In dem bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts
zur Kurpfalz gehörenden Sandhausen bestand eine jüdische Gemeinde bis 1938.
Ihre Entstehung geht in die Zeit des 18. Jahrhundert zurück. Erstmals wird 1743
ein Jude namens Lazarus genannt. 1765 lebten vier jüdische Familien in
Sandhausen, 1802 drei.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zahl der jüdischen Einwohner
wie folgt: 1825 34 jüdische Einwohner (3,3 % von insgesamt 1.034 Einwohnern),
1875 100 (3,9 % von 2.583), Höchstzahl
um 1871 mit 104 Personen. Gegen Ende des 19.
Jahrhunderts verzogen mehrere Familien vor allem nach Heidelberg, sodass 1891
noch 91, 1894 noch 59 (in 15 Familien), 1900 noch 42
(1,3 % von 3.184), 1901 39 (in 14 Haushaltungen), 1910 30 jüdische Einwohner (0,8 % von 3.838) gezählt wurden.
An Einrichtungen hatte die jüdische Gemeinde eine Synagoge (s.u.), eine
Religionsschule und ein rituelles Bad (bis Mitte des 19. Jahrhunderts; das
Badhäuschen stand auf einer tief- und abseitsgelegenen Wiese; der genaue
Standort lässt sich nicht mehr ausmachen - es war bereits 1870 in baulich
schlechtem Zustand). Die Schule war seit 1845 im Gebäude der ersten Synagoge
in der Bahnhofstraße (siehe unten). Vermutlich blieb auch nach der
Einrichtung der neuen Synagoge das Schulzimmer im alten Synagogengebäude, da
dieses zum Wohnhaus des Lehrers/Vorsängers umgebaut wurde. Die Toten der
Gemeinde wurden im jüdischen Friedhof in
Wiesloch beigesetzt. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der
Gemeinde war ein Religionslehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter
und Schochet tätig war (siehe Ausschreibungen der Stelle unten). Erstmals wird
1823 ein Religionslehrer der jüdischen Kinder genannt. Weiter werden an Lehrern
genannt: um 1870 Adolf Weil, um 1889 J. Jakobsohn, seit 1893 bis zu seinem Tod 1929 Bernhard Wunsch.
1901 waren noch vier Kinder an der Religionsschule zu unterrichten.
Von den Gemeindevorstehern werden genannt: um 1894 S. Marx, L. Wahl und
J. Marx, um 1901 S. Marx, M. Wahl und J. Marx.
1827 wurde die Gemeinde
dem Rabbinatsbezirk Heidelberg zugeteilt.
An jüdischen Vereinen bestanden: ein Israelitischer
Wohltätigkeitsverein (Chewra Kadischa; um 1894 unter Leitung von S.
Marx) und ein Israelitischer Frauen-Verein (um 1894 unter Leitung der
Frau von S. Marx).
Die jüdischen Familien verdienten
ihr Einkommen bis um 1850 vor allem als Vieh- und Landesproduktenhändler. Als
Wein-, Hopfen- und Tabakhändler sowie als Inhaber oder Teilhaber von
Zigarrenfabriken hatten sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an der
wirtschaftlichen Entwicklung des Ortes maßgebenden Anteil.
1933 gab es an Handels- und Gewerbebetrieben im Besitz jüdischer
Familien / Personen: Viehhandlung Max Freund I (Hauptstraße 119), Wein-, Hopfen- und Tabakhandlung Kaufmann Freund
(Hauptstraße 141), Viehhandlung Max Freund II und Textilvertretung Heinrich Freund
(Bahnhofstraße 2, abgebrochen), Gasthaus "Pfälzer Hof", Inh. Fam. Marx
(Hauptstraße 96), Zigarrenfabrik Fam. Marx (Schulstraße 15, Vereinshaus), Zigarrenfabrik Gebr. Mayer
(Hauptstraße 92, abgebrochen), Viehhandlung Julius Wahl (Hauptstraße 108, abgebrochen).
1933 lebten noch 18 jüdische Personen in Sandhausen (0,3 % von 4.831
Einwohnern). In
den folgenden Jahren ist ein Teil der
jüdischen Gemeindeglieder auf Grund der Folgen des wirtschaftlichen Boykotts,
der zunehmenden Entrechtung und der
Repressalien weggezogen beziehungsweise ausgewandert. Beim Novemberpogrom
1938 kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die nur noch wenigen
jüdischen Familien am Ort durch SA-Männer aus Heidelberg. Die jüdischen
Wohnungen wurden demoliert, drei jüdische Männer in das KZ Dachau eingeliefert.
Die letzten sieben jüdischen Einwohner wurden am 22. Oktober 1940 in das KZ Gurs in Südfrankreich deportiert.
Von den in Sandhausen geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Emma Freund geb.
Geismar (1868), Kaufmann Freund (1865), Bertha Hecht geb. Marx (1867), Berta
Kahnheimer geb. Marx (1890, vgl. Seite zu
Rheinbischofsheim, wo ein
"Stolperstein" für sie verlegt ist), Friederike Kaufmann geb. Marx (1877), Emilie
Löwenstein geb. Heumann (1882), Ida Marx (1888), Isaac Marx (1867), Moritz Marx
(1865), Sara Marx (1875), Herta Wahl geb. Gümbel (1902), Julius Wahl (1880),
Ludwig Wahl (1907), Mina Wahl geb. Lorsch (1873), Hilda Wunsch (1884), Jettchen
Wunsch geb. Schiff (1858), Max Wunsch
(1900).
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 23. März 1844 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Heidelberg. [Dienstantrag.]. Bei der israelitischen Gemeinde
zu Sandhausen ist die Lehrstelle für den Religionsunterricht der Jugend,
mit welcher ein Gehalt von 50 fl., nebst freier Kost und Wohnung, sowie
der Vorsängerdienst samt den davon abhängigen Gefällen verbunden ist,
erledigt, und durch Übereinkunft mit der Gemeinde unter höherer
Genehmigung zu besetzen.
Die rezipierten israelitischen Schulkandidaten werden daher aufgefordert,
unter Vorlage ihrer Rezeptionsurkunde und der Zeugnisse über ihren
sittlichen und religiösen Lebenswandel, binnen sechs Wochen sich anher zu
melden.
Auch wird bemerkt, dass im Falle sich weder Schul- noch
Rabbinatskandidaten melden, andere inländische Subjekte, nach erstandener
Prüfung bei dem Rabbiner, zur Bewerbung zugelassen werden.
Heidelberg, den 14. März 1844.
Die Großherzogliche Bezirkssynagoge."
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 7. Januar 1846 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Vakante Schulstellen.
[Bekanntmachung.]. Bei der israelitischen Gemeinde zu Sandhausen ist die
Lehrstelle für den Religionsunterricht der Jugend, mit welcher ein
Gehalt von 50 fl., nebst freier Kost und Wohnung, sowie der
Vorsängerdienst samt den davon abhängigen Gefällen verbunden ist,
erledigt, und durch Übereinkunft mit der Gemeinde unter höherer
Genehmigung zu besetzen.
Die rezipierten israelitischen Schulkandidaten werden daher aufgefordert,
unter Vorlage ihrer Rezeptionsurkunde und der Zeugnisse über ihren
sittlichen und religiösen Lebenswandel, binnen 6 Wochen sich bei der
Bezirkssynagoge Heidelberg zu melden.
Auch wird bemerkt, dass im Falle sich weder Schul- noch
Rabbinatskandidaten melden, andere inländische Subjekte, nach
erstandener Prüfung bei dem Rabbiner, zur Bewerbung zugelassen
werden."
Anzeige im "Großherzoglich Badischen Anzeige-Blatt für den
See-Kreis" vom 30. März 1853 (Quelle: Stadtarchiv Donaueschingen):
"Bei der israelitischen Gemeinde Sandhausen ist die Stelle eines
Religionslehrers und Vorbeters mit einem Gehalt von 50 fl., 48 kr.
Schulgeld für jedes die Religionsschule besuchende Kind und den übrigen
Akzidenzien erledigt.
Die berechtigten Bewerber haben sich unter Vorlage ihrer Aufnahmeurkunden
und der Zeugnisse übersittlichen und religiösen Lebenswandel mitteilst
des betreffenden Bezirksrabbinats an die Bezirkssynagoge Heidelberg binnen
sechs Wochen zu wenden.
Wenn sich keine rezipierten Schulkandidaten melden, können auch andere
befähigte Personen, nach erstandener Prüfung bei dem Bezirksrabbiner,
zur Konkurrenz zugelassen werden."
Ausschreibungen der Stelle des Religionslehrers / Vorbeters / Schochet 1884 /
1889 / 1890 / 1893
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 24. Juli 1884:
"Auskündigung einer Religionsschulstelle.
(Nr. 463). Die israelitische Religionsschul- und Vorsängerstelle in
Sandhausen bei Heidelberg, mit welcher ein fester Gehalt von 750 Mark,
freie Wohnung und ansehnliche Gefälle verbunden sind, ist auf 1.
September laufenden Jahres, womöglich mit einem Bewerber ledigen Standes,
zu besetzen. Mit Zeugnissen belegte Meldungen sind binnen 14 Tagen
einzureichen bei der
Bezirks-Synagoge Heidelberg."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. April 1889:
"Auskündigung einer Religionsschulstelle. Die israelitische
Religionsschul-, Vorsänger- und Schächterstelle in Sandhausen bei
Heidelberg, mit welcher ein fester Gehalt von 650 Mark, freie Wohnung und
ansehnliche Gefälle verbunden sind, ist alsbald neu zu besetzen.
Berechtigte Bewerber - Schulkandidaten - wollen ihre mit
Zeugnisabschriften belegten Meldungen baldigst gelangen lassen an
die Bezirks-Synagoge Heidelberg. Heidelberg, 25. April
1889."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Oktober 1890: "Alsbald
zu besetzen ist die mit dem Vorsänger- und Schächterdienst
verbundene israelitische Religionsschulstelle Sandhausen bei
Heidelberg durch einen geprüften Schulkandidaten. Gehalt 6509 Mark bei
freier Wohnung für einen ledigen, oder Beitrag zur Wohnungsmiete für
einen verheirateten Bewerber; Gefälle etwa 300 Mark. Mit
Zeugnisabschriften versehene Meldungen sind zu richtigen an den Synagogen-Rat
in Sandhausen."
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 15. Juni 1893:
"Auskündigung einer Religionsschulstelle. Die israelitische
Religionsschul-, Vorsänger- und Schächterstelle Sandhausen bei
Heidelberg, mit welcher ein fester Gehalt von 650 Mark Schulgeld, freie Wohnung
für einen ledigen Lehrer, und ansehnliche Gefälle verbunden sind, ist
mit September laufenden Jahres neu zu besetzen.
Schulkandidaten belieben ihre mit Zeugnisabschriften versehenen Meldungen
baldigst an den Synagogenrat in Sandhausen zu richten.
Zum Tod von Oberlehrer Adolf Weil
in Eichstetten (1929; war um 1870 Lehrer
in Sandhausen)
Artikel
in "Israelitisches Familienblatt" vom 28. März 1929: "Freiburg im
Breisgau (Oberlehrer Adolf Weil). Am vergangenen Freitag wurde ein
verdienter Veteranen des Lehrerstandes, Oberlehrer Adolf Weil, wenige
Tage vor seinem 82. Geburtstage zu Grabe getragen. 36 Jahre wirkte der
Heimgegangene als Hauptlehrer an der Simultanschule in
Eichstetten, wo ihm schon vor einer
Reihe von Jahren von der Oberschulbehörde das Amt des Oberlehrers und
Schulleiters übertragen worden war. Früher war er an der Volksschule in
Reilingen, Sandhausen und
Michelfeld tätig. Ein kenntnisreicher,
vielseitig gebildeter Mann von vorbildlicher Pflichttreue und hervorragende
Eignung für sein verantwortungsvolles Lehrer- und Erzieheramt, hat mit ihm
das Zeitliche gesegnet. Seine segensreiche Wirksamkeit ist von der Regierung
durch die Verleihung des Verdienstkreuzes vom Zähringer Löwen anerkannt
worden. Die zahlreiche Beteiligung an seiner Bestattung, bei der der
Synagogenrat und die Ortsbehörde von
Eichstetten und zahlreiche seiner Kollegen von Stadt und Land zugegen
waren, sowie die Nachrufe am Grabe - es sprach Religionslehrer Strauß für
die Bezirkskonferenz und den Natalie Eppstein-Verein, Oberlehrer Gänshirt
für die Schulbehörde in Eichstetten,
Herr Heinrich Mayer - Freiburg für den
Reichsbund jüdischer Frontsoldaten - legten Zeugnis ab von der allgemeinen
Wertschätzung, der er sich erfreuen durfte. Der Landwehr- und
Reservistenverein, dem der Verstorbene als Schriftführer angehörte, legte
einen Kranz nieder. Der Oberrat der Israeliten, die Bezirkssynagoge und der
Synagogenrat Eichstetten ließen durch den Mund des Herrn Bezirksrabbiners
dem verdienstvollen Religionslehrer Dank und Anerkennung aussprechen. Herr
Bezirksrabbiner Dr. Zimels zeichnete in seinem warm empfundenen
Nachruf die Lehrertugenden, welche den Entschlafenen in hohem Maße
auszeichneten. Auch im Ruhestand hat der bis zuletzt körperlich und geistig
ungewöhnlich rüstige Mann in Freiburg, dass er sich zu seinem alten Sitze
ausersehen hatte, seine Unterrichtstätigkeit fortgesetzt wie er sich auch
auf sonstigen Gebieten: im jüdischen Jugendbund, für den Naphtali
Epstein-Verein und den Landeswaisenverein mit Eifer und Erfolg betätigte."
Über den Lehrer Bernhard Wunsch und
seine Familie Anmerkung: die Angaben zur Familie sind
vor allem aus dem Beitrag von Rolf W. Maier: Sandhäuser Geschichte: Max Wunsch -
Sandhausen - Niederlande - Auschwitz. September 2017. Veröffentlicht in der
Internet-Zeitung Leimen-Nußloch-Sandhausen (Link
zum Artikel;
eingestellt als pdf-Datei). Genealogische Angaben zur Familie siehe Einstieg
über
https://www.geni.com/people/Bernhard-Wunsch/6000000027631672234.
Bernhard Wunsch (geb. 1. Januar 1855 in Mils
beziehungsweise in Wiess/Böhmen): war von 1881 bis 1884 Lehrer in
Schifferstadt, von 1884 bis 1893 in
Assenheim, seit 1893/94 in Sandhausen. Hier
betrieb er auch ein Versicherungsbüro und eine Bücherausleihe. Dazu verkaufte er
Tabakwaren. Er wohnte mit seiner Familie in der Bahnhofstraße 2 in Sandhausen.
Bernhard Wunsch starb am 21. Juni 1929 in Sandhausen und wurde im
jüdischen Friedhof in Wiesloch beigesetzt.
Er war verheiratet mit Jettchen geb. Schiff (geb. 1. Dezember 1858 in
Groß-Karben als Tochter von Salomon
Schiff und Mahla geb. Strauß). Jettchen Wunsch lebte nach dem Tod ihres Mannes
bei der Tochter Bianka in Rheydt/Mönchengladbach und ist nach der Deportation
1942 im Ghetto Theresienstadt umgekommen.
Bernhard und Jettchen Wunsch hatten vier Kinder:
- Hermine (geb. 20. Dezember 1883 in
Schifferstadt): wanderte 1922 in die USA aus (nannte sich mit Vornamen
Hermi), blieb unverheiratet; war als Näherin/Schneiderin tätig; lebte zuletzt in
Greenwich, Fairfield, Connecticut; verstarb am 3. März 1969 in Norwalk,
Fairfield, Connecticut USA.
- Hilda (geb. 4. Juni 1885 in Assenheim):
war als Krankenschwester tätig, blieb unverheiratet, lebte in Mannheim, Berlin
und Beuthen/Oberschlesien. Umgekommen nach Deportation 1943 im Ghetto
Theresienstadt.
- Bianka (geb. 2. Mai 1886 in Assenheim):
war seit dem 16. April 1912 verheiratet in Sandhausen mit Kaufmann Höchster aus
Lauterbach; lebte mit ihm in Lauterbach,
zuletzt in Rheydt, heute Mönchengladbach; hatten zwei Kinder Zipporah/Zilli
(geb. 1913 in Lauterbach, verh. mit Arthur/Arturo Sieger aus Mönchengladbach;
sie starb etwa 1945 in Kolumbien, er ebd. 1988) und Manfred Richard (geb. 1922
in Lauterbach). Ihr Mann stammte aus
Lauterbach (geb. 12. Mai 1887) und war in Frankfurt als Metallhändler tätig.
Bianka starb am 3. August 1940 in Mönchengladbach (Suizid?), ihr Mann am 24.
September 1940 ebd. (Suizid?).
- Max (geb. 8. Februar 1900 in Sandhausen): heiratete am 16. Mai
1922 in NiederlahnsteinEmmy gen. Jenny
geb. Levi (geb. 18. Mai 1903 in Niederlahnstein als Tochter von Siegmund
Levi und der Laura geb. Markus). Max Wunsch lebte mit seiner Frau und der 1922
geborenen Tochter Ilse bis 1933 in Nieder-Lahnstein und emigrierte noch 1933
nach Enschede in die Niederlande. 1935 verzog die Familie nach Deventer. Ab 1941
Aufenthalt in einer Klinik in Apeldoorn, von dort im Januar 1943 nach Auschwitz
deportiert und ermordet.
Emmy Wunsch überlebte in den Niederlanden die NS-Zeit und starb 1988 in
Gravenhagn/NL.
Für Max Wunsch und seine Schwager (Brüder seiner Frau) Paul und Hans Levi wurden
2013 vor dem Gebäude Johannesstraße 5 in Lahnstein "Stolpersteine" verlegt.
Bericht zur Verlegung
http://www.kolping-lahnstein.de/w/?p=145. Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Lahnstein. Der Name
von Max Wunsch steht auch auf einem Denkmal zur Erinnerung an die aus Appeldoorn
deportierten jüdischen Personen (im Prinsenpark)
Lehrer Bernhard Wunsch wird mit
dem Badischen Kriegshilfekreuz ausgezeichnet (1917)
Mitteilung
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11. Mai 1917: "Herr Lehrer
Wunsch in Sandhausen bei Heidelberg, der das dortige Vereinslazarett von
der Gründung bis zur Auflösung verwaltet hat, wurde mit dem Badischen
Kriegshilfekreuz ausgezeichnet."
Zum Tod von Lehrer Bernhard Wunsch
(1929)
Artikel
in der "Jüdisch-liberalen Zeitung" vom Juli 1929: "Heidelberg
(Todesfall). Die kleine jüdische Gemeinde im benachbarten Sandhausen
beklagt den Heimgang ihres betagten Lehrers B. Wunsch, der 36 Jahre seiner
ein halbes Jahrhundert umfassenden Amtstätigkeit in der Gemeinde verbrachte.
Der Verstorbene erfreute sich bei der gesamten Ortsbevölkerung dank seines
freundlichen Wesens hoher Wertschätzung. Bezirksrabbiner Dr. Pinkuß und
Lehrer Hahn aus Walldorf widmeten dem Heimgegangenen tief empfundene
Gedenkworte."
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. Oktober 1877: "Wiesloch,
20. September (1877). Am Tag nach Jom Kippur ereignete sich in dem
eine Stunde von hier entfernten Dorf Mühlhausen ein sehr bedauernswerter
Fall. Der allgemein geachtete und beliebte Bürger Heinrich Wahl von
Sandhausen, Amts Heidelberg, ging Morgens 6 Uhr wohl und munter von seiner
Familie nach Mühlhausen, um Hopfen einzukaufen, kam auf einen Speicher,
der in Verbindung mit der Scheune steht, um Muster zu sehen; kaum dort,
tat er einen Fehltritt und stürzte 25 Fuß hoch so unglücklich herunter,
dass er sofort bewusstlos weggetragen werden musste und trotz aller
ärztlichen Hilfe, nachts 12 Uhr, seinen Leiden erlag.
Heute nun bewegte sich ein unübersehbarer Leichenzug durch hiesige Stadt
um die irdischen Überreste des Verewigten auf den hiesigen Friedhof
(Wiesloch) zu verbringen. Von Nah und Fern kamen Leute herbei, besonders
viele Christen, darunter der ganze Gemeinderat von Sandhausen, um dem
Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen. Eine große Beteiligung an der Beisetzung
fand schon in Mühlhausen statt, und ist hier das Zeugnis für den
Verstorbenen abgelegt worden, mit welcher Anhänglichkeit die Bauern an
dem Verstorbenen hingen, wegen seines aufrichtigen Handelns. Herr
Hauptlehrer Weil aus Michelfeld gedachte in schönen Worten des
Unglücklichen.
Der zur Beisetzung hierher berufene Bezirksrabbiner Dr. Sondheimer
aus Heidelberg sprach am Grabe über die Worte Jeremia 14, Vers 17. Er war
sichtlich gerührt und entwarf in sehr ergreifenden Worten ein kurzes
Lebensbild des Verstorbenen und seines Wirkens, sodass kein Auge
tränenleer blieb.
Der Unglückliche erreichte ein Alter von 44 Jahren, war
Synagogenratsvorstand, auch war er aushilfsweise an den ehrfurchtgebietenden
Tagen schon seit mehreren Jahren ehrenamtlicher Vorbeter. Er
hinterlässt eine tief trauernde Witwe mit 6 noch kleinen, unmündigen
Kindern.
Möge der Allgütige, der da ist der Vater der Waisen und der Witwen
der schwer heimgesuchten Gattin und den lieben Kleinen seinen himmlischen
Trost senden, damit sie den Willen Gottes hoch achten und das Andenken des
Verblichenen ehren. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des
Lebens. Ackermann,
Lehrer."
die Zigarrenfabrikanten Rudolph Lehmann Mayer und sein
Bruder Max
Mayer (Ehrenbürger seit Januar 1863; nachstehende Angaben auf Grund der
Auskünfte des Stadtarchives Mannheim über Wilfried Hager vom 26.9.2016) sowie
später als Sohn von Max: Emil Mayer: Rudolph Lehmann Mayer (geb. 26. September 1809 in Mannheim als Sohn
des Kaufmanns/kurpfälzischen Hoffaktors Hayum Gottschalk Mayer und der Rebekka geb. Ladenburg, gest.
13. November 1884 in Mannheim), eingetragen als Kaufmann, dann als
Fabrikant; war seit dem 17. August 1845 [in Hannover] verheiratet mit Louise
geb. Cohen (geb. 10. März 1819 in Hannover); die beiden hatten drei
Kinder: Wilhelmine Eugenie Mayer (geb. 31. Oktober 1846 in Mannheim,
verheiratet mit Philipp Rudolf Goldschmidt), Georg Ludwig Mayer (geb.
1. Oktober 1844 in Mannheim), Ferdinand August Mayer (geb. 25. August
1850 in Mannheim, gest. 15. Februar 1872 in Mannheim). Genealogische Informationen
https://www.geni.com/people/Rudolf-Lehmann-Mayer/6000000002764498418;
Grab von Rudolf Lehmann Mayer und Louise Mayer geb. Cohen im jüdischen
Friedhof Mannheim
https://www.marchivum.de/de/juedischer-friedhof/b2-mgr-10-mayer-rudolph-lehmann
Zu Georg Ludwig Mayer
https://www.geni.com/people/Georg-Mayer-Doss/6000000002764498424,
https://www.literaturportal-bayern.de/autorinnen-autoren?task=lpbauthor.default&pnd=116539674
und
https://de.wikipedia.org/wiki/Martha_Haushofer. Max Mayer (geb. 13. Februar 1818 in Mannheim, gest. 14. Juni 1871
in Mannheim), zunächst "Handelsmann zu Mannheim", war seit dem
28. Juni 1846 in Rödelheim verheiratet mit
Pauline geb. Mendes (geb.
14. September 1822); die beiden hatten drei Kinder: Gustav Edmund Mayer
(geb. 3. Juni 1847 in Mannheim, gest. 9. August 1849 in Mannheim), Emil
Max Mayer (geb. 24. Oktober 1848 in Mannheim, später
Zigarrenfabrikant, s.u.); Elise Mina Mayer (geb. 30. März 1850 in
Mannheim; war verheiratet mit dem Bankier Gustav Ladenburg) Genealogische Informationen siehe
Hohenemsgenealogie
und
https://www.geni.com/people/Maximilian-Mayer/6000000004590137258; Grab
im jüdischen Friedhof Mannheim (Grab Ladenburg)
https://www.marchivum.de/de/juedischer-friedhof/b2-mgr-02-mayer-max Anmerkung: bei Rudolf Lehmann Mayer und Max Mayer handelte es sich um die
jüngeren Brüder von Henriette Levi geb. Mayer (1807-1842), die Mutter des
Orchesterdirihenten und Komponisten Hermann Levi (1839-1900, dirigierte für
die Bayreuther Festspiele, insbesondere die Uraufführung des Parsifal, siehe
https://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Levi)
Nicht Ehrenbürger, aber hier trotzdem zu nennen:
Emil Mayer (Sohn von Max Mayer s.o., geb. 1848 in Mannheim, gest. 1910
in Mannheim), Chef der
Zigarrenfabriken der Gebrüder Mayer (wohnhaft in Mannheim); war verheiratet
mit Johanne geb. Goldschmidt (geb. 1853 in Kassel); verhalf den
Arbeitern der Zigarrenfabrik zu eigenen Wohnhäusern in der Gemarkung
'Großes Loch'. 1909 stiftete er einen ansehnlichen Betrag zur Errichtung
der Gemeindebibliothek. Nach ihm beziehungsweise den genannten Ehrenbürgern
Lehmann Mayer und Max Mayer ist die "Mayerstraße"
genannt (vor 1933 "Mayergasse"; in der NS-Zeit in "Schlagetergasse"
umbenannt, Mai 1945 Rückbenennung in "Mayergasse" bzw. später in
"Mayerstraße"). Genealogische Informationen siehe
https://www.geni.com/people/Emil-Mayer/6000000039163016142 Grab
möglicherweise auch im Grab Ladenburg im jüdischen Friedhof in Mannheim (s.o.;
mehrere Inschriftentafeln fehlen). Hinweis 1: auch in Leimen - St. Ilgen (Theodor-Heuss-Str. 41) gab es
eine Zigarrenfabrik der Gebr. Mayer im heutigen Gebäude des
Stadtmuseums Leimen ("Alte Zigarrenfabrik"). Dieses Gebäude wurde 1899 als
"Spritzenhaus" und Wagenhaus auf dem Gelände des ehemaligen katholischen
Schulgartens erbaut, bevor es dann als Zigarrenfabrik von den Gebr. Mayer in
Betrieb genommen wurden. Ende der 1990er-Jahre wurde im Haus von
Ehrenamtlichen ein Museum eingerichtet (Objekte aus den Themengebieten
Tabak, Industrie und Handwerk aus dem 19./20. Jahrhundert). 2010 wurde das
Fabrikgebäude grundsaniert. Seit 29. Juni 2014 wieder eröffnet (Verwaltung
durch den Verein für Museen und Stadtchronik Leimen e.V. vgl.
https://www.leo-bw.de/web/guest/detail-gis/-/Detail/details/DOKUMENT/lmb_museen/501/Stadtmuseum+Leimen
und
http://museen.de/stadtmuseum-leimen-baden.html) Dazu eingestellt: - Artikel in der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom 1.
August 1990: "Zigarren
ließen den Schornstein rauchen. Leimens Stadtteil St. Ilgen: Mit der
Tabakindustrie kam einst bescheidener Wohlstand - Fabrikgebäude
denkmalgeschützt..." (eingestellt als pdf-Datei).
Weiteres Dokument: "Statuten
der Kranken-Kasse für die Arbeiter in den Fabriken der Herren Gebrüder Mayer
in Sandhausen, St. Ilgen und Walldorf..." (als pdf-Datei
eingestellt) Fotos der ehemaligen Zigarrenfabrik der Gebr. Mayer in St. Ilgen
(Repro/Fotos: Wilfried Hager, Aufnahmen Juni 2021)
Die Belegschaft der
Firma Gebr. Mayer
Zigarrenfabrik
am 1. Mai 1936
Rechts: die ehemaligen
Firmengebäude
im Juni 2021
Hinweis 2: Die Zigarrenfabrik der Gebrüder Mayer in Sandhausen wurde 1936
durch die Zigarrenfabrik "Bruns bey Rhein" übernommen ("arisiert").
Diese wurde mit der Übernahme der Fabriken der Gebrüder Mayer damals zur
größten Zigarrenfabrik Deutschlands. 1943 wurden die Mannheimer Betriebe von
"Bruns am Rhein" zerstört, der Neubeginn der Firma "Bruns am Rhein" begann
nach 1945 mit den Tochterbetrieben in Sandhausen, Walldorf usw. So wurde
1949 wurde in Sandhausen eine neue Sortierfabrik erbaut, vgl. Artikel im
"Heidelberger Tageblatt" vom 11. Oktober 1949: "Bruns
bey Rhein baut auf. Beim Richtfest der modernen Sortierfabrik in Sandhausen"
- eingestellt als pdf-Datei. Die Zigarrenfabrik Bruns bestand in Sandhausen
bis in die 1960er-Jahre.
Hinweis 3:Ergänzender Text aus Günter Wittmann/Jonas
Scheid: Zeitsprünge Sandhausen. Sutton-Verlag 2012
https://www.staempfliverlag.com/detail/ISBN-9783866809529:
'Im Jahr 1851 kauften die Gebrüder Mayer aus Mannheim ein Grundstück für 2.000
Gulden und bauten eine große Zigarrenfabrik darauf. Den Namen 'Die grouß
Fawwarik' prägten die Sandhäuser schon in den Fünfziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts. Sie war von Anfang an die größte Zigarrenfabrik und blieb es auch
bis zu ihrem Ende. Viele Männer, Frauen und Kinder gingen täglich aus und ein,
um Tabak zu rippen, Wickel oder Zigarren herzustellen. Die 'grouß Fawwarik', wie
sie die Sandhäuser liebevoll nannten, erwarb sich im Laufe der Zeit ein
berechtigtes Ansehen, da ihr Name nicht nur etwas über die Größe des Betriebes
aussagte, sondern auch über das soziale Engagement der Betriebsleitung. Treuen
und zuverlässigen Arbeiterfamilien ließ die Firma eine Reihe einfacher
Familienhäuser bauen, die sie über längere Zeit abbezahlen konnten. So kamen
Minderbemittelte zum eigenen Heim. Die Mayer-Häuser stehen in der Mayerstraße,
die zu Ehren ihres Erbauers benannt wurde. Die Johannastiftung der Firma
unterstützte in Not geratene Arbeiterfamilien und stiftete im Jahr 1909 die
erste Volksbibliothek in Sandhausen. Mit ihrem sozialen Verständnis eilte die
Firma der damaligen Zeit voraus und übte so einen positiven Einfluss auf die
anderen Groß- und Kleinbetriebe Sandhausens aus.'"
Alexander Kann
(immer wieder auch "Kahn"
geschrieben; Ehrenbürger in Sandhausen seit 1918; geb. 21. Dezember 1865 in
Oberzell),
lebte zunächst mit seiner Familie ab 1877/78 in
Rothenburg o.d.T.,
war um 1885 Lehrer in Sandhausen,
später Bankier in Bochum, dann Essen (Direktor der Rheinisch-Westfälischen Bank für
Grundbesitz; Inhaber des 1918 begründeten Bankgeschäfts Alexander Kann in
Essen, Hagen 2/4 Bankplatz). Im Kriegsjahr 1917 schickte Alexander Kann nach Sandhausen 100
Kohlenwaggons als Brennmaterial. Alexander Kann war verheiratet mit Mirjam geb.
Reis (Reiß, Reiss) aus Eubigheim. Die
beiden hatten drei Kinder: Herbert geb. 1893, Martha geb. 1895, Wilhelm,
geb. 1897. Alexander Kann ist in der NS-Zeit mit seiner Frau, der Tochter Martha und
dem Sohn Herbert nach Frankreich emigriert und lebte in Alencon (Normandie).
Dort wurden sie verhaftet und zunächst nach Drancy (vgl.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sammellager_Drancy) verbracht, von dort am
6. November 1942 nach Auschwitz deportiert. Alexander und Herbert Kann
wurden dort ermordet. Ihre Namen stehen auf Shoah Memorial in Paris
https://de.findagrave.com/memorial/29513349. Seine Frau Miriam
überlebte, starb aber bald nach ihrer Rückkehr in Frankfurt. Auch die
Tochter Martha überlebte und wanderte in die USA aus, wo sie in
Cleveland/Ohio lebte. Sohn Wilhelm lebte ab 1942 in der Schweiz, nach 1945
wieder in Paris, wo er unter dem Namen Guy Kahn als Patentanwalt tätig war.
(Informationen: Gemeinde Sandhausen sowie Beitrag von )
Rechts:
Abbildungen zum Ehrenbürger Alexander Kann (Quelle: Gemeinde Sandhausen)
Oben:
Foto von Alexander Kann, eine Anzeige seines Bankgeschäftes in Essen sowie Abbildung der 1918 ausgestellten
Ehrenbürgerurkunde mit dem Text: "Ihren unvergesslichen Wohltäter
in schwerer Zeit, Herrn Alexander Kann aus Essen, ernennt zum Ehrenbürger
aus Dankbarkeit die Gemeinde Sandhausen am 1. September 1918" (mit
Unterschriften, u.a. von Bürgermeister Franz Hambrecht). Zur Geschichte von Alexander Kann und Familie siehe den Beitrag von Wolf
Stegemann: Alexander Kann: seine Bank, seine Familie, seine Geschäfte -
Ein Lebensweg von Oberzell über Rothenburg ob der Tauber, Sandhausen, Essen
und Paris bis Auschwitz:
online zugänglich (auch
als pdf-Datei eingestellt)
Rechts: Heiratsurkunde / Bescheinigungen von
Alexander Kann und seiner Frau Mirjam geb. Reis (Heirat 1892 in Rothenburg)
Rechts:
Dokumente zum Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft für Alexander Kann sowie seine Kinder Wilhelm Kann und Martha Kann (1938)
(Dokumente erhalten von Wilfried Hager, Sandhausen)
Weitere bekannte Persönlichkeiten
der jüdischen Gemeinde waren:
Ludwig Marx (geb. 2. August 1891 in Sandhausen als
Sohn des Zigarrenfabrikanten Lehmann Marx und der Mina geb. Oppenheimer -
gest. 9. Dezember 1964 St. Georgen/Schwarzwald), Dichter und Lehrer; war von 1920 bis 1927 Vorsteher der Bürgerschule von St.
Georgen im Schwarzwald. Schon damals hat er sich um die Erwachsenenbildung
in St. Georgen große Verdienste erworben. 1927 bis 1933 Gymnasial-Professor in
Bruchsal. Um 1950 Rückkehr nach St. Georgen, wo er bis zum seinem Tod blieb.
Mehrere Jahre leitete er das St. Georgener Volksbildungswerk und trat mit
kulturellen Beiträgen in Radio und Zeitschriften an die Öffentlichkeit.
Fotos von
Prof. Dr. Ludwig Marx (Repros: Stadtarchiv St. Georgen;
Kennkarte: Yad Vashem Jerusalem)
Anfang
der 1920er-Jahre
Kennkarte von Prof.
Marx
in der NS-Zeit
Prof. Marx in
seinem Studierzimmer in
St. Georgen, Haus Schönblickstr. 20 (etwa 1960)
Dazu: Tobias Stäblein: Porträt von Ludwig Marx im
Rahmen einer Facharbeit der 13. Klasse des Theresien-Gymnasiums München.
Eingestellt in den "Gedächtnisblättern Dachau":
https://www.gedaechtnisbuch.org/wp-content/uploads/2015/07/marx_ludwig.pdf
Tobias Stäblein: Ludwig Marx. In: Gedächtnisbuch für die Häftlinge
des KZ Dachau, Augsburg 2012.
Wolfgang A. Winkler: Dr. Ludwig Marx, ein Förderer der Kultur in St.
Georgen. In: Der Heimatbote Hrsg. vom Verein für Heimatgeschichte e.V. St.
Georgen im Schwarzwald. Jahresheft 15 2004. S. 63-77.
Online eingestellt (pdf-Datei).
Reinhard Düchting: Ludwig Marx (1891-1964). In: Michael Heitz und
Bernd Röcker: Jüdische Persönlichkeiten im Kraichgau, Ubstadt 2013.
Fotos aus dem Gemeindearchiv Sandhausen zur "Straussischen Milchküche Sandhausen",
Mitte mit Untertext: "Krippe.
Abholen der Milch in der Straussischen Milchküche"; das Foto rechts aus dem
Beitrag Lina Gutherz Straus (siehe unten, S. 96).
Der amerikanische
Präsident Franklin
D. Roosevelt mit Nathan Straus
Anfang
des 20. Jahrhunderts war die Einrichtung von Milchküchen und Milchhöfen
in vielen Städten eine wichtige Maßnahme, um für die Ernährung von
Säuglingen und Kleinkindern einwandfreie Milch bereitzuhalten. Das Stillen
der Kinder war damals eher die Ausnahme, und wenn eine Frau stillte, dann
höchstens zehn bis zwölf Wochen. Der aus der Pfalz (siehe
Otterberg) stammende New Yorker
Philanthrop Nathan Straus (Strauss) galt bereits in den 1890er-Jahren
als großer Wohltäter. Er setzte sich für Arme und Obdachlose ein und
unterstützte wesentlich die Kampagne für pasteurisierte Milch. Dadurch
rettete er unzähligen Kindern das Leben. Ende 1907 konnten auf Grund seines
Engagements und des Kontakte mit der großherzoglichen Familie
Milchpasteurisierungsinstitute in Heidelberg und Karlsruhe eingerichtet
werden (siehe Mitteilungen auf der Seite zu
Otterberg). Wenig später konnte in
Sandhausen eine "Milchküche" geöffnet werden, wo seit Februar 1908
pasteurisierte Milch ausgegeben wurde. Sandhausen wurde ausgewählt, weil
hier die damals höchste Sterblichkeitsrate der Kinder im Großherzogtum Baden
herrschte. Die Sterblichkeitsrate der Kinder am Ort sank sofort. Am Ende des
ersten Jahres wurde festgestellt, dass die Sterblichkeit bei Kindern unter
zwei Jahren von durchschnittlich 46 % in den fünf Jahren auf weniger als 20
% gesunken war. Daraufhin erweiterte Nathan Straus die Arbeit seines
Sandhausen-Depots, um alle Babys des Dorfes mit pasteurisierter Milch zu
versorgen, indem er sie entweder zu einem nominalen Preis verkaufte oder
verschenkte. Das Ergebnis war, dass es im Juli 1909 in Sandhausen keine
Todesfälle mehr bei Babys gab, obwohl in den Jahren zuvor in diesem Monat
jedes Jahr sechs oder sieben Todesfälle aufgetreten waren. Nur durch die
Lieferung von pasteurisierter Milch anstelle von Rohmilch wurde dies
erreicht.
Ergänzende Informationen nach der Publikation von Günter Wittmann/Jonas
Schneid: Zeitsprünge Sandhausen. 2012. S. 26-27: Die Milchküche
befand sich in der Hauptstraße gegenüber dem ehemaligen Rathaus. Nathan
Strauß finanzierte auch eine Diakonisse in der damaligen Kinderkrippe. Der
Kontakt zu Nathan Strauß sei über die jüdische Familie Marx (ehemalige
Zigarrenfabrik in der Schulstraße 15, später Vereinshaus) zustandegekommen.
Allerdings wurde die Milchküche 1912/13 nicht geschlossen, weil Nathan
Strauß beim Untergang der Titanic ums Leben kam, vielmehr starb Nathan
Strauss 1931; auf der Titanic ist sein Bruder Isidor gestorben.
Rechts: Artikel in "Standard Union" vom
24.2.1908: "Straus Plant is Opened
at Sandhausen, Germany"
Übersetzung
des obigen Artikels (von Susanne Reber): "Pasteurisierungsanlage von
Straus im süddeutschen Sandhausen eröffnet. Berlin, 24. Feb. - Die
Pasteurisierungsanlage wurde der Verwaltung des süddeutschen Ortes
Sandhausen vom amerikanischen Millionär Nathan Straus vorgestellt und im
Rahmen einer feierlichen Zeremonie übergeben Die Anlage ist die
fortschrittlichste in ganz Deutschland. Da die Kindersterblichkeit in
Sandhausen 47 Prozent beträgt wurde der Ort von Herrn Straus als besonders
geeignet ausgewählt, um hier zu zeigen, welchen Nutzen sein Projekt für die
Bevölkerung hat."
Nathan
Straus zu Besuch in der
Milchküche in Sandhausen
Uhr, die
Nathan Straus einem Arbeiter
in der Strausschen Milchküche schenkte
(Foto und Uhr aus der Sammlung von Rosemarie Stephan)
Die nachstehenden Presseartikel erschienen
1908/09 in amerikanischen Zeitschriften:
Presseartikel
in "The Ottawa Journal" (sc. Ottawa, Ontario, Kanada) vom 6. April 1908
S. 12: "The purest milk in all of Europe. The local autorities
of a german town will conduct depot they have established (Berlin 6. April).
A new depot for the preparation and distribution of pasteurized milk by
Nathan Straus system has been opened at Sandhausen, a small town near
Heidelberg in South Germany. The complete pasteurizing plant has been
presented to the municipality by Mr. Straus and the depot will be conducted
by the local authorities. Sandhausen is peculiarly suited for pioneer work in regard to pure
milk because it has the highest infantile death rate in the grand Duchy of
Baden and because there is every reason to believe that impure milk is the
main cause of this terrible mortality. Offical statistics show that the
infantile mortality reaches the alarming figure of 47 per cent and a recept
investigation of the milk supply of the town revealed the significant fact
that a number of cows belonging to different owners were auffering from
tuberculosis.
Mr. Straus has not only made a present of his pasteurising apparature to the
municipality, but has also fitted up the depot at his own expense, and has
further agreed to supply all the milk free of charge. It should be clearly
understood, in the view of the fact that Sandhausen undertaking
represents the Nathan Straus system in a nutshell, that the local farmers
and dairymen incur no loss through the introduction of milk pasteurization.
Mr. Straus purchases the milk from precisely the same persons from whom it
is now obtained the only difference beeing that the milk will henceforth be
first taken to the pasteurization depot, and then distribuhenceted in
bottles, specially constructed for the purpose of keeping it as pure as
possible after the process of pasteurization. The dowager Grand Duchese
Louise of Baden is keenly interested in the work at Sandhausen and reports
on the results obtained will be presented to her from time to time. This
obscure little town in South Germany, with a population of 4000 will
henceforth be able to lay clam to the purest milk supply in Europe."
Übersetzung (von Susanne Reber): "Die Milch mit dem höchsten
Reinheitsgrad in Europa. Die zuständigen Behörden einer Stadt in Deutschland
übernehmen die Milchküche mit dem angeschlossenen Lager, die kürzlich dort
eingerichtet worden ist. (Berlin, den 6. April)
Eine neue Anlage für die Pasteurisierung und Verteilung von Milch nach der
von Nathan Straus entwickelten Methode, ist in Sandhausen, einer kleinen
süddeutschen Stadt in der Nähe von Heidelberg, eingeweiht worden. Die
vollständig ausgestattete Pasteurisierungsanlage wurde der Stadtverwaltung
von Herrn Straus vorgestellt und die hiesigen Behörden werden den weiteren
Betrieb übernehmen.
Sandhausen ist besonders für diese Pionierarbeit geeignet, denn die Stadt
hat die höchste Kindersterblichkeit im Großherzogtum Baden vorzuweisen und
der dringende Verdacht, dass kontaminierte Milch für diese schrecklichen
Zustände verantwortlich sein könnte, ist keinesfalls von der Hand zu weisen.
Offizielle Statistiken bestätigen eine Kindersterblichkeit von 47 Prozent,
was eine alarmierende Zahl ist und eine kürzlich vorgenommene Untersuchung
der verabreichten Milch in Sandhausen zeigte, dass eine beträchtliche Anzahl
der Kühe, die verschiedene Besitzer haben, an Tuberkulose erkrankt sind.
Herr Straus hat nicht nur der Gemeinde die Pasteurisierungsanlage zum
Geschenk gemacht, er hat auch ein Lager für die zu verarbeitende Milch auf
eigene Kosten errichten lassen und hat sich außerdem bereiterklärt, die
Milch an alle kostenlos abzugeben. Es liegt uns viel daran, darauf
hinzuweisen, dass die Sandhausener Unternehmung zeigt, wie das Projekt von
Nathan Straus im Kleinen viel bewirkt und dass die hiesigen Milchbauern und
-verkäufer dadurch keine Umsatzeinbußen erleiden. Herr Straus kauft die
Milch von demselben Milcherzeuger wie bisher, kleine Bauernhöfe; der
Unterschied besteht nur darin, dass die Milch zuerst zur
Pasteurisierungsanlage gebracht und dort verarbeitet, bevor sie in Flaschen
abgefüllt wird. Diese wurden extra entwickelt, um die Milch nach der
Pasteurisierung so rein wie möglich zu erhalten. Die verwitwete Großherzogin
Luise von Baden interessiert sich sehr für das Projekt in Sandhausen und
Berichte über die dortige Arbeit werden ihr regelmäßig übermittelt. So kann
dieser obskure kleine Ort in Süddeutschland sich künftig rühmen, mit Milch
des höchsten Reinheitsgrades in Europa versorgt zu werden.'"
Artikel in "Chicago Tribune" (Chicago, Illinois) vom 23. August 1908 S. 10:
"Baby savior
ends campaign abroad. Good work in Germany
Infantile death rate in one town is reduced from thirty to nine (London,
22.August, by cable to the Chicago Tribune).
Nathan Straus is in London on the way back to New York after an absence of
three months, which time has been spent in pushing his propaganda for
pasteurized milk in Germany, Austria and England. His system of
pasteurization has been officially adopted by the austrian ministery of the
interior and by the authorities in many german cities. In England it
received the unqualified support of hundreds of medical men. Perhaps the
most interesting feature of Mr. Straus' work on the continent has been his
experiment at Sandhausen, a village in South Germany. Sandhausen has
a population of 4.000 and had a high infantile death rate. Lowers German town's death rate. Mr. Straus was satisfied that this
way due to the quality of ist milk supply, and he made arrangements to take
charge of it. Since Jan. 1 every drop of milk supplied to the people of
Sandhausen has been pasteurized by Mr. Straus' system and the results
have been remarkable. In the first seven months of 1907 thirty children under the age of 1 year
died. In the first six months of the present year, during which they have
been supplied with pasteurized milk, only nine children have died. 'This
conclusively proves,', said Mr. Straus, 'that two out of every three
children, who die under the age of 1 year are killed by raw milk. I want no
easier job than to go into a town and reduce the death rate. I will
undertake to cut it in half at once by merely pasteurising the milk on which
children are fed.'..." Übersetzung (von Susanne Reber): "Säuglingsretter beendet sein Projekt im
europäischen Ausland – gute Arbeit in Deutschland geleistet
In einer Stadt ist die Kindersterblichkeit von dreißig auf neun Prozent
gesunken (London, 22 August, per Telegramm an die Chicago Tribune).
Nathan Straus befindet sich gerade in London und ist auf der Rückreise nach
New York. Drei Monate hat er in Europa verbracht, um dort seine Kampagne
zugunsten von pasteurisierter Milch in Deutschland, Österreich und England
voranzutreiben. Seine Pasteurisierungsmethode wurde offiziell vom
österreichischen Innenministerium und den Verwaltungen vieler deutscher
Städte übernommen. In England erhielt er die ungeteilte Unterstützung von
hunderten dortigen Medizinern. Der vielleicht interessanteste Aspekt von
Herrn Straus' Tätigkeit auf dem europäischen Festland war sein Experiment in
Sandhausen, einem Dorf in Süddeutschland. Sandhausen hat 4.000
Einwohner und eine hohe Kindersterblichkeitsrate. Die Zahl der Todesfälle bei Kleinkindern nimmt in deutscher Stadt ab. Herr Straus zeigte sich sehr erfreut, dass dies auf die hohe Qualität der
von ihm bereitgestellten Milch zurückzuführen ist und er traf Vorkehrungen,
damit weiterhin durch ihn Milch an die örtliche Bevölkerung abgegeben wird.
Seit dem 1. Januar hat jeder Tropfen Milch, der an die Sandhausener Bürger
weitergegeben wird, die Straus’sche Pasteurisierungsanlage durchlaufen und
das Resultat ist bemerkenswert. In den ersten sieben Monaten des Jahres 1907
waren dreißig Kinder unter einem Jahr gestorben. In den ersten sechs Monaten
dieses Jahres, in dem sie pasteurisierte Milch bekamen, waren es nur neun
Kinder. 'Daraus können wir den Schluss ziehen', so Herr Straus, 'dass 30
Prozent der Kleinkinder unter einem Jahr durch den Verzehr von Rohmilch zu
Tode kommen. Ich kann mir keine einfachere Aufgabe vorstellen, als in eine
Stadt zu gehen und die dortige Sterblichkeitsrate ganz einfach zu
verringern. Ich habe vor, sie um die Hälfte zu senken, indem ich den
dortigen Kleinkindern einfach nur pasteurisierte Milch zur Verfügung
stelle...'"
Artikel
in "The American Israelite" (Cincinnati, Ohio) vom 25. August 1910: "Straus-milk saves many german lives. Imperial health office
impressed by the efficienty of work for infants Striking demonstrations by Nathan Straus, the New York philanthropist,
of the efficacy of his method of saving babies‘ lives have aroused great
interest at the german imperial health office in Berlin.
In Sandhausen, near Heidelberg, Mr. Straus established an infant
milkdepot and began supplying pasteurized milk in February 1908. There was
an immediate reduction in the death rate. At the end of the first year it
was found that the mortality among children under two years old had been
reduced from an average of 46 % for the proceding five years to less than 20
%. Last spring, when Mr. Straus came to Germany for a vacation, he extendet
the work of his Sandhausen depot so as to supply pasteurized milk to all the
babies of the village, either by selling it at a nominal rate or by giving
it away. The result was that there were no deaths of babies in Sandhausen
in July, the hottest month of the summer, although in the past years there
have been six oder seven deaths in this month each year. This record of a
July without a single death of a child under two years old has been obtained
without any other change in the conditions of the babies than the supplying
of pasteuried milk instead of raw milk. Another work instituted by Mr.
Straus has attracted the attention of the health office. At Karlsruhe he
presented a pasteurization plant to the Baden woman‘s society, and it has
been operated under the patronage of the dowager grand duchess. In Berlin
the death reate among babies was from 26 to 27 % prior to the inauguration
of this work. About one-fifth of the babies of the city have been supplied
with the pasteurized milk since 1908 and the death rate has fallen to
between 15 and 16 %. While among the babies supplied with this milk the
death reate has been less than 7 %. These children are of the very poorest
classes, among whom the death rate is usually the highest, so it is regarded
as especially remarkable that pasteurization of the milk given to them
should reduce the mortality among them to about one-third the average death
rate of babies in the entire city. One result of these demonstrations has
been that Dr. Keller, who opposed Mr. Straus‘ work two years ago, has
decided to use the pasteurization in thirtytwo milk depots that are be
opened in various cities of Germany under the suspices of the imperial
government." Übersetzung (von Susanne Reber): "Straus-Milch rettet vielen
Deutschen das Leben - Kaiserliches Gesundheitsamt zeigt sich beeindruckt von
der erzielten Ergebnissen, was die Kindersterblichkeit angeht.
Nathan Straus, der New Yorker Philanthrop, lässt aufhorchen, wenn er von der
Wirksamkeit seiner Pasteurisierungsmethode berichtet, die vielen Säuglingen
das Leben gerettet hat; auch beim kaiserlichen Gesundheitsamt in Berlin ist
das Interesse groß. In Sandhausen bei Heidelberg hat Herr Straus eine
Milchküche für Säuglinge einrichten lassen und gab ab Februar 1908 Milch
aus. Die Kindersterblichkeit ging sofort signifikant zurück. Am Ende des
ersten Jahres sank die Kindersterblichkeit bei den unter Zweijährigen von
durchschnittlich 46% während der letzten fünf Jahre auf weniger als 20%. Im
vergangenen Frühjahr, als Herr Straus seinen Urlaub in Deutschland
verbrachte, hat er seine Milchküche und das Lager so weit vergrößern lassen,
dass nun alle Säuglinge des Dorfes mit pasteurisierter Milch versorgt werden
können. Sie wird zu einem symbolischen Preis oder auch kostenlos abgegeben.
Mit dem Ergebnis, dass es unter den Säuglingen in Sandhausen keine
Todesfälle gab, obwohl der Juli der heißeste Monat des Sommers ist. In der
vergangenen Jahren hat es zu dieser Zeit immer sechs oder Todesfälle bei
Säuglingen gegeben. Dass nun ein Juli verzeichnet werden kann, in dem kein
Kleinkind unter zwei Jahren verstorben ist, ist dem Umstand zu verdanken,
dass die Kleinkinder, deren Verfassung sich nicht wesentlich verändert hat,
statt Rohmilch pasteurisierte Milch erhielten. Noch ein weiteres Projekt von
Herrn Straus weckte das Interesse des Gesundheitsamts. In Karlsruhe stellte
er eine Pasteurisierungsanlage der dortigen Frauenvereinigung vor und die
Anlage nahm sodann ihren Dienst unter der Schirmherrschaft der verwitweten
Großherzogin auf. In Berlin war die Sterberate von Kleinkindern, vor der
Einführung von Herrn Straus’ Pasteurisierungsmethode, bei 26 bis 27 Prozent.
Ungefähr ein Fünftel der Berliner Säuglinge ist seit 1908 mit
pasteurisierter Milch versorgt worden und die Sterberate ist nun auf 15 bis
16 Prozent gesunken. Von den Kindern, die pasteurisierte Milch erhielten,
sind weniger als 7 Prozent verstorben. Diese Kinder stammen aus den ärmsten
Familien, bei denen die Sterberate naturgemäß am höchsten ist, deshalb wird
es als besonders bemerkenswert erachtet, dass die Pasteurisierung der Milch,
die sie erhalten, die Sterblichkeit um ein Drittel der durchschnittlichen
Sterberate bei Säuglingen in ganz Berlin verringert. Ein Ergebnis dieser
Vorführung ist dass Dr. Keller, der vor zwei Jahren Herrn Straus’
Pasteurisierungsmethode noch sehr kritisch gegenüberstand, die
Pasteurisierung in 32 Milchlagerstätten, die in verschiedenen deutschen
Städten eröffnet werden sollen, unter die Schirmherrschaft der kaiserlichen
Regierung stellen möchte."
Lina
Gutherz Straus (Frau von Nathan Straus): Disease in Milk. the Remedy
Pasteurization. The Life Work of Nathan Straus. 2nd Edition Revised and
Enlarged to commemorate the 25th Anniversary of the Inception of the work.
New York 1917. Hierin
Abschnitt
"Heidelberg and Sandhausen" (Titel sowie S. 96 und 308 sind eingestellt
als pdf-Datei, dazu eine
Übersetzung von Susanne Reber, pdf-Datei).
Am 23. Juli 1938 wurde
durch den Reichsminister des Innern für bestimmte Gruppen von
Staatsangehörigen des Deutschen Reiches die Kennkartenpflicht
eingeführt. Die Kennkarten jüdischer Personen waren mit einem großen
Buchstaben "J" gekennzeichnet. Wer als "jüdisch"
galt, hatte das Reichsgesetzblatt vom 14. November 1935 ("Erste
Verordnung zum Reichsbürgergesetz") bestimmt.
Hinweis: für die nachfolgenden Kennkarten ist die Quelle: Zentralarchiv
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland: Bestände:
Personenstandsregister: Archivaliensammlung Frankfurt: Abteilung IV:
Kennkarten, Mainz 1939" http://www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/STANDREG/FFM1/117-152.htm.
Anfragen bitte gegebenenfalls an zentralarchiv@uni-hd.de
Kennkarten
für die in Sandhausen
geborene Johanna Gutheim geb. Wahl sowie
für die in Sandhausen wohnhafte
Mina Wahl geb. Lorsch
Kennkarte (Frankfurt am
Main 1939) für
Johanna Gutheim geb. Wahl
(geb. 13. April 1914 in Sandhausen), Hausfrau
Kennkarte (Heidelberg)
für Mina Wahl geb. Lorsch
(geb. 14. Juni 1873 in Dieburg, später wohnhaft
in Sandhausen, deportiert am 22. Oktober 1940 in
das Internierungslager Gurs, umgekommen)
1823 besaßen die Sandhausener
Juden noch keinen gemeinsamen Bet- oder Versammlungsraum. Damals hatten sie
jedoch für die Erziehung ihrer Kinder bereits einen Religionslehrer angestellt.
Die Synagoge besuchten sie in Leimen und Wiesloch.
Eine erste Synagoge (Betsaal) in Sandhausen wurde in dem um 1845 erworbenen Gebäude Bahnhofstraße 2
(unterhalb des Gasthauses "Zum Lamm") eingerichtet. Hierin wurde auch die jüdische Schule untergebracht. Die finanziell schwach gestellte Gemeinde konnte die Einrichtung dieser ersten Synagoge nur über eine Spendensammlung verwirklichen. Doch noch 1850 klagte der Synagogenrat darüber, "dass ihre mit so großen Opfern erworbene Synagoge nicht vollständig bezahlt und auch aus eigenen Mitteln nicht so hergestellt werden könne, wie es dem Zwecke nach geschehen sollte". Man befürchtete, dass das Haus in der Bahnhofstraße der jüdischen Gemeinde wieder
"entwunden werden wird". Einige Jahre später bestanden diese Probleme offensichtlich nicht mehr. Im Gegenteil genügte in den 1860er-Jahren der wachsenden Gemeinde das bisherige Bet- und Versammlungshaus nicht mehr.
Eine neue Synagoge konnte 1867 von der jüdischen Gemeinde für 2.000 Gulden erworbenen, 1755 bis 1757 erbauten ehemaligen reformierten Kirche in der Hauptstraße 115 eingerichtet werden
(auf dem Grundstück stand zuvor das mittelalterliche, erstmals 1393 erwähnte
"Peterskirchlein, das 1753 in einem Gutachten als "gänzlich ruinös" bezeichnet
und dann abgebrochen wurde). Es handelte sich um ein in einem schlichten barocken Stil erbautes Gebäude. Der Grundbucheintrag vom 12. März 1867 lautet: Die evangelische Kirchengemeinde
"überlässt an die israelitische Gemeinde Sandhausen die alte evangelische Kirche mit Turm und Kirchenumfassungsplatz zum Zweck des Umbaus für eine
Synagoge". Bei der Einweihung der Synagoge hielt Bezirksrabbiner Salomon Fürst aus Heidelberg die Weiherede. Dabei führte er aus:
"Wie alles auf Erden dem Wechsel unterworfen ist, so war es auch die Bestimmung dieses Hauses. Als evangelische Kirche wurde es erbaut, bestimmt und geweiht, als israelitische Synagoge wurde es erworben, eingerichtet und eingeweiht. Dieses Haus war nichts anderes als ein Gotteshaus und die Himmelspforte. Oder wie? Sollte der Israelit dieses Haus, als es noch Kirche war, nicht als Gotteshaus betrachtet haben, weil unser aller Vater auf eine andere Weise darin verehrt wurde, wie Israel ihn in der Synagoge verehrt?
[...]".
Der Betsaal in der Bahnhofstraße wurde zum Wohnhaus des Lehrers/Vorsängers umgebaut (Gebäude nach 1945 abgebrochen; das Grundstück ist neu bebaut). Als
1891 eine gründliche Renovierung der evangelischen Kirche Sandhausens durchgeführt wurde, teilten sich die jüdische und die evangelische Gemeinde das Gebäude der Synagoge: die evangelischen Gottesdienste konnten einige Monate in der Synagoge
abgehalten werden:
Bericht
in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 22. November
1891: "Aus dem Großherzogtum Baden, im November (1891). In
den Badischen Blättern lesen wir: In der Gemeinde Sandhausen bei
Heidelberg wurde seinerzeit die alte Evangelische Kirche an die
Israelitische Gemeinde verkauft, welche eine Synagoge daraus machte. Da
nun gegenwärtige die neue Evangelische Kirche daselbst einer Reparatur
bedarf, so hat die Israelitische Gemeinde ein Genehmigung des Rabbiners
die Synagoge bereitwilligst den Evangelischen zur Abhaltung ihrer
Gottesdienste überlassen."
Bis 1938 diente die Synagoge in der Hauptstraße der jüdischen Gemeinde als gottesdienstliches Zentrum. Da die Zahl der Juden in Sandhausen nach 1933 so stark zurückgegangen war, dass die Zehnzahl der Männer kaum mehr erreicht wurde, bot der Weinhändler Kaufmann Freund der politischen Gemeinde 1938 den Kauf der Synagoge an. Während sich die Beigeordneten und die Gemeinderäte gegen einen Erwerb aussprachen, entschloss sich der Bürgermeister zum Ankauf durch die Gemeinde zum Preis von 3.000 Reichsmark. Der notarielle Kaufvertrag wurde am 25. Oktober 1938 im Rathaus abgeschlossen. Durch den Verkauf blieb die Synagoge in der Pogromnacht von einer Brandstiftung verschont. Dennoch kam es auch in Sandhausen zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden durch SA-Leute aus Heidelberg. Nach 1938 wurde die im Innern völlig demolierte Synagoge als Abstellraum
verwendet.
Nach 1945 wurde der Zustand des Gebäudes immer bedrohlicher, sodass das Landratsamt am 4. Mai 1951 den Abbruch genehmigte. Auch der Gemeinderat wollte die ruinöse Kirche abreißen lassen, um an dieser Stelle eine bessere Straßenführung der Hauptstraße zu erreichen. Engagierte Bürger wie der Arzt Dr. Haas sowie das Landesdenkmalamt und die jüdische Gemeinde in Heidelberg lehnten dieses Vorhaben ab. Zu einer gründlichen Renovierung war die politische Gemeinde damals jedoch aus finanziellen Gründen nicht in der Lage. 1955 setzte sich auch die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit für eine Wiederherstellung der Synagoge ein. Nach langem Tauziehen war der Oberrat der Israeliten Badens damit einverstanden, an Stelle einer reinen Gedenkstätte im ehemaligen Betsaal eine öffentliche Bibliothek unterzubringen und dabei auch auf die Geschichte des Kirchenbaus und das Schicksal der Synagoge hinzuweisen. Die Renovierung wurde
1960 bis 1962 durchgeführt. Am 10. Mai 1962 wurde das Gebäude als Ort der Besinnung und Begegnung der Gemeinde Sandhausen übergeben. Seitdem werden im Haus (zunächst unter der Bezeichnung "Alte Kirche/Synagoge", dann "Ehemalige Synagoge") regelmäßig kulturelle Veranstaltungen abgehalten. Unmittelbar neben dem Gebäude erinnert
seit 1961 ein Gedenkstein an die jüdische Gemeinde. Die Inschrift lautet:
"Denn Tag und Nacht beweine ich die Toten, Jer. 8,23. Den Juden Sandhausens und ihrer Synagoge zum Gedenken. Verfolgt durch die Nationalsozialisten kamen sie in den Jahren 1933-45 ums Leben oder wurden ihrer Heimat
beraubt". 2015/16 wurde die ehemaligen Synagoge erneut umfassend renoviert (siehe
Presseartikel unten).
Historische Ansichtskarte
mit
Darstellung der Synagoge
(Quelle: Sammlung Hahn)
Die Karte
ist 1902 verschickt worden
(die Synagoge auf der Ausschnittvergrößerung rechts)
Aus der NS-Zeit
Vorbeimarsch der SA
am
Gebäude der Synagoge (rechts)
Fotos nach 1945/Gegenwart:
Die ehemalige Synagoge Ende der
1950er-Jahre
(Quelle: Hauptstaatsarchiv Stuttgart EA 99/001 Bü. 305 Nr. 1556 Bild Nr. 1)
Vor
der Renovierung Ende der 1950er-Jahre in heruntergekommenem Zustand (Link
zur Quelle des Fotos); das Foto ging auch ein in die Darstellung von
Emil Lacroix (siehe Literatur unten; dort auch weitere Fotos)
Fotos um 1985 (Fotos: Hahn)
Die ehemalige "Alte Kirche / Synagoge"
in Sandhausen
Seitenansicht
des Gebäudes
Auf dem Vorplatz befindet sich
ein Gedenkstein für die
ehemalige
jüdische Gemeinde
Der Gedenkstein Sandhausen (1961)
war einer der ersten für
eine jüdische
Gemeinde in Baden-Württemberg
April 2015:
Das Gebäude der ehemaligen Synagoge wird
erneuert
Artikel von Roland Fink in der
"Rhein-Neckar-Zeitung" vom April 2015: "Sandhausen: Gemeinderat bewilligt 600.000 Euro für
'Wahrzeichen'
Die Gelder sollen in den Erhalt des alten Rathauses und der ehemaligen Synagoge gesteckt werden.
Sandhausen. Die Dorfschänke, das alte Feuerwehrhaus, das alte Rathaus oder die ehemalige Synagoge - der Erhalt verschiedener wichtiger kommunaler Liegenschaften steht auf dem Aufgabenzettel der Sandhäuser Lokalpolitik. Einen ersten Schritt haben die Gemeinderäte nun getan. Einstimmig genehmigten sie für dieses und das nächste Jahr rund 600 000 Euro, die in die Synagoge und das Rathaus gesteckt werden sollen. Letzteres beherbergt heute das Heimatmuseum..." Link
zum Artikel
August 2015:
Das Gebäude der "Alten Synagoge"
wird derzeit renoviert
Artikel von Manuel Reinhardt in der
"Rhein-Neckar-Zeitung" vom 20. August 2015: "Alte Synagoge: Ein
Sandhäuser Wahrzeichen ist 'verpackt'
Die Alte Synagoge wird grundlegend saniert - Barrierefreiheit wird
hergestellt - Im gleichen Zug wird das Außengelände neu angelegt
Sandhausen. Die Spuren einer bewegten Zeit, die die Alte Synagoge hinter
sich hat, sind derzeit verhüllt. Denn das Gebäude muss dringend und
grundlegend saniert werden. Sie erinnert derzeit auf den ersten Blick an den
Reichstag in Berlin. Damals im Sommer 1995, als die amerikanischen Künstler
Christo und Jean-Claude den heutigen deutschen Regierungssitz verhüllten und
zum Kunstobjekt umfunktioniert hatten. 'Nein, Christo haben wir nicht hier',
lacht Bürgermeister Georg Kletti auf den Vergleich angesprochen. Der
Hintergrund der 'Verhüllung' der alten Synagoge ist von profanerer Natur,
auch wenn das Haus heute selbst eine kulturelle Stätte ist - so finden
regelmäßig Ausstellungen oder Konzerte statt und die Musikschule nutzt die
Räume. In den letzten 30 Jahren wurden kaum bauliche Investitionen getätigt
und machen eine nun umfassende Erneuerung nötig. Im Innenbereich werden die
Böden, die Wandbeleuchtung und der Rauputz erneuert, eine Toilette und
Küchenzeile eingebaut; die Fenster werden zudem ersetzt, die Fassade neu
gestrichen, Regenfallrohre und eine Blitzschutzanlage installiert. Zudem
wird beim Gebäude Barrierefreiheit hergestellt. Ein Lifter wird eingebaut,
womit Menschen mit Rollstühlen oder Gehhilfen künftig zumindest den großen
Saal erreichen können, was bislang schwierig war. Im gleichen Zug wird das
Außengelände neu angelegt und auch das benachbarte Heimatmuseum bedarf der
Sanierung. Hier werden die Erneuerung der Fassade, der Fenster und des
Daches fällig, sodass sich die Gesamtkosten der drei Maßnahmen auf rund 600
000 Euro belaufen, wovon die Alte Synagoge mit 350 000 Euro den größten
Posten einnimmt. 'Die Maßnahme ist eng mit dem Denkmalschutz abgesteckt',
erklärt Kletti mit Verweis auf den großen historischen Wert des ehemaligen
Gotteshauses. Schließlich sei der Bau eine der wenigen noch in Deutschland
vorhandenen Synagogen im Zustand wie vor der Reichspogromnacht 1938. Denn
dem Glück und mutigen Einsatz des damaligen Bürgermeisters Franz Machmeier
war es geschuldet, dass die Synagoge die Nacht des 10. November 1938
schadlos überstand. Nur Tage vor der Reichspogromnacht hatte das
Gemeindeoberhaupt - entgegen dem Willen des Sandhäuser Gemeinderates - das
Haus für 3000 Reichsmark erworben. Es war ihm vom ehemaligen jüdischen
Gemeinderat Kaufman Freund angetragen worden. 'Das war die Rettung', so
Kletti. Denn von Heidelberg aus hatten sich SA-Leute bereits auf den Weg
nach Sandhausen gemacht, doch Machmeier verhinderte den Anschlag, in dem er
den Nationalsozialisten erklärte, dies sei kein Gotteshaus mehr, sondern im
Besitz der Gemeinde. Dennoch lag das Haus in den folgenden Jahren brach,
erst 1962 wurde es von der Gemeinde als kulturelle Stätte genutzt und hat
bis heute eine große Bedeutung, wie eine kleine Anekdote Klettis
verdeutlicht. So hätte sich 2005, kurz nach dem Amtsantritt des heutigen
Bürgermeisters, eine jüdische Institution aus Heidelberg um den Erwerb der
ehemaligen Synagoge bemüht. 'Ich kann alles verkaufen, aber nicht das',
erinnert sich Kletti an seine Antwort. 'Die Alte Synagoge ist schließlich
ein Wahrzeichen für Sandhausen.'"
Link zum Artikel
Juni 2015:
Auch in Sandhausen sollen
"Stolpersteine" verlegt werden
Artikel in der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom 9.
Juni 2015: "In Sandhausen werden Stolpersteine für jüdische Opfer
verlegt.
Sandhausens Gemeinderat stimmte der 'Initiative Stolpersteine' zu -
Infoveranstaltung ist am heutigen Dienstag um 19 Uhr in der früheren
Synagoge
Sandhausen. (fi) Sie stehen gegen das Vergessen und vielleicht stolpert man
im wahrsten Sinne des Wortes auch mal darüber: die 'Stolpersteine', die
messinggolden in die Gehsteige vieler Städte und Gemeinden eingelassen sind.
In Sandhausen hat sich der Gemeinderat nun auf Antrag der SPD mit ihnen
beschäftigt und dem Ansinnen zugestimmt. Bereits zu Beginn des Jahres hat
das Gesangsduo 'Kraft & Krebs' diesen Wunsch an die Gremien herangetragen
und mit der Verwaltung, den Kirchen, dem Heimatverein, der Jüdischen
Kultusgemeinde Heidelberg und den weiterführenden Schulen in Sandhausen
Kontakt aufgenommen..."
Link zum (ganzen) Artikel
Artikel von Sabine Hebbelmann in der
"Rhein-Neckar-Zeitung" vom 11. Juni 2015: "Stolperstein-Initiative soll
auch in Sandhausen an Nazi-Opfer erinnern
Die Sänger Rainer Kraft und Sascha Krebs präsentierten das Projekt in der
früheren Synagoge
Sandhausen. 'Wir haben Vieles erfahren, das wir nicht wussten über unser
Heimatdorf.' Das sagen Rainer Kraft und Sascha Krebs, für die die
Vorstellung der Stolperstein-Initiative in der früheren Synagoge in
Sandhausen eine ganz neue Erfahrung war. Denn die beiden 'Sandhäuser Jungs'
sind eher bekannt für ihre grandiosen Stimmen und mitreißenden Live-Shows.
'Wie kommen denn ausgerechnet die darauf?', soll denn auch jemand gefragt
haben. Rainer Kraft gab die Antwort: 'Wir sind nicht nur Künstler, sondern
ein Team, eine riesengroße Familie, die sich in Projekten auch für
Benachteiligte einsetzt.' Vor sieben Jahren habe ihm eine gute Freundin von
dem Projekt erzählt, berichtete Kraft. Die Vorstellung, dass es Hakenkreuze,
Naziaufmärsche und Deportationen auch in seinem Heimatdorf gegeben haben
dürfte, ließ ihn daraufhin nicht mehr los. Kraft suchte Kontakt zu den
Stolperstein-Initiativen in Heidelberg und Wiesloch, er recherchierte
selbst. Und er kam zu dem Ergebnis: Ja, das alles gab es auch hier. Eine
Anfrage beim Internationalen Suchdienst ergab 13 Namen und sieben Adressen
von Juden, die in Sandhausen geboren und von den Nazis ermordet wurden. 'Bis
wir den ersten Stolperstein setzen, wird es noch ein Jahr dauern', macht der
Sänger gleichwohl deutlich. Nicht nur, weil der Künstler Gunter Demnig,
Initiator des Stolpersteinprojekts, den Stein persönlich verlegen will und
viel beschäftigt ist. Immerhin gibt es schon 50 000 Stolpersteine in 18
europäischen Ländern. Zeit brauchen er und seine Mitstreiter auch, um etwas
über das Schicksal der Menschen zu erfahren, an die mit den Stolpersteinen
erinnert werden soll. Der Geschichtslehrer Dietmar Müller-Praefcke griff die
Initiative der Sänger bereits auf und nahm sie zum Anlass, mit seinem
Kollegen Jochen Benkö am Friedrich-Ebert-Gymnasiums Sandhausen einen
Seminarkurs zum Thema Nationalsozialismus anzubieten. Kursteilnehmer
stellten denn auch ihr Thema vor (vgl. nebenstehender Artikel): Tim Sautter
beschäftigte sich beispielsweise mit der Rolle des Psychiatrischen Zentrum
Nordbaden (PZN) in Wiesloch während der Nazi-Herrschaft und Carina Bosert
nahm sich der Geschichte der jüdischen Familie Mayer in Leimen an. 'Wir
dürfen nicht nur nicht vergessen, wir müssen auch sagen, es tut uns leid',
betont Patricia Hillier vom Wieslocher Stolpersteinprojekt. Das sei für die
Opfer und ihre Nachkommen ganz wichtig. Sie berichtet, dass in Wiesloch noch
zwei Zeitzeugen leben. Eine Passage aus der Autobiographie des Sandhäuser
Juden Hugo Marx liest Jonas Scheid vom Verkehrs- und Heimatverein vor, bevor
er sich im Namen des Vereins klar zu der Stolperstein-Initiative bekennt.
'Viele haben mit angepackt, den großen Stein ins Rollen zu bringen', sagt
Rainer Kraft, der mit Sascha Krebs selbst schon viel Zeit in das Projekt
investiert hat und als Ansprechpartner auch weiterhin zur Verfügung steht.
Jetzt sucht er Unterstützung in Form von Informationen und Berichten von
Zeitzeugen oder deren Angehörigen und Bekannten, Hilfe bei der
Öffentlichkeitsarbeit und auch Spender. Selbstlose Unterstützung kommt auch
von nahe stehenden Sängern, die den Abend mit sehr persönlichen und
emotionalen musikalischen Beiträgen gestalten: Sascha Kleinophorst etwa war
eigens aus Landau angereist und er - wie auch die Heidelbergerin Janette
Friedrich und die hochschwangere Vanessa Kraft - sorgten in der Alten
Synagoge stimmlich und atmosphärisch für Gänsehautmomente."
Link zum Artikel
April
2017: Verlegung von
"Stolpersteinen" in Sandhausen
Anmerkung: es wurden am 26. April
2017 acht "Stolpersteine" verlegt: in der Waldstraße 1 für Herta Wahl
geb. Gümbel (1902), Julius Wahl (1880), Ludwig Wahl (1907), Mina Wahl geb.
Lorsch (1873), Johanna Wahl verheiratete Gutheim
(1914), Berta Wahl geb. Heumann (1869) sowie in der Hauptstraße 141 für Emma
Freund geb. Geismar (1868) und Kaufmann Freund
(1865).
Artikel von Sabine Hebbelmann in der
"Rhein-Neckar-Zeitung" vom 3. Mai 2017: "Stolpersteine in Sandhausen. Bei
der Verlegung läutete die Friedensglocke
Stolpersteine vor den Häusern jüdischer Holocaust-Opfer verlegt - Aktion
wurde drei Jahre lang vorbereitet
Sandhausen. Als Gunter Demnig die sechs Gedenksteine für die verfolgten
und ermordeten Mitglieder der jüdischen Familie Wahl in die
vorbereitete Öffnung im Bodenbelag vor deren einstigem Haus in der
Waldstraße 1 setzt, läuten die Glocken der nahen Kirche. 'Das ist kein
Zufall, wir haben die Sondergenehmigung bekommen, die Friedensglocke zu
läuten', bemerkt Rainer Kraft, Initiator der Sandhäuser
Stolpersteininitiative. Kurzzeitig ist sogar die Kreuzung gesperrt worden,
so viele Menschen scharen sich um den Künstler, der auf dem Bürgersteig
kniet und mit Schaufel, Kelle, Gummihammer und Eimern hantiert. Bei der
Begrüßung spricht der Initiator für alle Beteiligten der Sandhäuser
Stolpersteininitiative: 'Wir haben drei Jahre auf diesen Tag hingearbeitet
und sind froh, dass wir dieses Ereignis heute feiern dürfen', so Kraft. Über
das Projekt habe die Initiative eine eigene Broschüre veröffentlicht. Darin
sind auch die Namen der Paten verzeichnet. Denn für jeden Stein wurde eine
Patenschaft an eine verdiente Person oder Institution verliehen. Sascha
Krebs spricht von einem historischen Tag und entdeckt etliche ehemalige
Lehrer im Publikum. Ehrensache, dass die 'Sandhäuser Jungs' mit Krafts Frau
Vanessa einen musikalischen Beitrag beisteuern. 'Es ist nicht mehr
rückgängig zu machen, auch in unserem Ort fielen Menschen dem
nationalsozialistischen Wahn zum Opfer', sagt Bürgermeister Georg Kletti,
der die Schirmherrschaft übernommen hat. Daran erinnere das Projekt, es
wende sich gegen das Verdrängen und Vergessen, zolle den Opfern Respekt und
bringe die Familien wieder zusammen. Er mahnt, Antisemitismus sei auch heute
verbreitet und müsse bekämpft werden. Aus Los Angeles ist eigens zu diesem
Termin Jim Gutheim mit seiner Frau Lynne angereist. Er war noch ein Baby als
die junge Familie - seine Mutter ist die einzige Überlebende der Familie
Wahl - fliehen musste. Am Vormittag hatte er an einer englischsprachigen
Informationsveranstaltung mit rund 200 Schülern des Gymnasiums und am
Vorabend an einer Gedenkveranstaltung in der Alten Synagoge teilgenommen.
'Ich bin überwältigt von der Großzügigkeit, mit der ich aufgenommen wurde',
sagt Gutheim auf Englisch. Er habe sich nicht vorstellen können, dass ein
Ereignis, das mehr als siebzig Jahre zurückliegt, noch jemanden
interessiere. 'Ich habe nicht mehr so viel geweint, seit ich drei Jahre alt
war', sagt er sichtlich gerührt und ergänzt, er sei 'sehr sehr dankbar'.
Gemeinsam mit seiner Frau und Kraft und Krebs legt er Rosen vor den frisch
verlegten Gedenksteinen. Dietmar Müller-Praefcke, Lehrer für Englisch und
Geschichte am örtlichen Gymnasium, betätigt sich als Dolmetscher. Er hatte
mit Blick auf das Stolpersteinprojekt Seminarkurse zum Thema
Nationalsozialismus mit örtlichem Bezug gegeben. Seine ehemalige Schülerin
Hannah Weiser hatte in den Quellen geforscht und berichtet über das
Schicksal von Julius, Mina, Berta, Herta, Ludwig und Johanna Wahl.
Anschließend geht es zur zweiten Adresse des Tages, der Hauptstraße 146
beim ehemaligen Feuerwehrgerätehaus. Hier berichtet Julia Gierlach,
ebenfalls eine Seminarteilnehmerin von Lehrer Müller-Praefcke, über das
Schicksal des Ehepaars Kaufmann und Emma Freund und über die
besondere Rolle, die Kaufmann Freund als Gemeindeverordneter in Sandhausen
und als Vorstand der israelitischen Gemeinde Heidelberg gespielt hatte.
Müller-Praefcke dankt den Initiatoren Kraft und Krebs, denen es als 'echte
Sandhäuser' ein Bedürfnis und eine Herzenssache gewesen sei, sich mit dem
Schicksal der jüdischen Mitbürger während der Schreckensherrschaft des
Nationalsozialismus zu befassen. 'Das Projekt funktioniert nur, wenn alle
mitmachen und jeder beiträgt, was er kann', betont Kraft. Ohne die
Vorbereitung wäre es nichts, sagt auch der Künstler Gunter Demnig. Das
Projekt sei zunächst nur als theoretisches Konzept gedacht gewesen, da er
für ganz Europa von sechs Millionen notwendigen Stolpersteinen ausging. Der
Pfarrer der Antonitergemeinde in Köln habe ihn jedoch animiert, wenigstens
einige ausgewählte Steine zu verlegen, um ein Zeichen zu setzen. Nach dem
Motto: Man kann ja klein anfangen. Vergangenes Jahr war er 270 Tage
unterwegs gewesen und auch dieses Jahr ist er wieder ausgebucht. Besonders
freut sich der Künstler über das Interesse der Jugendlichen. 'Plötzlich sind
es nicht mehr nur abstrakte Zahlen im Geschichtsunterricht und sie bekommen
mit, was da passiert ist.' Der zuweilen geäußerten Kritik, man trample auf
den Opfern herum, hält er entgegen: 'Das Material ist Messing - wenn man
darüber läuft, wird die Erinnerung blank geputzt.' Und er zitiert einen
Hauptschüler, der gesagt habe: 'Man stolpert mit dem Kopf und dem Herzen.'"
Link zum Artikel
November 2022:
Bei einem Vortragsabend wird an
Nathan Straus erinnert
Artikel
von "agdo" in der "Rhein-Neckar-Zeitung" vom 23. November 2022: "Wie ein
Amerikaner Sandhausen half.
Das erfuhren Gäste beim Heimat- und Kulturabend - Anekdoten aus vergangenen
Zeiten..."
Zum Lesen bitte Textabbildung anklicken.
Hinweis
auf online einsehbare Familienregister der jüdischen Gemeinde Sandhausen
In der Website des Landesarchivs
Baden-Württemberg (hier: Generallandesarchiv Karlsruhe) sind einige Familienregister aus
badischen jüdischen Gemeinden einsehbar:
Link zur Übersicht (nach Amtsgerichtsbezirken)
https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/struktur.php?bestand=12390
Zu Sandhausen ist vorhanden (auf der jeweiligen Unterseite zur
Einsichtnahme weiter über "Digitalisate anzeigen"):
390 Nr. 1866: Sandhausen, israelitische Gemeinde: Standesbuch 1810-1870
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1217394
dazu 390 Nr. 1820: Leimen, israelitische Gemeinde: Standesbuch 1810-1870.
Enthält auch Einträge von Sandhausen
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=4-1217348
Literatur:
Franz Hundsnurscher/Gerhard Taddey: Die jüdischen Gemeinden in Baden.
1968. S. 251-252.
Emil Lacroix: Die ehemalige reformierte Kirche, spätere Synagoge zu
Sandhausen (Kreis Heidelberg), Instandsetzung und Umbau, in:
Nachrichtenblatt der Denkmalpflege in Baden-Württemberg 6 (1963) Heft 1. S.
20-24.
Eingestellt als pdf-Datei.
Rudi Dorsch: Die israelitische Gemeinde, in: Heimatbuch Sandhausen. 1985.
Heidrun Dorsch: Alltag im Nationalsozialismus – Unterdrückung und Verfolgung
der Juden in Sandhausen. Preisausschreiben des Bundespräsidenten 1981 (maschinenschriftlich).
Joseph Walk (Hrsg.): Württemberg - Hohenzollern -
Baden. Reihe: Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from
their foundation till after the Holocaust (hebräisch). Yad Vashem Jerusalem
1986. S. 342-343.
Andreas Hermes: Die Sandhäuser Synagoge. Mschr..
Bad Bergzabern 1998.
Kurt Frei: Familien in Sandhausen nach 1899
Sandhausen 1995.
Heimatbuch der Gemeinde Sandhausen 1986.
Joachim
Hahn / Jürgen Krüger: "Hier ist nichts anderes als
Gottes Haus...". Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte
und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen. Hg. von Rüdiger Schmidt,
Badische Landesbibliothek, Karlsruhe und Meier Schwarz, Synagogue Memorial,
Jerusalem. Stuttgart 2007.
Christiane
Twiehaus: Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine
Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien. Reihe: Schriften
der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg. Universitätsverlag Winter
Heidelberg 2012. Zur Synagoge in Sandhausen: S. 72-75.
Martin
G. Schweigler / Brigitta Hamann / Rolf W. Maier (für
die Stolperstein-Initiative Sandhausen
www.stolpersteine-sandhausen.de): Stolpersteine für die jüdischen
Familien Wahl und Freund. Verlegung am 26. April 2017. 64 S.
Zahlr. Abb. Erschien zunächst 2017, dann in 2. verbesserter Auflage
Sandhausen 2019.
Online eingestellt (22,2 MB)
Sandhausen Baden. The first Jewish
family settled in 1743 but a community was only formed in the 19th century,
reaching a population of 100 in 1875 (total 2,583). In 1933, 17 Jews remained.
By fall 1938, four had emigrated to the United States and five to other German
cities. On Kristallnacht (9-10 November 1938), Jewish homes were
destroyed and the men sent to the Dachau concentration camp. The last seven Jews
were deported to the Gurs concentration camp on 22 October 1940; all perished.
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