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Gemünden am Main (Main-Spessart-Kreis)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Übersicht:
Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde (english
version)
In Gemünden lebten jüdische Familien bereits im Mittelalter. Es ist
nicht bekannt, ob es zur Bildung einer Gemeinde gekommen ist. Die Stadt wird als
Ort einer Judenverfolgung im Zusammenhang mit der sogenannten
"Rindfleischverfolgung" 1298 genannt. Wenig später waren
wieder Juden in der Stadt, da nach einem Bericht von 1309 das Kloster Medingen
(sehr wahrscheinlich gemeint: Kloster Maria Medingen in Mödingen vgl.
Wikipedia-Artikel
https://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Mödingen)
bereits "lange" bei Juden in Gemünden verschuldet war. 1313
wird Josue von Gemünden in Nürnberg genannt, 1327 werden dort auch Laudem und
Abraham von Gemünden erwähnt. Weitere Nennungen von Juden gibt es nicht im
Mittelalter.
Die Entstehung der neuzeitlichen Gemeinde geht in die zweite Hälfte des 17.
Jahrhunderts zurück. Damals konnten sich zwei jüdische Familien
niederlassen (1655). Es blieb bei der kleinen Zahl von höchstens vier jüdischen
Familien mit zusammen 15 bis 20 Personen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
(1789 14, 1816 15, 1837 20 jüdische Einwohner).
Bei der Erstellung der Matrikelliste 1817 wurden für Gemünden drei
Matrikelplätze festgelegt. Inhaber waren damals (mit bereits neuem
Familiennamen, Erwerbszweig und Familienverhältnissen): Samson Samuel Straus
(Eisen- und Ellenwarenhandlung, 34 Jahre, mit Frau, ohne Kinder), Samuel Moses
Maas (Ellenwarenhandlung, 37 Jahre, mit Frau und drei Kindern), Jacob Löb
Schloss (Ellenwarenhandlung und kleine Spezereikrämerei, 40 Jahre, mit Frau und
einem Kind).
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zogen - nach Aufhebung des
"Matrikelparagraphen" 1861 - einige Familien aus der Umgebung zu,
sodass die Zahl der jüdischen Einwohner bis um 1900 zugenommen hat: 1867: 23 jüdische
Einwohner (1,3 % von insgesamt 1.836 Einwohnern); 1880: 38; 1890: 90; 1900
100 jüdische Gemeindeglieder (4,6 % von insgesamt 2.187 Einwohnern). Die
Gemeinde war orthodox geprägt und gehörte zum Rabbinatsbezirk Bad
Kissingen. Die Toten der jüdischen Gemeinde wurden in Altengronau,
Laudenbach
und Pfaffenhausen
beigesetzt.
Im Ersten Weltkrieg fiel aus der jüdischen Gemeinde Gefreiter Sigmund
Sichel (geb. 9. März 1881 in
Gemünden, gef. 30. April 1918). Auf den Gefallenengedenktafeln des Ersten Weltkrieges in der
Kapelle des Ehrenfriedhofes am Einmalberg fehlte bis 2014 dieser Name; vermutlich
fehlte er auch schon auf dem 1937 erstellten
Kriegerdenkmal am 1945 zerstörten alten Rathaus (vgl. Artikel
in der Main-Post vom 29. August 2014). Im Oktober 2014 wurde eine kleine
Zusatztafel mit einem siebenarmigen Leuchter und dem Namen von Sigmund Sichel
ergänzt, dazu die Inschrift: "Die Stadt Gemünden gedenkt ihres im Ersten
Weltkrieg gefallenen jüdischen Mitbürgers, des Soldaten Sigmund Sichel geboren
am 9. März 1881, gefallen am 30. April 1918" (vgl. Artikel
in der Main-Post vom 26. Oktober 2014).
Um 1925, als 74 Personen zur jüdischen Gemeinde gehörten (2,6 % von
insgesamt etwa 2.500 Einwohnern), bildeten den Gemeindevorstand die
Herren H. Grünebaum, S. Birk und L. Strauß. Den Religionsunterricht der damals
drei schulpflichtigen jüdischen Kindern erteilte Lehrer Jacob Weichselbaum aus Adelsberg.
1932 waren 1. Gemeindevorsteher Felix Baumann, Schatzmeister war Leo
Schild. Als Lehrer war inzwischen Harry Weinberg tätig (vgl.
unten Verlobungs- und Hochzeitsanzeigen von 1934 und 1935). Er unterrichtete in
Gemünden acht jüdische Kinder in Religion, dazu die Kinder in den umliegenden
Gemeinden Adelsberg,
Lohr und Thüngen.
An jüdischen Vereinen bestand ein Israelitischer Frauenverein
(Ziel: Wohltätigkeit).
1933 lebten noch 67 jüdische Personen in der Stadt.
Bis Anfang 1936 verließen nur wenige von ihnen die Stadt. Im Jahr 1936
(nach Erlass der Nürnberger Gesetze im Jahr zuvor) waren es allerdings 20
Personen, einschließlich des Lehrers Harry Weinberg, die von Gemünden verzogen
(Harry Weinberg zunächst noch nach Thüngen,
s.u.), teilweise auswanderten (sechs in die Vereinigten Staaten). 1937/38
emigrierten acht weitere jüdische Einwohner in die USA, andere verzogen nach
Frankfurt am Main.
Links das alte (kriegszerstörte) Rathaus in Gemünden mit
Hakenkreuzfahne und Plakat "Deutsche, kauft nichts bei Juden".
(Foto zur Verfügung gestellt durch Bruno Schneider, Kreisheimatpflege
Landkreis Main-Spessart, Gemünden) |
Beim Novemberpogrom 1938 wurde von der örtlichen SA
die Synagoge verwüstet (s.u.) sowie jüdische Wohnungen aufgebrochen,
Inneneinrichtungen zerstört und Wertsachen wie Geld geraubt. In der Folgezeit
verließen alle noch in Gemünden lebenden jüdischen Personen die Stadt, sodass
von dort aus niemand direkt deportiert wurde.
Von den in Gemünden geborenen und/oder
längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit
umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad
Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches
- Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen
Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"): Erna Blum geb. Schild (1886),
Heinemann Grünbaum (1865), Heinrich Grünbaum (1894, vgl. Erinnerungsblatt
des "Aktiven Museums Spiegelgasse" Wiesbaden), Rosa Gutmann geb. Schild
(1885), Arthur Kahn (1911), Regina Löb geb. Grünbaum (1894), Laura Sichel geb. Mainzer (1879), Nathan Sichel
(1873), Fanni Weinberg geb. Kahn (1913) und vermutlich noch weitere Personen (in
den angegebenen schwer recherchierbar, da es in mehreren deutschen Orten mit
Namen Gemünden bis in die 1930er-Jahre jüdische Gemeinden gab).
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde
Aus der Geschichte der
jüdischen Lehrer
Ausschreibung der Stelle des Lehrers, Vorbeters und
Schochet (1930)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. Februar 1930:
"Durch Ableben unseres bisherigen Lehrers ist die Lehrerstelle
Gemünden - Adelsberg sofort neu
zu besetzen. Gehalt erfolgt nach staatlicher Eingruppierung.
Seminaristisch gebildete, unverheiratete religiöse Lehrer mit Kabolaus
von orthodoxen Rabbinern wollen baldigst Bewerbungen mit Abschrift ihrer
Zeugnisse senden an den Vorstand der Israelitischen Gemeinde Gemünden am
Main, S. Birk." |
Zum Tod von Lehrer Jacob Weichselbaum - Adelsberg (1929)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. November 1929: "Adelsberg,
10. November (1929). Lehrer Jacob Weichselbaum hat bei Eingang des Sabbat Paraschat
Bereschit (Schabbat mit der Toralesung Bereschit = 1. Mose 1,1
- 6,8, das war Schabbat, 2. November 1929) seine reine Seele ausgehaucht.
Von seinem Seminaraustritt bis zu seinem unerwarteten Tode, nahezu 46
Jahre, bekleidete er das Amt eines Religionslehrers dahier sowie in den
mitverbundenen Gemeinden Gemünden und Lohr am
Main. Unersetzlich
ist für uns sein Verlust. Er war ein Mann von gediegenen weltlichen und
religiösen Kenntnissen. Ein aufrichtiger Charakter, bescheiden,
freundlich, wohltätig. Er genoss großes Ansehen in weiten Kreisen der
Bevölkerung. Der Verlust von zwei hoffnungsvollen Söhnen im Weltkrieg,
von denen der eine ebenfalls den Lehrerberuf erwählt hatte, hat ihn tief
erschüttert. Sein wahrhaftiges Gottvertrauen hielt ihn aufrecht. Seine
Beerdigung gestaltete sich zu einer eindrucksvollen Trauerkundgebung, wie
sie unser Ort noch nie gesehen hat. Seiner Ehrwürden Herr Rabbiner Dr.
Bamberger in Bad Kissingen schilderte tief bewegte den edlen Charakter des
Entschlafenen, seine tiefe Religiosität, sein verdienstvolles Wirken in Schulen,
Synagoge, Haus und Gemeinde und erteilte ihm zu, Schluss für seine
reichen Torakenntnisse den Chawer-Titel. Unter Hinweis auf die
Worte der Haftora (Prophetenabschnitt der Woche = 1. Samuel 20,18-42): 'Und
er sprach zu ihm: Morgen ist Neumond und man wird dich vermissen, weil
dein Sitz leer bleiben wird' (1. Samuel 20,18) rief Oberlehrer
Freudenberger von Thüngen dem lieben Jugendfreund und teuren Amtsbruder
warme Worte des Gedenkens nach und dankte im Namen des Jüdischen
Lehrervereins
in Bayern für die unablässige Förderung der idealen Bestrebungen dieser
Vereinigung. Tief empfundene Worte des Dankes widmeten dem Entschlafenen
Kultusvorstand Birk für die Gemeinde Gemünden und Lehrer Strauß
- Lohr für die treueste Pflichterfüllung und für die reichen Erfolge
seiner Erzieher- und Lehrtätigkeit. Seine Seele sei eingebunden in den
Bund des Lebens. F." |
Lehrer Harry Weinberg wird nach seiner Zeit in Gemünden Lehrer in Thüngen
(1936)
Anmerkung: nach Strätz Biographisches Handbuch Würzburger Juden Bd. II S.
659 ist Harry Weinberg 1908 in Sulzbürg
als Sohn des Rabbiners Magnus Weinberg geboren, Er studierte 1936 (?) bis 1930
an der ILBA Würzburg. Er konnte noch (wann?)
emigrieren und lebte in den 1960er-Jahren in London. Er war verheiratet mit
Fanny geb. Kahn (geb. 1913 in Gemünden),
die nach der Deportation 1941 in Minsk ermordet
wurde.
Mitteilung
in der "Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung" vom 16.
November 1936: "Stellenbesetzungen: Dem Lehrer Harry Weinberg
wurde mit Wirkung vom 1. November dieses Jahres die Leitung der privaten
Volksschule in Thüngen übertragen." |
Beitrag von Lehrer Harry Weinberg über die
"Reform des Religionsunterrichts" (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 27. August 1936:
Der Beitrag wird nicht ausgeschrieben, da es keine direkten Bezüge zur
jüdischen Geschichte in Gemünden gibt; bei Interesse zum Lesen bitte
Textabbildung anklicken. |
Anzeigen
jüdischer Gewerbebetriebe und Privatpersonen
Anzeigen des Manufaktur- und Modewarengeschäftes W.B. Schloß (1890 / 1891 /
1897)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. April 1890: "Für
mein Manufaktur- und Modewarengeschäft, welches am Sabbat und an
Festtagen geschlossen ist, suche zum sofortigen Eintritt einen Lehrling
mit guter Schulbildung. Kost und Logis im Hause.
W. B. Schloß, Gemünden am Main." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. Dezember 1890: "Für
mein Manufaktur- und Modewaren-Geschäft, welches an Sabbat und Feiertagen
geschlossen ist, suche zum sofortigen Eintritt einen Lehrling mit
guter Schulbildung. Kost und Logis im Hause. W. B. Schloß,
Gemünden am Main." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 6. April 1891: "Für
mein Manufaktur- und Modewaren-Geschäft suche zum sofortigen Eintritt
einen Lehrling mit guter Schulbildung. Sabbat und Feiertage geschlossen.
W. B. Schloß, Gemünden am Main." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5. Oktober 1897:
"Für mein Manufaktur- und Modewaren-Geschäft suche zum
baldigen Eintritt einen Lehrling mit guter Schulbildung. Sabbat und
Festtage geschlossen. Kost und Logis im Hause. Nur selbstgeschriebene
Offerten werden berücksichtigt.
W. B. Schloß, Gemünden am Main." |
Anzeige des Getreide- und Mehlgeschäftes J.
Baumann & Sohn (1901)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. August
1901:
"Wir suchen für unser Getreide- und Mehl-Geschäft Engros einen Lehrling.
Samstags geschlossen.
J. Baumann & Sohn, Gemünden am
Main." |
Anzeige der Bäckerei und Konditorei Louis Grünebaum
(oder Grünbaum?, 1901)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30. Dezember
1901:
"Suche per sofort einen kräftigen Jungen als Lehrling
bei freier Station. Samstags und Feiertage geschlossen.
Louis Grünebaum, Bäckerei und Konditorei, Gemünden
(Bayern)." |
Anzeigen der Fa. Ph. Weinberg (1902)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 21. August 1902: "Nur
ein Versuch!
kann Sie überzeugen, dass meine streng naturell
gerösteten Kaffee's, kräftig und reinschmeckend, einzig zu beziehen
sind, in Handtuchsäckchen von 9 Pfund, auch schon von 5 Pfund an franco. Wiederverkäufer
Rabatt.
Ph. Weinberg, Gemünden am Main." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. Dezember 1902: "Meine Tochter, 19 Jahre alt, mit
Vorkenntnissen, wünscht in einem israelitischen Hause Aufnahme,
wo sie das Kleidermachen gründlich erlernen kann. Offerten an
Ph. Weinberg, Gemünden am Main." |
Anzeigen des Manufakturwaren-Geschäftes Samuel Birk (1902 / 1903)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 4. August 1902: "Lehrling
gesucht!
Samstags und Feiertage streng geschlossen.
Samuel Birk, Manufakturwaren-Geschäft, Gemünden am
Main." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. April 1903: "Suche
für mein Manufakturwaren-Geschäft, am Schabbos und Jomtof (Feiertag)
streng geschlossen, einen Lehrling aus achtbarer Familie. Kost und
Logis im Hause.
Samuel Birk, Gemünden am Main." |
Verlobungsanzeige von Lina Baumann und Alfred Schuster
(1922)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. März 1922:
"Lina
Baumann - Alfred Schuster. Verlobte.
Gemünden am Main - Hanau, Neue Anlage 16. Februar 1922." |
Verlobungsanzeige von Martel Grünebaum und Abraham Stein (1933)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2. März 1933: "Gott
sei gepriesen.
Martel Grünebaum - Abraham Stein. Verlobte.
Gemünden/Main - Salmünster.
März 1933." |
Verlobungs- und Hochzeitsanzeigen von Harry Weinberg und Fanny Kahn (1934 /
1935)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. Oktober 1934: "Gott
sei gepriesen.
Fanny Kahn - Harry Weinberg, Lehrer. Verlobte.
Gemünden a.M. - Gemünden a.M. / Regensburg. Tischri
5695." |
|
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. Februar 1935: "Statt
Karten.
Wir geben ergebenst von unserer, so Gott will, am Sonntag, 10.
Februar in Würzburg, Bibrastraße 17, Rabbinerhaus Bamberger
stattfindenden Trauung Kenntnis.
Harry Weinberg - Fanny Kahn.
Gemünden am Main." |
Hinweis: Informationen zu dem bis 1936 in Gemünden praktizierenden Tierarzt
Dr. Max Birk (geb. 24.7.1896 in Sterbfritz als Sohn von Handelsmann Joseph Birk
und Regina geb. Stern, 1936 nach Palästina emigriert, 1943 in Netanya
verstorben) siehe
https://www.bundestieraerztekammer.de/ns-schicksale/detail/2349/birk-dr.-max
Weiteres Dokument
(aus der Sammlung von Peter Karl Müller,
Kirchheim/Ries)
Postkarte von M. Sichel aus Gemünden nach Erfurt
(1882)
Zur Geschichte der Synagoge
Die im 18. Jahrhundert in der Stadt lebenden jüdischen Familien dürften
zunächst die
Gottesdienste im benachbarten Adelsberg besucht haben. Möglicherweise wurde auch
zumindest in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Betsaal in einem der jüdischen Häuser
eingerichtet. Nachdem die Zahl der jüdischen Gemeindeglieder zugenommen
hatte, plante man den Bau einer Synagoge in Gemünden. 1887 konnte der
Plan verwirklicht werden:
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 3. März 1887:
"Gemünden am Main, im Februar (1887). Die hiesige Gemeinde, wenn
auch eine der älteren Bayerns, entbehrte bis jetzt, in Folge ihrer
geringen Mitgliederzahl, einer entsprechende Synagoge und eines rituellen
Frauenbades. Nachdem nun seit einigen Jahren, durch Zuzug die Gemeinde
zugenommen, bemühte man sich alles Ernstes, diesem Mangel abzuhelfen.
Unter großen Opfern wurde Grunderwerbung vorgenommen, und man ist nun im Begriffe,
eine Synagoge und eine Mikwe zu bauen. Eine Kollekte mit
Genehmigung königlicher Regierung hat zwar einige Beisteuer geschaffen,
allein weitere Mithilfe von Außen wäre immer noch sehr am Platze.
Namentlich dürfte solche in Form von Beschaffung der innern Einrichtung
sehr erwünscht sein. Vielleicht finden sich in dem großem Leserkreise
des "Israelit" Leute, die 'aufgelösten_ Gemeinden namhaft
machen könnten, wo noch Synagogen-Utensilien (Ständer, Lampen etc.)
vorhanden, die hier einer guten Verwendung zugeführt werden könnten. Die
hiesige Kultus-Verwaltung würde solche Offerten, und überhaupt jede
Förderung des frommen aber schwierigen Unternehmens, mit großem Dank
entgegennehmen." |
Zur Einweihung der Synagoge - vermutlich im Herbst
1887 - konnte noch keine Bericht in den jüdischen Periodika gefunden
werden.
Anfand der 1930er-Jahre wurde die Synagoge umfassend
renoviert und am 25. September 1932 wieder eingeweiht. Über die Feier
berichtete die Zeitschrift "Der Israelit" am 6. Oktober 1932:
Gemünden,
28. September (1932). Am Sonntag, den 25. September, feierte die hiesige
Kultusgemeinde die Wiedereinweihung ihrer renovierten Synagoge. Diese ist durch
das unermüdliche Bemühen des Herrn Kultusvorstandes Felix Baumann mit allen
modernen Errungenschaften der Innen-Architektonik ausgestattet. Die neuzeitliche
Wandbeleuchtung und die angemessene moderne Malerei machen sie zu einem
Schmuckkästchen. Die Feier selbst gestaltete sich zu einem Ereignis nicht nur
für die Kultusgemeinde, sondern auch für die ganze Stadt. Nach einer
Begrüßungsansprache des Kultusvorstandes, Felix Baumann, in der er ganz
besonders betonte, dass diese Feier die erste Amtshandlung des neuen Rabbiners
Dr. Ephraim, Bad Kissingen, in seinem Bezirk darstelle, sang der zweistimmige
Chor Mah towu ("wie lieblich..."). Nach dem darauffolgenden,
von Lehrer Weinberg vorgetragenen Psalm ergriff Bezirksrabbiner Dr. Ephraim das
wort zu einer tiefdurchdachten Weiherede. "Weasu li mikdasch we
schachanti betocham" "Und sie sollen mir machen ein Heiligtum,
dass ich wohne in ihrer Mitte". Dieses war der Leitgedanke seiner Predigt.
G'tt wohnt nicht im im Heiligtum, sondern er wohnt betocham, in
"ihrer" Mitte, in der ganzen Gemeinde. Unter dem feierlichen
Chorgesang wurden sodann die Torarollen hereingebracht, angeführt von festlich
gekleideten, blumenstreuenden Kindern. Nach dreimaligem Umzug unter Gesängen
von Kantor und Chor wurden sie dann ... in die heilige Lade eingehoben. Nach
einem Landesgebet und einer Gefallenenehrung durch den Rabbiner sang der Chor adon
olam. "ewiger Herr". Sodann hielt Lehrer Weinberg eine Ansprache,
in der er u.a. dem Kultusvorstand Felix Baumann für seine aufopferungsvolle
Mühe und Arbeit, die er der Zustandebringung dieses Werkes gewidmet hat, den herzlichsten
Dank aussprach. Nach der darauffolgenden Ansprache des Bürgermeisters Eberlein
sprach Justizrat Dr. Rosenthal aus Würzburg als Vertreter des Verbandes
Bayerischer Israelitischer Gemeinden. Er betonte ganz besonders, dass es in
einer Zeit wie der heutigen eine lobenswerte Tat bedeutet, ein solches
Unternehmen durchzuführen. Da der größte Teil des Geldes durch freiwillige
Spenden zusammengebracht wurde, so stelle dieses ein schönes Zeichen der
Opferwilligkeit der jüdischen Gemeinschaft dar. Als nächstes hielt Rabbiner
Dr. Ephraim eine Weiherede für die "Ewige Lampe" und das
"Jahrzeitlicht", beide von Herrn Kultusvorstand Felix Baumann
gestiftet. Zum Schluss sang der Chor "ein keelokeinu"
"keiner ist wie unser Gott". Die Feier macht auf alle Teilnehmer einen
tiefen Eindruck und wird ihnen in dauernder Erinnerung bleiben.
|
Beim Novemberpogrom 1938, der durch SA-Leute aus Gemünden
durchgeführt wurde, wurde am Vormittag des 10. November 1938 die Inneneinrichtung der
Synagoge einschließlich der Ritualien demoliert. Am Abend dieses Tages wurde das
Gebäude in Brand gesetzt. Der Brand wurde jedoch mit Rücksicht auf die
Nachbargebäude von der Feuerwehr gelöscht Am folgenden Tag
wurden die noch in Gemünden lebenden Juden gezwungen, die Spuren der Schändung
und Verwüstung "aufzuräumen". Das Synagogengebäude ging in
städtischen Besitz über und wurde im Krieg durch amerikanische Bomben
zerstört.
Über die Ereignisse beim Novemberpogrom
1938 in Gemünden - aus einem Artikel von Björn Kohlhepp in der
"Main-Post" vom 9. November 2013 (Link
zum Artikel): "Am 10. (November) ... wurde auf Geheiß des SA-Standartenführers aus Lohr morgens die
Gemündener SA zusammengetrommelt. Zwischen 8 und 9 Uhr wurde die Wohnung von Nathan Baumann und die Gemündener Synagoge demoliert. Die Verantwortlichen sollen sich in der Gastwirtschaft Haas erst einmal Mut angetrunken haben. Womöglich waren sie dort noch vom Vorabend.
Der Gemündener Standartenführer versammelte gegen 9 Uhr etwa 14 bis 15 uniformierte SA-Leute und gab die Weisung aus, alle jüdischen Wohnungen in Gemünden zu verwüsten und Wertgegenstände sicherzustellen. Sie drangen alsdann in jüdische Wohnungen ein, insgesamt gab es noch etwa 20 Bürger jüdischen Glaubens, und schlitzten Betten auf, zerschlugen Geschirr, Möbel, Lampen. Weitere SA-Männer schlossen sich an. Nur das Haus des angesehenen Schuhhändlers Moses Birk, Inhaber des Eisernen Kreuzes aus dem Ersten Weltkrieg, blieb verschont – aber wohl nur, weil ein SA-Mann ein Auge darauf geworfen hatte und es nach Moses' Auswanderung auch bekam.
Gegen 11 Uhr versammelten sich die SA-Leute in der Gemündener Brauerei, wo sich laut einer Akte des Staatsarchivs auch die Geschäftsräume der NSDAP-Ortsgruppe befanden. Mit Motorrädern und Autos – eines davon beschlagnahmte ein SA-Mann von seinem jüdischen Arbeitgeber, der Firma Zucker, ein anderes stammte von einem Gemündener Zahnarzt – fuhren zehn bis zwölf Mann nach
Adelsberg und wiederholten dort ihr schändliches Tun an jüdischen Wohnhäusern und der Synagoge. Die Adelsberger Juden waren als arm bekannt.
Um etwa 12.30 Uhr versammelte sich der Haufen in der Wirtschaft Michler und fuhr gegen 13 Uhr weiter nach
Heßdorf, wo die größte jüdische Gemeinde im Raum Gemünden bestand. Auch dort wüteten sie in der Synagoge und in jüdischen Häusern, zu denen sie sich vom Bürgermeister führen ließen. Im Haus des jüdischen Oberlehrers fanden sie die in Sicherheit gebrachten Gebetsrollen und Kultgegenstände und verbrannten sie auf dem Platz beim Dorfbrunnen. Die Bevölkerung schaute in großer Zahl zu, Einzelne drangen auch mit in Häuser und die Synagoge ein. Manche der Vandalen kehrten noch in ein Heßdörfer Gasthaus ein, bevor es zwischen 16 und 17 Uhr zurück nach
Gemünden ging. Doch damit war der Schrecken für die jüdische Bevölkerung längst nicht ausgestanden. Am Abend des 10. Novembers drangen SA-Leute über den Dachboden eines angrenzenden Hauses in die Gemündener Synagoge und legten eine Zeitbrandbombe auf der Empore nieder. Diese explodierte um etwa 21.30 Uhr, bald quoll dichter Rauch aus den schmalen Rundbogenfenstern.
Von überall her kamen Schaulustige angelaufen, Anwohner forderten, den Brand sofort zu löschen, damit das Feuer nicht auf ihre eigenen Häuser übergriff. Auch obiger SA-Mann, der ein Auge auf das Eigentum von Moses Birk und ein Haus in der Nähe der Synagoge hatte, verlangte die Löschung. So vergingen nur wenige Minuten, bis die Feuerwehr am Brandherd eintraf. Nachdem die Feuerwehr den Brand gelöscht hatte, drangen SA-Leute in die Synagoge ein, warfen alles, was kostbar und nicht niet- und nagelfest war, auf einen Karren und transportierten es ab.
An den beiden Schreckenstagen wurden alle männlichen jüdischen Einwohner verhaftet. Am 11. November wurden mehrere jüdische Männer gedemütigt, indem die NSDAP-Ortsgruppe sie zwang, die Spuren der Zerstörung auf den öffentlichen Straßen und Plätzen zu beseitigen. Am 8. Dezember 1938 meldete der Gemündener Anzeiger, dass Gemünden
'judenfrei' ist. Die jüdische Gemeinde hatte aufgehört zu bestehen. Die Synagoge ging in städtischen Besitz über, wurde im Krieg durch amerikanische Bomben zerstört. Moses Birk gelang noch die Auswanderung in die USA, wo er 1989 im Alter von 101 Jahren starb...
Dem kleinen Trupp marodierender SA-Leute standen viele schweigende Gemündener Bürger gegenüber, die das Treiben rund um die Pogromnacht mit Unbehagen betrachteten. Franz Holzemer aus der Mühltorstraße war einer von ihnen. Er stieß am 10. November, als die jüdischen Männer verhaftet worden waren, zu dem Kreis der verängstigten jüdischen Frauen im unzerstörten Haus von Schuhhändler Moses Birk und drückte den Frauen sein Bedauern über die unsäglichen Vorfälle aus. Auf Wunsch von Laura Sichel, die mit ihrem Mann einen Schuhladen betrieb, bis dieser beim Pogrom zerstört wurde, fuhr Holzemer am nächsten Tag nach Frankfurt, wo er sich nach dem Wohlergehen von Tochter Sidonie erkundigen sollte, die mit ihrem Mann gerade einmal fünf Tage zuvor dorthin gezogen war.
Holzemer bekam die Quittung für seine Menschlichkeit drei Wochen vor Weihnachten: mehrere Wochen Schutzhaft. Er habe sich laut Haftbefehl
'in einen Gegensatz zur Rassenpolitik des nationalsozialistischen Staates' gesetzt. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP Gemünden Hans Wunner hatte am 12. November der örtlichen Gendarmeriestation gemeldet, dass Holzemer in der Pogromnacht mit den Juden in Verbindung gestanden habe.
'Der Verkehr des Holzemer mit den Juden löst allgemeine Empörung aus und es ist unbedingt nötig, daß Holzemer in Polizeihaft genommen wird', schrieb daraufhin die Polizei Gemünden an die Gestapo Würzburg." |
Auf dem Parkplatz vor der Plattnersgasse befindet sich eine Hinweistafel zum
Standort der früheren mit dem Text: "Bis zur Kriegszerstörung im Jahre
1945 stand hier die Synagoge der Jüdischen Kultusgemeinde Gemünden a.
Main". Es findet sich kein Hinweis auf die Ereignisse in der Pogromnacht
1938.
Synagogenprozess: 1949 wurden zwölf Beteiligte der Übergriffe beim
Novemberpogrom 1938 in Gemünden vom Landgericht Würzburg zu Haftstraßen
zwischen drei Monaten und zwei Jahren verurteilt. Die Angeklagten ging in
Berufen, doch kam es nicht zu einer Berufungsverhandlung, sodass niemand der
Angeklagten seine Strafe absitzen musste.
Adresse/Standort der Synagoge: Plattnersgasse
Fotos
Die ehemalige Synagoge 1941
(Foto zur Verfügung gestellt durch
Bruno Schneider, Kreisheimatpflege
Landkreis Main-Spessart, Gemünden) |
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Die ehemalige Synagoge (links)
nach der Zerstörung ihrer Inneneinrichtung beim Novemberpogrom 1938 und
vor der Kriegszerstörung im März 1945, bei der zwei Drittel der Stadt
vernichtet wurden. Die Häuserzeile links (mit Synagoge) vor dem |
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Gedenktafel für die
ehemalige Synagoge
(Foto: Elisabeth Böhrer,
Aufnahme September 2009) |
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Die Gedenktafel mit dem die
Ereignisse beim
Novemberpogrom 1938 ignorierenden Text |
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Fotos von Anfang
Januar 2020
(Fotos: Hahn; Aufnahmen vom 6.1.2020) |
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Ansichten der
Altstadt von Gemünden von der Ruine Scherenburg |
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Die Gedenkstätte
am früheren Synagogenstandort mit der bisherigen Gedenktafel für die
Synagoge und einer neuen Gedenkstele mit Texten
zur Neugestaltung mit Koffer und Kinderrucksack im Zusammenhang mit der
Einrichtung des DenkOrtes Aumühle e.V.
www.denkort-aumuehle.de
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"Stolperstein" vor dem Haus Scherenbergstr. 11 für Heinemann Grünbaum
(geb. 1865, umgekommen im Ghetto Theresienstadt)
der "Stolperstein" wurde am 28. September 2009 verlegt. |
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Erinnerungsarbeit vor
Ort - einzelne Berichte
Mai 2009:
Der Stadtrat stimmt der Verlegung von "Stolpersteinen in
Gemünden" zu |
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Links: Artikel (in 2 Teilen) im "Lohrer
Echo" vom 6. Mai 2009: "Stolpersteine als Erinnerung an
deportierte Juden. Stadtrat: Zustimmung des Gremiums zur Aktion des
Künstlers Gunter Demnig - Nach den unterfränkischen Kulturtagen am 28.
September.
Gemünden. Auch in der Dreiflüssestadt werden künftig sogenannte
Stolpersteine im Pflaster an die von den Nationalsozialisten deportierten
Juden erinnern. Der Stadtrat gab am Montagabend sein Einverständnis zu
der Aktion des Künstlers Gunter Demnig. Dieser wird die Stolpersteine
voraussichtlich an fünf Stellen in der Innenstadt am 28. September
einbauen, einen Tag nach Ende der unterfränkischen
Kulturtage...."
Zum weiteren Lesen des Artikels bitte Textabbildungen anklicken.
(Artikel wurde zur Verfügung gestellt von Fred G. Rausch) |
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September 2009:
"Stolperstein"-Verlegung in
Gemünden |
Artikel
im "Lohrer Echo" vom 14. September 2009: "Stolpersteine
der Erinnerung. Nazi-Opfer: Sechs Messingplatten wird Künstler Gunter
Demnig am 29. September in Gemünden verlegen".
Zum Lesen des Artikels bitte Textabbildung anklicken.
(Artikel
wurde zur Verfügung gestellt von Fred G. Rausch) |
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Artikel in der "Main-Post" vom 29. September 2009 (Artikel): "GEMÜNDEN.
'Wir geben ihnen ihre Namen zurück und ihre Heimat' - Feierstunde zur Verlegung der sechs Stolpersteine in Gemünden zum Gedenken an ermordete jüdische Mitbürger.
Einen 'ganz wichtigen Tag für Gemünden' nannte Bürgermeister Georg Ondrasch die Verlegung der sechs Stolpersteine zur Erinnerung an in der Nazi-Zeit ermordete jüdische Mitbürger.
'Die Stadt Gemünden ist sich ihrer historischen Verantwortung bewusst; sie blendet dieses dunkle Kapitel nicht aus, sondern stellt sich der
Geschichte', sagte Ondrasch zu Beginn der Feierstunde am Marktplatz.
Gemündens Geistlichkeit, Landrat Thomas Schiebel, einige Stadträte, interessierte Bürger und eine starke Abordnung der Hauptschule Gemünden wohnten der Verlegung durch den Kölner Künstler Gunter Demnig bei.
Darunter waren auch der Experte für den Judenfriedhof in
Laudenbach, Georg Schnabel, und die Österreicherin Dr. Brigitte
Tscholl. Sie gehört dem Museums- und Kulturverein in Kaisersteinbruch im Burgenland und dem Historischen Verein Gemünden an und hatte sich in der Gemündener Diskussion vom Mai dieses Jahres für die Aktion ausgesprochen:
'Ein Zuviel kann es für dieses Gedenken der systematischen, zynischen Massenvernichtung unter dem NS-Regime nicht
geben.' Bürgermeister Ondrasch dankte Ulf Fischer, der die Stolperstein-Aktion in Gemünden angeregt und die Vorarbeiten geleistet hatte.
Schwierige Rekonstruktion. Schwierig war und bleibt die Rekonstruktion der Schicksale der jüdischen Gemündener und anderer Verfolgter. 67 Mitglieder zählte die jüdische Gemeinde noch 1933 trotz der aufziehenden Repressionen. Als die Nationalsozialisten endgültig die Oberhand gewonnen hatten, kam es zur Vertreibung und schließlich Deportation und Vernichtung. Viele starben mutmaßlich eines gewaltsamen Todes oder an Entbehrungen auf einem Transport – aber nur sechs dieser Schicksale konnte Ulf Fischer als zweifelsfrei geklärt angeben. Er stützte sich dabei im Wesentlichen auf die 1983 vorgelegte Facharbeit des Gemündener Abiturienten Martin Kaiser.
Gunter Demnigs Betonsteine, die individuell beschriftete Messingplatten tragen, werden in der Regel vor den letzten frei gewählten Wohnstätten der NS-Opfer verlegt. Im Fall des Ehepaars Laura und Nathan Sichel (ehemals Frankfurter Straße 134, heute Fischmarkt) ergab sich das Problem, dass ihr Anwesen im Krieg zerstört wurde und heute zum Teil eine Straße darüber führt. Ihre Stolpersteine in den Gehweg vor dem heutigen Anwesen Fischmarkt 2 zu setzen, stieß wegen einer möglichen missverständlichen Zuordnung auf den Widerstand des Eigentümers. Daher liegen die Steine der Sichels nun im Marktplatz am Rathaus-Gedenkstein neben dem Stolperstein für Erna Blum, deren Gemündener Wohnung nicht lokalisierbar war.
Beiläufig Respekt bezeugen. 'Um zu lesen, was auf diesen Steinen steht, müssen wir uns bücken – und ganz beiläufig bezeugen wir mit dieser Verbeugung unseren Respekt vor Menschen, die nicht anders waren als wir es sind – die lediglich eines Wahns wegen zu Nummern gemacht wurden – im wahren Sinn des Wortes mit dem Einstanzen in ihre Haut – und damit aus der Gemeinschaft ausgestoßen und der Maschinell betriebenen Vernichtung zugeführt. Indem wir vor ihnen das Haupt beugen, geben wir ihnen ihre Namen zurück – und ihre
Heimat.' Diese Interpretation gab auf dem Marktplatz der frühere Gemündener Lokalredakteur Stefan Reis als Festredner. Er beschrieb, wie sich Ende der 1980er Jahre er für das
'Main-Echo' und Peter Kallenbach für die Main-Post sowie der Historische Verein verstärkt mit der Aufarbeitung des Nazi-Terrors beschäftigten:
'Irgendwann wollte ich wissen, warum es in dieser Stadt Momente gab, in denen Gesprächspartner lieber das Thema
wechselten.'
Stefan Reis schilderte stellvertretend das rekonstruierte Schicksal des Schuhmachers und Stadtrats Nathan Sichel und seiner Frau Laura, beginnend mit dem ersten Eintrag in ihre Gestapo-Akte vom 13. Januar 1937 und endend mit der Einweisung ins Vernichtungslager Theresienstadt am 23. September 1942. Dort wurden sie am 22. Februar 1943 ermordet.
Die Lebensdaten zu den sechs Stolpersteinen trugen ihre Paten vor: Ulf Fischer, Wolfgang Weinig, Inge Albert, Georg
Ondrasch, Claudia Rothkegel-Risser und Werner Wolf namens der Hauptschule. Weinig sprach jeweils das jüdische Totengebet Kaddisch. Michael Albert sang auf Hebräisch zwei jüdische Lieder, auf der Geige begleitet von seinem Sohn Jakob." |
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Weitere Berichte zur
"Stolperstein"-Verlegung aus dem "Lohrer
Echo" vom 30. September 2009:
(Artikel wurden zur Verfügung gestellt von Fred G. Rausch) |
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Zum Lesen der Artikel bitte
Textabbildungen anklicken |
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September
/ Dezember 2009: Erinnerung an den
Halt des "Winton-Trains" auf dem Bahnhof in Gemünden 1939
(Artikel wurde zur Verfügung gestellt von Fred G. Rausch) |
Artikel im "Lohrer Echo" (jh) vom 30. Dezember 2009 (Jahresrückblick
2009): "Bewegende Momente bei einem Zughalt. Winton-Train:
Erinnerungen an den britischen Schindler.
Gemünden. Bewegende Momente und Tränen gab es am 2. September bei
einem Zughalt in Gemünden. Passagiere des historischen Sonderzuges (Winton-Train)
waren Überlebende der NS-Zeit. Als Kinder wurden sie 1939 von Prag nach
London evakuiert. Ihr Überleben haben sie Nicholas Winton zu verdanken.
Der heute 100-jährige Brite, der aus Gesundheitsgründen nicht an der
Zugfahrt teilnehmen konnte, rettete vor 70 Jahren durch seinen selbstlosen
Einsatz 669 Kinder vor dem Todeslager. Er besorgte für sie Zugtickets und
kümmerte sich um die Unterbringung in englischen
Familien.
Freundin getroffen. Eine der Überlebenden, die durch den
Winton-Train gerettet wurden, ist Eve Leadbeater. Auch sie fuhr mit dem
Zug. In Gemünden stieg sie aus. Sie traf ihre alte Freundin Karin
Konradt-Dittmer, die sie einst in England kennen gelernt hatte. Die
Wiedersehensfreude war groß, als sich die beiden Frauen umarmten. Ein
anderer Passagier, Henry Stadler (Foto: Archiv), stieg ebenfalls aus. Er
erinnerte sich daran, wie der Zug vor sieben Jahrzehnten in Gemünden
hielt. Die Dampflokomotive bekam frisches Wasser für ihren Kessel. Auch
Stadler hat sein Überleben dem Einsatz von Nicholas Winton zu verdanken.
Auf dem Bahnsteig erzählte er interessierten Zuhörern seine
Geschichte. Der 1909 geborene Nicholas Winton, der im Mai seinen
100. Geburtstag feierte, gilt als der britische Oskar Schindler. Er
koordinierte 1939 die Rettung jüdischer Kinder, denen das Schicksal von
15.000 anderen jungen Tschechen erspart blieb, die bis Kriegsende von den
Nationalsozialisten in Vernichtungslager verschleppt und ermordet
wurden.
'Niemand unternahm etwas'. Als 20-jähriger war Winton 1938
nach Prag gefahren, um einen Freund zu besuchen. Während seines
mehrmonatigen Aufenthalts erkannte er die zunehmende Bedrohung durch die
Nazis. 'Niemand unternahm etwas für die Kinder', erinnert sich der Brite,
dessen Rettungstaten erst 50 Jahre nach Kriegsende bekannt wurden, als
seine Ehefrau alte Aufzeichnungen entdeckte. Winton
organisierte von seinem Prager Hotelzimmer aus die Kinderverschickung per
Zug nach England. Dort nahmen Gasteltern die Jungen und Mädchen in Obhut.
Später kümmerte er sich von London aus um die Koordination in
Zusammenarbeit mit dem britischen Flüchtlingskomitee. Innerhalb von neun Monaten
rettete Nicholas Winton auf diese Weise 669 Kindern das Leben. Acht Züge
kamen unbehelligt in Großbritannien an. Für seine Verdienste
ist der hundertfache Lebensretter, Sohn jüdischer Eltern, mehrfach
ausgezeichnet worden. Der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel
überreichte Winton 1998 in einer großen Zeremonie den Marsaryk-Orden.
Die englische Königin Elisabeth II. schlug ihn 2002 zum
Ritter." |
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August
2010: Erinnerung an die Deportation
der jüdischen Zöglinge des Josefshauses |
Artikel von Dr. Gerhard Köhler im "Mainnetz.de" vom 26.8.2010 (Artikel):
"Jüdische Zöglinge deportiert
Geschichte: Vor 70 Jahren mussten Behinderte das Josefshaus verlassen - Für Menschenversuche missbraucht
Gemünden. In diesem Sommer jährt sich zum 70. Mal die von den damaligen nationalsozialistischen Machthabern erzwungene Schließung der
'Schwachsinnigenanstalt St. Josefshaus' in Gemünden. Am 1. September 1940 begann mit der Deportierung jüdischer Zöglinge die Räumung des Hauses, von der kurz darauf auch alle übrigen Insassen betroffen waren.
Die von Johann Michael Herberich 1882 an der Stelle einer Glashütte unweit der Stadt Gemünden gegründete Anstalt beherbergte vor ihrer Räumung etwa 180 geistig Behinderte, deren Pflege und Unterrichtung in den Händen von Klosterschwestern der Kongregation der
'Töchter des Heiligsten Erlösers' lag. Eigentümer und Direktor der Anstalt, der es als seine vordringliche Aufgabe ansah, die von ihm betreuten Behinderten vor dem NS-Regime zu schützen, war Dr. Friedrich Lehnert, der Schwiegersohn des Gründers. Dessen anfänglicher Widerstand stellte sich bald als unwirksam heraus, denn angesichts des brachialen Vorgehens der Staatsgewalt musste sein Bemühen um Erhalt der Einrichtung erfolglos bleiben: Die Nationalsozialisten erzwangen die Schließung.
Der zu diesem Zeitpunkt sechsjährige Enkel des Anstaltsleiters, der spätere Direktor des Staatsarchivs in der Würzburger Residenz, Dr. Hatto Kallfelz, berichtete unserer Zeitung bemerkenswerte Details im Zusammenhang mit der Auflösung der großväterlichen Einrichtung, von denen er später aus dem Familienkreis Kenntnis erhielt.
Entschieden abgelehnt. Als an Friedrich Lehnert Vertreter des NS-Regimes
mit dem Ansinnen herantraten, sich an der
'nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik' zu beteiligen und die betreuten Behinderten den Behörden zu übergeben, lehnte dieser entschieden ab. Er führte bestehende gesetzliche Bestimmungen ins Feld, die die Weggabe von Zöglingen ohne Einwilligung der Eltern unter schwere Strafe stellte. Davon wenig beeindruckt ließen die Machthaber die Anstalt kurzerhand beschlagnahmen und enthoben Lehnert seines Amtes als Direktor. Das Haus wurde geräumt, die Insassen gingen - so die damalige Diktion -
'in den Schutz des nationalsozialistischen Staates über.' Was über das weitere Schicksal der Betreuten bekannt ist, ist der 1979 protokollierten Aussage einer Klosterschwester zu verdanken, die die Ereignisse miterlebte. Nachzulesen ist ihr Bericht in einem Heft der Schriftenreihe des Historischen Vereins Gemünden mit dem Titel
'Das Josefshaus - von der Glashütte zur Behindertenanstalt' aus dem Jahr 1992, in dem die Autoren Erhard Schenk und Walter Nickel die Geschichte des Josefshauses dargestellt haben.
Das beschlagnahmte Josefshaus nutzten die Nationalsozialisten als Umsiedlerlager und brachten dort zunächst Volksdeutsche aus der Dobrudscha unter, denen wenig später Ukrainer und Franzosen folgten. Lehnert durfte in seiner Wohnung im Josefshaus bleiben und auch die zum Anwesen gehörende Landwirtschaft weiter betreiben. Nach Kriegsende erhielt er als rechtmäßiger Besitzer das Josefshaus mit seinem Umgriff zurück, das durch Krieg und Fremdnutzung schwere Schäden erlitten hatte.
An eine Wiederaufnahme des Anstaltsbetriebs war deshalb nicht mehr zu denken. So diente das Gebäude zunächst bis 1961 als provisorisches Altenheim der Stadt Würzburg, um danach von den Nachkommen Lehnerts und deren Angehörigen als ausschließlich privater Wohnsitz genutzt zu werden. Seit ihrer Gründung zu Beginn der 60er Jahre durch Caritasdirektor Kümmert sieht sich die
'St. Josefsstiftung für geistig Behinderte' in Eisingen in der Tradition des Gemündener St. Josefshauses.
Zur späteren Nutzung für den Bau einer Privatklinik erwarb die Stadt Gemünden 1993 das gesamte Josefshausareal. Heute befindet sich an seiner Stelle - unter Erhaltung und Einbeziehung des alten Josefshausgebäudes - das private
Gesundheitszentrum Main-Spessart für Pflege und Therapie.
Hintergrund: Zöglinge im KZ Lublin ermordet. Demnach mussten am 1. September 1940 als erste die sechs jüdischen Zöglinge das Haus verlassen, wurden zunächst nach Haar bei München verbracht und noch vor Jahresende im KZ Lublin ermordet. Im Oktober 1940 verließen weitere 25 geistig Behinderte das Josefshaus und wurden der Universitätsklinik Würzburg zu Versuchszwecken überstellt.
Von ihnen sollen nur zwei oder drei überlebt haben. In der Folgezeit nahmen etliche besorgte Eltern ihre behinderten Kinder zu sich zurück. Die im Josefshaus noch verbliebenen 129 Zöglinge wurden im November in die Heil- und Pflegeanstalt Lohr gebracht, von denen ein Teil nach Kaufbeuren verschleppt wurde. Während letztere bis heute verschollen sind, haben die 116 in Lohr gebliebenen Behinderten überlebt. (koeh)". |
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Juni
2014: Erinnerung an an den 1911 in
Gemünden geborenen Arthur Kahn - Würzburgs erstes NS-Opfer |
Artikel in der
"Main-Post" vom 3. Juni 2014: "WÜRZBURG. Todesursache Kopfschuss: Arthur Kahn ist Würzburgs erstes Todesopfer nationalsozialistischer Gewalt.
Arthur Kahn: In Dachau wurde er ermordet, in seiner Heimat vergessen. Arthur Kahn ist Würzburgs erstes Todesopfer nationalsozialistischer Gewalt.
Arthur Kahn liegt auf dem Neuen Jüdischen Friedhof in Nürnberg begraben. Er war 21 Jahre alt, Medizinstudent an der Universität Würzburg, als die SS ihn und drei weitere Juden am 12. April 1933 im KZ Dachau umbrachte. Kahn ist das erste Würzburger Todesopfer nationalsozialistischer Gewalt. In einem Meinungsbeitrag vom 3. Januar 2012 beschreibt die New York Times diese vier Morde als konstituierend für den Holocaust. Kahn ist in Würzburg vergessen, in Nürnberg nicht. Im Sommer 2010 besuchte die israelische Tageszeitung Haaretz
('Das Land') Kahns Grab. Über dem Namen – weiß auf schwarzem Stein – sind zwei segnende Hände zu sehen, darüber steht:
'Das erste Opfer der I(sraelitischen) K(ultusgemeinde)- Nürnberg nach der Machtübernahme durch die Nazi
1933'. Haaretz beschreibt es als 'besonders auffällig'. 'In der Nähe stehen Gräber, in denen immer noch die Einschläge von Kugeln zu sehen
sind.'
Kahn, ein gebürtiger Gemündener, ist am 10. März 1933 zu Besuch bei Verwandten in Nürnberg, als ihn die Polizei verhaftet. Obwohl er in der Studentenkartei der Uni als wohnhaft in Würzburg, Semmelstraße 50, ausgewiesen ist, wird er künftig als Nürnberger geführt. Die KZ-Gedenkstätte Dachau listet 240 Häftlinge auf, die zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme in Würzburg gemeldet waren. Kahn ist nicht darunter..."
Link
zum Artikel |
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November 2015:
Gedenken an den Novemberpogrom
1938 |
Artikel in der "Main-Post" vom
30. Oktober 2015: "GEMÜNDEN. Schüler erinnern an Pogrom
An die Reichspogromnacht erinnern Schülerinnen und Schüler des
Friedrich-List-Gymnasiums Gemünden am Montag, 9. November. Die Teilnehmer
des P-Seminars werden um 18 Uhr unter dem Motto 'Wir wollen erinnern' einen
Vortrag, der in Bezug zum Josefshausprojekt steht, halten, die
'Stolpersteine' ablaufen und am Marktplatz Kerzen entzünden. Das Gedenken
ergänzt die Veranstaltungsreihe, die Birgit Amann, wie bereits ausführlich
berichtet, aus Anlass der Schließung des St.-Josefshauses Gemünden vor 75
Jahren organisiert hat. Das St.-Josefshaus (1882 – 1940) war die erste
Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Kinder in Unterfranken.
Die Nationalsozialisten ermordeten nach der Schließung viele der Bewohner.
Auf Anregung der privaten Organisatorin Birgit Amann und gemeinsam mit dem
Bezirkskrankenhaus Lohr, dem Historischen Verein Gemünden sowie der
Volkshochschule Lohr-Gemünden wird die Veranstaltungsreihe zu diesem Thema
am Samstag, 7. November, um 17 Uhr mit einem Gedenkgottesdienst im
Gesundheitszentrum Gemünden, Klinikstraße 1, gestartet."
Link zum Artikel |
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April
2016: Schüler erstellen Faltblatt
über Schicksale jüdischer Menschen |
Artikel im "Main-Echo"
vom 7. April 2016: "Erinnern an jüdische Mitbürger. Bildung: P-Seminar des List-Gymnasiums erstellt Faltblatt über Schicksale der Menschen im Nationalsozialismus
Gemünden a.Main. Ein Faltblatt mit dem Titel 'Wir wollen erinnern' ist das Ergebnis eines 18-monatigen Seminars, das 13 Schüler des Friedrich-List-Gymnasiums absolviert haben. Die 12. Klasse des P-Seminars setzte sich unter anderem mit den im Jahr 2009 in der Stadt verlegten
'Stolpersteinen' auseinander, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern.
Unterstützt wurden sie dabei auch von Ulf Fischer (Langenprozelten), der in Archiven nach Unterlagen suchte. Projektleiter Studienrat Jürgen Endres stellte am Mittwoch das zweiseitige Faltblatt in DIN A4 Größe vor und ging dabei auf die umfangreichen Vorarbeiten ein.
Es beinhaltet die Schicksale der Bürger Arthur Kahn (1911 -1943), Laura Sichel (1879 -1943), Heinemann Grünbaum (1865 -1943), Erna Blum (1888 -1941), Fanny Weinberg (1913 -1941) und Heinrich Grünbaum (1894 -1942) in Form ihrer Lebensläufe. Ferner wird im Faltblatt auf die Geschichte der Synagoge Gemünden und des Josefshauses hingewiesen.
1000 Exemplare des Faltblattes wurden an Kulturamtsleiterin Jasna Blaic für die Stadt Gemünden übergeben. Sie dankte für die sorgfältige Arbeit, die die Erinnerung an die ehemaligen Mitbürger der Stadt wachhält. Das Faltblatt wird an Interessenten verteilt. Gemündens 3. Bürgermeisterin Irmgard Pröschl schloss sich den Dankesworten an und bezeichnete die Herausgabe als eine enorme Leistung für die Darstellung der Stadtgeschichte.
Lothar Fuchs."
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zum Artikel |
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Juni 2016:
Zivilcourage des Franz Holzemer
nach der Pogromnacht 1938
Anmerkung: der Zeitzeuge Franz Holzemer ist 1989 verstorben. Die
Schilderung seiner Erlebnisse ist von 1982. |
Artikel von Peter Kallenbach in
der "Main-Post" vom 9. Juni 2016: "GEMÜNDEN. So war die 'Kristallnacht'
in Gemünden
44 Jahre nach der 'Nacht des zersplitterten Glases' sind die Augenzeugen
selten geworden. Nur wenige Zeitgenossen können sich noch an die damaligen
Vorgänge genau erinnern und in die Verhältnisse zur Zeit der Nazi-Herrschaft
einfühlen. Franz Holzemer gehört zu den Wenigen. Er schildert seine
Erlebnisse in der 'Kristallnacht' und die Folgen für ihn. 'In der Nacht vom
9. zum 10. November 1938 befand ich mich zu Hause in meiner Wohnung
(Fischmarkt 95). Als ich die 'Bescherung' sah, die die SA bei meinem
Nachbarn, dem Schuhhändler Nathan Sichel, angerichtet hatte, ging ich
hinüber zur Familie Sichel und tröstete die beiden. Ich sagte zu Nathan und
Laura, dass wir wieder Krieg bekommen werden, und da gebe es tausendmal mehr
Scherben, als ich heute bei euch hier sehe. Weiter sagte ich ihnen, sei
sollten fortgehen, sonst würden sie totgeschlagen. So weit sei bereits
gekommen. Darauf antworteten sie mir: 'Wir können nicht fort, wir haben kein
Geld mehr, nachdem wir unsere beiden Töchter nach Amerika geschickt haben.
Es mag kommen, wie es wolle – wir müssen alles ertragen.' Zwei Tage später
nach dieser Aussprache kamen ein Gendarm, ein städtischer Angestellter und
der NSDAP-Vorsitzende von Gemünden zu mir. Als meine Frau sie sah, sagte sie
zu mir: 'Da kommen die Gendarmen – die gefürchtetsten von Gemünden.'
Daraufhin stieg ich hoch aufs Dach und versteckte mich hinter dem Schlot.
Die Drei durchsuchten die Wohnung, fanden mich jedoch nicht. Doch sie ließen
das Haus von SA umstellen, sodass ich gegenüber meiner Frau äußerte: 'Ich
muss jetzt hinunter und mich melden.' Am nächsten Morgen ging ich hinunter
zu den Gemündener SA-Leuten, die mich im ehemaligen Rathaus einsperrten. Um
10 Uhr kamen der Ortsgruppenleiter, der Gendarm und der städtische
Angestellte. Als mich der Genadarm und der städtische Angestellte schlagen
wollten, hielt sie der NSDAP–Ortsgruppenleiter zurück: 'Das gibt es nicht',
meinte er. Dann saß ich nach dem Verhör eine Woche lang im Rathaus ein,
wobei mir meine Frau immer das Essen brachte. Am Montag holte mich der
Gendarm aus der Zelle ab und brachte mich zum Bahnhof. Von da fuhren wir mit
dem Zug nach Würzburg, wo er mich bei der Gestapo ablieferte. Dort wurde ich
heftig beschimpft und verhört. Anschließend lieferte man mich ins Würzburger
Gefängnis ein. Im Gefängnis wurde ich nicht geschlagen. Insgesamt war ich
mehr als drei Monate dort. Ende Februar wurde ich wieder entlassen. Bei
meiner Entlassung sagte mir der Wärter, den ich bereits kannte, ich solle
nichts erzählen von dem, was ich gesehen habe. Sonst käme ich gleich wieder
ins Gefängnis. Im Gefängnis sah ich zahlreiche Juden, die in der
Reichskristallnacht verhaftet worden waren. Ich hatte jedoch keinen Kontakt
zu ihnen.' In der Meldung vom 12. November 1938 der Gendarmerie-Station
Gemünden an die Gestapo Würzburg hieß es: 'Der Verkehr des Holzemer mit den
Juden löst allgemeine Empörung aus, und es ist unbedingt nötig, dass
Holzemer in Polizeihaft genommen wird.' Eine Rente oder sonstige
Unterstützung für das erlittene Unrecht hat der Gemündener bis zu seinem Tod
1989 nie erhalten. An Laura und Nathan Sichel, die noch 1938 nach Würzburg
gezogen waren und 1942 von den Nazis ins Konzentrationslager Theresienstadt
verschleppt wurden und dort umkamen, erinnern heute zwei Stolpersteine, die
2009 nicht am Fischmarkt, sondern am Marktplatz verlegt wurden."
Link zum Artikel
Vgl. Artikel von Michael Fillies vom 9. Juni 2016: Gemünden. Franz
Holzemer beugte sich den Nazis nicht..."
Link zum Artikel |
Links und Literatur
Links:
Literatur:
| Germania Judaica II,1 S. 275-276. |
| Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann: Die
jüdischen Gemeinden in Bayern 1918-1945. Geschichte und Zerstörung. 1979
S. 295-296. |
| Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in
Bayern. Eine Dokumentation der Bayerischen Landeszentrale für politische
Bildungsarbeit. A 85. 1988 S. 1992² S. 60-61. |
| Pinkas Hakehillot: Encyclopedia of Jewish
Communities from their foundation till after the Holocaust. Germany -
Bavaria. Hg. von Yad Vashem 1972 (hebräisch) S. 441-442. |
| Leonhard Scherg: Jüdisches
Leben im Main-Spessart-Kreis. Reihe: Orte, Schauplätze, Spuren. Verlag
Medien und Dialog. Haigerloch 2000 (mit weiterer Literatur). |
| Dirk Rosenstock (Bearbeiter): Die unterfränkischen
Judenmatrikeln von 1817. Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg Nr.
13. Würzburg 2008 S. 121. |
| "Mehr als
Steine...." Synagogen-Gedenkband Bayern. Teilband
III: Unterfranken, Teil 1.
Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid,
Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger. Hg.
von Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid und Gury Schneider-Ludorff
in Verbindung mit Meier Schwarz. Synagogue Memorial Jerusalem. Bd. 3:
Bayern. 1. Auflage 2015. Kunstverlag Josef Fink Lindenberg im
Allgäu (mit umfassenden Quellen- und
Literaturangaben)
ISBN 978-3-89870-449-6.
Hinweis: die Forschungsergebnisse dieser Publikation wurden in dieser Seite
von "Alemannia Judaica" noch nicht eingearbeitet.
Abschnitt zu Gemünden S. 167-178.
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Article from "The Encyclopedia of Jewish life Before and During the
Holocaust".
First published in 2001 by NEW
YORK UNIVERSITY PRESS; Copyright © 2001 by Yad
Vashem Jerusalem, Israel.
Gemuenden Lower Franconia. The medieval Jewish
community was destroyed in the Rindfleisch massacres of 1298. Jews appeared in
the mid-17th century, and maintained a presence throughout the 18th and 19th
centuries, numbering 100 in 1900 (total 2,187) and 67 in 1933. Twenty left in
1936 after the publications of the Nuremberg racial laws and another 27 by
mid-1938. Local SA forces wrecked the synagogue and Jewish homes on Kristallnacht
(9-10 November 1938). The rest of the Jews left Gemuenden soon after.
vorherige Synagoge zur ersten Synagoge nächste Synagoge
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