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Bad Zwesten (Schwalm-Eder-Kreis)
mit Niederurff und Oberurff (Gemeinde Bad Zwesten) sowie Kerstenhausen (Stadt
Borken)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Bad Zwesten bestand eine jüdische
Gemeinde bis 1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des 17./18. Jahrhunderts
zurück. 1646 gab es vier jüdische Familien am Ort. Im 18. Jahrhundert nahm die
Zahl auf 15 Familien (1744) beziehungsweise elf Familien (1776) zu.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner wie
folgt: 1835 87 jüdische Einwohner, 1861 74 (7,6 % von insgesamt 975), 1871
48 (5,5 % von 875), 1885 76 (8,7 % von 870), 1895 89 (10,9 % von 819), 1905 74
(9,6 % von 769). Auch die in drei Nachbarorten lebenden jüdischen Familien
gehörten zur Gemeinde in Zwesten: Niederurff (1835 76 jüdische
Einwohner, 1861 59, 1905 42), Oberurff (1835 18, 1861 12, 1900 vier
Familien) und Kerstenhausen (zeitweise eine Familie, gehörte
möglicherweise auch zur Gemeinde in Borken). Um 1900 umfasste die
Gesamtgemeinde (Bad Zwesten und Teilorte) etwa 25 Familien. Die in Niederurff
lebenden Familien wollten 1879 eine selbständige Gemeinde bilden, was jedoch
vom Vorsteheramt in Kassel nicht genehmigt wurde.
Die jüdischen Familien lebten vom Handel mit Vieh, Manufakturwaren- und
Kolonialwaren und betrieben mehrere, bis nach 1933 bestehende Handlungen und
Läden in der Gemeinde. Auch jüdische Metzger werden genannt; Josef Hirschberg
hatte - gleichfalls bis nach 1933 - eine rituell geführte Gastwirtschaft.
An Einrichtungen bestanden eine Synagoge (s.u.), eine jüdische
Schule, ein rituelles Bad und ein eigener Friedhof. Zur Besorgung
religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Religionslehrer
(beziehungsweise Elementarlehrer) angestellt, der
zugleich als Vorbeter und Schochet fungierte (vgl. Ausschreibungen der Stelle
unten). Zunächst bestand nur eine Religionsschule in Zwesten, nach 1870 (siehe Ausschreibungen unten von 1871/72 mit der Suche nach einem
Elementarlehrer) eine Israelitische Elementarschule mit bis zu 30
Kindern. Lehrer war um 1865 L. Speier (Quelle);
nach 1872 und bis 1888 Wolf Amram aus Diemerode, der mehrere
Spendenaufrufe für verarmte Gemeindeglieder aus den Jahren 1875-78 (siehe
unten) unterzeichnete. Seit 1895 unterrichtete am Ort Simon Glauberg aus
Hochstadt (bis 1907, damals hatte es noch 25 Schüler an der Schule), 1907
wechselte Glauberg nach Eschwege). Von 1907
an war Hermann Katzenstein Lehrer. 1905/06 unterrichtete er noch 22
Kinder aus Zwesten und 6 Kinder aus Niederurff; 1912-1913 nur noch 10
beziehungsweise 2 Kinder. Zum 1. April 1930 wurde die Schule aufgelöst.
Die Gemeinde gehörte zum
Rabbinatsbezirk Niederhessen mit Sitz in Kassel.
Im Ersten Weltkrieg fielen aus der jüdischen Gemeinde: aus Zwesten
Gustav Heß (geb. 12.6.1878 in Zwesten, gef. 25.8.1916), Siegfried Spier (geb.
7.6.1893 in Zwesten, gef. 25.8.1916) und Ludwig Spier, aus Niederurff Siegfried Abraham.
Außerdem ist aus Zwesten gefallen: Isidor Julius Spier (geb. 20.3.1895 in
Zwesten, vor 1914 in Arnstadt wohnhaft, gef. 6.6.1918), auf Niederurff: Meier
Stern (geb. 3.3.1888 in Niederurff, vor 1914 in Kirchhain wohnhaft, gef.
25.9.1915).
Um 1924, als noch 53 Personen zur jüdischen Gemeinde gehörten (5,8 % von
insgesamt 912 Einwohnern), waren die Vorsteher der Gemeinde Moritz
Hirschberg und Markus Stern. Als Lehrer wird David Löb genannt. Er unterrichtete
an der Israelitischen Elementarschule damals noch neun Kinder. Nach Auflösung
der jüdischen Volksschule in Zwesten 1930 wechselte David Löb nach Langenselbold
(siehe Bericht unten). An jüdischen Vereinen
bestanden der Männerverein (1924 unter Leitung von Simon Spier mit 11
Mitgliedern), evtl. identisch mit dem Verein für wohltätige Zwecke (gegründet
1859, 1932 unter Leitung von Josef Heß, Ziel: Unterstützung Bedürftiger) und
der Israelitische Frauenverein (gegründet 1876, 1932 unter Leitung von Kathinka
Heß, Ziel: Unterstützung Bedürftiger). 1932 waren die Vorsteher Moritz
Hirschberg (1. Vors.) und Sally Stern (2. Vors.). Als Schatzmeister der
Gemeinde wird Markus Stern genannt (siehe Bericht unten). Damals gab es in Zwesten keinen eigenen
Lehrer mehr. Die im Schuljahr 1931/32 noch sechs schulpflichtigen jüdischen
Kinder erhielten den Religionsunterricht durch Lehrer Levi Katz aus
Borken.
1933 lebten noch 46 jüdische Personen in Bad Zwesten (4,9 % von 936
Einwohnern); zur Gemeinde gehörten insgesamt 65 Personen (einschließlich 19 in
Niederurff). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund des wirtschaftlichen Boykotts, der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Die Familien Siegfried und
Josef Hirschberg konnten nach Kolumbien beziehungsweise Palästina emigrieren,
Karl Spier kam mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Beim Novemberpogrom
1938 wurde die Synagoge geschändet und verwüstet. Jüdische Wohnhäuser
wurden überfallen, ihre Bewohner teilweise schwer misshandelt. Der damals 83-jährige Rentner Markus Stern und seine Frau wurden in den eiskalten
Wälzebach getrieben. Beiden starben später an der Folgen dieser Quälerei.
Auch die Angehörigen der Familien Hugo Stern und Aron Jungheim wurden schwer misshandelt,
ihre Wohnungen verwüstet, Federdecken aufgeschlitzt, Eingemachtes zerschlagen
und Möbelstücke aus dem Fenster geworfen. 1939 wurden nur noch sechs
jüdische Personen am Ort gezählt. Die letzten jüdischen Einwohner (Familie
David Hirschberg) wurden am 8. Dezember 1941 aus Zwesten abgeholt und über
Kassel nach Riga deportiert, wo sie ermordet wurden.
Von den in Zwesten geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Frieda Amram (1885,
Tochter von Lehrer Amram s.u.), Liesl Brager geb. Hirschberg
(1914 oder 1917), Adolf Hirschberg (1885), David Hirschberg (1883), Emil
Hirschberg (1893), Julius
Hirschberg (1905), Klara Hirschberg geb. Nussbaum (1897), Klara Hirschberg geb.
Hirschberg (1894), Klara Hirschberg geb.
Vogel (1892), Michel Hirschberg (1890), Sally Hirschberg (1887), Seligmann Hirschberg
(1894),
Siegfried Hirschberg (1892), Aron Jungheim (1887), Isack Jungheim (1889),
Julchen (Julie) Jungheim geb. Plaut (1894), Rosa Jungheim (1898), Hanna Levi geb. Hirschberg (1906),
Klara Löwenstein geb. Glauberg (1897), Auguste (Gustel/Gustchen/Gidel)
Oppenheimer geb. Spier (1860 oder 1861), Selma Rosenbaum geb. Hirschberg (1879),
Käte Seewald geb. Spies (1864), Simon Safir (1863), Amalie Spier geb. Rosenberg
(1861), Gustav Spier (1892, s.u.), Simon Spier (1863), Ester Stern
(1860), Ferdinand Stern (1890, seit 1919 Lehrer in Frankenberg, siehe unter
Links).
Aus Niederurff sind umgekommen: Sara Bachrach geb. Schön
(1897), Mirjam Buxbaum (1888), Frieda Katz (1879), Siegmund Katz (1877), Sara
Lichtenstein geb. Katz (1884), Frieda Schirling geb. Stern (1881), Theodor
Schön (1893), Elieser Stern (1874), Ida Stern geb. Schirling (1876), Jakob
Stern (1876), Sally Stern (1889).
Aus Kerstenhausen sind umgekommen: Moritz Buxbaum (1884),
Rosa Buxbaum (1877).
Zur Erinnerung an jüdische Personen, die in der NS-Zeit ermordet
beziehungsweise vertrieben wurden, sind
in Bad Zwesten in März 2005 in einer ersten Aktion zehn Stolpersteine verlegt
worden. Eine zweite Verlegeaktion erfolgte im März 2006 mit weiteren sieben
Steinen. Am 30. Mai 2012 wurden bei einer dritten Aktion drei weitere
"Stolpersteine" verlegt (für Liesel Brager geb. Kirschberg in der
Hauptstraße 8 und Henriette und Markus Stern in der Querstraße 1).
Berichte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1870 /
1871 / 1872
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Dezember 1870:
"Die hiesige Lehrer-, Schächter- und Vorsängerstelle mit Rthlr. 200
Gehalt ist alsbald zu besetzen. Zwesten (Reg.-Bezirk Kassel), 1. Dezember
1870.
Der Vorstand. Hirschberg." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. April 1871:
"Die hiesige Elementar-, Vorsänger- und Schächterstelle ist vakant.
Fixer Gehalt 200 Taler (Nebeneinkünfte ca. 40-50 Taler ohne Garantie).
Lehrer- und Vorsänger- exkl. Schächtergehalt 150 Taler. Bewerber wollen
sich gefälligst melden beim
Vorstand M. Hirschberg. Zwesten (Reg.-Bezirk Kassel), 27. März
1871." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. November 1872:
"Vakante Lehrerstelle. Die hiesige Elementar- und
Religionslehrer- sowie Vorsänger- und Schächterstelle ist zu besetzen.
Fixer Gehalt Taler 200. Nebeneinkommen ca. Taler 50. Bewerber wollen sich
gefälligst melden beim
Vorstand M. Wallach. Zwesten (Reg.-Bezirk Kassel), im Oktober
1872." |
25-jähriges Amtsjubiläum von Lehrer Simon
Glauberg (1915, 1895-1907 Lehrer in Zwesten)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. April 1915: "Eschwege,
19. April (1915). Sein 25jähriges Amtsjubiläum feierte am 15. April Herr
Lehrer Glauberg dahier. Am 15. April 1890 trat derselbe zu Hochstadt Kreis
Hanau, in den Schuldienst ein, wurde dann am 1. August 1895 an die
israelitische Schule zu Zwesten Kreis Fritzlar und am 1. Januar
1907 an die hiesige Schule versetzt. Dem Ernste der Zeit entsprechend fand
nur eine kurze Schulfeier statt, bei welcher dem Jubilar sowohl von
Schülern als auch Gemeindemitgliedern kostbare Geschenke überreicht
wurden. Das Vorsteheramt der Israeliten zu Kassel ehrte den Jubilar durch
ein anerkennendes Glückwunschschreiben, ebenso der hiesige Jugendverein,
zu dessen Vorstand derselbe gehörte. Auch von ehemaligen Schülern und
Schülerinnen, sowie Kollegen aus nah und fern trafen Gratulationen
ein." |
Lehrer David Loeb wechselt nach Langenselbold (1930)
Artikel
in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Hessen und
Waldeck" vom 28. März 1930: "Zwesten. Herr Lehrer D.
Loeb in Zwesten ist vom 1. April ab nach Langenselbold
(Kreis Hanau) versetzt worden. Bekanntlich wurde die Israelitische
Volksschule in Zwesten von dem Herrn Minister
aufgelöst." |
Aus dem jüdischen Gemeindeleben
Spendenaufrufe für das in schwerer Not befindliche Ehepaar
Abraham Spier (1875/76)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 20. Januar 1875: "Bitte
an wohltätige Glaubensgenossen! Dem hiesigen Gemeindemitgliede
Abraham Spier erkrankte vor ungefähr 1 1/2 Jahren die Frau an einem
Beileiden, welches sich in jüngster Zeit so verschlimmert hat, dass eine
Amputation bevorsteht, und ist bei dem Schwächezustande der Frau das
Schlimmste zu befürchten. Man denke sich nun: die Frau seit 1 1/2 Jahren
auf dem Krankenbette und unzählige Kosten für ärztliche Behandlung und
Pflege verursachend, der Mann ebenfalls kränklich und dazu ans
Krankenbett der Frau gefesselt, dass er also nicht auf Erwerb ausgehen
kann; vier unerzogene Kinder; die ganze Familie in den allerdürftigsten
Verhältnissen: - und man wird wohl einsehen, dass hier rasche und
reichliche Hilfe nötig tut.
Die Unterzeichneten erlauben sich daher, alle wohltätigen
Glaubensgenossen um recht zahlreiche Spenden für diese Familie zu bitten,
und erklären sich zur Entgegennahme derselben bereit. - Die Namen der
edlen Geber werden dann in diesem geschätzten Blatte veröffentlicht
werden.
Zwesten (Reg.-Bez. Kassel, im Januar 1875). M. Wallach, Vorstand; Amram,
Lehrer; Michel Hirschberg." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 13. September 1876: "Edle
Glaubensgenossen! Gegen Anfang des Jahres 1875 erlaubten sich die
Unterzeichneten in diesen geschätzten Blättern einen Aufruf zur
Unterstützung für die unglückliche Familie A. Spier hier zu
veröffentlichen. In Folge desselben gingen recht zahlreiche
Unterstützungen ein, welche es ermöglichten, der am Knochenfraß (am
rechten Beine) leidenden Frau jede nötige ärztliche und sonstige Hilfe
zuteil werden zu lassen. Nachdem dieselbe aber am 10. vorigen Monats nach
3-jährigem Krankenlager trotz aller angewandten Pflege ihren Leiden
erlegen, in ein besseres Jenseits überging, sind den vier noch
unerzogenen Kindern - ein Mädchen von 6, und 3 Buben von 8-11 Jahren -
die liebende segnende Mutter, und dem ebenfalls schon seit lange
kränkelnden Manne, die treue Gattin entrissen worden, und befindet sich
die Familie noch immer im größten Elende. Bis jetzt ist es noch nicht
gelungen, den Kindern eine Unterkunft in einer Waisenanstalt zu
verschaffen, und wird also der unglückliche Familienvater genötigt sein,
da er seinen Geschäften auswärts nachgehen muss, die Erziehung seiner
Kinder und die Führung seines Haushalts fremden Personen anzuvertrauen,
ohne im Stande zu sein, die Kosten bestreiten zu können. Wir richten
deshalb an edle Glaubensgenossen vertrauensvoll die Bitte, durch milde
Beiträge diese Not lindern zu wollen. Größer aber wäre das Verdienst
derjenigen, die sich etwa der Erziehung je eines dieser armen Waisen
selbst annehmen wollten; - es sind dieselben von gutem Charakter.
Zur Entgegennahme von Unterstützungen sind wir gern bereit.
Zwesten, im Monat Elul 5636. M. Wallach
Synagogengemeinde-Vorstand. Amram,
Lehrer." |
Spendenaufruf des Pfarrers Hofmann für einen notleiden
Juden in Niederurff (1876)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19. Juli 1876: "Vor
einem Jahre bat ich für einen hiesigen armen, unglücklichen alten Israeliten,
der ein Bein verloren, an dem gebliebenen Beine ständig Schmerzen hat, an
zwei Stöcken sich mühsam fortschleppen muss, nichts verdienen kann und
nur von den milden Gaben seiner Mitmenschen lebt, um Unterstützung zum
Gebrauch eines ihm verordneten Bades. Meine Bitte fand vielfach willige
Herzen und es kam für den armen Mann, wie in diesem Blatte von mir
bescheinigt worden ist, so viel ein, dass die Kosten des Bades bestritten
werden konnten. Herzlich danke ich nochmals dafür und ermutigt durch die
gebotene Hilfe wage ich es, wiederholt hierdurch um weitere Gaben für
für den Unglücklichen zu bitten, da seine Not noch gleich groß ist und
nach mir vorliegender ärztlicher Bescheinigung auch dieses Jahr von ihm
ein Bad zur Linderung seiner fortdauernd großen Schmerzen gebraucht
werden muss, wozu noch alle Mittel fehlen. Sollten sich auch diesmal
Herzen zu milden Gaben für den armen Glaubensgenossen bereit finden
lassen, so bitte ich, dieselben mir direkt zu senden und versichert zu
sein, dass sie unter dem Rate zweier angesehener Israeliten dahier
gewissenhaft für den würdigen Armen verwendet werden sollen.
Niederurff bei Bahnstation Zimmersrode, im Juli 1876. Der Pfarrer Hoffmann". |
Spendenaufrufe für Manus Löwenstein und seine Frau in Niederurff (1877)
Anmerkung: Der unterzeichnende Lehrer
Wolf Amram ist um 1850 (?) in Diemerode
geboren. Er ließ sich zum Lehrer ausbilden und unterrichtete nach 1872 an der
Israelitischen Elementarschule in Zwesten, seit 1888 in Borken,
wo er 1909 gestorben ist. Er war verheiratet mit Julie geb. Lomnitz (geb. 1857
in Bischhausen). Seine Tochter Frieda
(geb. 6. Oktober 1885 in Zwesten) wurde später Oberin des Kinderhauses
der Weiblichen Fürsorge in Frankfurt am Main. Zeitweise wurde sie in dieser
Aufgabe unterstützt von ihrer jüngeren Schwester Goldine (Dina) Hirschberg
geb. Amram, die mit dem 1894 in Zwesten geborenen Lehrer Seligmann
Hirschberg verheiratet war. Die Mutter Julie Amram ist 1942 im Ghetto
Theresienstadt umgekommen. Ihre Tochter Frieda wurde 1942 in Auschwitz
ermordet.
vgl. zu Frieda Amram die biographischen Anmerkungen in www.juedische-pflegegeschichte.de.
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. März 1877: "An
edle Menschenfreunde! In der Gemeinde Niederurff (Kreis
Fritzlar, Regierungsbezirk Kassel) lebt unter vielen anderen Armen auch
der Israelit Manus Löwenstein, sicher der Ärmsten und
Bedauernswerten Einer. Das wurde er durch schwere Schicksalsschläge,
besonders dadurch, dass ihm vor nun schon 25 Jahren seine Frau erkrankte
und seit dieser Zeit gelähmt ist. Da musste denn der Mann seine Frau
selbst pflegen und konnte keinem Erwerbe mehr nachgehen. Hab und Gut war
nicht da, weil beide Eheleute Kinder armer Eltern waren, und sie waren
darum sofort auf die Mildtätigkeit Anderer angewiesen. Von Zeit zu Zeit,
wenn der jeweilige Zustand der Frau es gestattete, besuchte der Mann die
Bewohner, besonders Glaubensgenossen, der Umgegend, mit deren Gaben die
Familie ihr Leben bisher fristete. Der Mann ist aber schon 70 Jahre (die
Frau 66) alt und kann nicht mehr solche Touren machen, hat auch keine
Kinder oder nahe Verwandte, die ihn unterstützen könnten. Die Familie
hat darum schon jetzt mit der bittersten Not zu kämpfen und geht
besonders einer traurigen Zukunft entgegen. Die Unterzeichneten verkennen
nun zwar keineswegs die traurige wirtschaftliche Lage der jetzigen Zeit,
halten sich aber trotzdem wegen der wirklich gar zu großen Not der
Familie für verpflichtet, edle Menschen um gütige Unterstützungen für
dieselbe zu ersuchen, und erklären sich zur Entgegennahme sowie zur
Veröffentlichung der gefälligen Spender gern bereit.
Niederurff, und Zwesten, im Februar 1877. Mogge, Pfarrer zu
Niederurff. M. Rothschild zu Niederurff. Amram, Lehrer zu Zwesten." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Januar 1878: "An
alle Freunde der Notleidenden! Ergebenst bezugnehmend auf den in Nr.
10 des vorigen Jahrgangs dieser geschätzten Zeitung erlassenen Aufruf
für die bedrängte Familie des Mannus Löwenstein zu Niederurff möchte
ich es nochmals wagen, mich an alle edlen Menschenfreunde mit der
ergebensten Bitte, um Hilfe für dieselbe zu wenden. Es sieht gar traurig
in dieser Familie aus.
Am 12. September vorigen Jahres ist nämlich Herr Löwenstein seinen
Leiden erlegen, und nun ist die arme kranke Frau noch ganz allein übrig
geblieben, ohne auch nur einen nahestehenden Verwandten, ohne auch
nur einen Menschen, der in ihren alten Tagen ihr liebevolle Pflege
könnte angedeihen lassen. Wenn ich Ihnen nun noch sage, dass die Arme nun
schon seit einem Vierteljahrhundert so leidend ist, dass sie selbst zum
Ankleiden fremder Hilfe bedarf, so werden Sie überzeugt sein, wie sehr
sie der Hilfe bedürftig ist, da sie doch nur darauf angewiesen
ist. - Lassen Sie mich darum keine Fehlbitte getan haben und gedenken Sie
diese 'Ärmste unter den Armen' mit Ihrer gütigen Hilfe. - Zu Referenzen,
sowie auch zur Entgegennahme gütiger Spenden, haben sich außer dem
Unterzeichneten Seiner Ehrwürden Herr Pfarrer Mogge, sowie Herr Michel
Rothschild, beide zu Niederurff bereit erklärt.
Zwesten, Regierungsbezirk Kassel, am 16. Januar 1878. Amram,
Lehrer." |
Spendenaufrufe für Salomon Buxbaum in
Niederurff (1892/93)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Juli 1892: "Aufruf!
In hiesiger Gemeinde lebt ein Israelit, Salomo Buxbaum, der für seine
Frau und seine vier Kinder, von denen der älteste Sohn durch milde Gaben
auf der Präparandenschule zu Rotenburg an der Fulda ausgebildet wird, den
Lebensunterhalt nur dadurch zu beschaffen genötigt ist, dass er die
Barmherzigkeit seiner Glaubensgenossen beansprucht, da er, weil ohne
Mittel, kein Geschäft betreiben kann und sein recht sauer und dabei sehr
dürftiger Verdienst nur durch einen wöchentlichen Botengang nach Kassel
aufgerbacht wird. Zudem hat er sich genötigt gesehen, um nicht fort und
fort in christlichen Häusern Wohnung zu finden, sich ein altes Häuschen
zu 900 Mark zu kaufen, zu dem ihm aber fast alle Mittel fehlen, und das
nur durch kostspielige Reparaturen wohnbar gemacht werden kann, und
dadurch ist seine Lage noch viel misslicher geworden, aus der ihn seine
auch nicht sehr wohlbestellten hiesigen Glaubensgenossen nicht
herausreißen können. Die Unterzeichneten richten daher an seine Glaubensgenossen
in der Ferne die dringende Bitte, der bedrängten Familien hilfreich
beizustehen und etwaige Liebesgaben an denselben oder an einen der
Unterzeichneten gütigst gelangen zu lassen.
Niederurff (bei Zimmersrode), im Juni 1892. Benedict Schön.
Dass die Verhältnisse des Salomo Buxbaum dürftig sind, bezeigt:
Niederurff. Der Bürgermeister Siebert.
Dass obige Angaben begründet sind, bescheinigt. D.S.G.A. M. Wallach.
Zwesten, 10. Juni 1892". |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. September 1892:
"Im Juni dieses Jahres richteten wir an unsere Glaubensgenossen an
dieser Stelle die dringende Bitte, des sehr bedürftigen Salomon Buxbaum
in Niederurff sich zu erbarmen und durch milde Gaben es ihm zu
ermöglichen, das von ihm gekaufte baufällige Wohnhäuschen zu dauernder
Wohnung herrichten zu können. Einzelne Gaben sind darauf von mildtätigen
Glaubensgenossen eingegangen und wir danken herzlichst dafür, aber sie
waren im Ganzen nur gering und haben die Last des sehr Bedauernswerten nur
unbedeutend gelindert. Wir erlauben uns daher, unsere Bitte zu erneuern
und dringend um weitere Gaben von Nah und Fern für den armen Mann zu
bitten, damit er die ungeduldigen Handwerksleute wenigstens etwas
befriedigen kann und nicht genötigt ist, den Aufbau seines Wohnhäuschens
zu unterlassen, und die Hoffnung bitter getäuscht zu sehen, noch vor
Winter sein lang ersehntes Heim mit Frau und Kindern beziehen zu können.
Ein vergelt's Gott auch für die hoffentlich weiter eingehenden Gaben im
Voraus.
Niederurff, den 21. August 1892. Benedick Schön." |
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 12. Juni 1893: "Wir
baten vor einiger Zeit unsere werten Glaubensgenossen in der Ferne um
milde Gaben zur Linderung der großen Not des armen Israeliten Salomon
Buxbaum zu Niederurff. Unsere Bitte fand hie und da Gehör, doch reichten
die eingegangenen Gaben nicht aus, um nur seine Not erträglich zu machen.
Er ist und bleibt sehr bedrängt. Derselbe geht jede Woche als Bote nach
Kassel und kann durch den Verdienst nicht einmal den Lebensunterhalt für
seine Familie, geschweige denn die durch den Aufbau eines kleinen
Wohnhäuschens entstandenen großen Kosten und die ihm durch den den
Unterhalt seines ältesten Sohnes in einer Präparantenschule täglich
erwachsenden Ausgaben bestreiten. Er bittet deshalb edle Glaubensgenossen
wiederum um milde Gaben, welche man ihm direkt zukommen lassen wolle,
damit er aus seiner hart bedrängten Lage herauskomme und dankt den hochherzigen
Gebern im Voraus." |
Berichte zu
einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod von Michael Rothschild in Niederurff (1879)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. Juni 1879: "Nachruf!
Unsere Glaubensgenossen zu Niederurff (im Regierungsbezirk Kassel)
haben einen herben Verlust zu beklagen. Herr Michael Rothschild von
dort ist am 4. Ijjar (28. April 1879) in ein besseres Jenseits abberufen
worden. Die Schwere des Verlustes kennzeichnet man am besten mit den Worten
des Psalmisten: "Hilf, o Ewiger, denn aus ist es mit dem
Frommen". Der Verblichene war ein wirklicher Frommer und hat sich als
solcher bewährt bis zu seinem letzten Atemzuge. Mit wahrer Begeisterung
war er der väterlichen Religion ergeben! Freudig opferte er manche
kostbare Stunde dem Wohle seiner Gemeinde, die ihm darum auch die größte
Hochachtung entgegenbrachte. Aber nicht allein bei seinen
Glaubensgenossen, sondern bei Allen, die ihn kannten, erfreute er sich
dieser Hochachtung. Ganz besonders muss aber anerkannt werden, mit welcher
Opferwilligkeit er sich der Notleidenden angenommen. Wo es galt, Not und
Kummer zu lindern, da fand man den Verblichenen in der ersten Reihe.
Allenthalben, wo Not war, hat er geholfen, mochten es nun Glaubensgenossen
sein oder nicht. So hat er noch vor seinem Tode der Armen gedacht und auch
ein ziemlich beträchtliches Legat speziell für die christlichen Armen
seiner Gemeinde ausgeworfen. Möge ihm die Erde leicht sein! Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens!" |
Im Ersten Weltkrieg hatte die Familie David Hirschberg
sieben Söhne im Feld (1924)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 9. Oktober 1914: "Aus Zwesten, Bezirk Kassel, wird
uns geschrieben: Von der hier wohnenden Witwe Hirschberg sind
sämtliche sieben Söhne zu den Waffen einberufen. Vier stehen bei
der Infanterie, je einer bei der Marine, den Dragonern und dem Train."
|
|
Artikel in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom 24. April 1924: "1000 Mark
Belohnung setzte im 'Münchener Beobachter' der bekannte deutschvölkische Führer Dietrich
Eckardt für den aus, der ihm eine jüdische Mutter benennen würde,
die drei Söhne auch nur drei Wochen im Schützengraben aufzuweisen
hätte. Durch diese höhnische Auslobung wollte Eckardt 'beweisen', dass
die jüdischen Soldaten im großen Kriege ihre Pflicht schmählich
vernachlässigt hätten und sich, wie er und seine Freunde tagtäglich
verbreiten, in der Etappe statt im Schützengraben breit machten.
Eckardt erlebte einen bösen Reinfall!
Rabbiner Dr. Freund in Hannover benannte zwanzig Mütter seiner
Gemeinde, die den Anforderungen entsprachen. Und als Eckardt sich die
1000.- Mark zu zahlen weigerte, verurteilte ihn das Landgericht München
zur Zahlung. Die Beweisaufnahme ergab, dass in Hannover allein 20
jüdische Familien vorhanden waren, die drei Söhne und mehr drei Wochen
gleichzeitig im Felde hatten und aus anderen Orten Deutschlands wurde eine
lange Liste von jüdischen Familien vorgelegt, welche gleichzeitig
sieben, ja sogar acht Söhne vor dem Feinde hatten.
Die Liste begann: Frau Therese Kraemer in Crailsheim
hatte acht Söhne im Felde.
Frau David Hirschberg in Zwesten, Post Borken, hatte sieben Söhne im
Felde.
Familie L. Caminer in Charlottenburg, Kurfürstendamm 61, hatte sieben
Söhne im Felde.
Frau Delphine Loeb in Worms,
Karmeliterstraße 2, hatte sechs Söhne im Felde.
Familie Samuel Wolf in Aurich hatte sechs
Söhne im Felde.
Familie Arnold Visser in Emden,
Etzardstraße 4, hatte sechs Söhne im Felde.
Familie Meyer in Steinfurt hatte sechs Söhne im Felde.
Familie Marx in Linz am Rhein hatte sechs
Söhne im Felde.
Simon Freising aus Sülzburg hatte
fünf Söhne im Felde." |
Markus Stern ist 25 Jahre Rechnungsführer der
jüdischen Gemeinde (1927)
Artikel
in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Hessen und
Waldeck" vom 28. November 1927: "Zwesten. Wie wir
erfahren, blickt Herr Markus Stern in Zwesten auf eine 25-jährige
Tätigkeit als Rechnungsprüfer der hiesigen Synagogengemeinde
zurück. Vom Vorsteheramt der Israeliten wurden ihm für seine
vorbildliche und musterhafte Führung der Geschäfte Glückwünsche
ausgesprochen und ihm eine Ehrengabe
überreicht." |
70. Geburtstag von Moses Stern (1927)
Artikel
in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Hessen und
Waldeck" vom 16. Dezember 1927: "Zwesten. Am 21. dieses
Monats feiert Herr Moses Stern in seltener körperlicher und geistiger
Frische seinen 70. Geburtstag. Der Jubilar war 18 Jahre Vorsteher hiesiger
Gemeinde und fand unter seiner Amtstätigkeit die feierliche Einweihung
der Synagoge
statt." |
80. Geburtstag von Levi Hougheim (1929)
Anmerkung: Nachname unklar, eventuell verschrieben für Jungheim.
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 28. Februar 1929: "Bad
Wildungen, 20. Februar (1929). Seinen 80. Geburtstag beging in bester
körperlicher Rüstigkeit und geistiger Frische Levi Hougheim aus Zwesten." |
Über den Lehrer Gustav Spier (geb. 1892 in Zwesten, 1924
bis 1939 Lehrer in Haigerloch, umgekommen 1942)
Gustav
Spier stammte aus der bekannten Familie Spier in Zwesten, aus der in drei
Generationen Lehrer, Vorbeter und Rabbiner hervorgingen. Spier ist am 16.
März 1892 in Zwesten geboren. Er ließ sich am Lehrerseminar in Kassel
ausbilden und legte im Februar 1912 als Jahrgangsbester sein 1. Examen ab.
Am Ersten Weltkrieg nahm er als Soldat teil. Er unterrichtete an der Volksschule Kronjanke in Westpreußen sowie an der jüdischen
Volksschule in Geisa (Thüringen). Im
Juni 1924 kam er mit seiner aus Geisa gebürtigen Frau Hertha geb. Bloch
und der 1921 geborenen Tochter Ruth nach Haigerloch/Hohenzollern.
Hier war Spier als Rabbinatsverweser angestellt und für die
religiösen Aufgaben der Gemeinde zuständig. Bekannt wurde er in
Haigerloch auch als
Heimatforscher und Publizist. Beim Novemberpogrom 1938 wurde Gustav Spier
verhaftet und für mehrere Wochen in das KZ Dachau verschleppt. Am 1.
Oktober 1939 wurde aus aus dem Staatsdienst entlassen, die jüdische
Volksschule Haigerloch geschlossen. Außer seiner Tochter Ruth, die
im Februar 1939 mit einem Kindertransport nach England emigrieren konnte,
wurde die gesamte Familie Spier (auch Gustavs Eltern Simon Spier und
Amalie geb. Rosenberg, die 1938 von Zwesten nach Haigerloch umgezogen
waren) deportiert und in das KZ Salspil bei Riga verschleppt. Gustav und
Hertha Spier sowie der Sohn Julius sind dort wenig später umgekommen,
gleichfalls die Eltern von Gustav (Simon Spier im Oktober 1942, Amalie
geb. Rosenberg am 13. September 1942 im Ghetto Theresienstadt). |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeige der Frau von Josef Hirschberg
(1902)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. August 1902: "Ein
älteres Mädchen, das bürgerlich kochen kann, sofort oder später
aufs Land gegen hohen Lohn gesucht.
Frau Josef Hirschberg,
Zwesten, Regierungs-Bezirk Kassel." |
Sonstiges
Erinnerungen an die Auswanderungen im 19. Jahrhundert:
Grabstein in New York für Gella Cohn aus Niederurff
(1818-1908)
Anmerkung: das Grab befindet sich in einem jüdischen Friedhof in NY-Brooklyn;
der Geburtsname von Gella Cohn wird nicht mitgeteilt.
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Grabstein
für
"our Beloved Mother
Gella Cohn Born in
Niederurff, Kurhessen August 30, 1818
Died Oct. 15, 1908" |
Zur Geschichte der Synagoge
Eine Synagoge in Zwesten wird erstmals 1769 erwähnt.
Nach einem Brand 1912 wurde die Synagoge bis zum Sommer des folgenden
Jahres neu
erbaut und durch Rabbiner Dr. Doktor aus Kassel im August 1913
eingeweiht.
Einweihung der Synagoge (1913)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 15. August 1913:
"Zwesten. Nachdem unsere Synagoge im verflossenen Jahr
abgebrannt ist, hat die Gemeinde eine neue erbaut, die nächsten Sonntag
eingeweiht wird." |
1931 kam es zu einer Schändung der
Synagoge, ob diese von nationalsozialistisch gesinnten Tätern vorgenommen
wurde, wird nicht berichtet: .
Einbruch in der Synagoge (1931)
Artikel
in der "Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Hessen und
Waldeck" vom 8. Mai 1931: "Zwesten. Durch eine weite Luke
im Keller sind in der Synagoge unbekannte Täter eingedrungen, haben aus
mehreren Schubladen die Tallesim (Gebetsschale) und Bücher
herausgeworfen. Auch die Almemordecke (Decke auf dem Toralesepult)
war herabgerissen. Die israelitische Gemeinde hat eine Belohnung von 50
Mark zur Erlangung der Täter
ausgesetzt." |
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge
durch SA- und SS-Leute geschändet und völlig verwüstet. Das Gebäude wurde
auf Grund der engen Bebauung nicht angezündet und blieb zunächst erhalten.
1968 wurde das Gebäude im Rahmen der "Dorfsanierung" abgebrochen. Eine Gedenktafel erinnert mit
folgendem Text: "Wir erinnern uns der Mitbürger, die in den Jahren 1933
bis 1945 Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden. Leben und
Tod dieser Menschen sind uns Mahnung und Verpflichtung. Auf dem Grundstück
Schulstraße 2 stand die Synagoge. Sie wurde in der Nacht vom 9. November zum
10. November 1938 verwüstet. Die enge Bebauung schützte sie vor dem
Abbrennen."
Adresse/Standort der Synagoge: Schulstraße
2-4: der Standort der Synagoge wurde großenteils durch ein Wohn- und
Geschäftshaus überbaut.
Hinweis: Im Heimatmuseum des Heimat- und Geschichtsvereins Bad Zwesten
e.V. findet sich Informationen über die jüdischen Familien von Bad
Zwesten, deren Häuser und Geschäfte. Weitere Informationen in der Website
des Heimatmuseums Bad Zwesten.
Adresse: Heimatmuseum Bad Zwesten Ringstraße 2 34596 Bad
Zwesten
Fotos
(Fotos: Hahn, Aufnahmedatum 8.4.2010)
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Historische Fotos
der ehemaligen Synagoge sind nicht bekannt; über Hinweise oder
Zusendungen freut sich der Webmaster der "Alemannia Judaica";
Adresse siehe Eingangsseite |
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Synagogengrundstück und
Gedenktafel
im Frühjahr 2010 |
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Bereich
Grundstück Schulstraße 2; die Gedenktafel befindet sich an der
rechts erkennbaren Mauer |
Gedenktafel
(Text siehe oben) |
Erinnerungsarbeit
vor Ort - einzelne Berichte
November 2010:
Erinnerung an die Pogrome im November 1938 |
Bericht und Fotos aus der Website der Stadt Bad Zwesten
(Link):
"Gedenken an die Reichspogrome
In der Gemeinde Bad Zwesten fand eine Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht mit Pfarrer Dr. Daniel Bormuth, dem Vorsitzenden der Gemeindevertretung Manfred Paul und Bürgermeister Michael Köhler statt.
Pfarrer Dr. Bormuth zitierte den 74. Psalm, den die versammelte Gemeinde Gott klagt:
'Sie verbrennen dein Heiligtum. Bis auf den Grund entweihen Sie die Wohnung deines Namens. Sie verbrennen alle Gotteshäuser im
Lande.' Er wies auf die Aktualität dieser rd. 2.500 Jahre alten gesprochenen Worte hin. Pfarrer Dr. Bormuth betonte, dass die Juden in Bad Zwesten eine lange Tradition hätten. Bereits seit dem 30-jährigen Krieg lebten sie in Zwesten.
Die jüdische Gemeinde verfügte über eine eigene Synagoge, einen eigenen Friedhof und eine eigene Schule. Rund 80 Juden lebten bis zur Reichspogromnacht in Bad Zwesten.
Pfarrer Bormuth betonte, dass trotz allem Beschwichtigen und Verdrängen das Gedenken an die Judenvernichtung sowie heute an die Reichspogromnacht unerlässlich sei. Er forderte zu Wachsamkeit und Gegenrede bei Antisemitismus auf.
Pfarrer Bormuth zählte viele positive Beispiele auf, dass das jüdische Leben sich in Deutschland wieder etabliert habe.
Dr. Bormuth betonte, dass die positiven Beispiele gegen jede Form von Antisemitismus und für den Frieden bestärken sollen. Dafür müsse sich jeder einsetzen.
Der Vorsitzende der Gemeindevertretung Manfred Paul stellte die Frage, wie konnte so etwas vor 72 Jahren passieren?
Für ihn ist die Grundlage dieser Ereignisse das passive Verhalten der Verantwortlichen in der Politik, die es zuließen, dass ein machtbesessener kranker Mensch die Regentschaft über ein ganzes Volk ergriff.
Hier ist deutlich geworden, das Wegsehen und Ignoranz den Menschen zum Schaden wird.
Wir, die wir in einer sozialen Gesellschaft leben, die als Grundlage des Zusammenlebens unser Grundgesetz besitzt, welches sich auf die Werte des christlichen Glaubens, die Würde des Menschen stützt.
Wir sind gefordert dafür einzutreten, damit solche schrecklichen Ereignisse, wie in Nacht vom 09.11.1938 sich nicht wiederholen können.
Ein wichtiger Punkt dafür ist die Menschenrechte, unser Grundgesetz und unseren christlichen Glauben zu wahren.
Ein besonderes Zeichen war der 09.11.1989 mit dem Fall der Mauer zwischen beiden Teilen Deutschlands. Ein denkwürdiges Datum am gleichen Tag! Durch die Einheit der Christen in der damaligen DDR und ihren Mut in den Kirchen für die Einheit einzustehen, dadurch wurde ein menschenunterdrückendes Regime in Wanken gebracht.
Manfred Paul wünscht allen die Kraft und Einsicht zur Wahrung der Menschenrechte, besonders bei den Mächtigen und Einflussreichen. Der Mensch und dessen Würde ist das höchste und wertvollste Gut auf unserer Erde.
Bürgermeister Michael Köhler betonte, dass die Novemberpogrome 1938 eine vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen jüdischer Bürger im gesamten Deutschland war.
Er wies auf die vielen zerstörten Synagogen, Betstuben und sonstigen jüdische Versammlungsräume hin sowie die große Anzahl der im Konzentrationslager Inhaftierten.
In Nordhessen begann bereits am 08. November die Zerstörung von Wohnungen jüdischer Mitbürger wie auch deren Verfolgung.
Bürgermeister Köhler stellte die rhetorische Frage, warum die Mehrheit der Mitbürger weg sah. Köhler bewahrte sich gegen jede Art von Neonazismus, gerade vor dem Hintergrund der
'Freien Kräfte' (Neonazis, die im Schwalm-Eder-Kreis seit einigen Jahren verbrecherisch wirken).
Köhler fordert dazu auf, dass man Gewalt, Rassismus und Intoleranz in all seinen Formen in der Gemeinde Bad Zwesten keine Chance geben dürfe.-" |
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November 2011:
Putzaktion für die Pflege der
"Stolpersteine" in Bad
Zwesten |
Artikel in der Hessischen Allgemeinen (HNA
online) vom 8. November 2011:
"Putzaktion: Heute werden die Stolpersteine in Bad Zwesten zum
ersten Mal gereinigt. Erinnerung aufpolieren.
Bad Zwesten. Sie sollen glänzen und an jüdische Menschen erinnern, die in der NS-Zeit ermordet wurden: die Stolpersteine. In Bad Zwesten wurden hessenweit die ersten Steine verlegt. Acht Jahre ist das her. Einige der Steine haben mittlerweile ihren Glanz verloren. Heute werden alle 17 Steine zum ersten Mal
poliert..."
Link
zum Artikel |
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Mai 2012:
Verlegung von weiteren "Stolpersteinen"
in Bad Zwesten |
Artikel im "Schwälmer Boten" vom
21. Mai 2012: "Gegen das Vergessen: Verlegung von Stolpersteinen in
Bad Zwesten
Link
zum Artikel |
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November 2018:
Veranstaltung zum Gedenken an den
Novemberpogrom 1938 |
Artikel in lokalo24.de vom 14. November
2018: "Mit Kasseler Professor als Gastredner: Bad Zwestener gedachten der
Reichspogromnacht
Bad Zwestener luden am Freitag, 9. November, zu einer Gedenkveranstaltung
anlässlich des 80. Jahrestages der Reichspogromacht ein.
Bad Zwesten. Bis auf den letzten Platz war der große Saal des Kurhauses
am Freitag besetzt, als die Kirchen, die Gemeindeverwaltung und der Heimat-
und Geschichtsverein gemeinsam zu einer Gedenkveranstaltung anlässlich des
80. Jahrestages der Reichspogromnacht geladen hatten. Parlamentschef Manfred
Paul sprach in seiner Einleitung vom dunkelsten Kapitel der deutschen
Geschichte, dessen Geschehen und die Gräueltaten der Nazis bis heute
unfassbar seien. Anschließend ging Gastredner Professor Dr. Dietfrid
Krause-Vilmar in seinem Vortrag zunächst auf das historische Geschehen in
Bad Zwesten ein. Jüdische Bürger wurden aus ihren Häusern gezerrt, deren
Inventar zerstört. Die Pogrome wurden in Nordhessen losgelöst und durch
Entscheidungen der Regierung durchgeführt. Er erzählte von einem Ehepaar,
das in den kalten Wälzebach getrieben wurde und starb – wie es überliefert
wurde – an den Folgen der Unterkühlung. Zwesten und Niederurff habe eine
große jüdische Gemeinde mit rund acht Prozent der Wohnbevölkerung beheimatet
und lange Zeit friedlich miteinander gelebt. Allerdings hätte der heutige
Kurort mit 75 Prozent der Stimmen für die NSDAP bei der letzten freien
Deutschen Wahl im Deutschen Reich einen außergewöhnlich hohen Zuspruch für
die Nazipartei aufgewiesen. Der renommierte Kasseler Professor zeigte in
seinem Vortrag auf, wie systematisch die Rechte der jüdischen Bürger im
Deutschen Reich beschnitten wurden. Prof. Krause-Vilmar schloss seinen
Vortrag mit einem klaren Bekenntnis zur Demokratie.
Bürgermeister Michael Köhler zeigte sich tief berührt von den Worten von
Prof. Krause-Vilmar. Er schloss mit einem Zitat vom sechsten
Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: 'Die Jungen (Menschen) sind nicht
verantwortlich für das was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für
das, was in der Geschichte daraus wird.' Der Heimat- und Geschichtsverein
hatte die Bänke der alten jüdischen Schule im Kurhaus aufgestellt. Ein
großer Kranz verdeutlichte den traurigen Anlass der Veranstaltung. Der
Sänger Dennis Wenzel und der Pianist Thomas Höhl trugen mit jüdischen
Liedbeiträgen zum Gelingen der Veranstaltung bei. Pfarrerin Dorothea Wecker
sprach zum Abschluss ein Gebet."
Link zum Artikel |
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Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang -
Untergang - Neubeginn. 1971. Bd. II S. 449-451. |
| Thea Altaras: Synagogen in Hessen. Was geschah seit
1945? 1988 S. 64. |
| dies.: Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in
Hessen. Was geschah seit 1945 Teil II. 1994. S. 62 (keine weiteren
Angaben). |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen II Regierungsbezirke Gießen und Kassel. 1995 S. 167-168. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany Volume
III: Hesse - Hesse-Nassau - Frankfurt. Hg. von Yad Vashem 1992
(hebräisch) S. 550-551. |
| Reinhard Theis: Juden in Zwesten. In: Heilbad
Zwesten in Geschichte und Gegenwart. Hg.: Gemeindevorstand Zwesten. Bad
Zwesten 1992. |
Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Zwesten
Hesse-Nassau. The community dedicated a synagogue in 1741 (rebuilt in 1914) and
maintained an elementary school. The Jewish population numbered 89 (11 % of the
total) in 1895. The community also drew members from neighboring villages.
Affiliated with the Kassel rabbinate, it produced many Orthodox teachers and
learned laymen. By 1933 the community had declined to 46. Its synagogue was
vandalized on Kristallnacht (9-10 November 1938), and most Jews emigrated
before Worldwar II.
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