteiner jüdische Bürger sich dem Zugriff der Nazis entziehen und in den USA, Südamerika und Palästina bzw. Israel eine neue Existenz aufbauen. Einige dieser Überlebenden haben auch heute noch - zum Teil nach vieljähriger Unterbrechung - Kontakt zu ihrer früheren Heimatstadt, wie z. B. Herr Leo Baum, der 1937 nach Paraguay auswanderte und zuletzt im August des Jahres 1991 Gerolstein besuchte.

Dem Beitrag liegt eine umfangreiche Quellenübersicht (56 Anmerkungen) zugrunde.

Siehe auch den Datensatz: Gerolstein - Jüdischer Friedhof (1 und 2)


Lage des Kulturobjekts (Gauss-Krüger-Koordinaten)
R_gk: 2547594
H_gk: 5565291
Koordinaten beziehen sich auf die Ortslage



Karte mit Detailinformationen

Detailkarte

Quelle
Lutz Engelskirchen: Der jüdische Friedhof von Gerolstein und die Geschichte der jüdischen Gemeinde.

Bild-Quelle
© Klaus Heller, Dreis-Brück. 2002 http://www.ak-gegen-rechte-gewalt.de / © Klaus Heller, Dreis-Brück. 2002 http://www.ak-gegen-rechte-gewalt.de

Internet
http://www.ak-gegen-rechte-gewalt.de

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