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Darmstadt
Darmstadt
Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft
(orthodox-jüdische Gemeinde)
und ihrer Synagogen
Übersicht:
Zur
Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft in Darmstadt
Seit den 1850er- und
1860er-Jahren sind in Darmstadt zahlreiche Familien aus den Landgemeinden
der weiteren Umgebung zugezogen. Die Mehrheit der Darmstädter jüdischen
Einwohner war bis dahin liberal eingestellt und für Reformen aufgeschlossen.
Die aus den Landgemeinden zuziehenden Personen waren überwiegend
konservativ-orthodox eingestellt. Ihnen lag am traditionellen jüdischen
Gemeindeleben. Über Neuerungen - vor allem im Bereich des gottesdienstlichen
Lebens - kam es zu starken Spannungen innerhalb der Gemeinde und des
Rabbinatsbezirkes. Die orthodox gesinnten Gemeindeglieder Darmstadt und mit
ihnen die meisten Landgemeinden im Rabbinatsbezirk betrieben eine Trennung vom
liberalen Rabbinat und der liberalen Hauptgemeinde. In Darmstadt kam es zur Gründung
der israelitischen Religionsgesellschaft, im Bezirk zur Bildung eines orthodoxen
Rabbinatsverbandes.
Die in den 1850er-Jahren vom liberalen Gemeindevorstand durchgeführten Reformen
im gottesdienstlichen Leben (deutsche Gebete, gemischter Synagogenchor, Veränderungen
in der Liturgie) und vor allem der Einbau einer Orgel in der Synagoge (1857) führte
dazu, dass einige gesetzestreue Männer die Synagoge verließen. Es bildete sich
eine separate orthodoxe Gruppe unter Führung von Rabbi Löb Sulzbach(er) (1804-1882). Er
stellte seine Wohnung für die Gottesdienste zur Verfügung; die mit drei Männern
gegründete "Israelitische Religionsgesellschaft" hatte damals
noch weitere 21 Anhänger. Zum Vorstand wurden Jonas Mayer, Moritz Anspach und
Hermann Neustadt gewählt. Im Haus des Letzteren wurden vorübergehend auch
Gottesdienst abgehalten. Als Kantor und Lehrer war zunächst Joseph Leucht
tätig.
Auch nach dem Amtsantritt des als gemäßigt liberal eingestellten Rabbiners Dr.
Julius Landsberger als Rabbiner in Darmstadt (1859) kam es nicht zu einer
Wiedervereinigung der beiden Gruppen in der Gemeinde. Die orthodoxe Gruppe
trennt sich endgültig von der Gemeinde. 1861 kauften 14 Mitglieder der
Religionsgesellschaft ein Grundstück, das sich an das Synagogengrundstück in
der Kleinen Ochsengasse 14 anschloss. So konnte man ab 1863/64 in einem
Hintergebäude der Synagoge in einem eigens hergerichteten Raum orthodoxen
Separatgottesdienst abhalten. 1864 stellten Herz Bodenheimer und
Jonas Maier, die mit Abraham Landsberg den damaligen Vorstand bildeten (genannt
auch im Bericht von 1867 s.u.), einen offiziellen Antrag auf Anerkennung der
Israelitischen Religionsgesellschaft als eigenständiger Israelitischer
Gemeinde. Der Antrag wurde behördlicherseits jedoch abgelehnt.
Seit Mitte der 1860er-Jahre fand täglicher Gottesdienst im orthodoxen
Betsaal statt. Als Kantoren und Lehrer waren nach Joseph Feucht ein Herr Strauß,
dann 1866/67 ein Herr Vogel, schließlich seit 1868 als Lehrer und Kantor H.A.
Bender tätig (er feierte 1893 sein 25-jähriges Dienstjubiläum, siehe
Bericht unten). Eine eigene Religionsschule wurde eröffnet, in der
bereits 1872 50 Schüler unterrichtet wurden.
1871 beschloss eine Gemeindeversammlung der Religionsgesellschaft unter
Vorsitz von Rabbiner Dr. Lehmann (Mainz) die Anstellung eines Rabbiners für
die Religionsgesellschaft in Darmstadt und die Landgemeinden. Es wurde der
"Verein der gesetzestreuen Israeliten der Provinz Starkenburg" gegründet
(Gründungsdatum der 21. Elul 5631 = 7. September 1871). Zum ersten Vorstand des
Vereins gehörten Herz Bodenheimer und Jonas Maier (Darmstadt), Mayer Bendheim (Auerbach),
Salomon Bodenheimer I (Biblis) und Löb Lyon (Michelstadt).
Zum Rabbiner wurde Dr. Lehmann Marx gewählt. Die Rabbiner der
Israelitischen Religionsgesellschaft in Darmstadt beziehungsweise ab 1897 des
orthodoxen Rabbinates Darmstadt II waren in der Folgezeit:
| 1871 bis 1917 Dr. Lehmann
Marx (geb. 1846 in Strümpfelbrunn,
gest. 1925 in Darmstadt): war Sohn des Strümpfelbrunner Landwirtes Josef
Marx (1814-1889), nach dem Abitur am Lyzeum in Karlsruhe 1864 bis 1867
Studium in Würzburg und Berlin, wo er auch das Rabbinerseminar besuchte. Ab
13. September 1871 Leiter der Religionsschule der Israelitischen
Religionsgesellschaft in Darmstadt, von 1879 bis 1925 Rabbiner der
Religionsgesellschaft; wurde erst 1897 auf Druck orthodox
geprägter Landgemeinden (u.a. Bensheim, Dieburg, Dornheim, Groß-Umstadt,
Heppenheim, Höchst i.O., Lorsch, Schotten u.a.) durch den Großherzog
offiziell zum Rabbiner der orthodoxen Gemeinden des Rabbinatsbezirks
Darmstadt ernannt; 1917 erhielt er den Professorentitel; in diesem
Jahr trat er in den Ruhestand. |
| 1910 bis 1924 Dr. Moses Marx (geb. 1876 in
Darmstadt; gest. 1924 in Darmstadt): war Sohn von Rabbiner Dr. Lehmann Marx;
nach dem Abitur am Ludwig-Georg-Gymnasium in Darmstadt ab 1894 Studium in
Würzburg, an der Breuer-Jeschiwa in Frankfurt und in Berlin; 1898 Promotion
in Würzburg; Januar 1902 bis 1910 orthodoxer Rabbiner in der Provinz
Westfalen mit Sitz in Recklinghausen; 1910 bis 1924 - zunächst zur
Unterstützung seines Vaters - als Rabbiner in Darmstadt tätig. |
| 1924 als stellvertretender Rabbiner Dr. Nathan Cahn
(geb. 1892 in Fulda, gest. 1924 in Darmstadt): war Sohn des
Provinzialrabbiners Michael Cahn in Fulda; 1911-1915 Besuch der
Tora-Lehranstalt von Salomon Breuer in Frankfurt am Main; Studien an den
Universitäten in Frankfurt am Main und Gießen sowie am Rabbinerseminar in
Berlin, die Studienzeit wurde unterbrochen durch Kriegsdienst 1916 bis 1919;
1922 Promotion in Gießen; 1922 Rabbiner in Fulda, anschließend in Köln;
1924 stellvertretender Rabbiner in Darmstadt. Er starb wenige Tage vor
seiner Hochzeit (s.u. Bericht zu seinem Tod). |
| 1924 bis 1925/31 Moses Samson Wassermann (geb. 1891
in Großmaset [Velikiye Mosty] in Galizien, gest. 1962 in Tel Aviv, Israel):
nach dem Schulbesuch Studium und Jeschiwa-Besuch in Brody, 1914
Rabbinatsassessor in Brody, 1917 österreichischer Feldrabbiner, dann
Rabbinatsvikar in Kirchdorf und Steyr, Oberösterreich; 1918 bis 1925
Rabbinatsverweser in Lübeck, 1923 Rabbiner in Kiel; 1924 Dajan und
Rabbinatsverweser in Darmstadt, 1925 Rabbiner der orthodoxen
Religionsgesellschaft ebd.; 1931 Dajan in Breslau, 1939 Emigration nach
Palästina, wo er als Rabbiner im Bezirk Neve Sha'anan in Tel Aviv tätig
war, dazu Mitglied des Rabbinatsgerichts in Tel Aviv und weitere
Funktionen. |
| 1925 bis 1940 Dr. Julius Jona Merzbach (geb.
1900 in Berlin, gest. 1980 in Jerusalem): nach dem Schulbesuch Studium in
Marburg (auch der Mathematik) und Berlin, wo er auch das Rabbinerseminar
besuchte. Promotion in Marburg (mathematisches Thema) 1925. Von September
1925 bis 1940 Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft in
Darmstadt. 1940 Emigration nach Palästina, Dozent an der Jeschiwa "Qol
Tora" in Jerusalem. |
| 1931-1933: Rabbiner Simon Schwab (geb. 1908 in
Frankfurt, gest. 1995 in New York): studierte in Frankfurt, Mir und Telsch; Dozent
an der Jeschiwa in Montreux; 1931 bis
1933 stellvertretender Rabbiner in Darmstadt; 1933 bis 1936 Bezirksrabbiner
in Ichenhausen; 1936 in die USA
emigriert; 1937 bis 1956 Rabbiner in Baltimore, ab 1958 in Washington
Heights (New York City). |
1878 wurde ein erneuter Beschluss gefasst, aus der
Israelitischen Religionsgemeinde auszutreten. Im Blick auf die Nutzung des
Friedhofes wurde ein Kompromiss angestrebt. Da die völlige Separation der
orthodoxen Gemeindeglieder auch eine erhebliche finanzielle Schwächung der
Israelitischen Religionsgemeinde bedeutete, konnte diese zunächst noch
erfolgreich die Abspaltung hinauszögern.
An Einrichtungen hatte die Israelitische Religionsgesellschaft eine
Synagoge (s.u.), die bereits genannte Religionsschule, einen separaten Friedhof
innerhalb des allgemeinen jüdischen Friedhofes
und ein rituelles Bad.
Die Israelitische Religionsgesellschaft entwickelte ein reges Gemeindeleben
mit eigenen Vereinen. Neben den Rabbinern der Religionsgesellschaft waren
für das Gemeindeleben von großer Bedeutung die Vorbeter und
Religionslehrer, unter denen nach dem bereits genannten Lehrer H.A. Bender
vor allem Jacob Lebermann zu
nennen ist. Er war seit 1888 in der Israelitischen Religionsgesellschaft tätig,
konnte 1913 sein 25-jähriges Dienstjubiläum in der Gemeinde verbleiben und
ging 1925 nach 37 Jahren erfolgreicher Tätigkeit in den Ruhestand (gestorben
1930, siehe Berichte unten). Große Anerkennung genoss auch der gleichfalls 1930 verstorbene Vorbeter und
Schochet der Gemeinde Elias Lippmann. Er war 26 Jahre in der Gemeinde in
diesen Ämter tätig.
1924, als zur Israelitischen Religionsgesellschaft etwa 110 Familien
gehörten, waren die Gemeindevorsteher: Sanitätsrat Dr. L. Bodenheimer,
Moritz Mayer, Henri Strauß und Max Mayer. Der Repräsentanz gehörte an: Josef Freitag, Leo Hirsch, S. Störger, B. Bodenheimer und S. Bodenheimer. Das
Rabbinat war seit dem Tod von Rabbiner Dr. Moses Marx unbesetzt, als
Rabbinatsassessor war Moses Wassermann tätig, wohnt Grafenstraße 13). Lehrer
und Kantor war weiterhin Jakob Lebermann. Er und Rabbinatsassessor Wassermann
unterrichteten die damals 70 Kinder an der Religionsschule der Gemeinde. An Vereinen
gab es innerhalb der Religionsgesellschaft: der Wohltätigkeitsverein Chewra
Kadischa (1924 unter Leitung von Benny Bär; 1932 wird an seiner Stelle der
seit 1710 bestehende Wohltätigkeitsverein Chewra Gemillus Chassodim
genannt, der nun von der Religionsgesellschaft bzw. ihrem Mitglied Benny Bär,
Landwehrstraße 12 mit 34 Mitgliedern geleitet wurde), der Talmud-Thora-Verein
(1924 unter Leitung von M. Katzener, 1932 Adresse des Vereins:
Saalbaustraße 10), der Unterstützungsverein der Israelitischen
Religions-Gesellschaft und Kohlenkasse Darmstadt (Saumech Noflim-Verein e.V.,
gegründet 1888, 1924 unter Leitung von Max Mayer, 1932 unter Leitung von Carl
Lehmann, Georgenstraße 7 mit 100 Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiete:
Armenunterstützung, Versorgung mit Brennmaterial), der Brautausstattungsverein
der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Darmstadt e.V. (gegründet 1882,
1924 unter Leitung von Z. Hirsch, 1932 unter Leitung von H. Strauß,
Mathildenstraße 9 und 50 Mitgliedern; Zweck und Arbeitsgebiete:
Brautausstattung), die Agudas Jisroel-Vereinigung (1924 unter Leitung von
Leo Hirsch; 1932 Adresse der Vereinigung: Schloßgartenstraße 63), der Verein
"Esra" (1924 unter Leitung von A. Dernburg; 1932 Adresse des
Vereins: Grafenstraße 13) und der Wanderunterstützungsverein (1924
unter Leitung von Theodor Mayer).
1932 waren die Gemeindevorsteher: Sanitätsrat Dr. L. Bodenheimer
(1. Vors., wohnt Heidelberger Straße 6), Josef Freitag (2. Vors., wohnt
Heidelberger Straße 63; Freitag war nach 1933 1. Gemeindevorsteher, gest.
1936 siehe Bericht unten), B. Bodenheimer (Schriftführer, wohnt Georgenstraße
10), H. Strauß (Schatzmeister, wohnt Mathildenplatz 9). Als Rabbiner war
(bereits seit 1925) Rabbiner Dr. Julius Merzbach tätig (wohnt Schulstraße 10),
als Rabbinatsassessor Simon Schwab (seit 1931). Nach dem Tod Jacob
Lebermann wurde als Lehrer ein Herr Wahrhaftig angestellt (wohnt
Friedrichstraße 18). Der Gemeindevorstand hatte an Ausschüssen einen
Verwaltungsausschuss und einen Steuerausschuss, die durch den Vorsitzenden Dr.
Bodenheimer geleitet wurden. Die Religionsschule der Israelitischen
Religionsgesellschaft - unter Leitung von Rabbiner Dr. Merzbach - hatte im
Schuljahr 1931/32 87 Schüler. Als koschere Speiseeinrichtung der Israelitischen
Religionsgesellschaft gab es unweit der Synagoge das "Hotel Stadt
Frankfurt" in der Bleichstraße 22.
Nach 1933 gab es noch für mehrere Jahre ein reiches kulturelles und
religiöses Leben innerhalb der Israelitischen Religionsgesellschaft (vgl. die
Berichte unten). Die Zerstörung der Synagoge 1938 (s.u.), die Emigration
eines großen Teiles der Gemeindemitglieder und die schließliche Deportation
der noch in Darmstadt lebenden jüdischen Personen zerstörten die über
Jahrzehnte das religiöse Leben Darmstadts in mannigfacher Weise bereichernde
Israelitische
Religionsgesellschaft.
Berichte
aus der Geschichte der Israelitischen Religionsgesellschaft
Berichte über die Entstehung der Israelitischen Religionsgesellschaft
Bericht über die Israelitische Religionsgesellschaft in
Darmstadt aus Anlass der Einweihung einer Torarolle (1867)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 11. September 1867: "Darmstadt. Noch ist das Gefühl
für den Glauben in Israel nicht ganz erloschen, es finden sich noch
überall Männer, die festhaltend an den heiligen Satzungen des
unverfälschten, historischen Judentums, Leute um sich scharen und trotz
der Schwierigkeiten, die ihnen von gegnerischer Seite bereitet werden,
dennoch zum Ziel gelangen... Einen evidenten Beweis dazu liefert das in
religiöser Hinsicht so übel beleumundete Darmstadt. Es bedarf nicht mehr
einer Erwähnung, dass sich dahier gleich nach dem Auftauchen
reformerischer Pläne eine Gruppe, die zwischen Falschen und Wahrem
unterscheiden kann, gebildet hat, das, anfangs aus 5 Mitgliedern
bestehend, eine Synagoge mit prächtiger Einrichtung erbaute und jetzt auf
25 durchaus ehrbare, von einem Geiste durchdrungene Männer angewachsen
und noch im stetigen Wachsen begriffen ist. Die Edat Jeschurun
feierte am Schabbat Paraschat Reeh (Schabbat mit der Toralesung Reeh
= 5. Mose 11,26 - 16,17, das war am Schabbat 31. August 1867) eine Toraeinweihung. Liegt in
einer solchen Feier für den wahrhaft frommen Jehudi schon an und für
sich eine erhebende Idee, so konnte sie bei Jedem der Stifter und
Mitglieder einen umso größeren Eindruck hervorzubringen nicht verfehlen,
als sie sich das bisher Geschehene ins Gedächtnis zurückrufen mussten.
In diesem Sinne sprach sich auch der ehrwürdige Rabbinats-Kandidat Herr
Löw Sulzbacher in einer geistreichen, gedankenvollen Rede aus. Er
betonte in kurzen Worten, dass seine Freunde, die im Vereine mit ihm bei
dem ersten Auftauchen der Reformen in hiesiger Stadt, ohne die großen
Geldmittel zu schauen, das Naasä ('wir wollen etwas tun')
gesprochen, nun dem Ganzen durch das nischma ('wir wollen hören',
auf die neue Torarolle anspielend) die Krone aufsetzten. Dies Alles sei
aber nur durch die herrschende Einigkeit möglich gewesen. Er bewies dann
unter der gespanntesten Aufmerksamkeit der Zuhörer, dass Einigkeit nur
durch den rechten Glauben, den ersten Willen und die religiöse Kenntnis
eine dauernde Stätte finden könne. Er führt zum Belege zwei Verse aus
den Psalmen, 7 und 8, Kapitel 19 an.
Alle Zuhörer waren von den zu Herzen gehenden Worten tief ergriffen.
Abends wurde ein Festessen veranstaltet, dem sich sämtliche Mitglieder
anschlossen. Diese Gelegenheit benutzte Herr Sulzbacher, den Schomrei
Schabbat (Hüter des Schabbat) -Verein zur Sprache zu bringen und es
meldeten sich einstweilen 20 Mitglieder mit einem jährlichen Beitrag von
einem preußischen Thaler zum Beitritt. Mit Recht sagen unsere Weisen: ein
Gebot zieht das andere Gebot nach sich (gemeint: wer eine Weisung hält,
wir auch eine andere halten). Schließlich muss ich noch rühmlichst
der Vorstände, Herren Abraham Landsberg, Jonas Mayer und Herz Bodenheimer
erwähnen, denen die Gemeinde für die gewissenhafte Erfüllung ihrer
Pflichten ganz besonders zu Dank verpflichtet ist. J. L, Gst."
|
Kurzbericht aus der
Israelitischen Religionsgesellschaft
(1869)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. September 1869: "Darmstadt, im September. Wie den
Lesern des 'Israelit' bekannt, besteht hier seit einer Reihe von Jahren
eine orthodoxe Separat-Gemeinde. Dieselbe gedeiht Gott sei Dank ganz
außerordentlich. Außerdem einem eigenen Gotteshause hat unsere Gemeinde
eine besondere Religionsschule, deren Leistungen alle Erwartungen
übertreffen, wie dies die in der Woche vor dem Neujahrsfeste stattgehabte
Prüfung in glänzendster Weise dargetan hat." |
Die
Israelitische Religionsgesellschaft auf dem Weg zu einer "orthodoxen
Mustergemeinde"
(1872)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 2. Oktober 1872: "Darmstadt. Es nimmt mich Wunder,
Herr Redakteur! dass Ihr Korrespondent von der hessischen Bergstraße so
lange in Stillschweigen herharrt, trotzdem so manches Interessante und
Erfreuliche von hier zu berichten wäre. Schreiber dieser Zeilen erlaubt
sich deshalb, Sie zu ersuchen, dem folgenden Berichte die Spalten Ihres
geschätzten Blattes zu öffnen. Bei uns ist mit Gottes Hilfe ein großes
Werk vollbracht, die Trennung der Orthodoxen hat hier schon die besten
Früchte getragen. Die rastlose Tätigkeit unseres verehrten Herrn
Rabbiners Dr. Marx ist wirklich schon von bestem Erfolge gekrönt.
Derselbe hielt am ergangenen Sabbat Ki tawo (Sabbat mit der
Toralesung Ki tawo, d.i. 5. Mose 26,1 - 29,8, das war am 21.
September 1872), in seiner Predigt eine Revue über das seit einem Jahre
Vollbrachte, das erstaunenswerte Resultate zeigte. Die Religionsschule,
die Pflanzstätte des echten Judentums, zählt gottlob schon 50 Zöglinge,
die Unterricht in allen jüdischen Fächern erhalten. Außerdem erteilt
Herr Dr. Marx vielen Knaben Unterricht im Talmud, worin dieselben schon
bedeutende Fortschritte gemacht haben. Die Gemeindemitglieder
unterstützten ihren Rabbiner kräftig in seinem edlen Streben, dieselben
scheuen keine Opfer, um recht bald eine orthodoxe Mustergemeinde
repräsentieren zu können. So hat die Opferwilligkeit der Gemeinde es
ermöglicht, dass die jetzt im Bau begriffene Synagoge noch vor dem
Winter unter Dache gebracht werden kann. Auch die Frauen in Darmstadt
nehmen regen Anteil an der Konsolidierung und Kräftigung der Gemeinde;
dieselben haben zum Beispiel jetzt ein Komitee gebildet zur Anschaffung
von Parochet (Toraschreinvorhang) und sonstiger Synagogenutensilien.
Wir machen die erfreuliche Beobachtung, dass Gott sei Dank das echte
jüdische Leben in allen Klassen unserer Gemeinde pulsiert und ist auch
festgegründete Hoffnung, dass in kurzer Zeit die Irreligiosität und der
Indifferentismus, die von gewisser Seite hier mit Konsequenz seit einer
Reihe von Jahren gesät wurden, gänzlich schwinden werden. Die Wahrheit
siegt, wenn sie noch so lange niedergehalten wird. Wenn wahre Frömmigkeit
mit Verständnis der Zeit und ihrer Ansprüche sich paaren, so muss es
etwas Rechtes geben. Ben
Mosche." |
Beschluss
des Austrittes der Israelitischen Religionsgesellschaft aus
der Israelitischen Religionsgemeinde mit Kompromissen (1878)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 5. November 1878: "Darmstadt, 24. Oktober (1878).
Vorgestern hat die orthodoxe israelitische Religionsgesellschaft dahier
eine Generalversammlung angehalten, um über ihren Austritt aus der
hiesigen israelitischen Religionsgemeinde zu beraten und zu beschließen.
Das Resultat derselben war, dass man zwar in corpore aus der Gemeinde
treten, jedoch hinsichtlich des Friedhofes
den Versuch machen wolle, ob man nicht selbst nach erfolgtem Austritte bei
der Gemeinde in dieser Beziehung verbleiben könnte. Man ist erbötig,
nach Ablauf von 5 Jahren eine Pauschalsumme an die Gemeinde zu entrichten,
um dafür das Recht der Benutzung des Friedhofes dauernd zu besitzen. Eine
Kommission wurde erwählt, die zu diesem Zwecke mit dem Gemeindevorstand
in Unterhandlung treten solle. Zur der hiesigen Gemeinde zählen 300
steuerpflichtige Mitglieder, von welchen ungefähr 70 auch zu der
erwähnten Religionsgesellschaft beitragen. Von diesen 70 Personen sollen,
einem Gerüchte zufolge, bereits ca. 50 auf einer in Zirkulation gesetzten
Liste ihren Austritt mit ihrer Unterschrift erklärt haben. - Die
Religionsgesellschaft besitzt eine eigene erst vor einigen Jahren neu
erbaute Synagoge, einen eigenen Rabbiner (Dr. Marx), einen Vorsänger
und Lehrer. Die Steuerquote derselben soll jährlich ungefähr 7 bis
8.000 Mark betragen, also ungefähr ein Viertel der Gemeindesteuer, ihr
Ausfall fügt den Gemeindefinanzen einen bedeutenden Schaden zu. Einige
Mitglieder des Vorstandes sollen, wie man hört, der Ansicht sein, die
Gemeinde möge, um den Austritt zu verhüten, hinfort auch die Bestreitung
der Bedürfnisse der Religionsgesellschaft übernehmen. - Der Ausgang
lässt sich noch nicht übersehen. - Es dürfte vielleicht von Interesse
sein zu hören, durch welch ganz unbedeutende Reform im Jahr 1854 die
Separation ihren Anfang genommen, und wie durch Zusammenwirken der
verschiedensten Ursachen allmählich die separierte Gesellschaft
zugenommen und zu dieser Zahl herangewachsen ist. Doch dies ein
andermal." |
Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer und der Schule sowie
der Kantoren und weiterer Kultusbeamten
Ausschreibungen der Religionslehrer- und Vorsängerstelle der
Israelitischen Religionsgesellschaft (1865 / 1867 / 1868)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
30. August 1865: "Offene Religions-Lehrer- und
Vorsänger-Stelle.
Die (orthodoxe) israelitische Religionsgesellschaft zu Darmstadt
wünscht die Stelle eines Religionslehrers und Vorsängers an derselben zu
besetzen. Fixer Gehalt 400 Gulden. Befähigte Bewerber, womöglich
unverheiratet, wollen ihre Zeugnisse franko einsenden an den Vorsteher Herz
Bodenheimer." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
6. November 1867: "Bei der israelitischen
Religionsgesellschaft in Darmstadt ist die Stelle eines Lehrers und
Vorsängers mit einem jährlichen Fixen Gehalt von 600 Gulden per 1.
Januar 1866 vakant. Qualifizierte Bewerber belieben sich unter Vorlage
ihrer Zeugnisse beim Unterzeichneten zu melden.
Der Vorstand. Jonas Maier." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 1. Januar 1868: "Bei der israelitischen
Religionsgesellschaft in Darmstadt ist die Stelle eines Lehrers und
Vorsängers mit einem jährlichen fixen Gehalt von 600 Gulden per 1.
Januar 1868 vakant. Qualifizierte Bewerber belieben sich unter Vorlage
ihrer Zeugnisse beim Unterzeichneten zu melden.
Der Vorstand. Jonas Maier." |
Erstes Examen in der Religionsschule der
Israelitischen Religionsgesellschaft (1872)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 27. November 1872: "Darmstadt. Am jüngsten Halbfeiertag
von Sukkot hielt die Religionsschule der hiesigen
Religionsgesellschaft, ich glaube, es war gerade ein Jahr, dass unser Herr
Rabbiner Dr. Marx die Leitung derselben übernommen hatte, ihr erstes
Examen ab. Am Schabbat, also Tags vorher, leitete der Herr Rabbiner in
seiner Predigt dasselbe gewissermaßen schon ein, indem er auf die
Wichtigkeit der religiösen Erziehung in sehr eindringlicher und
überzeugender Weise hinwies und zur Prüfung einlud. Man solle sich nur
keine zu großen Vorstellungen von den Leistungen der Kinder machen, denn
die Zeit, die die Kinder der Religionsschule widmen oder widmen könnten,
sei eine sehr karg bemessene, und dann würde diese, durch häufige
Versäumnisse veranlasst, nicht immer gehörig ausgenützt. Indes soviel
Mängel die Schule auch noch habe und wie weit sie von dem Ideale, das dem
Redner vorschwebe, zurückstehe, in einer Sache dürfe sie sich mit den
besten Schulen messen, es sei das der sittliche Ernst, der in ihr walte,
die Liebe, mit welcher gelehrt und gelernt werde, und die Art und Weise,
in welcher die Kinder erzogen würden.
Das Examen verlief unter zahlreicher Beteiligung der Gemeindemitglieder in
schönster und würdigster Weise und förderte das überraschende Resultat
zutage, dass die Schüler qualitativ und quantitativ jede Erwartung
übertrafen. Wir beziehen dies namentlich auf die 1. Knabenklasse,
die der Herr Rabbiner selbst fast ausschließlich unterrichtet. Die Knaben
verstanden Chai Adam, Raschi und Mischnaot zu traktieren,
dass es eine Freude war, ihnen zuzuhören. Die Antworten gingen Schlag auf
Schlag und man sah es allen Knaben an, dass dies mit einem Verständnis
und einer Klarheit geschah, die den Zuhörer in hohem Grade
fesselten.
Auch für die unteren Klassen wusste Herr Lehrer Bender recht zu
interessieren und zeigte er, dass in den Elementen recht Ersprießlicher
geleistet wurde.
Wenn die Schule so fortschreitet, so hoffen wir, viel Freude an ihre zu
erleben und da ihre Leitung - mit Gottes Hilfe - in guten Händen
ist, so sehen wir ruhig der Zukunft entgegen. Wenn unsere Kinder wieder
feststehen auf jüdischem Boden und wieder an die jüdische Wissensquelle
geführt werden und selbst aus dem Wahrheitsborn schöpfen lernen, so
dürfen wir auf frohe Tage zählen. - Unsere Synagoge kommt diese
Woche unter Dach. Mikwe und Schullokal werden dann
auch in Angriff genommen." |
25-jähriges Dienstjubiläum des Lehrers der
Israelitischen Religionsgesellschaft H.A. Bender (1893)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. April 1893: "Darmstadt. Wenn das langjährige
erfolgreiche Wirken eines jüdischen Lehrers das ehrenvollste Zeugnis für
das religiöse Leben und zielbewusste Handeln seiner Gemeinde ablegt, so
trifft dies ganz besonders bei der hiesigen israelitischen
Religionsgesellschaft zu, welche trotz der hier herrschenden, scharf
ausgeprägten religiösen Gegensätze, trotz vielfacher Anfeindungen von
anderer Seite, durch die Opferfreudigkeit und den tiefen religiösen Sinn
ihrer Mitglieder, sowie durch den vortrefflichen Zustand ihrer
Institutionen zu einer imposanten Gemeinde herangewachsen und erstarkt
ist. Verdienst ja schon vom Standpunkte der Humanität und Pietät die im
langjährigen Dienste erprobte Pflichttreue und Ausdauer eines Lehrers
hohe Anerkennung. Aber umso verdienter und ehrenvoller gestaltet sich
dieselbe, wenn des Lehrers Bemühungen keine vergeblichen waren, wenn in
Schule und Gemeinde jüdisches Wissen gepflegt und gefördert wird, denn
das vor Jahrzehnten hier schwer gefährdete religiöse Leben Dank unserer
Gemeinde sich immer mehr entwickelt hat und in erfreulicher Weise erstarkt
ist. Diese Erwägung leitete die Mitglieder der israelitischen
Religionsgesellschaft, als sie verflossenen Schabbat Paraschat Schemini
(= Schabbat mit der Toralesung Schemini, d.i. 3. Mose 9,1 - 11,47,
das war am 15. April 1893) das 25-jährige Dienstjubiläum des Lehrers
H.A. Bender festlich begingen.
Durch einmütiges Zusammenwirken und gemeinsamen Wetteifer von Gemeinde
und Rabbiner, Schüler und Kollegen gestaltete sich dasselbe äußerst
glanzvoll. Nachdem Seine Ehrwürden Herr Rabbiner Dr. Marx schon
beim Morgengottesdienst in wirkungsvoller Rede der Zeit des Amtsantrittes
des Jubilars gedachte, auf den kleinen Anfang und die schöne Entwicklung
unseres Gemeindewesens hinwies und dabei die Eigenschaften des Jubilars
trefflich beleuchtete, begab sich im Laufe des Tages die Vorstandschaft
unserer Gemeinde in die Wohnung des Herrn Bender und überreichte
demselben unter herzlichen Glückwünschen einen herrlichen Pokal. Eine
Deputation früherer Schüler des Jubilars, welche - in Betätigung ihrer
Dankbarkeit und Verehrung - ihrem Lehrer ein sinniges Ehrengeschenk
widmeten, übergab dasselbe nebst einer kunstvoll ausgestatteten Adresse.
Aber auch die jetzigen Schüler ließen es sich nicht nehmen, den Ehrentag
ihres Lehrers in würdiger Weise zu begehen, und so vereinigte Nachmittags
den Jubilar, die Kollegen und die ganze Schule in der Aula unseres
Schulhauses eine trefflich arrangierte Feier, welche unter Teilnahme der
gesamten Gemeindeverwaltung glänzend verlief. Nach Gesängen, einer
Festrede des Herrn Rabbiner Dr. Marx und mehrere Ansprachen wurde dem
Jubilar von den Kollegen ein prächtiger Lehnsessel, sowie sämtliche
Lehrbücher unserer Schule in Prachtband übergeben, als Zeichen
bleibender Erinnerung an seine verdienstliche Wirksamkeit, sowie als
Ausdruck des innigen Wunsches, dieselben noch lange im Dienste unserer heiligen
Sache zu gebrachen. Tief ergriffen dankte Herr Bender allen, welche die
Feier so verschönerten und seiner in so aufmerksamer Weise gedachten und
versprach, unter des Allmächtigen Beistand auch fernerhin sein Bestes
für Gemeinde und Schule einsetzen zu wollen.
Dieser wackere Vorsatz entsprach dem Wunsche aller Festteilnehmer und der
ganzen Gemeinde, welche durch diese erhebende Feier sich selbst wahrhaft
ehrte und wieder aufs neue bewies, dass wahre Religiosität und
Humanität, dass (die Verbindung von) Tora und profanem Wissen in
ihr getreulich gepflegt und würdig betätig
werden." |
25-jähriges Jubiläum
des Lehrers Jacob Lebermann als Beamter der
Israelitischen Religionsgesellschaft (1913)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom
12. Dezember 1913: "Darmstadt. Lehrer J. Lebermann war
anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums als Beamter der Israelitischen
Religionsgesellschaft der Gegenstand zahlreicher Ehrungen, die zeigten,
welcher Hochschätzung er sich erfreut.
Es fand ein Festgottesdienst statt, bei dem folgende Herren sprachen:
Rabbiner Dr. M. Marx, Carl Lehmann (für den Vorstand), Sanitätsrat Dr.
Bodenheimer (für die Gemeindeverwaltung), Leo Hirsch und Alfred Stern
(für die Schüler), M. Meyer (für den 'Sephat Emeth' - Verein), Lehrer
Oppenheimer (als Kollege) und Rektor B. Falk - Frankfurt (für den Bund
gesetzestreuer jüdischer Lehrer). Adressen und Ehrengaben wurden dem
Jubilar überreicht." |
Zum Tod des Lehrers der Israelitischen Religionsgesellschaft Moses Oppenheimer
(1918)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 24. Oktober 1918: "Darmstadt. Einen schweren Verlust hat die hiesige israelitische Religionsgesellschaft und die
jüdische Lehrerschaft überhaupt durch das unerwartete Hinscheiden des Herrn
Lehrers Moses Oppenheimer - das Gedenken an den Gerechten ist
zum Segen - erlitten. Im Alter von 60 Jahren, nach nur zweijährigem Genuss seines Ruhestandes, schied er zum Schmerz seiner ihm in innigster Liebe verbundenen Familie, seiner zahlreichen Freunde und der ganzen Gemeinde aus dem Leben. Eine vorbildliche Lehrerpersönlichkeit, herangereift in langjährigem ersprießlichem Wirken, in mannhaftem Eintreten für
Tora und Religion und gestärkt durch ein glückliches Familienleben hat ihr Ende gefunden. Wo er wirkte, ob in Schule oder Synagoge, oder als jederzeit aufopfernd tatbereiter Vorstand der
Chewra Kadischa (= Wohltätigkeitsverein) – überall gab er sich ganz und leistete Vortreffliches. Das Vertrauen der Kinder, die Liebe seiner Freunde und die Krone des guten Namens waren deshalb auch die idealen Zeichen seiner gesegneten Wirksamkeit.
Herr Rabbiner Dr. Marx würdigte vor zahlreicher Trauerversammlung in ergreifenden Worten die Verdienste des trefflichen Lehrers und
Herr Lehrer Lebermann widmete als langjähriger Freund, sowie auch namens des
'Bundes gesetzestreuer Lehrer' und des 'unabhängigen Vereins israelit. Lehrer in
Hessen' dem Verblichenen innige Worte des Dankes und der Liebe. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
70. Geburtstag der Lehrerwitwe Rahel Oppenheimer
(1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 14. September 1934: "Darmstadt, 12. Sept. Am ersten Tag
von Sukkot (Laubhüttenfest, der erste Tag war der 24. September
1934) begeht die Lehrerwitwe Frau Rahel Oppenheimer, Grafenstraße 13, in geistiger und körperlicher Frische ihren
70. Geburtstag. Eine edle Frau von seltener Reinheit, Güte und Bescheidenheit, eine echtjüdische Frau von bewährter, alter Tradition, ist sie ausgestattet mit vornehmster Gesinnung und einem warmfühlenden Herzen für jedermann. Möge
Gott ihr noch viele Jahre eines ruhigen, gesegneten Lebensabends schenken."
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Ausschreibung der Stelle eines Lehrers, Vorbeters und Schochet
in der Israelitischen Religionsgesellschaft (1921)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
15. Dezember 1921: "In unserer Gemeinde ist die Stelle eines
Lehrers mit der Befähigung zur Ausübung der Schechitoh und des
Vorbeterdienstes
zu besetzen. Der Gehalt bemisst sich nach Gruppe VII des hessischen
Beamtenbesoldungsgesetzes. Streng gesetzestreue Bewerber wollen ihre
Meldungen unter Beifügung von Lebenslauf und Zeugnisabschriften
einreichen.
Der Vorstand der israelitischen Religionsgesellschaft Darmstadt."
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Zum Tod des Vorbeters und Schochet der Israelitischen
Religionsgesellschaft Elias Lippmann (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 8. Mai 1930: "Darmstadt, 5. Mai (1930). Von einem schweren
Leide ist die Israelitische Religionsgesellschaft heimgesucht worden. Nach
kurzer schwerer Krankheit wurde Herr Elias Lippmann, Vorbeter
und Schochet von uns genommen. In seinem Hingange beklagen wir
nicht nur einen selten tüchtigen Experten bezüglich der Schechita,
einen trefflichen stimmbegabten Vorbeter, sondern vor allem einen Gelehrten
von ungewöhnlichem Ausmaß. Aus der Jeschiwa des berühmten. Raw
Jizchok Elchonon - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - in
Kowno hervorgegangen, war er ein wirkliches Genie, das über ein
seltenen Scharfsinn verfügte, und zahlreiche Schüler der Gemeinde
- Hausväter und Jünglinge - unterrichtete. Auch die
schwierigsten, verwickeltsten Stellen der Gemara wusste er mit
großer Geschicklichkeit und Methode klar und fasslich zu gestalten. Als
Mensch war er dank seinem freundlichen Wesen allgemein beliebt, und als Schochet
verstand er meisterhaft und eindrucksvoll die Schlachthofsbehörden zu
anerkennender Wertschätzung seiner Tätigkeit zu gewinnen. eine
zahlreiche Menge, darunter Tierärzte und die Spitzen der
Schlachthofverwaltung hatte sich zur Ehrung des Verstorbenen auf dem
Friedhof eingefunden. Die von den Herren Rabbiner Dr. Merzbach, Rabbiner
Wassermann, Sanitätsrat Bodenheimer, Lehrer Lebermann, seinem Schwager
Tannenberg - Merzig und H. Cederbaum
gehaltenen Trauerreden bekundeten den großen Verlust, den die
jüdische Allgemeinheit, die Gemeinde, die Familie und seine
Schüler erlitten haben. Rabbiner Dr. Merzbach würdigte in warmen Worten
den seltenen Gelehrten und trefflichen Beamten, der in seiner vornehmen
Berufsausführung bei den vorgesetzten Behörden und den nichtjüdischen
Schlachthofbesuchern mächtig für die Würdigung der Schechita
wirkte. Zum Schluss verlieh er dem verdienstvollen, leider so früh
verschiedenen Manne den Morenu (Ehrenrabbiner-)Titel. Möge Gott
der Witwe, mit der ihn seltenes Eheglück verband, reichen Trost spenden. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens."
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Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8. Mai 1930: "Am
3. Mai verschied nach kurzer Krankheit unser
Herr Elias Lippmann.
Über 26 Jahre war er im Dienste unserer Gemeinde als Schauchet tätig.
Ausgestattet mit tiefem jüdischen Wissen, untadeliger Gottesfürchtiger,
ein Mensch seines Berufes waltete er seines Amtes. Als Vorbeter im Besitze
einer silberklaren Stimme wusste er durch die Anmut und Würde seines
Vortrages die Gemeinde zu inniger Andacht zu stimmen. Sein Andenken werden
wir stets in Ehren halten. Seine Seele sei eingebunden in den Bund des
Lebens.
Der Vorstand der Israelitischen Religionsgesellschaft
Darmstadt." |
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Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
22. Mai 1930: "Unabhängiger Verein israelitischer Lehrer im
Freistaate Hessen. Unser Verein hat durch das Hinscheiden unseres
lieben Kollegen Lippmann in Darmstadt wiederum einen überaus schweren
Verlust erlitten. Er war ein Mann, gleich groß in seinen menschlichen,
wie auch in seinen jüdischen Qualitäten. Mit ihm ist ein Talmid chochim
von seltener Grüße dahingegangen. Wir werden ihm ein treues Andenken
bewahren.
Der Vorstand: i.A. H. Sulzbacher, Groß-Bieberau".
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Zum Tod von Lehrer Jacob Lebermann (1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 27. November 1930:
"Jacob Lebermann - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen.
Darmstadt, 23. November (1930). Wenn die dankbare Verehrung zahlreicher
Schüler und Schülerinnen gegenüber ihrem Religionslehrer ein Maßstab
ist für die erfolgreiche Tätigkeit und ein richtiges Wirken dieses
Lehrers, so darf man Jacob Lebermann dieses Zeugnis ausstellen. Und in der
Tat: der eben Verstorbene hat in vorbildlicher Weise sich ehrlich und
ernstlich bemüht, Tora, verbunden mit profanem Wissen in die Praxis
umzusetzen und die jüdische Religion von ihrer erhabensten,
eindrucksvollsten und schönsten Seite in die Herzen seiner ihm
anvertrauten Jugend zu pflanzen.
In 37-jähriger Wirksamkeit als Chason und Religionslehrer war er
bestrebt, die Weihe des Gottesdienstes und die Andacht der Gemeinde zu
erhöhen, sowie jüdische Lehre und jüdische Leben zu verbreiten. Bei
seiner Pensionierung vor etwa 5 Jahren, die auf ärztlichen Rat erfolgte,
haben seine früheren Schüler und Schülerinnen in einem akademischen
Festakt ihrer tief empfundenen Dankbarkeit reichen Ausdruck
verliehen.
Bestrebt und bemüht war Jacob Lebermann, denn er hat Vieles zu erreichen
versucht, aber nur Manches vollendet, da ihm die Erfüllung seiner guten
Absicht nicht immer leicht gemacht wurde. Damals hatte man noch nicht die
richtige und wichtige Einschätzung des jüdischen Kultusbeamten
allenthalben erfasst und - wie ich damals in meiner Festrede bei der
Abschiedsfeier zu sagen mir gestattet - auch dieser Jacob legte manchen
Abend sein müdes Haupt auf einen harten Stein und träumte Jacobs Traum.
Er kämpfte gar oft mit dem Engel bis zur anbrechenden Morgenröte, aber
ohne den Mute und das Vertrauen zu verlieren.
Aber nicht nur für sich, seine Darmstädter Gemeinde und seine
Schutzbefohlenen, nicht minder für seine Berufsgenossen, seinen Stand
kämpfte Jacob Lebermann Jahre und Jahrzehnte, um dem jüdischen
Kultusbeamten eine würdige soziale und wirtschaftliche Stellung zu
sichern.
Trotz bitterer Enttäuschungen von rechts und links blieb er bis zum
Lebensende seiner Fahne treu, oft in seinem charakterstarken Streben
verkannt. Aber der unauslöschliche Dank seiner Schüler und Schülerinnen
bleibt ihm über das Grab hinaus sicher.
Das Andenken an den Gerechten ist zum Segen."
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Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. Dezember 1930: "Bund gesetzestreuer jüdischer
Lehrer in Deutschland. Am Tag vor dem Heiligen Schabbat Toledot
wurde unser Vorstandsmitglied Herr Jakob Lebermann in Darmstadt zu
Grabe getragen. wir verlieren in dem Dahingegangenen einen treuen Freund,
der, wie er ein begeisterter Anhänger des Torajudentums war, so auch mit
glühendem Feuereifer für das Ziel, das unser Bund sich gesetzt, eintrat.
Sein weiser Rat, seine mitreißende Begeisterung, sein bedächtiges Urteil
zeigten uns stets den von uns einzuschlagenden Weg. Wir werden seiner
immer in Liebe und Verehrung gedenken. Seine Seele sei eingebunden in
den Bund des Lebens. Der Vorstand.
Unabhängiger Verein israelitischer Lehrer im Freistaate Hessen.
Vor wenigen Wochen entschließ unser Ehrenvorsitzender Herr Jakob
Lebermann in Darmstadt. Seit Gründung des Vereins dem Vorstande
angehörend, war er über ein Vierteljahrhundert an exponiertester Stelle
tätig. Alle seine reichen Geisteskräfte stellte er in den Dienst des
Vereines. Mit Aufopferung arbeitete er Tag und Nacht an der Hebung
und Förderung des jüdischen Lehrerstandes in Hessen und damit zum Segen
des Judentums. Was er errungen und für uns erkämpft, ist mit
unvergänglicher Schrift in die Annalen unseres Vereines eingetragen. Wir
gedenken seines Wirkens und Wollens in unauslöschlicher Dankbarkeit. Seine
Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens. Der Vorstand. J.B.
Kaufmann.
Lehrer Jakob Lebermann - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen.
Je kleiner eine Gemeinschaft, desto fester klammert sie sich an ihre
wenigen Führer. Das Hinscheiden eines Führers empfindet sie als Einsturz
einer der sie tragenden Säulen. Dieses Gefühl in seiner traurigen
Stärke empfangen wir, als am Donnerstag Mittag die Trauernachricht wir
hören mussten, dass Herr Lehrer Jakob Lebermann nciht mehr unter uns
weilst. Wer wollte es glauben? Sein Körper schon lange geschwächt, aber
sein Geist lebendig, wie immer, und so hoffte und hoffe man, kein
Anzeichen für das Hinscheiden war gegeben. In gewohnter Weise nahm er
noch am selbigen Tage seinen Gemara-Schiur in voller Frische und
Freude. Der Todesengel schien auf ihn zu warten, er hat ja über
den 'lernenden Jehudi' keine Gewalt. Doch kaum der Schiur beendet, der
Rabbi war gegangen, die Gemara lag noch auf dem Tisch - - - da
geschah es. Aus dem Lernen heraus hat Gott ihn zu sich genommen.
Man denkt mit Ergriffenheit an die ähnliche Begebenheit von König Davids
Tod.
Nur einem Gerechten kann ein Tod in dieser Art beschert
sein. So hat seine Liebe zur Tora ihn bis zu seinen letzten Minuten
begleitet und beschützt. Und von diesem Geist durchweht war sein
Unterricht, den so viele seiner um ihn trauernden Schüler und Schülerinnen
genossen und jetzt vermissen. Und wieder diese Liebe zur Tora war es, die
ihn - den mit einer sehr angenehmen Stimme begnadeten - befähigt, als Vorbeter
fast vier Jahrzehnte seine Gemeinde zu erheben und als Vertreter ihre
Gebete dem Schöpfer zu reichen. Wie strahlte er - ein Schüler
Friesländers - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - wenn
von echtem, jüdischen Chasonus er hörte oder sprach.
Seiner Liebe zur Tora reihte sch in vollem Maße seine Liebe zu Menschen
an. Wie viele Wohltätigkeitsvereine und Institute nennen Herrn Lebermann
- das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - ihren Wohltäter.
Er konnte sich opfern für leidende Menschen, Kollegen, Witwen und Waisen,
und er konnte wahrlich oft und viel helfen mit seinem klugen und
durchschauenden Blick. Welche Innigkeit ihn mit seiner liebevollen
Lebensgefährtin und seiner Familie verband, das weiß nur, wer um ihn
lebte. Innigkeit und Herzlichkeit vermögen nicht nach außen zu
dringen. Von seiner Familie, von uns allen scheidet er, der
Mensch, der Jehudi, die Persönlichkeit. Ein Stück Darmstädter
Geschichte haben wir in ihm, unter strömenden Regen am Freitag Nachmittag
- dem Tag vor dem Heiligen Schabbat Toledot - zu Grabe getragen.
Und als der Sarg aus der Wohnung getragen wurde, da war der Wagen
nicht zu stelle, man stellte - ungewollt und unabsichtlich - den Sarg
auf einige Minuten ins Lehrhaus. Es schien, der Gerechte wollte noch ein
kleines Weilchen an der Torastätte weilen. Nun ist er von uns gegangen.
Wenn seine Seele, die vom Lernen aus in die Höhe stieg, gefragt
wird, woher sie komme, sie weiß mit Genugtuung die schönste Antwort zu
geben. Möge sie für ihre Familie und für ganz Israel ein wahrer
Fürsprecher sein.
Jakob Lebermann zum Gedächtnis. Der Führer der orthodoxen Lehrer
Hessens ist dahingeschieden, ein Mann von idealer Gesinnung und
vortrefflichem Charakter, der uns allen Muster und Vorbild war und die
Dankbarkeit gebietet, ihm hier ein Denkmal zu setzen, zu zeigen, was er
für seine Kollegen getan, ihm zur wohlverdienten Ehre, den Jüngeren
unter uns aber als Ansporn und zur Nacheiferung.
Lebermann trat zum ersten Male öffentlich hervor, als die Frage des
Anschlusses an den Verband der jüdischen Lehrervereine auch in Hessen
akut wurde. Er zeigte sich als entschiedener Gegner dieses Anschlusses, so
lange der D.J.G.B. Sitz und Stimme im Verband besaß. Als es darüber zum
Bruch und zur Gründung des 'Unabhängigen Lehrervereins' kam, da wäre er
der prädestinierte Vorsitzende gewesen, aber er lehnte die Wahl aus einem
sehr idealen Grund ab; es sollte auch nicht der Schein geweckt werden, als
ob der neue Verein unter dem Einfluss einer Separatgemeinde und ihres
Rabbinats stehe, und er begnügte sich mit dem arbeitsreichen Posten des
Schriftführers; an ihn wandte sich jeder, der irgendein Anliegen hatte.
Will man seinen Verdiensten ganz gerecht werden, so muss man wissen, dass
er dazu verurteilt warm, unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen
zu wirken. Das hessische Judengesetz von 1871 ist nicht ganz so schlecht
wie sein Ruf, aber es hat die Regelung der jüdischen
Gemeindeverhältnisse den Kreisämtern übertragen, die ihrerseits den
jüngsten Assessor damit betrauen und da die jüdischen Gemeinden eine
sehr weitgehende Autonomie besaßen, waren die Lehrer der Willkür und der
Launen der Vorstände preisgegeben. Man hat dafür das Wort geprägt: der
Parnes (Vorsteher) in der kleinsten Gemeinde besitzt eine größere Gewalt
als der Großherzog als der summus Episcopus. Hessen galt als das
Refugium der ungeprüften Lehrer, denn diese begnügten sich mit einem
Einkommen, das noch unter dem Existenzminimum lag. Dass hier reichlich
Stoff für Konflikte und auch für Hilfeleistungen seitens unserer
Organisation lag, bedarf keiner Erläuterung. Und Lebermann nahm sich in
musterhafter Weise aller Bedrängten an. Er war ihnen Stütze und Helfer
und Berater. Er erkannte aber sehr bald, dass der Fehler am System lag und
er versuchte, seinen Kollegen grundlegend zu helfen. Am Sitze der
Regierung amtierend war ihm das leichter als jedem Anderen und seine ganze
Persönlichkeit, die Klarheit und Sachlichkeit seiner Darlegungen machten
bei den maßgebenden Referenten stets den allerbesten Eindruck. Schon vor
ihm hatte man das Ministerium angegangen, die Lage der Lehrer zu bessern
und es zeigte sich dieser Forderung gegenüber durchaus wohlwollend, nur
war es der Ansicht, dass eine Neuregelung der jüdischen
Gemeindeverhältnisse vorausgehen müsse und diese hinwiederum sei ohne
eine Einigung der Orthodoxen und Liberalen unmöglich. Wie die Dinge in
Hessen nun einmal liegen, bedeutete diese Erklärung für uns die
Vernichtung unserer Hoffnungen. Hier setzte Lebermanns Tätigkeit mit
Erfolg ein, indem er nachwies, dass diese Auffassung der Regierung irrig
sei und eine Hilfe für die jüdischen Religionslehrer sich auch auf dem Verordnungswege
ermöglichen lasse. Und das Glück kam ihm dabei zu Hilfe. Oberlehrer
Backes, der Obmann des hessischen Landeslehrervereins und ein warmer
Freund der jüdischen Lehrer, kam in den Landtag und als Mitglied der
damals allein maßgebenden nationalliberalen Partei verwandte er seinen
Einfluss auf die Regierung, dass sie 1. die Bildung jüdische
Religionsschulsprengel verordnete, 2. eine neue, den modernen
Anforderungen entsprechende Prüfungsordnung für ungeprüfte Lehrer
herausgab, womit sie nur einer Bestimmung des alten Judengesetzes gerecht
wurde und 3. den jüdischen Religionslehrern mit wöchentlich 20
Unterrichtsstunden die Rechte eines Volksschullehrers verlieh. Das
Letztere war eine bedeutende, in Deutschland bisher noch ganz unbekannte
Errungenschaft, auf die Lebermann sehr stolz sein konnte. Sie besaß
freilich einen Schönheitsfehler: nie diejenigen Kollegen konnten
definitive Anstellung erlangen, die entweder nie Schochtim waren, oder mit
Einwilligung ihrer Gemeinden auf die Ausübung der Schechitoh
verzichteten. Diese Voraussetzung traf aber nur bei einer
verhältnismäßig kleinen Zahl, etwa 16-18, zu; die große Masse ging
leer aus.
Da bot sich eine neue Möglichkeit, um auch diesen zu helfen. Im Jahre
1906 legte die hessische Regierung den Landständen einen Gesetzentwurf,
'die Verfassung und Verwaltung der israelitischen Religionsgemeinde
betreffend', vor. Es war eine Zwangsorganisation und als solche für die
orthodoxen Lehrer ebenso unannehmbar als für unsere Rabbiner, aber
Lebermann hielt die glatte Verwerfung des ganzen Gesetzentwurfs für einen
schweren Fehler. Derjenige Teil, der von der Regelung des jüdischen Religionsunterrichts
und den Religionslehrern handelte, schien ihm, wenn auch in etwas
abgeänderter Form, durchaus erhaltenswert. Darin war nämlich nicht nur
die Verleihung der Rechte eines Volksschullehrers an jüdische
Religionslehrer gesetzlich verankert, sondern auch die Festsetzung ihrer
Gehaltsbezüge, die Regelung ihrer Pension und der Reliktenversorgung usw.
sollten 'möglichst nach den für die Volksschullehrer geltenden
Bestimmungen, nötigenfalls im Verwaltungsstreitverfahren', erfolgen.
Lebermann hatte die begründete Überzeugung, dass auch die Liberalen für
eine vorläufige Regelung dieser Materie zu haben seien. Er drang mit
seinen Ideen leider nciht durch. Das war die erste große Enttäuschung
seines Lebens, aber sie vermochte nicht, seine Energie zu lähmen. Unter
der Ära des den jüdischen Lehrern sehr gewogenen Ministerialdirektor
Eisenhut gelang ihm der Nachweis, dass sowohl in Bayern, als auch in dem
ehemaligen Kurhessen die jüdischen Volksschullehrer in ihrer großen
Mehrheit die Schechita ausübten, ohne dass darunter, nach der Meinung
ihrer Vorgesetzen, ihre Amtswürde und ihr Ansehen litt. Schon war die
Regierung geneigt, bei der definitiven Anstellung jüdischer
Religionslehrer die oben erwähnte hemmende Bestimmung fallen zu lassen,
schon schien der Weg frei für die Beförderung einer ganzen Anzahl von
Kollegen in den Landgemeinden, da erfolgte von liberaler Seite ein Eingabe
im entgegengesetzten Sinne und sie hatte leider nur zu leichtes Spiel,
denn in der Abteilung für das Erziehungswesen saß eine sehr
einflussreiche Persönlichkeit, die an der Spitze der hessischen
Tierschutzvereine stand und als Schechitagegner galt!
Es war nur ein kleiner Trost bei diesem neuen Fehlschlag, dass es
Lebermann gelang, für die jüdischen Religionslehrer eine, wenn auch nur
einmalige Kriegshilfe bei der Regierung durchzusetzen, so hoch man
es
|
auch
der Letzteren anrechnen muss, dass sie auch damit unter allen deutschen
Ländern allein stand.
Nach dem Kriege traten Demokraten in die Regierung ein und Lebermann
erhoffte viel von ihrer Tätigkeit. Leider trat das Gegenteil ein. Er
musste es erleben, dass das, was er als sein Lebenswerk ansah, rückwärts
revidiert wurde. Bei der gesetzlichen Regelung der Gehalts- und
Pensionsbezüge der definitiv angestellten Religionslehrer wurden deren
Rechte stark beschnitten und Neuanstellungen können überhaupt nicht mehr
erfolgen. Vergebens kämpfte Lebermann mit dem Mute der Verzweiflung gegen
diesen Rückschritt und gegen das begangene Unrecht; er musste sich vor
vollendeten Tatsachen beugen, so schwer es ihm auch
fiel.
Als im Jahre 1922 im 'Unabhängigen Lehrerverein' der Antrag gestellt
wurde, in Hessen die Gründung eines Gemeindeverbandes 'nach bayerischem
Muster' zu propagieren, trat Lebermann aufs lebhafteste dafür ein und wie
in einer glänzenden Rede die Möglichkeit, Notwendigkeit und
Nützlichkeit einer solchen Institution nach. Er bezeichnete sie als die
letzte Chance für die Lehrer. Auch diese Bestrebungen verliefen nutzlos
im Sande. Wir haben heute in dem kleinen Hessen zwei Gemeindeverbände,
von denen der eine wenig, der andere nur Minimales für Gemeinden und
Lehrer leisten kann.
Damit ist nur der äußere Verlauf seiner gemeinnützigen Tätigkeit
geschildert. Dabei sind kaum erwähnt die zahlreichen Anregungen und
Hinweise, die er seinen Kollegen zur Benutzung staatlicher Einrichtungen -
ich erinnere hier nur an die hessische Fürsorgekasse und die Vergütungen
für den Katechetenunterricht, sowohl auf den Konferenzen als in
besonderen Rundschrieben gegeben. Jede einzelne Aktion brachte ihm Mühe
und Arbeit in Hülle und Fülle, aber er war unverdrossen und hilfsbereit
und ließ sich auch durch keinen Misserfolg und keine Undankbarkeit - er
hat auch diese erfahren - abschrecken.
Höher noch als diese materiellen Forderungen ist das anzuschlagen, was er
in ideeller Beziehung geleistet hat. Als der Bund gesetzestreuer
jüdischer Lehrer, dessen eifrigstes Vorstandsmitglied er bis zu seinem
Tode blieb, gegründet wurde, da war er es, der mit großer Energie darauf
drang, dass nicht nur in der Zielsetzung der neuen Gründung, sondern
schon in ihrem Namen die Stärkung unseres heiligen Glaubens zum
Ausdruck kam und innerhalb des Bundes die Gründung von Lernvereinen und
ihre Unterstützung durch die Bundeskasse anregte. Und das letzte Referat,
das er, schon schwer leidend, vor ca. 3 Jahren in dem Unabhängigen
Lehrerverein über die Fortbildung des jüdischen lehrers hielt, war ein
glühendes Bekenntnis für das Toralernen.
Als er vor ca. 7 Jahren das Schriftführeramt aus Gesundheitsrücksichten
niederlegte, da ehrten ihn seine Kollegen durch Verleihung der Würde
eines Ehrenvorsitzenden und durch die Gründung einer Jakob
Lebermann-Stiftung, deren Zinsen für die Unterstützung von Lehrerwitwen
und -Waisen bestimmt sind; nicht was er erreicht, war er für sie
erstrebt, schätzten sie an ihm. Nun ist er von uns hinweggenommen worden.
Auch auf seinen Grabstein passt die Inschrift: 'Mache nicht viel
Federlesens, schreib auf meinen Leichenstein: Dieser ist ein Mensch
gewesen und das heißt ein Kämpfer sein.' Ja, er war ein Kämpfer für
alles, was gut und wahr und schön ist, für seine religiöse Überzeugung
und für das Wohl seiner Brüder und Kollegen. Besonders die Letzteren
werden sein Andenken in Ehren halten. H. Ehrmann -
Friedberg." |
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Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. Dezember 1930: "Lehrer Jakob Lebermann - Darmstadt. Das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen - im memoriam. Wenn auch nicht
ganz unvorbereitet, so war doch die Todesnachricht eine überraschende und
erschütternde. Ich sehe den Verstorbenen noch vor mir, als er in jungen
Jahren frisch und tatkräftig nach Darmstadt kam und in der dortigen
Israelitischen Religionsgesellschaft das Amt des Chasons (Vorbeters) und
Lehrers antrat. Mit einer seltenen Begeisterung bemühte er sich von
Anfang an, beide Ämter 'modern' im Sinne eines Samson Raphael Hirsch - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen - zu verwalten. Von dem Wirken
Jakob Lebermanns als Lehrer soll hier vornehmlich gesprochen
werden. Er war bestrebt, den Grundsatz 'Übe den Knaben gemäß seinem
Wandel ' (Sprüche 22,6) wahr zu machen zu einer Zeit vor mehr als 40
Jahren, da man von der individuellen Erziehung und einer
psychoanalytischen Einstellung des Pädagogen kaum etwas wusste, noch
weniger aber betätigte. Lebermann kannte seine Schüler und Schülerinnen;
er war wohl ein strenger Lehrer, der es verstand, sich in Respekt zu
setzen und die früher oft übliche Despektierung des jüdischen
Religionslehrers auszumerzen. So war es überhaupt sein Bestreben, die
Stellung des jüdischen Religionslehrers und Kultusbeamten durch eigene
Fortbildung, durch Gestaltung der Persönlichkeit und durch offene,
ehrliche und sachlich berechtigte Kritik der bestehenden Zustände in
geistiger, sittlicher, sozialer und wirtschaftlicher Beziehung zu heben.
Und ist dies nicht richtig und nötig? Das köstliche Gut, die religiöse
Unterweisung, die Vermittlung jüdischen Wissens und Empfindens, das
wertvollste Rüstzeug draußen im Leben und im Kampfe des Alltags der
Jugend, der Zukunft weiterzugeben, ist die hohe, heilige, aber auch nicht
leichte Aufgabe eines jüdischen Religionslehrers. Träger einer solchen
Aufgabe kann aber nur ein Mensch sein, der die Eigenschaften besitzt,
welche diese Aufgabe erfüllen lassen, der die Qualitäten aufweist, die
geeignet sind, Achtung und Verehrung ihm abzugewinnen.
Würde der Persönlichkeit ist schließlich auch noch eine Voraussetzung,
die nicht immer vorhanden erscheint, sei es aus Mangel solcher
Eigenschaften, sei es auch aus Mangel der Verhältnisse überhaupt, die
hindernd im Wege stehen.
Deshalb ist auch wirtschaftliche Sicherstellung nicht unwichtig, um den
Lehrer frei von unmittelbaren materiellen Sorgen und frei von nicht ganz
passenden Nebenverdiensten tatkräftig und würdevoll wirken zu lassen. So
verstand es Lebermann, Einfluss auf die Jugend zu gewinnen, die er nciht
nur elementar und systematisch in das Wissen und Denken, in das Schrifttum
und die Gesetzeslehre einführte, sondern auch mit dem Leben, das aus der
Lehre fließen soll, vertraute; mit dem täglichen Leben, das mit der
Religion Hand in Hand in Wahrheit und Menschlichkeit sich vollziehen
muss.
So wusste der verklärte Jugendfreund das Verständnis für die
Schönheiten der religiösen Vorschriften zu wecken, den Sinn des Sabbats
und der Feiertage zu erschließen und den Inhalt der Gebote nahe zu
bringen, die Vorbereitungen und Unterweisungen waren von bleibendem Wert.
Nicht die starre Form, sondern der lebendige, geistige Inhalt ist das
Kriterium wirklicher Religion und Form und Inhalt glücklich zu verbinden,
Seele und Körper harmonisch zu vereinen, feste Grundsätze der Glaubens
unerschütterlich zu verankern, neben zeitgemäßer Kultur und
wissenschaftlicher Anschauung ist eine große Aufgabe des modernen
jüdischen Lehrers. Lebermann hat für seinen Teil diese Kunst zu meistern
gewusst - heute würde er noch freier und erfolgreicher diesen
Gedankengängen Ausdruck und Ausführung verleihen können.
Gelegentlich der akademischen Abschiedsfeier, die frühere Schüler und
Schülerinnen vor 3 etwa 5 Jahren dem verehrten Lehrer widmeten, zeigte
sich so recht die Dankbarkeit und Wertschätzung, die unterschiedslos ihm
gezollt wurden. Mögen auch gar manche seiner Schüler später andere Wege
gegangen sein - die feste Grundlage jüdischen Wissens hat Jakob Lebermann
allen gegeben und sie damit befähigt, jederzeit den alten Weg
zurückzufinden.
Wenn die dem Verstorbenen vorschwebenden Ziele, welche er selbst so eifrig
verfolgte, immer mehr der Vollendung entgegenreifen, dann wäre die
Dankesschuld am schönsten eingelöst. Wir aber, seine Schüler und Schülerinnen
werden das Andenken an Jakob Lebermann immerdar segnen! Dr. S.
Lehmann, Frankfurt am
Main."
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Aus der Geschichte des Rabbinates der Israelitischen
Religionsgesellschaft
Über das Darmstädter Landesrabbinat (zu einem Beitrag von Jacob
Lebermann, 1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 28. August 1930: "Das Darmstädter Landesrabbinat.
Von J. Lebermann in Darmstadt
(Sonderdruck aus dem Jahrbuch der Jüd.-Literarischen Geselschaft XX.)
(Vorbemerkung der Schriftleitung: Wir wiesen bereits in der am 5. April d. Js. erschienenen Nummer unseres Blattes auf die in nachfolgender Arbeit eingehend besprochene Schrift unseres Kollegen Lebermann hin. Obwohl die Besprechung einer Schrift, die nicht direkt Lehrer- und schulische Interessen berührt, eigentlich über den Rahmen unseres Blattes hinausgeht, glauben wir sie doch wegen ihrer historischen Behandlung einer Epoche, deren Nachwirkung noch heute spürbar ist, wie auch in Rücksicht auf den in unserem Kreise sehr geschätzten Autor unseren Lesern nicht vorenthalten sollen. Ebenso bedarf es wohl nicht der Erwähnung, dass wir uns nicht mit allen Auslassungen des Herrn Rezensenten identifizieren können.)
Wenn ich mich entschließe, über diese Schrift kurz zu referieren, so geschieht es einmal in dankbarer Verehrung für den Verfasser, meinen Religionslehrer, dann aber auch weil ich einen Teil der Vorgänge in meiner Heimatstadt Darmstadt selbst miterlebt habe und auch die weitere Entwicklung der einschlägigen Verhältnisse teils aus nächster Umgebung mit Interesse verfolgte, teils durch laufende Berichte von meinen nächsten Familienangehörigen im Bilde gehalten wurde. Wenn ich bei aller Würdigung der fleißigen Arbeit und der dankenswerten
|
wohl erstmaligen Zusammenstellung der Materie auf Grund
'amtlichen' Materials Einzelnes zu kritisieren mir gestatte, so kann dies ebenso wenig dem Wert der Schrift als meiner Wertschätzung des Autors irgendwelchen Abbruch tun.
Anfangs besaß die Darmstädter Judenschaft offenbar keinen eigenen offiziellen Rabbiner und wurden von den Frankfurter Gemeinde- oder Klausrabbinen betreut. So hören wir von
R. Samuel Schotten sowie seinem Nachfolger R. Mose Löb Kann, die als Frankfurter Klausrabbiner gleichzeitig die Stelle des Darmstädter Rabbinats versahen. Nach diesen scheint eine Reihe von Jahren die Stelle unbesetzt geblieben zu sein, bis zum Jahre
1729 ein Gesuch an den hessischen Landgrafen seitens der Darmstädter Judenschaft erfolgte, einen eigenen Rabbiner zu erhalten.
Dem Gesuche wurde entsprochen.
In der Folgezeit war das Rabbinat von verschiedenen Persönlichkeiten bekleidet; manche Kämpfe in Stadt und Land spiegelten die Entwicklung der Verhältnisse wieder.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts vertiefte sich der Gegensatz zwischen Stadt und Land. Durch die Wahl des
Herrn Dr. Auerbach aus Bonn zum Darmstädter Rabbiner Ende 1834 war dieser Zustand keineswegs beseitigt. Zwischen Rabbiner Dr. Auerbach und dem Vorstand der Religionsgemeinde herrschte von Anfang an ein gespanntes Verhältnis. Während die Landgemeinden mit Begeisterung dem streng religiösen Rabbiner anhingen, wurden die Beziehungen des letzteren zum Darmstädter Gemeindevorstand infolge der extremen religiösen Haltung dieses Vorstandes immer ungünstiger und unersprießlicher. Die Landgemeinden richteten eine Eingabe an die Behörde, Rabbiner Dr. Auerbach auf 20 Jahre fest anzustellen mit einer Gehaltserhöhung von 300 fl. Eine Gegeneingabe des Darmstädter Vorstands schildert die angebliche Ungeeignetheit von Dr. A., der nur Unfrieden stifte und durch seinen Zelotismus jedem Fortschritt, jeder Erkenntnis und jedem Wissen den Weg versperre. Die Kanzel benutze er statt zur religiösen Belehrung und zur Predigt der Liebe und Duldsamkeit ausschließlich zur Verkündung eines fanatischen Mystizismus, der eine Quelle dauernden Unglücks für die religiösen Angelegenheiten der Gemeinde bilde.
Wir erfahren hier, dass in der Synagoge am 14. Mai 1836 (lt. anerkennenden Berichts im Regierungsblatt v. 17. Mai) durch Herrn Rabb. Dr. Auerbach
'die Konfirmation dreizehn junger Israeliten (7 Knaben und 6 Mädchen)
stattfand', bei welcher derselbe 'in deutscher Sprache eine angemessene zum Herzen dringende Rede über Zweck und Zeit dieser heiligen Handlung hielt, worin er zugleich die Gründe erörterte, warum sie in früheren Zeiten durch die Satzungen der jüdischen Religion nicht besonders angeordnet wurden, wohl aber in unseren Tagen zur Befestigung im Glauben und in der Jugend so sehr notwendig
sei.'
Segenserteilung und Chorgesang folgten und hinterließen auch bei den anwesenden christlichen Geistlichen und zahlreichen Vertretern des Staates und der Stadt einen rührenden und erbaulichen Eindruck. Etwas eigentümlich für unsere Begriffe: ein orthodoxer Rabbiner hält eine Konfirmation (wohl am
Schewuosfeste = Schawuot bzw. Wochenfest) in der Synagoge, aber vor aller Öffentlichkeit ab, bei welcher sogar Mädchen eingesegnet werden. Leider gibt der Verfasser hierzu keinen Kommentar, während er an anderer Stelle und bei anderer Gelegenheit in kurzen Randglossen seine kritische Note beifügt.
Immerhin ist es ein Beweis, dass Dr. A. als ein fortschrittlicher, gebildeter und religiös aufgeklärter Rabbiner überall galt, - nur nicht bei dem Darmstädter Gemeindevorstand. Immer enger schlingen sich die Netze um Dr. A., immer mehr wurde er in zahlreichen Eingaben bei den Behörden diskreditiert, bis er schließlich im Jahre
1857 dem Ansturm erlag und sein Amt suspendierte. Von neuem setzte jetzt der Kampf zwischen Stadt und Land ein, welch letzteres eine Trennung bei der Regierung beantragte, um ein eigenes Rabbinat gesetzestreuer Observanz zu erhalten. Dem Ersuchen wurde aber nicht entsprochen.
Bei der Rabbinerneuwahl waren zahlreiche Bewerber aller Richtungen vertreten. Die Wahl fiel auf
Dr. Jul. Landsberger - Posen, welcher sich anscheinend die Zufriedenheit des Darmstädter Gemeindevorstands rasch erwarb. Die Landgemeinden dagegen wandten sich von ihm ab,
weil Dr. L. 'der Abweichung von Hauptsatzungen des israelitischen Glaubens beschuldigt
werde.' Tatsächlich setzten auch die Reformbestrebungen bald ein, zeitigten Orgel und andere Neuerungen im
Gotteshaus, so dass eine Minderheit sich veranlasst sah, einen privaten Separatgottesdienst einzurichten.
Hässliche Kämpfe spielten sich ab, die vorzugsweise auch noch in den Eingaben und Beschwerden an Behörden zum Austrag kamen. Tatsächlich kann man hier den Angelpunkt der Trennungslinie erkennen, aber auch die zwingenden Gründe, die zweifellos in einer Intransigenz und mangelnden Toleranz lagen, welcher der Darmstädter Gemeindevorstand unentwegt zum Ausdruck brachte. Es mag sein, dass mancher Einzelne in ehrlicher Überzeugung von seinem Standpunkt und seiner Auffassung handelte, es mag auch sein, dass der ein oder andere der
'Gegenpartei' über das Maß des religiös gebotenen und Erforderlichen etwas hinausging – zwangsläufig ergibt sich aber der Eindruck, dass man zur Trennung aus religiösem Zwang und Drang gelangen musste! Rabb. Dr. Landsberger scheint versucht zu haben, durch Einschränkung der Reformen und Mäßigung bei ihrer Anwendung den Einwänden zu begegnen, die von orthodoxen Mitgliedern öffentlich geltend gemacht wurden. Aber auch dieses Mindestmaß von Reformen konnte natürlich den Gesetzestreuen die Teilnahme am Gottesdienst usw. nicht möglich machen.
Trotz aller Misserfolge bei dem Ministerium ließen sich die gesetzestreuen Mitglieder nicht abschrecken und verfolgten weiter mit heiligem Eifer und großem Opfersinn ihre vom religiösen Gewissen diktierten Ziele. Anfang April
1863 richteten sie eine Anzeige an das Kreisamt, nach welcher sie aus vorgenannten Gründen sich entschlossen haben, aus der Gemeinde auszuscheiden und eine getrennte Gemeinde
'Israelitische Religionsgesellschaft' zu bilden. Sie bitten ferner um Befreiung von der Beitragspflicht zu den Lasten der großen Gemeinde. Die Angelegenheit wurde – nicht zuletzt auch auf Betreiben des Gemeindevorstands – verschleppt und von letzterem selbstverständlich stark ablehnend behandelt. Tatsächlich wurde auch die Petition sowie eine Beschwerde gegen ihre Ablehnung verworfen. Trotzdem konnte schon nach weniger als einem Jahre, im Februar
1864, der Vorstand der separaten Religionsgesellschaft ein eigenes Haus zwecks Einrichtung einer Synagoge erwerben und bat die Regierung um Erlaubnis der Einweihung durch den Mainzer
Rabbiner Dr. Lehmann. Dr. Landsberger, um sein Gutachten befragt, hält die Gründe zur Gründung für nicht gegeben und behauptet, dass er niemals etwas gepredigt oder veranlasst habe, was gegen die Orthodoxie verstoße. Kreisamt und Ministerium genehmigten aber trotz mancher Bedenken
'wegen der hierdurch gerissenen Lücke in den gemeinsamen Religionsverband der Darmstädter
Juden' das Gesuch, da die Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft nur als Privatgottesdienst anzusehen sei. Die Spannung wuchs, als im September
1871 Herr Rabb. Dr. L. Marx zunächst als Leiter der Religionsschule von dem Vorstand der
Israelitischen Religionsgesellschaft nach Darmstadt berufen wurde mit der einstweiligen
Maßgabe, an Sabbat und Festtagen religiöse Vorträge zu halten. Eingaben an die Behörden, Rückfragen derselben auch an Rabb. Dr. Landsberger zur Stellungnahme zeitigten seine sehr erfreulichen Auseinandersetzungen. Besonders nach der Anstellung von Dr. Marx war begreiflicher Weise auch Dr. Landsberger in dauernder Kampfstellung.
Wenn schließlich im Jahre 1897 durch Erschließung des hessischen Großherzogs via Ministerium die Anstellung zweier Rabbiner (orthodoxer und liberaler Richtung je einer) genehmigt wurde bei freier Wahl der Landgemeinden sich dem einen oder anderen Rabbinat anzuschließen und unmittelbar darauf Dr. L. Marx die Stelle eines Rabbiners der orthodoxen Judengemeinden verliehen wurde, so bedeutet dies einen vollen Sieg der gesetzestreuen Mitglieder nach vieljährigem und schweren Kampfe.
Rabb. Dr. L. Marx führte in tatkräftiger und einflussreicher Wirksamkeit mit einer ihm besonders eigenen Energie seine Gemeinde zur vollen Entwicklung. Sein Erfolg wurde gestützt durch das achtungsgebietende Auftreten eines Samson R. Hirsch im benachbarten Frankfurt a.M., welcher das
Austrittsgesetz mit schaffen half und zur praktischen Durchführung brachte. Es war zweifellos eine Großtat, ein rettender Anker in der damaligen Desperadozeit. Ob dieser Austrittsgedanke durch die Not des Augenblicks geboren wurde und in seiner Konsequenz nur zeitgebunden Geltung hat: ich fühle mich nicht berufen, zu entscheiden.
Die gesetzestreue Basis wird niemals erschüttert werden können und dürfen. Aber für allzu scharfe Trennung selbst unter im Grunde gleich Gesinnten, für aufreibende Kämpfe und für Minderwertung der eigenen Glaubensgenossen in hässlicher und
aggressiver Form hat unsere Zeit und Generation keine Aufnahmefähigkeit mehr. Sollten aber,
Gott behüte es, wieder einmal Zeiten und Menschen kommen, die sich anmaßen wollten, das religiöse Gewissen der eigenen Glaubensbrüder zu bedrohen, so wird sich wieder eine Phalanx zur Abwehr und Einkehr allezeit bilden.
Ich habe versucht, sine ira wenn auch cum studio über die interessante Schrift meines verehrten Lehrers zu referieren. Die Lektüre empfiehlt sich für Jeden, welcher an solchen Fragen Interesse nimmt. (Beziehbar durch Buchhandlung E. Bodenheimer - Darmstadt zum Preise von
Mk 2.-) Persönlich hätte ich es lieber gesehen, wenn der Autor jede persönliche Kritik auch in Form kurzer Fußnoten unterlassen hätte, um dem Leser je nach Einstellung sein Urteil zu überlassen. Ich hätte es gewünscht, um die interessante Schrift als reine
historische Studie erkennen und die geschichtliche Wahrheit und Klarheit für sich wirken zu lassen. Denn auch als solche wirkt sie sehr anregend zumal für einen Leserkreis, der den innerjüdischen Religionskampf innerhalb der letzten 50 Jahre miterlebte oder gar wie hier mit den örtlichen Verhältnisse zu verwachsen und den einzelnen Persönlichkeiten so vertraut ist. Anerkennung und Dank aber dem Verfasser, der sich durch seine vorbildliche und hingebende Arbeit im Dienste einer geistigen, sittlichen und sozialen Hebung des Standes der Kultusbeamten intra et extra muros verdient gemacht hat und als einstiger Lehrer auf eine große Anzahl dankbarer Schüler und Schülerinnen stolz blicken darf.
Dr. S. Lehmann – Frankfurt a.M."
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Rabbiner Dr.
Lehmann Marx hat sein Amt angetreten
(1871)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 20. September 1871: "Darmstadt, 18. September (1871). Der,
wie bereits gemeldet, von der orthodoxen israelitischen
Religionsgesellschaft hierher berufene Rabbiner, Herr Dr. L. Marx,
hat sein Amt angetreten und durch seine vorzüglichen Predigten an den
verflossenen Neujahrstagen die Herzen seiner Hörer im Fluge erobert. Wir
werden mit Gottes Hilfe von Neujahr 5632 eine neue Ära der
Entwicklung unserer religiösen Verhältnisse datieren." |
Gemeindevertreterversammlung in Reinheim mit einem Vortrag von Lehrer Meier
Spier (Groß-Zimmern) zur "Landrabbinerwahl in Hessen" (1895)
Anmerkung: Lehrer Spier (Groß-Zimmern)
spricht sich in Reinheim engagiert für Dr.
Marx aus Landrabbiner (Landesrabbiner) in Hessen aus.
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Artikel in "Der Israelit"
vom 24. Juni 1895
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Artikel in "Der Israelit" vom 24. Juni 1895.
Die Rede endet mit folgenden Gedanken: "Meine Herren. Bevor ich schließe
fasse ich meine Ausführungen noch einmal kurz zusammen. Meine Ansicht ist
die: 1. Der anzustellende Landrabbiner muss auf dem Boden des
strengreligiösen Judentum stehen, 2. seinen Sitz in Darmstadt haben und
schließlich Rabbiner einer Gemeinde in Darmstadt sein. Dann meine Herren
wäre auch die Personenfrage auf's Schönste gelöst: wir hätten einen
Landes-Rabbiner in der Person des Herrn Dr. Marx, Rabbiner der
israelitischen Religionsgesellschaft in Darmstadt. Missverstehen Sie mich
nicht, meine Herren, ich weiß wohl, die Personenfrage soll noch nicht
erörtert werden, sondern wir wollen erst Einigung schaffen in der
Prinzipienfrage; es liegt mir auch vollkommen ferne, Ihnen meine Meinung
aufoktroyren zu wollen, was auch bei Männern von Ihrer Erfahrung und Ihrer
Überzeugungstreue nicht leicht möglich wäre, noch ferner liegt es mir, den
Agitator für eine Persönlichkeit zu spielen. Aber, meine Herren, ich frage
sie, wäre es keine Unterlassungssünde, wäre es nicht die höchste
Undankbarkeit, wollten wir in diesem Augenblicke, da uns eine so wichtige
und heilige Frage beschäftigt, nicht des Herrn Dr. Marx in Dankbarkeit,
Verehrung und Wertschätzung Erwähnung tun? Hat doch Herr Dr. Marx nahezu ein
Vierteljahrhundert in größter Uneigennützigkeit, In rastloser Tätigkeit, in
regstem Eifer den Landgemeinden mit Rat und Tat beigestanden, sich ihnen wie
den Beamten in Leid und Freud als Freund gezeigt: Er hat ihre religiösen
Institutionen beaufsichtigt: Schechita (Schächtung) Mikwe
usw.. Und dann auch vereinigt Herr Dr. Marx all jene Bedingungen in sich,
die wir an einen Rabbiner stellen: Reiches weltliches Wissen, wie große
talmuddische Gelehrsamkeit, begeisterte und begeisternde Beredsamkeit und
ungeheuchelte Frömmigkeit. Sein seitheriges Wirken als Privatrabbiner gibt
uns Bürgschaft genug dafür, dass auch sein Wirken als Landrabbiner ein
segensreiches sein würde. 'Warum in die Ferne schweifen wenn das Gute liegt
so nah!'
Meine Herren, ich bin mit meinen Ausführungen zu Ende. Ich bitte Sie,
streben Sie danach, die Rabbinerfrage so zu lösen, dass sich erfüllen möge
das Wort, das wir gestern gelesen: (hebräisch und deutsch:) Ich werde
Frieden dem Lande geben!" |
25-jähriges Amtsjubiläum von Rabbiner Dr.
Lehmann Marx
(1896)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 11. September 1896:
"25-jähriges Amtsjubiläum von Rabbiner Dr. Lehmann Marx -
sein Licht leuchte -.
Darmstadt, am Ausgang des Heiligen Schabbat Paraschat Nizawim
(= am Abend des 5. September 1896).
Eine einfache, aber erhebende Feier fand heute innerhalb der
Israelitischen Religionsgesellschaft dahier statt, eine Feier, die wegen ihrer Bedeutung verdient, weiteren Kreisen bekannt gemacht zu werden. Es galt, das
25-jährige Jubiläum des bewährten, hochverdienten Führers unserer Gesellschaft zu begehen, eines Mannes, der mit der Geschichte unserer Gemeinde eng verwachsen ist.
Bevor wir auf die Feier selbst eingehen, ziemt es sich wohl einen Rückblick zu werfen auf die Geschichte unserer Gemeinde, ihren Ausbau und ihre gegenwärtige Gestaltung, welche letztere zum größten
Teile das Verdienst des Herrn Rabbiner Dr. Marx und das Produkt seiner unermüdlichen
Tätigkeit ist.
Bekanntlich ist unsere Gemeinde eine Schwestergemeinde der Adath
Jeschurun in Frankfurt a. M., der unvergänglichen Schöpfung des
Rabbiners Samson Raphael Hirsch - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen, und verdankt ihre Entstehung denselben Ursachen wie diese
Dieselben Maßnahmen der Intoleranz, wie sie Herr Dr. M. Hirsch - sein
Licht leuchte - von dem seinerzeitigen Vorstande der Frankfurter Hauptgemeinde jüngst an dieser Stelle geschildert, veranlassten auch hier eine kleine
Schar glaubenstreuer, opferfreudiger Männer, sich um die Fahne des rechtgläubigen
Judentums zu sammeln, und als Leiter beriefen sie vor 2 ½ Jahrzehnten
Seiner Ehrwürden Herrn Rabbiner Dr. Marx. Mit seiner Hierherkunft begann nun das junge
Gemeinwesen sich auszudehnen und allmählich zu erstarken. Entflammt durch das begeisternde Wort seines Rabbiners und
getragen durch die Opferfreudigkeit seiner wenigen Mitglieder entstanden ein einfaches, solides Gotteshaus und die Religionsschule. Wie letztere unter der Leitung des Herrn
Rabbiner Dr. Marx sich zu einem religiösen Musterinstitute entwickelte, welches ein ewiges Denkmal für den Bestand der Gemeinde bilden wird, davon legen ihre Leistungen, sowie der Geist der Gemeinde, deren junge Generation der Schule angehörte, das beste Zeugnis ab. Dieser Schöpfung folgte bald darauf die Gründung des
Talmud-Tora-Vereins, welcher unter Leitung Seiner Ehrwürden unseres Herrn Rabbiners es stets trefflich verstanden hat, durch Wort und
Tat Verbreiter der Tora zu sein und materielle und geistige
Wohltätigkeit zu üben. Angeregt durch die unermüdliche Aneiferung des Herrn
Rabbiner Dr. Marx traten kurz darauf zwei Institute ins Leben, der Humanität und edelsten
Wohltätigkeit geweiht, nämlich der Brautausstattungsverein
Chewrat Hachnassat Kala und der Armenunterstützungsverein Chewrat
Sumach Nofelim. Welche hohe Freude und Hoffnung der erstere schon manchen Familien bereitet, welche
Not und drückende Sorge der letztere in geheimer Betätigung seines edlen Zweckes gelindert hat, das wird stets als schönste Frucht von dem hochverehrten Gründer und den
beteiligten Mitgliedern empfunden werden.
Daneben rastete unser Herr Rabbiner nicht, die Gemeinde in ihren schon bestehenden Einrichtungen noch mehr auszubauen. Der
Synagoge folgte der Neubau eines prachtvollen Schulhauses mit geräumiger Aula, wo die Gemeinde
von Schabbat zu Schabbat den geistreichen Vorträgen ihres Herrn Rabbiners lauschte. Eine
neue, mit allen Errungenschaften der modernen Technik ausgestattete Mikwe
(Ritualbad) entstand vor kurzem durch seine unermüdliche Tätigkeit, und ein, für die religiöses und wissenschaftliche Fortbildung junger, der Schule entwachsener Leute, vor einigen Jahren gegründeter Verein, wird durch seine
tatkräftige Unterstützung und Belehrung vortrefflich gefördert.
Neben dieser Tätigkeit für seine Gemeinde wird die religiöse Entwicklung innerhalb der jüdischen Bewohner Darmstadts mit dem Namen Dr. Marx stets verknüpft sein. Abgesehen davon, dass die heilige Institution der
Schechita (Schächtwesen) schon seit vielen Jahren für die hiesigen Gemeinden seiner Obhut übergeben ist, so ist auch in den religiösen Verhältnissen Darmstadts durch sein Beispiel vieles besser geworden. Die Zeiten der maßlosen Intoleranz, der rücksichtslosesten Verfolgung seitens unserer andersdenkenden hiesigen Brüder, resp. des Vorstands der anderen Gemeinde, sind vorbei, man hat jetzt gelernt, die orthodoxe Gemeinde zu achten und ihren Führer zu schätzen und nicht mehr das früher so selbstgefällige Märchen von der Störung des religiösen Friedens aufzuwärmen, sondern im
Gegenteil, Einkehr zu halten im eigenen Hause und Einhalt zu tun dem
'Reformwert' des Kultus. Heute verkehren Mitglieder beider Gemeinden friedlich miteinander, heute
verurteilen die Andersdenkenden selbst das Vorgehen des seinerzeitigen Vorstandes und sogar der Gedanke einer etwaigen Vereinigung beider Gemeinden wird von ihnen in
Erwägung gezogen, weil man eben in den letzten 10-20 Jahren erkannt hat, welches das wahre Ziel der
Israelitischen Religionsgesellschaft bedeutet, weil man, wenn auch
widerwillig, die einmütige, begeisterte Opferfreudigkeit ihrer Mitglieder in ihren vortrefflich entwickelten Anstalten und Institutionen
bewunderte, und ihren Führer in seinen Bestrebungen, in seinen uneigennützigen, selbstlose, nur der heiligen Sache und nicht der Verschärfung der religiösen Gegensätze geweihten Wirken schätzen lernte.
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Aber auch die weiteren jüdischen Kreise unserer
Provinz legen beredtes Zeugnis für die segensreiche Tätigkeit unseres Herrn Rabbiners ab. Die meisten Gemeinden des Landrabbinats Darmstadt vertrauen schon seit vielen Jahren demselben die Überwachung ihrer Institutionen, die Entscheidung in allen religiösen Fragen an, ein
Soldatenverein, für die rituelle Verpflegung jüdischer Soldaten aus dem
Großherzogtum Hessen gegründet, verdankt der Initiative unseres Herrn Rabbiners seine Entstehung, und allwöchentlich versammeln sich die jüdischen Lehrer mehrerer Gemeinden in Darmstadt, um aus seinen Vorträgen Belehrung und neue Anregung in ihrer
Tätigkeit zu schöpfen.
Dass der Staat diesem selbstlosen, hingebenden Wirken seine Würdigung nicht versagt, ist unter diesen Umständen selbstverständlich. So ist
Seiner Ehrwürden Herr Rabbiner Dr. Marx schon seit Jahren mit der geistlichen Funktion für die jüdischen Gefangenen der hiesigen Strafanstalten betraut. Der denkbar schönste Erfolg für die rastlosen eifrigen
25-jährigen Bestrebungen unseres Herrn Rabbiners trat jedoch vornehmlich in der jüngsten, der
rechtgläubigen Sache so günstigen Entscheidungen einer Großherzoglichen Regierung in der Frage der Wiederbesetzung des Landesrabbinats in Darmstadt zu Tage.
Solche Betrachtungen beseelten am verflossenen Samstag die zahlreichen Vertreter
der Gemeinde und Korporationen, welche sich im Hause des verehrten Jubilars zur Feier eingefunden hatten. Zwar war seit langem ein Fest im großen Stil geplant, aber
Seiner Ehrwürden Herr Rabbiner, verbat sich, nach dem er gerüchteweise von dem Vorhaben
Kenntnis erhielt, jede Feier derart entschieden, dass sich die große Zahl seiner Verehrer und Freunde mit der einfachsten Gratulation begnügen mussten.
In bewegten Worte zeichnete unser verehrter Vorsitzender, Herr H.
Bodenheimer, die verdienstvolle Wirksamkeit Seiner Ehrwürden des Herrn Rabbiners, dankte innigst im Namen der Gemeinde, zugleich das Gelöbnis erneuernd, dass die Gemeinde unentwegt den heiligen Zielen zustreben wolle, zu welchem ihr bewährter Führer dieselbe stets vortrefflich geleitet habe. Dann überreichte der Vorsitzende des Festcomités
Herr M. J. Mayer unter Worten des Anerkennung und des Dankes eine künstlerisch ausgeführte und ausgestattete
Adresse, welche vor allem die Bestimmung enthielt, dass die Gemeinde als Zeichen ihrer Dankbarkeit zur steten Erinnerung an diesen Tag einen Fond von
7000 M. als – Rabbiner Dr. Marx-Stiftung – geschaffen habe, welcher
Seiner Ehrwürden zur eigenen Bestimmung für einen edlen Zweck hiermit überwiesen wurde. – Daran reihten sich die Vorstände der einzelnen Vereine und der Vertreter der Schule, welcher bemerkte, dass die Schule
- so Gott will - nach Verlauf der Feiertage die Erinnerung an diesen denkwürdigen Tag begehen würde.
Nun ergriff der verehrte Jubilar das Wort, um in längerer, von tiefer Rührung getragenen Rede seinen Empfindungen Ausdruck zu geben. Wohl sei er entschlossen gewesen, so
führte der geehrte Redner aus, allen Feierlichkeiten aus dem Wege zu gehen, nicht nur aus Bescheidenheit, sondern, weil dies von jeher die Grundstimmung seines Lebens war, und alles, was er mit der Gemeinde gewirkt und geleitet habe, besitze nicht zum mindesten Teile seine Festigkeit dadurch, dass es im engen Kreise der Gemeinde erkannt, vorbereitet, und geschaffen wurde, entrückt dem nicht förderlichen Gespräche der breiten Öffentlichkeit. Anknüpfend an die heutige
Sidre (= Toraabschnitt zum Schabbat) rufe er auch der Gemeinde zu Ihr
seid die Nizawim (nach 5. Mose 29,9: die vor dem Ewigen stehen...)! Was er erreicht habe, war nächst dem Beistande des Himmels nur möglich mit der jederzeit
tat- und hilfsbereiten Gemeinde. Der Einzelne ist nur (hebräisch und
deutsch:) ein Stehender, die Gemeinde aber eine Mazewa, ein Denkmal, ewig und unvergänglich. Was er in diesen 25 Jahren erstrebt habe, das lasse sich in dem Spruche wiedergeben:
(hebräisch und deutsch Zitat aus Hosea 2,21-22) 'Ich verlobe Dich mir für ewig, ich verlobe Dich mit mit Gerechtigkeit, Recht, Gnade und Erbarmen, und ich verlobe Dich mit im Glauben und Du wirst erkennen den
Ewigen!'
Er habe gewirkt und gerungen in seiner Gemeinde für das le'olam, das Ewige, Unsterbliche, für die idealen Güter, habe aber auch
die Gerechtigkeit und das Recht nicht vergessen, zur rechten Zeit immer das rechte Wort gefunden, keinem zu Liebe und keinem zu Leide gelebt, und das Band, welches ihn mit der Gemeinde stets verschlungen habe, sei das
des Glaubens gewesen. Von dem Bewusstsein durchdrungen, stets das
Edle gewollt und das Beste erstrebt zu haben, liege ihm das Wohl und die Zukunft der Gemeinde allein am Herzen. Hier kenne er keinen Verwandten, Freund oder Günstling, sein liebstes Ziel sei allein die unvergänglich gesicherte Existenz der Gemeinde. Für dieses Ziel möge jeder seine Kraft einsetzen, selbstständig sich als Mitarbeiter und Vertreter der Gemeinde betrachten und keine Opfer scheuen!
Deshalb überweise er den ihm heute übergebenen Fonds unter Ablehnung des bezeichneten Titels dem Vorstande der Israelitischen Religionsgesellschaft mit der Bestimmung, denselben einem wohltätigen Zwecke innerhalb der Gemeinde zuzuführen. Jedoch dürften die Erträgnisse des jetzigen oder später
erweiterten Fonds niemals für ein Mitglied seiner Familie Verwendung finden. – Gleichzeitig mache er freudig bewegt der Versammlung
Mitteilung von zwei Zuschriften, welche ihn anlässlich des heutigen Tages von zwei geschätzten Vorstandsmitgliedern, Herr H. Bodenheimer u. Herr A.
Neu, zugegangen seien, und worin der erstere den Betrag von 20.000 Mark, der letztere einen solchen von
6.000 Mark der Gemeinde testiert habe. Von solch tatkräftigem Verständnisse seines liebsten Wunsches sei er tief gerührt, und angesichts der
einmütigen, für ihn so ehrenvollen Gesinnung der Gemeinde, angesichts solcher Hochherzigkeit gelobe er, sich jeder Zeit voll und ganz der Gemeinde zu widmen, so lange der Allgütige ihm Kraft und Gesundheit schenke!
Tief ergriffen lauschten die Anwesenden der von innigster Rührung getragenen Rede des hochverehrten Herrn Rabbiners. – Dass der Appell desselben an seine Gemeinde kein leerer sein wird, beweist die heutige Feier mit mit den begleitenden Beweisen der Opferfreudigkeit und Begeisterung zur Genüge- - Wir möchten nur noch in der Erkenntnis, dass unsere Gemeinde, welche durch tiefe Wertschätzung ihres bewährten Führers sich selbst so hoch ehrte, den innigen Wunsch daran knüpfen, dass derselben mit ihrem verdienstvollen Herrn Rabbiner noch viele solche wahrhafte (hebräisch) beschieden sein mögen, und sich dieselbe immer mehr ausbaue zu einer Säule des rechtgläubigen
Judentums in Darmstadt, Hessen, in der gesamten Judenheit! Das wollte Gott!" |
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Die
"künstlerisch ausgeführte und
ausgestattete Adresse" zur
Stiftung der "Rabbiner Dr. Marx-Stiftung"
(siehe im Text oben; Quelle: Archiv unbekannt;
Webmaster erhielt Kopien
ohne Quellenangabe) |
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Text: "Eure Ehrwürden!
Hochgeehrter Herr Jubilar!
Auf den Ruf einer kleinen Anzahl glaubensbegeisterter Männer übernahmen
sie, hochgeehrter Herr Rabbiner, vor zweieinhalb Jahrzehnten ihr heiliges
Amt in unserer Mitte.
Wenn sie selbst hochverehrter Herr Rabbiner, am heutigen Tag sinnend
überdenken mögen, was in diesen 25 Jahren Heiteres und Trübes ihrer
Lebensbahn geworden, wenn sie wohl wägend und prüfend den Maßstab ihres
hohen, nimmer ermüdenden Strebens an das Erreichte und Verwirklicht legen,
so sei es uns vergönnt, denen all ihr Schaffen und Wirken gegolten,
freudigen Sinnes uns ihnen zu nahen und in Dankesworten und Segenswünschen
andeutend auszusprechen, was Aller Herzen mächtig bewegt.
Inmitten einer übermächtigen Majorität Andersgesinnter ein kleines
Gemeinwesen zu leiten, das bauend auf die Macht seiner religiösen
Überzeugung den Mut hatte, seine eigenen Wege zu wandeln, dieses Gemeinwesen
nach außen zu wappnen, nach innen auszubauen und zu durchgeistigen - das war
die hohe Aufgabe die Ihrer harrte, und deren Lösung - heute dürfen wir es
sagen - Ihnen so herrlich gelang.
Wie sie es verstanden, mit den Waffen des Geistes und der Wissenschaft das
Lächeln des Hohnes von den Lippen der Gegner zu bannen, so war es ihrem
treuen Wirken beschieden, inmitten unserer Gemeinde den drei Säulen des
jüdischen Gemeinwesens: der Tora, der Awoda (G"ttesdienst),
dem Gemiluth Chessed (Wohltätigkeit) dauernde Grundlagen zu bereiten.
Der Tora, der alles bedingenden Lebensseele, haben Sie einen immer
sich verjüngenden Kreis forschender Genossen gesammelt und mit dem zündenden
Feuer ihres Wortes den Geist der Lehre und des Gesetzes in die Herzen der
Jugend gegossen. Der Awoda halfen sie die würdige Stätte erbauen, und
eine große Reihe blühender Institutionen und Vereine legt Zeugnis davon ab,
wie sie es verstanden, den Geist des jüdischen Gemiluth Chessed im
Leben zur Verwirklichung zu bringen.
Wie sie von jeher nur für unsere gemeinsamen Ideale, nie für sich selbst
gewirkt und gestritten, so haben sie auch jetzt geglaubt, den schwachen
Ausdruck unseres Dankes, den wir Ihnen zu widmen wünschten, zurückweisen zu
müssen, umso unauslöschlicher wird dieser Dank in unseren Herzen fortleben
und uns aneifern, jederzeit in Ihren Wegen zu wandeln.
So möge denn ein neuer Fonds, dessen Zweckbestimmung Ihnen hochverehrter
Herr Rabbiner überlassen bleibe, und zu welchem wir hiermit einen Grundstock
überreichen, von diesen Gesinnungen Zeugnis ablegen, die uns heute erfüllen.
Der Name: Rabbiner Dr. Marx Stiftung, den er tragen soll, sei ein
äußeres Symbol all der Segenskeime, die sie in unserer Mitte ausgestreut -
der Fülle des Segens aber auch, der Ihnen hochgeehrter Herr Rabbiner, in all
ihrem ferneren Wirken, im Kreise Ihrer Familie, ihrer Gemeinde, all unsere
Brüder erblühen möge!
Euer Ehrwürden verharren
das Comitè (Namen u.a. Simon Haas, August Mainzer, M. Jonas Meyer, Simon
Vogel, M. Neu I, ...
Der Vorstand der israelitischen Religionsgesellschaft: u.a. Herz Bodenheimer,
Levi Haas, A. Neu.
Darmstadt den 5. September 1896. 27. Elul 5656." |
Zum Amtsjubiläum von Rabbiner Dr.
Lehmann Marx (1896)
Anmerkung: In einem Leserbrief zum obigen Artikel wird an den eigentlichen
Begründer der Israelitischen Religionsgesellschaft Rabbi Löw Sulzbacher
erinnert.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 1. Oktober 1896: "Frankfurt a. M., 20. September (1896)
In Nr. 73 Ihres geschätzten Blattes lese ich von der Jubiläumsfeier des
hochgeehrten Rabbiner Dr. Marx - sein Licht leuchte - in Darmstadt, worüber ich mich herzlich gefreut habe, denn wenn es einem Manne gebührt dieserhalb gerühmt zu zu werden, so ist es unstreitig der Jubilar Dr. Marx
- sein Licht leuchte. Derselbe hat es nicht nur verstanden, die Gemeinde zu dem zu machen, was sie heute ist, zu einer Mustergemeinde, er hat es auch verstanden, sich die Liebe und Achtung derselben in hohem Maße zu erwerben. Es ist nicht zu zu viel in dem Berichte gesagt, doch vergisst der Einsender des Berichtes auch den Mann zu erwähnen, der die orthodoxe Gemeinde in Darmstadt mit der ganzen Aufopferung seines
'Ich' gegründet hat.
Im Jahre 1857, als der Rabbiner Dr. Auerbach - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen - das Rabbinat in Darmstadt niederlegte, war es das Erste, was der damalige Vorstand der Gemeinde
tun zu müssen glaubte, die Orgel und sonstige Neuerungen in der Synagoge einzuführen. Da stand
Rabbi Löw Sulzbacher - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen - auf und legte gegen dieses Vorgehen durch Errichtung eines Betsaals in seiner Umgebung Protest ein; damit war ein Sammelpunkt für alle die gegeben, die aus Gewissensbedenken nicht in der Lage waren, an dem Gottesdienste, wie er jetzt in der Gemeinde abgehalten wurde,
teilzunehmen. Und so können wir an diesem mannhaften Vorgehen die Gründung der Religionsgesellschaft sehen. Dass aber eine solche Gründung ein Bedürfnis war, erkennen wir daran, dass allsogleich sich eine stattliche Anzahl von gesetzestreuen
Jehudim um Rabbi Sulzbacher - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen
- scharte, um an einem Gottesdienste nach alter Weise teilzunehmen.
Als diese provisorische, wie auch eine spätere Synagoge, die man alsdann
mietweise erwarb, sich nach einigen Jahren zu klein erwiesen, wurde dann in der kleinen Ochsengasse ein Haus gekauft und dasselbe zu einer Synagoge mit ca. 100 Sitzen umgebaut. Dies geschah in dem Anfang der
1860er-Jahre. Am Schabbat Paraschat Wajekahel wurde dieselbe durch eine sehr ergreifende Rede des Rabbi Löw Sulzbacher
- das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - eingeweiht. Die Gemeinde zählte damals schon 30-40 Mitglieder. An
Schabbat Paraschat Schmini darauf wurde eine große Feier begangen, deren Glanzpunkt die herrliche Predigt bildete, die der Gründer Ihres
geschätzten Blattes Herr Rabbiner Dr. Lehmann - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen - bei dieser Gelegenheit hielt und wobei der Chor der Mainzer Religionsgesellschaft mitwirkte.
In dem Anfang der 1870-er Jahre wurde dann Herr Dr. Marx - sein Licht
leuchte - als Rabbiner berufen, der schon eine konstituierte Gemeinde, in welcher aber noch viele Arbeit seiner wartete, antraf. Dass zu damaliger Zeit auch schon für einen Lehrer gesorgt war, der die Kinder in (hebräisch) zu unterrichten hatte, bedarf weiter keiner Erwähnung.
Es sollen diese Zeilen nur zur Ergänzung jenes Berichtes in Nr. 73 dienen, um dem um die Gründung der Religionsgesellschaft so sehr verdienten, jetzt im Grabe ruhenden Manne die Anerkennung zu widmen, die ihm gerade bei der Jubelfeier gebührt hätte. S." |
Ernennung von Rabbiner Dr. Marx zum Rabbiner der orthodoxen Gemeinden
des Rabbinatsbezirks Darmstadt (1897)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 22. Juli
1897: "Darmstadt. Sr. kgl. Hoheit der Großherzog von Hessen haben den Rabbiner der hiesigen
Israelitischen Religionsgesellschaft Herrn Dr. Marx - sein Licht
leuchte - zum Großherzoglichen Rabbiner der orthoden Gemeinden des Rabbinatsbezirks Darmstadt ernannt.
Damit hat das gesetzestreue Judentum in Hessen zum zweiten Male einen schönen Erfolg errungen, welcher uns mit freudigem Stolz erfüllen darf."
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Rabbiner Dr. Moses Marx aus Darmstadt wird Rabbiner des Vereins zur Wahrung der
religiösen Interessen des Judentums in Westfalen (1901)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. November
1901: "Mainz, 6. Nov. Heute kommt aus Höxter frohe Botschaft. In der dieser Tage stattgefundenen Sitzung des Vorstandes des Vereins zur Wahrung der religiösen Interessen des
Judentums in Westfalen wurde Herr Dr. Moses Marx aus Darmstadt, z.Zt.
Hörer der Jeschiwah zu Frankfurt a.M., Sohn des Großherzoglichen Landrabbiners Dr. L. Marx in Darmstadt, einstimmig zum Rabbiner des Vereins gewählt und hat derselbe die auf ihn gefallene Wahl angenommen. Herr Dr. M. Marx, unser verehrter Freund und Mitarbeiter, verbindet mit einem intensiven jüdischen Wissen auch in reichem Maße diejenigen Kenntnisse, die auf den deutschen Hochschulen dem strebsamen Theologen geboten werden und können wir dem wackeren Verein zu dieser
Akquisition mit vollem Herzen Glück wünschen.
Seine rabbinische Ausbildung verdankt Herr Rabbiner Marx ausschließlich der unter Leitung
Seiner Ehrwürden des Herrn Rabbiners Dr. Breuer stehenden Rabbinerschule zu Frankfurt a. M., aus der bereits eine beträchtliche Anzahl von Rabbinern hervorgegangen ist, die
teils in Deutschland, teils in Ungarn segensreich wirken. Dass Herr Dr. Moses Marx, ohne sich vorher um die Stelle beworben zu haben, nach einstimmig erfolgter Wahl nach Westfalen berufen wurde, ist sowohl für ihn, als auch für die Anstalt, deren langjähriger Hörer er war, ein ehrendes Zeugnis.
Die offizielle Amts-Einführung desselben findet, verbunden mit der Abschiedsfeier für den bisherigen Rabbiner, Herrn
Direktor G. Lange, und der anschließenden Generalversammlung, am Mittwoch, den 20. November (Buß- und Bettag) in
Vogell’s Restaurant zu Dortmund statt." |
Verlobungsanzeige
von Rabbiner Dr. Moses Marx und Eva Bodenheimer (1901)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 16. Dezember
1901:
"Eva Bodenheimer - Rabbiner Dr. Moses Marx
Verlobte
Darmstadt, im Dezember 1901". |
Chanukkagruß an die jüdischen Soldaten von Rabbiner Dr.
Lehmann Marx
(1915)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 1. Januar 1915: "Chanukkahgruß an die jüdischen
Krieger.
Darmstadt, 28. Dezember (1915). Das Großherzogliche Rabbinat
Darmstadt II, Herr Rabbiner Dr. Marx, ließ an die im Felde
stehenden Soldaten seines Rabbinates folgendes Schreiben ergehen:
'Zum zweiten Male entbiete ich Euch innige Grüße aus der Heimat!
Winterstürme brausen nun über die Fluren, als ob die Natur ein
Spiegelbild jenes gewaltigen Ringens geworden wäre, dessen Zeugen und
wackere Mitstreiter Ihr alle seid. Monate sind dahingegangen, in denen wir
mit Bewunderung und Stolz von den Heldentaten unserer Armeen in Ost und
West von tag zu Tag vernahmen, die Ihr, geleitet von unseren herrlichen
Führern, erstrittet für Kaiser und Reich. Galt's im Sonnerbrand in
Dauermärschen, galt's im Sturm mutig vorwärts zu schreiten, Ihr
zaudertet nicht, und Euer war der Sieg. Aber auch jene beispiellose
Größe, die Ihr bewährtet im Schützengraben unter aller erdenklichen
Mühsal oder auf schwierigstem Gelände Flanderns, Frankreichs und Russlands
oder stürmischer See, da Eure Devise war 'stark und fest!', nimmer werden
wir sie vergessen.
Nicht zuletzt aber Ihr, meine lieben jüdischen Brüder, beglückt uns in
der Heimat der Gedanke, was uns ja Gewissheit von der ersten Stunde des
Kampfes an war -, dass Ihr gerade als Juden mit in den vordersten Reihen
der Kameraden steht und wetteifert an Mut und Tatkraft, an Entsagungs- und
Opferfreudigkeit mit allen im Felde Stehenden. Wisst Ihr doch, dass Ihr
hiermit nicht nur deutsche Soldatenpflicht erfüllt, sondern jenes
heilige, religiöse Gebot, sein Leben dem Vaterlande zu weihen, nach dem
Prophetenwort Jirmijahus (Jeremias), das er vor Jahrtausenden uns ins Herz
gegossen, als er mahnt: Dirschu es sch'laum hoir 'Fördert das Wohl
des Staates!'
So krönt denn schon manche Heldenstirn unverwelklicher Lorbeer und ziert
so manche kühne Brust das Ehrenzeichen unserer erhabenen Fürsten. Heil
Euch, die Ihr mit Eurem Blut mitbauen helfen dürft an der großen,
gewaltigen Aufgabe, den Frieden der Zukunft zu sichern durch das
Niederringen der Feinde, denen im Kampfe Alles fehlt, was Euch mit
unerschütterlichem Gottvertrauen emporschauen lässt, - vor Allem das
Bewusststein, für eine gerechte, wahre und gute Sache das Schwert zu
ziehen!
In wenigen Tagen feiern wir das Chanukkah-Fest, an dem Ihr und wir jene
erhabenen Bilder der Vergangenheit von den Heldenkämpfen der Makkabäer
wieder erstehen lassen. Wie heute bei uns, umdräuten damals gewaltig
zahlreiche Feinde jene wenigen jüdischen Streiter. Aber wir siegten,
getragen von der tiefen Überzeugung, zu kämpfen für die Erhaltung der
heiligsten Güter der Nation.
W'atto brachamecho horabbim omad'to lohem b'es zorosom 'Du aber, o
Gott, in Deiner großen Barmherzigkeit standest ihnen bei in der Stunde
der Not...' und unsterblichen Ruhm ernteten unsere
Ahnen.
Brüder! Auch in Euren Adern fließt Makkabäerblut! Drum wird Gott Euch,
die Ihr von dem gleichen Geist, wie die Väter beseelt seid, die Kraft
leihen, dem endlichen Siege zuzuschreiten. Und wenn Ihr nun in heilig
religiöser Glut, doppelt andachtsvoll im Feindesland an den
Chanukkahtagen von Abend zu Abend Lichter der Weihe anzündet, dann lasst
im stillen oder lauten Sang die Mut und Gottvertrauen ins Herz träufelnde
Festeshymne erklingen: Moaus zur Jeschuosi:
'Quelle meiner Kraft, Fels meines Heils, Dich geziemt's zu preisen;
Meines Gebetes Haus gründest Du dereinst, da wir Dankopfer bringen -
-
Zur Zeit, wenn Du eine Richtstätte bereitest vor dem brüllenden
Feind,
Dann vollende ich mit Liedessang die Weihe des Altars.'
Und wenn diese kleinen Lichter flackern und Euch künden von
Vergangenheit, Heimat und Euren Lieben, dann wisst: Wie die Zahl der
Lichter von Tag zu Tag wächst, so steigt auch von Tag zu Tag die
Gewissheit: 'Der Gott, der Wunder getan an unseren Vätern', wird auch 'in
unserer Zeit' uns Siege und Frieden geben.
Wir aber beten für Euch alle, dass der Allgütige Euch erhalte, die
Wunden heile, schütze und schirme unseres Fürsten und Führer, unser
Heer und unser geliebtes Vaterland.' Der Brief schließt mit
herzlichen Chanukkahgrüßen und der Mitteilung über die mitfolgenden
Liebesgaben des Jüdischen Frauen-Vereins zu
Darmstadt." |
Rabbiner Dr.
Lehmann Marx erhält den Professorentitel
(1917)
Artikel in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums"
vom 30. März 1917: "Anlässlich des 25-jährigen
Regierungsjubiläums des Großherzogs von Hessen wurde Herr Rabbiner
Dr. Marx in Darmstadt mit dem Professorentitel
ausgezeichnet." |
Zum Tod von Rabbiner Dr. Moses Marx
(1924)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. Januar 1924: "Rabbiner Dr. Moses Marx - Darmstadt. Das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen. Die Aufschrift dieser
Zeilen kündet die Schwere des Verlustes, der die Familie, die Gemeinde
und die jüdische Gesamtheit betroffen hat. Noch können wir es kaum
fassen, dass der allezeit rührige, temperamentvolle Mann nicht mehr unter
uns weilt, und wie ein schwerer Traum lastet es seit den letzten zwei
Tagen auf uns, den wir so gern als Spiel erregter Phantasie wähnen
möchten, den jedoch kein Morgen verscheucht, und der leider trostlose,
schmerzliche Wirklichkeit geworden ist. Der 'junge' Darmstädter Raw
ist im blühenden Alter von 47 Jahren inmitten reich gesegneter Tätigkeit
von seinem Schöpfer abberufen worden. Noch vor drei Wochen hatte er in
gewohnter geistvoller Weise am Schabbat Paraschat Wajehi seine ihm
in Andacht lauschende Gemeinde an der Hand eines Midraschwortes ... für
die Wichtigkeit und die Aufgaben der Chewra Kadischa
(Wohltätigkeitsverein) begeistert, als ihn am Schlusse des Vortrags ein Unwohlsein
befiel, das trotz vorübergehender Momente der Besserung sich so kritisch
entwickelte und uns jetzt die Wahrheit des Midraschwortes an uns selbst
erleben lässt.
Von früher Jugend unter Anleitung und dem aneifernden
Beispiel seines verdienstvollen Vaters - sein Licht leuchte - zur Tora
hin erzogen, besuchte der hochbegabte Jüngling später die Jeschiwot
in Berlin und Frankfurt, wo er sich das Wissen aneignete, das er später
fortbildend und lehrend ständig mehrte, und das ihm mit Recht den
Ehrentitel eines ausgezeichneten Gelehrten erwarb. Seine erste
rabbinische Tätigkeit galt dem Verein für das gesetzestreue Judentum in Westfalen.
Noch heute spricht man dort mit Hochachtung und Ehrfurcht von dem Recklinghausener
Raw, der durch Wort und Tat so viel für Tora und Wahrheit
gewonnen und so viel Segensreiches erhalten und neugeschaffen hatte. Vor
15 Jahren folgte er dem Rufe seiner Heimatgemeinde, der Israelitischen
Religionsgesellschaft Darmstadt, zur Unterstützung seines Vaters
in der vielfachen Tätigkeit im ausgedehnten Landrabbinatsbezirk, um
später nach Pensionierung seines Vaters das Amt des Landrabbiners
zu übernehmen. Zeit und Entwicklung der Verhältnisse in den zahlreichen
Gemeinden seines Bezirks stellten ihn fortwährend vor neue Aufgaben. Aber
so schwierig sich diese gestalteten, seine Arbeitskraft und Hingabe wuchs
mit ihnen und er meisterte sie mit reich gestaltender Initiative. Die
Kriegszeit mit den vielen verantwortungsvollen Aufgaben fand ihn auf
voller Höhe. Wie viele der damals in Darmstadt garnisonierenden
jüdischen Soldaten aus allen Gegenden haben die Wohltat seines warmen
Eintretens bei Behörden und seine Fürsorge für ihr geistiges und
körperliches Wohl erfahren, wie mühte er sich um die Versorgung mit
rituellen Lebensmitteln für die gesamte Judenheit der Provinz, wie beriet
er die Gemeinden in ihren geistigen und finanziellen Nöten, wie
begeisterte er Jung und Alt in seinen Predigten und bei allen
Gelegenheiten freudiger und ernster Art, wie fesselte er die Jugend in
Schule und Vereinen, und wie war er der Gesamtheit ein treu
hingebender und aufopfernder geradsinniger Fürsprecher. Mit
gerechtem Stolze blickte er noch auf seinen letzten bedeutenden Erfolg vor
einigen Wochen zurück, als in der hessischen Volkskammer durch einen
antisemitischen Antrag die Erhaltung der Schechita gefährdet war,
und er durch unermüdliche Agitation bei den Fraktionen an der Hand
reichen Materials die Gefahr mit Gottes Hilfe zu bannen und die Wahrheit
zum Siege zu führen verstand - das Geheimnis solch fast übermenschlichen
Wirkens lag eben in der einen Tatsache, dass er ein gehämmerter Jehudi
in des Wortes edelstem Sinne war. Wer ihn auf der Kanzel, in der Schule
oder in den mannigfachen Veranstaltungen hörte, der erkannte einen Mann,
dem Leben und Lehre identisch waren, und der in einer den herrlichste
Vorbildern aller Zeiten abgelauschten Weise mit Hingabe von Leib und Seele
in seinem Berufe aufging. Alle seine trefflichen Eigenschaften, die
Feuerkraft seiner Rede, der Zauber seiner Persönlichkeit, sein glühender
Idealismus, sein reiches Wissen, seine Herzensgüte traten nur in den
Dienst seines echt jüdischen Fühlens und Denkens. Nur so sind das
Überwältigende seines Wirkens und seine zahlreichen Erfolge, die auch
von namhafter nichtjüdischer Seite anerkennt wurden, zu
erklären.
Ein schier unabsehbarer Trauerzug unter Vorantritt der Jugend -
gleichsam symbolisch das Lebensziel im Streben des Verblichenen auch auf
dem letzten Gange darstellend - bewegte sich am Tag vor Schabbat
Paraschat Bo durch die Straßen von Darmstadt, um die sterbliche
Hülle der teuren Seele zur Ruhe zu geleiten. In seiner Bescheidenheit
hatte er sich jede Trauerrede, ja jede Todesanzeige verbeten. Trotzdem
waren von allen Seiten die Freunde und Verehrer, die Rabbiner von Mainz,
Frankfurt und Fulda, die Lehrer und Vorstände der Landgemeinden
herbeigeeilt, und stille Wegmut, verhaltene Klage und Tränen des
Schmerzes kündeten beredt die Schwere des allgemeinen Verlustes. In
tiefster Trauer steht neben der gebeugten Familie seine schwergeprüfte
Gemeinde, der vor allem stets sein innerstes Fühlen galt, und der ganze
Rabbinats- |
bezirk
an der Bahre des im Blütenalter von 47 Jahren dahingeschiedenen Mannes,
der noch zu viel Großem und Segensreichem berufen schien. Viele
Hoffnungen und reiche Erwartungen sind mit dem nimmer müde gewordenen,
reichbegnadeten Manne ins Grab gesunken, aber 'Er war unser!' So
früh auch seine irdische Wirksamkeit endete, 'süß ist der Schlaf des
Arbeiters, er esse wenig oder viel' (Prediger 5,11), das Lebensziel
hat er in Reinheit und Vollkommenheit wie einer der Größten in Israel
erreicht.
Dies möge der Trost für die tief gebeugten Eltern und die gesamte
Familie sein, dies wird der Ansporn für seine Gemeinde und alle
Angehörigen des Rabbinatsbezirks werden, sich im Sinne des treuen
Führers - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - umso enger
zusammenzuschließen und hochzuhalten, was er stets begeistert gelehrt und
gelebt hat. Dann werden auch alle aus dem Herben und Trüben der Stunde
sich wieder aufrichten in dem Bewusstsein: 'Jakob unser Vater ist nicht
tot' - 'Er bleibt unser'. Seine Seele sei eingebunden
in den Bund des Lebens." |
|
Artikel
in der "CV-Zeitung" (Zeitschrift des
"Central-Vereins") vom 14. Februar 1924: "Im Alter von kaum
47 Jahren verstarb vor wenigen Wochen der Rabbiner der
Religionsgemeinschaft in Darmstadt Dr. Moses Marx. Der frühe Tod
bedeutet für seine Gemeinde einen schweren Verlust; denn der
Heimgegangene hat mit der ganzen Hingabe seiner Persönlichkeit seinem
hohen Berufe gedient. Auch die Interessen unseres Vereins hat der
Verstorbene eifrig gefördert. In seinem früheren Wirkungskreis Recklinghausen
hat er, an leitender Stelle stehen, sich mit Liebe für die Ideen unseres
Vereins eingesetzt, und in Darmstadt hat er besonders dafür Sorge
getragen, dass in den zu seinem Bezirk gehörigen Landgemeinden der
Gedanke unserer Bewegung Wurzel fassen konnte. Persönlich dem rechten
Flügel der Orthodoxie angehörig, hat der Verstorbene doch die
Notwendigkeit des Zusammenschlusses der Juden aller religiösen Richtungen
im Abwehrkampf klar erkannt. Wir bedauern den zu frühen Heimgang dieses
aufrechten und tüchtigen Mannes. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken
bewahren." |
Zum Tod von Rabbiner Dr. Nathan Cahn
(1924)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. September 1924: "Rabbiner Dr. Nathan Cahn - das
Gedenken an den Gerechten ist zum Segen.
Darmstadt, 28. August (1924). Es war ein harter Schlag für uns und
für weite Kreise, als wir am Dienstagmittag es endlich erfassen mussten,
was nur langsam in unser Bewusststein dringen wollte, dass unser junger
Rabbiner, der erst vor kurzem so vielversprechend sein Amt antrat und an
den wir so viele Hoffnungen für die Zukunft unserer Gemeinde knüpfen
durften, entschlummert sei für immer. Noch Abends vorher entzündete uns
bei Anlasse einer Vortragsveranstaltung sein flammendes Wort für Liebe
zur Toralehre und Freude an jüdischem Denken und Tun. Nun schloss er die
Augen, den Kopf noch voller Hochgedanken, und öffnete sie nicht wieder.
Und heute, am Donnerstagmorgen, trugen wir ihn zu Grabe, den Mann, aus
dessen jugendlichem Herzen das Wort des Gesetzes lebensweckend zu uns
drang. Zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres weint eine Gemeinde,
verwaist, um ihren geistigen Führer.
Dr. Nahan Cahn war jüngster Sohn des allbekannten Fuldaer Raw und ganz
Geist vom Geiste des Vaters. Mit großer Begabung ausgezeichnet und schon
früh vom jüdischen Lebensernst durchdrungen, lernte er bei seinem Vater
und später auf der Breuerschen Jeschiwah zu Frankfurt am Main, absolvierte
seine profanen Studien auf dem Gymnasium in Fulda und auf der Gießener
Universität und trat so, wohlgerüstet mit weltlichem und profanem
Wissen, beseelt vom heiligen Verantwortungsgefühl für sein Amt, seine
Rabbinerstelle als Nachfolger des frühverstorbenen unvergesslichen
Rabbiner Dr. Moses Marx in Darmstadt an.
Gerade im Begriff, sich mit der jungen Tochter eines der Familie
verwandtschaftlich nahestehenden Hauses einen eigenen Hausstand zu
gründen, trat nach unerforschlichem Ratschlag des Höchsten der Tod
dazwischen, um die Hoffnungen einer jungen Braut, einer Gemeinde und eines
weiten Kreises zu durchkreuzen.
Persönliche Verehrung, aber auch die Tragik des Falles führten eine
überaus große Trauergemeinde aus nah und fern am Donnerstagmorgen in
Darmstadt zusammen.
Im Hause sprachen ergreifende Abschiedsworte die Herrn Kunstädter und
Dr. Herz aus Fulda, auf dem Friedhofe sprachen Sanitätsrat D.
Bodenheimer - Darmstadt; als Bruder des Verstorbenen, der derzeitige Fuldaer
Rabbiner Dr. Leo Cahn, die Herren Rabbiner Dr. Bondi in Mainz, Lehrer
Lebermann - Darmstadt, sowie für V.J.A. Dr. Sulzberger -
Wiesbaden und Abraham Löb - Dieburg im Namen der Landgemeinden. In
allen Reden spiegelte sich die tiefe Bestürzung um den herben Verlust
wider. Möge sein Verdienst uns beistehen. Seine Seele sei
eingebunden in den Bund des Lebens."
|
Nachruf
auf Rabbiner Dr. Nathan Cahn (1924)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18. September
1924: "Rabbiner Dr. Nathan Cahn - das Andenken an den
Gerechten ist zum Segen - als Mensch.
Berlin, 5. September (1924). Ein Freund und Studiengenosse des Rabbiner
Dr. Nathan Cahn - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen -
schreibt uns:
Die kaum glaubliche Kunde vom Hinscheiden Nathan Cahns hat im Kreise
seiner persönlichen Freunde einen jähen Schreck verbreitet und obgleich
man noch niedergeschmettert an diesem frischen Grabe nach Worten ringt,
drängt es gerade den Studienfreund, ihm einige Worte des Gedenkens zu
widmen. Im Kreise der Gleichaltrigen sogar war ihm gegenüber die
Grundstimmung Hochachtung; wie groß erst muss der Respekt seiner Gemeinde
vor ihm gewesen sein! Als er im Trauerjahre nach seiner Mutter öfters in
Gießen am Omud betete, spürten selbst die unreligiösesten von ihnen die
tiefe Andacht aus dem Klange seiner Stimme. Mit zartem Takt, wie er nur
der felsenfesten Überzeugung eigen ist, vertrat er im vielfältig gemischten
Kreise der Mitstudierenden den jüdischen Standpunkt zu wissenschaftlichen
Problemen, selbst die heiklen Fragen der Gemeindegestaltung konnten in
seiner Gegenwart nur sachlich, und nur in unserem Sinne besprochen werden.
Allem politischen Getriebe hielt er sein denken fern. Sein Lebensideal
war, seinem Vater - er ruhe in Frieden - es nachzutun an jüdischen
Lebensbemeisterung. Dass er nur mit halber Freude dessen Wirkungskreis
verließ, hat er Freunden eingestanden. Gewiss war er hinausgezogen, um
ein ähnliches zu schaffen, wie es der heimatliche Ort unter seinem Vater
geworden war. Der Allgütige aber hat wohl die Zeit noch nicht
herbeiführen wollen, in der das ganze Israel zu Gott heimfindet, und so
nahm Sein unergründlicher Ratschluss uns diesen hoffnungsvollen
jugendfrischen Führer.
Wir wollen ihn als den Menschen schildern, aber auch als Mensch leuchtete
er uns führergleich voran. Schon das Äußere, die Haltung verriet die
Synthese von jüdischer Würde und modernem Schwunge, von 'Thora und
Größe an einem Orte'. Selbst die scharfe, geistreiche und doch niemals verletzende
oder derbe Weise seiner Scherze konnte vorbildlich wirken, besonders für
diejenigen unserer Mitstreiter, über deren banale Spottestiraden er schon
damals geradezu Schmerz empfang.
Ganz erfüllt vom Glauben an die hohe Persönlichkeit seines Vaters, ward
er selbst zu einem Charakter, der Jedweden zur Anerkennung unbewusst
zwang. Und niemand fühlte sch von ihm als minder ausgereifter Charakter
behandelt. Man empfang zugleich den Adel seines Stammes und den seiner Seele,
seine Würde und seine Freundschaft. Und so verliert man an ihm zugleich
ein ideales Vorbild und einen Freund.
Verstummt ist der Freundesmund, gebrochen die Macht des beratenden Wortes
und des sichtbaren Führers. Anstelle des freundschaftlichen Gedankens
drängt sich in unser Herz fassungsloser Jammer; eine Zeder des Libanon,
ein junger, emporschießender Setzling, ist niedergestürzt.
Ja, in meist sorgloser Sicherheit und Ruhe floss das gesegnete Erdenleben
unseres vollendeten Freundes dahin. Und wir, denen Gottes Gnade beschert
hat, müssen seinem Beispiele folgend, mitten im Leben, in Weltenfreude
und Ruhe diese Gottesfurcht und -liebe zu unserem Lande zu pflegen. Möge
das Sechus (Verdienst) unseres zu früh dahingegangenen Freundes
uns und der ganzen Judenheit unseres Landes und der Welt dazu
verhelfen. B.C." |
Jahrzeit für Rabbiner Dr. Nathan Cahn
(1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 10. September 1925: "Darmstadt, 1. September. Am Sonntag, 16. August (26.
Aw) war die erste Jahrzeit unseres unvergesslichen Rabbiners Dr. Nathan Cahn
- das Andenken an den Gerechten ist zum Segen. Eine würdige Gedächtnisfeier vereinigte die Gemeinde auf dem Friedhof. Dem Schmerz der Gemeinde und der Schüler verliehen
Rabbiner Dr. Merzbach und Rabbiner Wassermann beredten Ausdruck. Namens der Familie sprach Rabbiner Dr. Leo Cahn-Fulda, der als Trost die Hoffnung bezeichnete, dass die
Kehillo (= Gemeinde) sich im Sinne ihrer Toten weiter entwickeln werde. Ein El-Mole-Rachamim des Herrn
Lehrers Lebermann gab das Empfinden der schwergeprüften Gemeinde wieder.
Seine Seele möge eingebunden sein in den Bund des Lebens." |
Dienstantritt von Rabbiner Dr. Julius Merzbach
(1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 10. September 1925: "Darmstadt, 30. August. Am Heiligen
Schabbat Paraschat Reeh trat Herr Dr. Julius Merzbach aus Berlin, ein Schüler von
Prof. Dr. Hoffmann - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen - und Rabbiner Kaplan - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen - sein Amt als Rabbiner des orthodoxen hessischen Rabbinats und der Gemeinde
Adass Jeschurun (= orthodoxe jüdische Gemeinde in Darmstadt) an. Die Einführung fand vor Eröffnung des Freitagabend-Gottesdienst statt. In tiefbewegten Worten gedachte namens des Gemeindevorstandes Herr
Sanitätsrat Dr. Bodenheimer der uns allzu früh entrissenen Rabbiner Dr. Moses Marx
seligen Angedenkens und Dr. Nathan Cahn seligen Angedenkens und hieß den neuberufenen Rabbiner, an dessen
Wirken sich nun so viele Hoffnungen knüpfen, herzlich willkommen. Herr Rabbiner Dr. Merzbach erwiderte, dass er nur im Vertrauen auf
Gott (den Heiligen, gepriesen sei er) dem ehrenvollen Ruf Folge geleistet geleistet habe, und dass er sich stets nur als Vertreter des Gründers der Gemeinde, Herrn Rabbiner Prof. Dr. Marx, betrachten werde. In seiner Schabbosvormittag-Predigt über die Aufgaben eines Führers in Israel, der nicht nur der Gesamtheit, sondern auch jedem einzelnen zur Seite stehen sollte, entwickelte der neue Raw in zündenden Worten sein Programm. Gemäß einem seiner Hauptziele, dem
Limmud hatauro (Toralernen) eine neue Stätte zu schaffen, hielt Rabbiner Dr. Merzbach dann vor Mincho
(Mittagsgebet) einen halachischen Vortrag vor zahlreichem Publikum. Möge seine Tätigkeit, die er inzwischen mit der Ausgestaltung des Schiurim- und Schulwesens und der Sorge für die Landgemeinden begonnen hat hat, den langverwaisten
Kehillaus (= jüdischen Gemeinden) neue Kraft bringen!" |
Zum Tod von Rabbiner Dr.
Lehmann Marx (1925)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. Oktober 1925: "Rabbiner Professor Dr. Marx - das
Andenken an den Gerechten ist zum Segen - Darmstadt, 26. Oktober.
Am Donnerstag, den 23. Oktober, verstarb in Darmstadt Rabbiner Professor Dr. Marx
im vierundachtzigsten Lebensjahre. Einer der ältesten Rabbiner und geistigen Führer des gesetzestreuen Judentums in Deutschland scheidet mit ihm aus einem reichen Leben für
Tora und Wahrheit (Religion). Wir müssen uns leider versagen, die Verdienste des verstorbenen
Rabbiners in einem ganzen Menschenalter segensvoller Wirksamkeit zu schildern, da er sich letztwillig jedweden Nachruf in Wort und Schrift verbeten hat. Sein Andenken wird in seinen Werken fortleben.
Das Andenken an den Gerechten ist zum Segen." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 5.
November 1925:
"Für die überaus zahlreichen Beweise herzlicher Anteilnahme bei dem
Heimgange unseres lieben HERRN
Rabbiner Prof. Dr. K. Marx - das Andenken an den Gerechten ist zum
Segen -
sprechen wir auf diesem Wege unseren innigsten Dank aus.
Frau Rabbiner Prof. Dr. Marx.
Berlin, den 30. Oktober 1925. Darmstadt, Halberstadt, Frankfurt
a.M." |
Verlobungsanzeige von Rabbiner Dr. Julius Merzbach und Helene Kober (1926)
Anzeige
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 11. März
1926: "Gott sei gepriesen
Helene Kober - Rabbiner Dr. Julius Merzbach
Verlobte.
Breslau Königsplatz
5
Darmstadt Grafenstraße 12." |
Abschiedsfest (Tora-Fest) für Rabbiner Moses Wassermann
(1930)
Anmerkung: nach gut jüdischer Tradition wurde ein Sijum gefeiert,
wenn eine Gruppe der Gemeinde (z.B. Talmud-Tora-Verein) einen oder mehrere
Traktate des Talmud u.ä. "fertiggelernt" hatte. Im unten berichteten
Fall waren in der Gemeinde alle 60 beziehungsweise 63 Mischnatraktate (in sechs
Ordnungen) studiert worden (siehe Wikipedia-Artike
Liste der Mischnatraktate). Der letzte Tratat Ukzin (Ukwim) war nun fertig
gelernt, daher konnte ein Fest (Sijum) gefeiert werden, das zusammengefallen ist
mit dem Abschied von Rabbiner Wassermann, der einen Ruf nach Breslau bekommen
hatte.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 30. April 1931: "Darmstadt, 1. Mai. Am Sonntag, 26. April, hatten die
Gottesfürchtigen (= orthodoxen Juden) in der hessischen Landeshauptstadt Gelegenheit, ein schönes Fest zu Ehren der
Tora zu feiern. Und sie machten von dieser Gelegenheit reichen Gebrauch. Etwa 120 Herren hatten sich im Saale der
'Stadt Frankfurt' zum Sijum (= Abschluss einer Reihe von
Lernstunden zu einem bestimmten Text) zusammengefunden über schischa
sidrei mischna (sechs Ordnungen der Mischna). War doch dieses Tora-Fest zugleich das Abschiedsfest für den einem ehrenvollen Rufe nach Breslau folgenden
Herrn Rabbiner Wassermann - sein Licht leuchte. In langjähriger Arbeit war es gelungen, die
schischa sidrei mischna (sechs Ordnungen der Mischnah) zu Ende zu lernen. Bereits von Herrn
Rabbiner Dr. M. Marx - das Gedenken an den Gerechten ist zum
Segen - begonnen, von Rabbiner Dr. Nathan Kahn - das
Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - fortgesetzt, kamen täglich 1-2
Minjamim (Minjan = 10 Männer) unter Leitung von Herrn Rabbiner Wassermann
- sein Licht leuchte - zum Mischnajoslernen zusammen. Die Sijum-Feier begann mit dem Vortrag der drei letzten
Abschnitte von (Mischna-Traktat) Ukzin durch Rabbiner Wassermann. Das Wort des
Rabbi Jehoschua ben Lewi in der letzten Mischna 'die Zukunft des
Ewigen...' gab dem Vortragenden Anlass, sich über das Wesen des Gerechten in jüdischer Auffassung, sowie der Ausspruch des
Raw Schimon... sich über den Schalom (Frieden) als das geeignete Gefäß für
Israel in eingehenden Ausführungen auszulassen. Es war eine herrliche
Derascha (Predigt), mit der Herr Rabbiner Wassermann sein 6 ½ jähriges Wirken in Darmstadt zum
Abschluss brachte.
Herr Eisenheimer, der Vorsitzende der Darmstädter Chewra Talmud
Tora (Talmud-Tora-Verein) ergriff hierauf das Wort zur Begrüßung der Anwesenden. Unter Zugrundelegung des Werkes
Katonti mikol ha-chasadim dankt er Herrn Rabbiner Wassermann für sein unermüdliches Wirken im Dienste der
Tora und für die Tora. Wenn auch Herr Rabbiner Wassermann in einer anderen Stadt seine Arbeit als Lehrer und Künder der
Tora fortsetzen wird, so werden doch in Darmstadt unvergessen bleiben die herrlichen Freitagabende, an denen
der Pentateuch mit (den Erklärungen von) Raschi gelernt wurde, die
Pirkei-Awot (Sprüche der Väter)-Vorträge, der tägliche Gemara-Schiur
vor Alot Haschachar (vor Einbruch der Dämmerung). Der
Talmud-Tora-Verein legt das Gelöbnis ab, den Intentionen seiner Lehrer stets treu zu bleiben und spricht Herrn Rabbiner Wassermann beste Wünsche aus für seine Arbeit in seiner neuen Wirkungsstätte.
Herr Rabbiner Dr. Merzbach - sein Licht leuchte - folgt mit einer groß angelegten Rede, in der er unter Zugrundelegung eines treffenden Midraschwortes zu eifrigem Lernen aufforderte. Es ist uns unmöglich, innerhalb eines gedrängten Berichtes die Gedanken wiederzugeben, die der Redner in seinen Ausführungen
entwickelte. 'Im Lernen der Tora werden Menschen geschaffen, Charaktere
gebildet.' 'Der Gerechte schafft Welten'. Der Redner spricht Worte der Erinnerung an den verstorbenen
Rabbiner der Darmstädter jüdischen Gemeinde, Herrn Dr. M. Marx
- das Andenken an den Verstorben ist zum Segen, der den Mischna-Schiur begründet und begonnen. Hierauf wendet sich Herr Rabbiner Dr. Merzbach zu seinem
scheidenden Kollegen und richtet an ihn im Namen jüdischen Gemeinde und in eigenem Namen Worte des Abschieds. Er dankt ihm, mit dem er in voller Harmonie Schulter an Schulter gearbeitet, für sein für die
Tora geleistetes Wirken.
Herr Freitag überreicht Herrn Rabbiner Wassermann eine von der Gemeinde gewidmete silberne Lederschale als Zeichen der Erinnerung an seine Darmstädter Tätigkeit, ebenso dankt der Vorsitzende der
Chewra Kadischa (= Wohltätigkeitsverein), Herr Bär, für die von Herrn Rabbiner Wassermann für die Mitglieder der
Chewra eingerichteten Schiurim (Lernstunden).
Es folgt Herr Diamant mit einer Rede, die manches gute Tora-Wort enthielt.
Herr Kaufmann, Sprendlingen, dankt
Herrn Rabbiner Wassermann für die den Lehrern des Bezirks erteilten Schiurim
(Lernstunden), wie auch im Namen der Landgemeinden, denen der Herr Rabbiner seine Fürsorge zugewandt.
Herr Ehrenfeld spricht in wohlgesetzter Rede über den allerorts auch in den deutschen Gemeinden erstarkenden
Tora-Geist und den Willen, Tora zu lernen. Herr Lehrer Wahrhaftig
– Darmstadt fordert diejenigen auf, deren berufliche Inanspruchnahme es ihnen unmöglich macht, selbst zu lernen, durch Stärkung und Unterstützung der
Tora-Institutionen Unterstützer der Tora zu sein und richtet seinerseits herzliche Abschiedsworte an den scheidenden Rabbiner.
Hier ist der Berichterstatter leider genötigt, seinen Bericht zu schließen, denn er gehörte zu den auswärtigen Gästen und er musste eilen, um noch den letzten Zug zu erreichen, der ihn dem heimischen Gestade zuführte."
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Simon Schwab wird Rabbinatsassessor der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1931)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 28. Mai 1931: "Darmstadt, 26. Mai (1931). An Stelle
des Herrn Rabbiner Wassermann, der als Dajan nach Breslau berufen wurde,
wurde Herr Simon Schwab als Rabbinatsassessor der hiesigen
Religionsgesellschaft gewählt. Herr Simon Schwab, Sohn des Herrn
Leopold Schwab in Frankfurt am Main, ehemaliger Schüler der Samson
Raphael-Hirsch-Schule, besuchte nach Absolvierung der Schule eine Zeit
lang die Frankfurter Breuer'sche Jeschiwa und widmete sich dann fünf
Jahre lang ununterbrochen dem intensiven Thorastudium an den Jeschiwos in
Telsch (Telč, Tschechien) und Mir (Weißrussland). Eine kurze Zeit
betätigte er sich auch als Dozent an der Jeschiwo zu Montreux. Wir
wünschen dem jungen Gelehrten, der auch in Frankfurt bei mannigfacher
Gelegenheit Proben seines Könnens und reichen Torawissens gegeben hat,
von Herzen Glück für seine Amtstätigkeit." |
Aus dem jüdischen Gemeinde- und
Vereinsleben
20-jähriges Jubiläum des
"Talmud-Thora-Vereins"
der Israelitischen Religionsgesellschaft (1892)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 21. Januar 1892: "Darmstadt. In der heutigen Zeit, wo man an manchen Orten durch den Verfall des religiösen Lebens in Gemeinde und Schule wieder die dringende
Notwendigkeit eines Besserung und einer Wiedereinführung der althergebrachten Kultusverhältnisse betont, verdienen solche Kooperationen, welche schon seit vielen Jahren die Grundpfeiler der jüdischen Orthodoxie, die Zierden der jüdischen Gemeinden bilden, um so mehr der lobenden Erwähnung.
Zu diesen zählt auch der 'Talmud Torah-Verein' der hiesigen Israelitischen Religionsgesellschaft, welcher die hohe Aufgabe
Verbreiter der Tora zu sein, einerseits durch eifriges Studium der heiligen Lehre, andererseits durch
tatkräftige Unterstützung jüdischer Unterrichtsanstalten und strebsamer junger Leute, welche sich dem gleichen Ziele widmen, zu lösen bestrebt ist. Dass das Interesse für diese heilige Aufgabe bei allen Mitgliedern noch mehr als je ein ungemein reges ist, davon legte der Abend des verflossenen Sonntag
(3. Tag des Chanukkafestes), an welchem der Verein das Fest seines
20-jährigen Bestehens beging, ein beredtes Zeugnis ab.
Nach Verlesung des Jahresberichtes ergriff Seiner Ehrwürden Rabbiner Dr. Marx, der hochverehrte Gründer und das verdienstvolle Ehrenmitglied unseres Vereins, das Wort, um unter Zugrundelegung
einer Midrasch-Stelle ... die Bedeutung des Vereins und seine Aufgabe zu kennzeichnen. In
geistvoller Weise schilderte Herr Rabbiner das Wesen des wahren Zedaka
(Wohltätigkeit) welche sich sowohl als materielle Wohltätigkeit (sc.
durch Spenden), als auch als geistige Wohltätigkeit äußert. Ersprießlicher und segensreicher wirkt die
geistige Wohltätigkeit, die Wohltätigkeit vermittelt durch den Geist, deren
Tätigkeit nie begrenzt oder beschränkt wird, durch welche unser Glaube gestärkt und und gefestigt wird, durch welche jeder Einzelne, ohne Unterschied des Standes und Vermögens sich reiches Verdienst um die Verbreitung jüdischen Denkens und Wissens erwerben kann, durch welche das kleinste Haus in Israel zu einem
kleinen Heiligtum geschaffen wird, wenn der Vater seinem noch lallenden Kinde die Worte:
'Mose hat uns die (Einhaltung der) Tora befohlen' einprägt, während der
materiellen Wohltätigkeit, dem 'Wohl tun' mit Geld und Gut, sowohl in materieller, als auch in temporärer Beziehung endliche Schranken gesetzt sind. Alle Kräfte und Mittel der selbstlosen
Betätigung einer geistigen Wohltätigkeit zu weihen, darin bestehe die erhabene Aufgabe unseres Vereins, welcher nicht nur durch eifrige Pflege des Thorastudiums derselben gerecht werde, sondern auch durch die Gewährung finanzieller Mittel, die in der idealen Anlage zu Gunsten der Verbreitung religiösen Wissens wiederum in den Dienst einer
geistigen Wohltätigkeit treten.
Welch' mächtigen Wiederhall die trefflichen Ausführungen des Herrn Rabbiners in den Herzen der
Festteilnehmer erregten, bewies der allseitige Wetteifer, welcher sich in der
Verteilung der Stipendien in der beträchtlichen Summe von nahezu 700
Mark, sowie in dem Interesse an dem wackeren Streben, der mit denselben bedachten jungen
Leuten, bekundete.
Doch auch dem Wunsche aller Mitglieder, durch eigenes, eifriges Streben im
Torastudium der idealen Aufgabe auch ferner gerecht zu werden, gab Herr Kantor Lebermann Ausdruck, indem er, von der
Notwendigkeit des bestmöglichen Ausbildung der religiösen Anlage ausgehend, dem Vereine empfahl, sein Programm durch Förderung der jüdischen Religionsschule, sowie durch die Sorge für die religiöse Fortbildung jener zahlreichen jungen Leute, welche der Schule entwachsen und in die Lehre zur Vorbereitung für den künftigen Beruf übergetreten sind, zu erweitern. Nur dadurch wird das religiöse Bewusstsein, dessen gewaltige Macht und hohe Bedeutung die
Chanukka-Tage so herrlich dokumentieren, wieder das feste Bollwerk für den Bestand unseres unveränderten, unverfälschten Ritus, und nur dadurch wird die künftige Generation gewappnet zum Kampf gegen innere und äußere Feinde. – Die Notwendigkeit der von dem Redner Redner betonten Forderungen wurde allgemein anerkannt und von
Herr Rabbiner Dr. Marx eifrigst befürwortet. Die demnächst unternommenen Schritte zu deren Verwirklichung werden beweisen, dass es dem Verein ernst ist mit der Erweiterung und unentwegten Verfolgung seiner Aufgaben.
Bis in die späte Nachtstunde vereinigte ein solennes Festmahl alle Mitglieder, und als man sich trennte, gaben sich die Eindrücke des wohlgelungenen Festes in dem allgemeinen Vorsatze kund, der Sache des Vereins neue Anhänger und Gönner zuführen zu wollen, damit derselbe unter Gottes förderndem Beistande noch mehr erblühe und erstarke zur Erhaltung eines echt jüdischen Lebens in unserer Gemeinde, zur Pflege eifrigen Strebens im Studium der heiligen Lehre, sowie zur
Betätigung und Verbreitung wahrer Humanität." |
25-jähriges Jubiläum des Talmud-Thora-Vereins
(1896)
Artikel
in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 26. November 1896: "Darmstadt,
Ende Nov. Es war ein wahrhaft erhabenes Fest, unter dessen Eindruck ich
diesen Bericht abfasse. Die frohen Momente, welche die hiesige
Religionsgesellschaft in dankbarer Erinnerung an das verdienstvolle Wirken
des Rabbiners, Herrn Dr. Marx in der letzten Zeit feierte, fanden am Sonntag,
den 8. November ihren Abschluss durch das 25-jährige Jubiläum das
Talmud-Tora-Vereins. Gestaltete sich dasselbe an und für sich zu einem
denkwürdigen Feste, so wurden dessen Bedeutung wesentlich erhöht, als
sich damit die Feier des 25-jährigen Amtsjubiläums des Vereinsgründers,
unseres verehrten Herr Rabbiner Dr. Marx - sein Licht leuchte -
verband.
Eine zahlreiche Versammlung von Mitgliedern und Freunden des Vereins nebst
ihren Familien hatte sich im Schulhause der Israelitischen
Religionsgesellschaft eingefunden. Nach 6 Uhr erschien Seiner Ehrwürden
Herr Rabbiner, geleitet von dem Vorstand des Vereins und vom Synagogenchor
mit den Klängen des Baruch haba begrüßt. Nach Vortrag eines
stimmungsvollen Prologs durch den Verfasser, Herr stud. Sally Lehmann,
gedachte der Vorsitzende des Vereins, Herr J. Lehmann in ehrenden,
anerkennenden Worten der Verdienste des Herrn Rabbiners unter Überreichung
einer kunstvoll ausgestatteten Adresse. Während der Verlesung wurde das
Geschenk des Vereins, ein Portrait des Herrn Rabbiner enthüllt, welches
durch seine echt künstlerische Ausführung die Bewunderung alle
Anwesenden erregte. Hierauf erhob sich der Herr Rabbiner, um in
ergreifender Rede seinen Dank für die ihm bereitete Ovation
auszusprechen. – Beklemmung, so führte der verehrte Redner aus, müsse
angesichts einer solchen Feier eines Menschen Herz erfüllen, bei dem
Gedanken an den Wechsel der Gesinnungen, heute vielleicht gefeiert und
morgen gelästert zu werden. Jedoch sei er in die glückliche Lage
versetzt, diese Feier nicht auf sich zu beziehen, sondern dieselbe mit
begehen zu dürfen. Jedes Lob weise er entschieden zurück, nicht neu
geschaffen habe er vor 25 Jahren, sondern nur geweckt, was schon längst
in edlem Keim in den für Tora begeisterten Herzen schlummerte. In
ausführlicher Weise entwarf hierauf der Herr Rabbiner ein Bild von der
Geschichte des Vereins, seiner segensreichen Wirksamkeit zur Belebung und Erhaltung
der Tora- Forschung, durch eigenes Studium seiner Mitglieder. Sowie
durch Unterstützung der in ihrem Dienste wirkenden Lehrer, Anstalten und
Jünger. Unter Zugrundelegung einer geistvollen Erklärung der Bibelstelle
(1. Mose 29,2): 'Und er schaute hin und siehe, ein Brunnen war auf dem
Felde, und siehe, daselbst waren drei Schafherden, gelagert neben
demselben' würdigte er die Bedeutung des Vereins für das Judentum,
zugleich die Zielpunkte beleuchtend, welches für sein ferneres
fortschreitendes Wirken maßgebend sein sollen. Das Geschenk selbst müsse
er, weil der Verein einmal diese Art der Ehrung gewählt habe, annehmen,
er könne sich doch nicht selbst ablehnen. Aber mit Dank und Freude erfülle
es ihn, wenn die Spender dadurch die Absicht bekunden wollten, ihm stets
zu folgen und mit ihm das Wohlergehen des Vereins kräftigst zu fördern.
Nachdem der Vorsitzende dem verehrten Redner gedankt und ein dreifaches
Hoch auf den Herrn Rabbiner ausgebracht hatte, begaben sich die Mitglieder
des Vereins mit ihren Frauen, sowie den geladenen Ehrengästen in die Aula
des Schulhauses zum zweiten Teile der Feier.
Dort entwickelte sich bei köstlichem Mahle, animierter Stimmung, verschönert
durch musikalische Darbietungen und Vorträge des Synagogenchors ein gemütliches
Leben, welchem wieder der treffliche Toast des verehrten Herrn Rabbiners
lichtvollen Schwung verlieh.
Von der Erzählung der letzten Sidre von den drei Brunnen, welche Jizchak
gegraben hatte, ausgehend, beleuchtete er dieselbe exegetisch, sowohl nach
der Erklärung des Ramban (= Nachmanides) als auch nach ihrer
Anwendung auf die drei besonderen Kriterien des Judentums vor den übrigen
Religionen. Im Bunde mit denselben und deren segensreichen Einfluss werde
der Verein sicherlich kein unwichtiges Glied bilden, wenn er seine
Aufgaben immer mehr ausbaue und fördere.
|
Noch manche launige Vorträge folgten, den festlichen Humor steigernd. Wir erwähnen nur die festlichen Toaste der
Herren H. Bodenheimer, J. Lehmann und A. Mainzer, sowie das gelungene Tischlied des Herrn stud. Sally Lehmann.
Herr Kantor Lebermann gab unter dem Eindrucke des zeitlichen Zusammenfallens der Feier mit der
Sidre Toledot (= Toraabschnitt 1. Mose 25,19 - 28,9, war der
Abschnitt für die Woche ab dem 7. November 1896) eine vergleichende Betrachtung zwischen dem Entwicklungsgang des Vereins und der Familiengeschichte des Patriarchen
Jizchak. Auch der Monat unseres Festes Kislew, in welchem ebenfalls die Zahl 25 ihre Verherrlichung finde, sei für den Verein ein bedeutsamer Hinweis, wie derselbe in seinen Prinzipien und Bestrebungen ein Mttel besitze, um auch mit wenigen Leuten in der heutigen Zeit gegen Unglauben und Neuerungssucht wirksam ankämpfen zu können.
Ein Levi sei gleichsam der Verein im Dienste seiner heiligen Aufgabe und gleich dem
Levi, dessen Dienst erst im 25. Jahre begonnen habe, möge derselbe nach jetzt erst ebenfalls zurückgelegtem 25. Lebensjahr in allseitig aktiver Weise sein Ziel erstreben, lernen, lehren, schaffen und unterstützen, in
Tora, mit Tora und für Tora.
Nicht unerwähnt mögen ferner zwei um den Verein verdiente Herren bleiben, von welchen der eine,
Herr J. Lehmann, der eifrig strebende Vorsitzende des Vereins, in gewohnter opferfreudiger Weise zum Gelingen des schönen Festes hervorragend beitrug, und dessen Verdienste, um jüdische Lehre und jüdisches Leben von
Seiner Ehrwürden Herrn Rabbiner Dr. Marx in gebührend sinniger Weise geehrte wurden, während ein anderer Gönner des Vereins – anonym – zur pietätvollen Erinnerung an dies Jubiläum einen prachtvollen Becher stiftete, welcher in kunstvoller Gravierung die Namen aller Mitglieder des Vereins seit dessen Gründung enthält.
Das Fest selbst wird ein denkwürdiges in der Geschichte des Vereins bleiben und durch alle Zeiten die Wahrheit verkünden, dass einiges, begeistertes Streben gegenseitig adelt,
Tora verbreitet durch Lehre und Leben, aber auch Hingebung weckt und den
Opfermut entflammt in den Herzen ihrer Jünger." |
Vorstellung
gegen den Gesetzentwurf betr. die Verfassung und Verwaltung der israelitischen
Religionsgemeinden (1906)
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 30. November
1906: "Darmstadt. Die Rabbiner und Vorsteher der israelitischen Religionsgesellschaften
Darmstadt, Mainz, Gießen und
Bingen haben der Kammer eine Vorstellung gegen den Gesetzentwurf betr. die Verfassung und Verwaltung der israelitischen Religionsgemeinschaften übergeben. Diese Petition ersucht die Kammer, den Regierungsentwurf in seiner jetzigen Form abzulehnen. Und zwar mit der Begründung, dass der Entwurf, wenn er Gesetz werden sollte,
'das bestehende Gute in Gesetzgebung und Verordnung aufheben, das in dem neuen Gesetz Gebotene aber zur Knechtung der Gewissen und zu schwerer Gefährdung der Religion führen und einen Zustand schaffen würde, der zum Waffenaustritt aus dem hessischen
Judentum mit zwingender Notwendigkeit drängte.' Bei aller Anerkennung und Dankbarkeit für die guten Absichten der Regierung wiederholen die Petenten die dringende Bitte, diesem Gesetzentwurf, der in der Neuschaffung einer israelitischen Oberbehörde bei Religionsangelegenheiten gipfelt und die Autorität der Rabbiner, selbst den Gemeinden gegenüber, bezüglich
religiöser Fragen untergräbt, in seiner jetzigen Form die Zustimmung zu versagen." |
Spende der Israelitischen Religionsgesellschaft für den
"Blumentag" (1911)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 12.
Mai 1911: "Darmstadt. Die hiesige Israelit. Religionsgesellschaft hat für den Blumentag sechshundert Mark gestiftet, da ihre Mitglieder am Sabbat, an dem der Blumentag abgehalten wird, kein Geld ausgeben." |
Über die Idee des
"Blumentages" siehe Wikipedia-Artikel "Blumentag" |
Dr.
med. Bodenheimer, Karl Lehmann und Siegmund May werden in den Vorstand der
Israelitischen Religionsgesellschaft gewählt (1913)
Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt"
vom 3. Januar 1913: "Darmstadt. In der am 25. dieses Monats
stattgehabten Generalversammlung der Israelitischen
Religionsgesellschaft wurden Dr. med. Bodenheimer, Karl Lehmann,
Siegm. May einstimmig in den Vorstand
gewählt". |
Tagung des hessischen Landesverbandes gesetzestreuer
Synagogengemeinden (1928)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. August 1928:
"Tagung des hessischen Landesverbandes gesetzestreuer Synagogengemeinden.
Es war ein schöner Sonntag, Draußen wehten die Fahnen. In Frankfurt marschierten Hunderttausende auf, um sich mit Sang und klang zur Fahne und zum Benner der Republik zu bekennen. Da versammelten sich im bescheidenen
Concordia-Saal zu Darmstadt die Gesinnungsfreunde im Hessischen gesetzestreuen Landesverbande
zu einer Manifestation für das Banner von Thora und Emunah, zu einem Gelöbnis für die
Verfassung, die Gott selbst am Sinai seinem Volke gegeben und auf deren Grundlage allein
Völker mit ihren Verfassungen, Gesetzen und politischen Bekenntnissen gedeihen können. Es war keine allzu große Schar, die da im stillen Saal versammelt war, aber treu zur heiligen Sache steht jeder von denen, die gekommen sind und die vielen, die aus irgend einem Grunde nicht kommen konnten, aber im Geiste dabei waren. Viele Lehrer aus Mittel- und Landgemeinden des
Hessenlandes sah man dabei, viele Gemeindevorsteher und auch sonst Männer von Tat und Verdienst, die auf ihren Posten ehrlich bestrebt sind, der geistigen Not auf dem Lande zu steuern. In der Art, wie mancher Lehrer und mancher Vorsteher in der Diskussion den Niedergang der Landgemeinde
nicht zugibt, einfach nicht gelten lässt, liegt Kraft, liegt der Wunsch und das Bestreben diese Befürchtung
nicht wahr zu machen. Und dieser Wille ist schon Weg zum Erfolge.
So ging ein Zug gesunden jüdischen Optimismus durch die Verhandlungen von Anfang bis zum Ende; und – nehmen wir es gleich vorweg – ein ehrlicher
Friedenswille. Hessen hat noch einen zweiten, liberalen, oder sagen wir genauer,
neutralen Verband, der von Mainz aus geleitet wird. Der ältere Darmstädter Bruder ist von Mainz aus, als man dort die Gründung eines zweiten Verbandes für gut hielt, nicht gerade mit der schuldigen Achtung behandelt worden.
Später haben die Mainzer wohl ihre Taktik geändert, sind bereit, dem gesetzestreuen Verbande und seinen Gemeinden in religiösen Belangen weit entgegen zu kommen, so dass dem Darmstädter Verbande grundsätzlich ermöglicht wird, mit Mainz bezüglich einer Arbeitsgemeinschaft in außenpolitischen Dingen bis zu einem gewissen Grade zu verhandeln. Freilich, ohne ein Jota vom Programme, dem Thora und Schulchan Aruch zugrunde liegen, aufzugeben, und ohne damit die absolute Unabhängigkeit des
Darmstädter Landesverbands im mindesten zu gefährden. Die in einer gemeinsamen Beratung vom Darmstädter Landesverband eingereichten Entwürfe als Grundlage einer gelegentlichen Zusammenarbeit wurden vom Mainzer Verband
abgelehnt. Zu weiteren Verhandlungen erklärte sich Mainz bereit, und sie sollen unter den oben genannten
Voraussetzungen auch baldigst wieder aufgenommen werden. Der starke Wille zum Frieden auf der Basis
(hebräisch und deutsch:) Wahrheit und Treue, machte sich bei der Verhandlung über diesen Punkt, die ein gut Teil der Aussprache ausfüllte, allgemein in erfreulicher Weise
bemerkbar.
Über die Verhandlungen selbst sei hier zusammenfassend berichtet:
Gegen 11 Uhr eröffnete der Vorsitzende des Landesverbandes, Herr Provinzialrabbiner
Dr. Merzbach, mit einem Schalom-Gruß die Versammlung. An hundert
Delegierte und Teilnehmer, davon 60 von auswärts, waren erschienen. Darauf sprach ein warmes Wort der Begrüßung der um die Gemeinde und den Verband hochverdiente
Sanitätsrat Dr. Bodenheimer im Namen der Israelitischen Religionsgesellschaft zu Darmstadt. Herr
Studienrat Munk aus Frankfurt a. M. überbrachte den Gruß des Bundes gesetzestreuer Lehrer in Deutschland, worauf nun der Vorsitzende nach Verlesung von Begrüßungstelegrammen und Entschuldigungen und nach Wahl des Präsidiums
(Rabbiner Merzbach; Lehrer Kaufmann, Sprendlingen; M.
Mayer, Darmstadt; Oppenheim, Michelstadt und Hugo Cahn, Mainz) das Wort zur Erstattung des Geschäftsberichtes ergreifen konnte.
Fragt man nach den Taten des Verbandes, so sei gesagt, dass schon die Idee des Verbandes eine Tat ist. Sie sagt: kein
Judentum ohne Thora! Diese Parole macht das Wesen der Organisation aus. Aber es wurde auch Arbeit im Einzelnen entfaltet und Erfolge sind zu verzeichnen. Der Verband umfasst z. Zt. 41 Gemeinden, zwei sind im Berichtsjahre neu hinzugekommen, andere haben ihren Beitritt in Aussicht gestellt. Nach und nach
dringt bei den Frommen die Erkenntnis durch, dass eine Zugehörigkeit zu einem gesetztreuen Verbande eine Lebensnotwendigkeit der Gemeinde sei. Der Verband fühlt sich innig verbunden mit den großen gesetzestreuen Organisationen, so mit dem Halberstädter Bund, dem Keren Hatora, der orthodoxen Presse und ihm führenden Organ, dem
'Israelit'. Der Vorsitzende teilt mit, dass seit einiger Zeit der Verband ein eigenes, monatlich erscheinendes Organ besitzt, in der Form einer Beilage zu der
'Deutsch-Israelischen Zeitung, Laubhütte', mit der ein Abkommen getroffen werden konnte, dass sich den geringen, finanziellen Mitteln des Verbandes anpasst. Erfolge hat der Verband im Berichtsjahr zu verzeichnen auf dem
Gebiete der Sabbatheiligung. Es wurde bewirkt, dass Kinder vom Schulunterricht am Sabbat in Hessen befreit werden können. Die Errichtung einer
Stellenvermittlung sei geplant und in die Wege geleitet, Lehrerschiurim wurden hie und da eingerichtet, Subventionen und Stipendien im Rahmen des Möglichen erteilt. Auf Erreichung eines
Staatszuschusses für die Lehrer muss noch energisch hingearbeitet werden. Überhaupt habe der Verband sein Augenmerk auf die Besserstellung der Lehrer, von denen Bestand und Zukunft der kleinen Gemeinde abhängen, gerichtet. Die finanzielle Lage in den Gemeinden sei oft schwierig, dieses sollte erst recht ein Grund für die Gemeinden sein, den Anschluss an den Verband zu suchen, der nicht allein Opfer verlangt, sondern auch Hilfe reicht. Die Einnahmen des Verbandes betrugen
insgesamt Mark 3439.70, die bis auf einen Rest von Mark 400.- für seine Zwecke verausgabt wurden. Interventionen bei der Regierung hat der Verband wiederholt in
Steuersachen unternommen, auch zur Abwehr einer Majorisierung von liberaler Seite. Das Austrittsgesetz, dessen Abschaffung die Selbstständigkeit der gesetzestreuen Gemeinden gefährden würde, musste verteidigt werden. In Sachen der
Schechita ist in Verbindung mit den zuständigen Instanzen im Reiche manches geschehen. In zwei Fällen konnten
alte jüdische Friedhöfe, die der Vernichtung anheim fallen sollten, gerettet werden, in einem
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Falle handelte es sich um eine Gemeinde, die nicht Mitglied im gesetzestreuen Verbandes ist. Für sabbathaltende
Metzger konnte eine Milderung des Sonntagsruhegesetzes bewirkt werden. Der Redner berichtete im Ferneren über die Verhandlungen mit dem
Mainzer Verbande, die noch nicht abgeschlossen sind und ein friedliches Nebeneinander versprechen.
Herr Kaufmann, Sprendlingen, übernimmt den Vorsitz und leitet die Diskussion ein, an der sich die
Herren Dr. Schlesinger und Hugo Cahn, Mainz,
Lehrer Simon, Pfungstadt, Lehrer
Spier, Groß-Zimmern, Knoller,
Bensheim, Lehrer Saffra, Crumstadt,
Dawid, Reichelsheim u.v.a. beteiligten. Es entwickelt sich eine rege und anregende Aussprache über die Interessen des Verbandes, der Gemeinden und der Lehrer. Es wird gefragt, ob nicht im Interesse der
Zentralisation ratsamer wäre, die geplante Stellenvermittlung im Einvernehmen mit den nach dieser Richtung heute energisch arbeitenden Organisationen im Reiche zur Ausführung zu bringen. Zum lebhaften Ausdrucke kommen Meinungen für und wider das monatliche Verbandsorgan als Beilage zur
'Laubhütte'. Es wird nach sachlichen Angaben des Herrn Hugo Cahn angeregt und gefordert, mit Mainz weitere Verhandlungen und Beratungen zu pflegen. Es werden auch Meinungen geäußert und
Anregungen gemacht, wie die so genannten neutralen Gemeinden, die noch keinem
Verband angehören, zu gewinnen seien. Manche glauben, dieses vorsichtige Abwarten mit finanziellen Rücksichten zu erklären, andere wiederum weisen nach, wie nötig es für die Gemeinden wäre, gerade
unter finanziellen Gesichtspunkten sich dem Darmstädter Verband anzuschließen.
Es wird dann dem Vorstand Entlastung erteilt, seine Tätigkeit und seine Arbeitsdevise für die Zukunft gutgeheißen. Eine Revolution betreffend die weiteren Verhandlungen mit Mainz wird in einem Wortlaute, der über
die Schaffung von Sicherungen für die Unabhängigkeit des Darmstädter Verbandes keinen Zweifel lässt, einstimmig
angenommen, ebenso der Etat, der den Beitrag der Gemeinden auf 2 ½ Proz. Ihrer Steuereinnahmen festsetzt.
Die Vorstandsersatzwahl ergibt die Wiederwahl der Herren Knoller, Bensheim und
Oppenheim, Michelstadt. Anstelle des zurückgetretenen Herrn
Lebermann ist vom Lehrervereine Herr Simon, Pfungstadt, in den Vorstand delegiert. Neugewählt wird
Herr Frohmann, Reinheim. Der durch Austritt des
Herrn Fröhlich, Gießen vakant gewordenen Vorstandssitz soll der Gießener Religionsgesellschaft freigehalten bleiben.
Gegen ein Uhr konnte die Verbandstagung vom Vorsitzenden geschlossen werden. Aus der Mitte der Versammlung wird dem Präsidium Dank für die Leitung ausgesprochen.
Darauf versammelten sich die Anwesenden zu einem gemeinsamen Essen, das schon den Namen
Festessen verdient, zumal dasselbe von zum Teil ausgezeichneten und geistvollen Reden gewürzt war.
Mit tieferen Thoraworten eröffnete Herr Rechtsanwalt Wassermann den Reigen der Ansprachen. Als recht liebenswürdiger Wirt begrüßte
Herr M. Mayer die Festgäste, insbesondere die Lehrer als treue Mitarbeiter. Mit gutem Humor charakterisierte Herr
Hugo Cahn, Mainz, die starken – und auch schwachen – Seiten des Verbandes. Herr
Lehrer Kaufmann, Sprendlingen, erwiderte mit launigen und ernsten Worten auf die von Herrn Mayer den Lehrern gemachten Komplimente.
Herr Kollin, Gemeindevorsteher in Gräfenhausen, erfrischte die Versammlung mit einigen kräftigen Wendungen, die sich gegen die Annahme richteten, als seien die Landgemeinden, insbesondere die lehrerlosen Gemeinden, auf dem Aussterbeetat. Schöne Worte in Anknüpfung an den Wochenabschnitt bekam man noch von
Herrn Rothschild, Pfungstadt zu hören. Herr
Redakteur Schachnowitz, Frankfurt a. M., sprach als Gast und Vertreter der Presse. Herr
Rabbiner Dr. Merzbach unterhielt die Gäste mit einer gedankenvollen Tischrede über den
'Kampf zwischen Schwarz und Weiß'. Man musste mit dem Benschen die Tafel beschließen, da inzwischen die für das Referat des Prov.-Rabb. Dr. L. Cahn, Fulda angesetzte Stunde fällig geworden war.
Herr Provinzial-Rabbiner Dr. Leo Cahn, Fulda, referierte über das Thema:'Der Einzelne als Zelle seiner
Gemeinde'.
Referent ging davon aus, dass die gesamte Wirksamkeit einer Gemeinde letzten Endes oder besser ursprünglich auf dem Wirken des Einzelnen beruhe, dass es von jedem Mitglied in einer Gemeinde in Stadt und Land, vornehmlich aber auf dem Lande abhänge, was seine Gemeinde in jüdischer Hinsicht leiste und bedeute. Die Leistung des Einzelnen werde dann gewertet, wenn er sich nur mit der ganzen Persönlichkeit für die Sache einsetze. Redner geht in der Folge ausführlich auf die
brechat ahawah rabah ein und erklärt den dreimal hintereinander vorkommenden Begriff des
rachamim. Er sagt, keine jüdische Tagung, keine jüdische Veranstaltung oder Äußerung jüdischen Geisteslebens sei denkbar, ohne dass
Tora im Lichtpunkte des ganzen stehe. und er erhelle unsere
Augen mit deiner Tora.
Kein geringerer als der Rambam (Nachmanides) hat darauf hingewiesen, dass kein Alter, kein Stand, keine Gesundheitslage den jüdischen Menschen der Verpflichtung enthebe, Tauroh
(Tora) zu lernen und und für Limud Tauroh (Torastudium) zu sorgen. Ganz besonders müsse man alle Sorgfalt dem Lernen der Kinder zuwenden, es sei heute durch populäre Schriften und Übersetzungen einem Jeden ermöglicht, selbst dort, wo ein Lehrer fehle, sich und seinen Kindern jüdisches Wissen zu erhalten und zuzuführen. – Redner beleuchtet an einigen Beispielen aus der Praxis der ihm vorgelegenen Anfragen aus jüngster Zeit das krasse
Am-hooreztum und seine erschreckenden Folgen, wie die Hingabe von Orloh-Früchten an Kauhanim
(Kohanim), das Tauweln an der Wasserleitung (sc. das unerlaubte
rituelle Reinigen von Geschirr an der Wasserleitung statt an einer Quelle
oder Mikwe mit 'lebendigem' Wasser), das Verschieben von Leichenbegängnissen u. a. m. Die unjüdische Einstellung, die vielerorts als Folge des Nichtlernens und des Mangels an jüdischer
Betätigung zutage trete, zeitige die unglaublichsten Folgeerscheinungen, was soll man z. B. dazu sagen, wenn ein Vater voller Freude und stolz ausrufe:
'Sieht mein Junge nicht ganz unjüdisch aus!' Redner führt weiter aus, wie es in solchen Gemeinden aussähe, wo gar nichts mehr gelernt werde. – Redner erzählt in ergreifender Weise aus der Zeit der Helden und Heiligen unseres Volkes, die
'mekadesch haschem' (= Heiliger des Gottesnamens) waren und gibt Einzelheiten aus dem Leben seines Vaters, des unvergesslichen Fuldaer Raw
- das Andenken an den Gerechten ist zum Segen - die geeignet sind,
darzutun, wie nur der Erfolge für den Klall (Gesamtheit des
Volkes) erzielen kann, der mit ganzem Herzen und ganzes Seele für Tauroh
(Tora) und Jiroh (Gottesfurcht), für alle Anliegen von Klall Jisroel
(= das ganze jüdische Volk) einsetzt. – In Gegensatz dazu stellt er eine Äußerung im Artikel der Jüdisch-Liberalen Zeitung, die als den größten Propheten des Judentums – den Stifter der christlichen Religion bezeichnet: von solcher Auffassung und ihren Vertretern trennen uns Welten. – Dafür, wie der Einzelne für sein ganzes Zeitalter zu wirken vermöge,
führte der Referent Beispiele aus der Geschichte an und feuerte die Anwesenden an, dass jeder an seiner Stelle und in seiner Gemeinde für den Gedanken des gesetzestreuen Verbandes, für
Tauroh und Mizmaus (Tora und Gebote) wirke und werbe, die
Furcht vor dem Ewigen ist sein Schatz (Jesaja 33,6).
Das Referat fand dankbaren Beifall und damit fand die Verbandstagung ihren harmonischen Ausklang. Möge sie neuer Ansporn sein zu frischer Tat für
Tora und Religion in Stadt und Land!" |
Vortrag von Wolf Jacobsohn (Hamburg) über "Die
Zukunft des gesetzestreuen Judentums"
(1929)
Anmerkung: Zur Agudas Jisroel-Gruppe siehe Wikipedia-Artikel
Agudat Jisra'el
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 7. März 1929: "Darmstadt. Am Sonntagabend, 24. Februar, sprach hier vor zahlreichem Publikum
Herr Wolf Jacobson aus Hamburg. Das Referat 'Die Zukunft des gesetztreuen
Judentums' hatte auch Gäste von auswärts angelockt. Dieses Mal sprach Herr Wolf Jacobson nicht für seine Lieblingsarbeit, den
'Herren Harorah', sondern für die Propagierung des 'Kenessio
Gedaulo-Gedankens', verbunden mit der besonderen Tendenz, die hiesige
Agudas Jisroelgruppe zu neuem Leben zu erwecken. Anschließend an das Talmudwort, dass vier Menschenklassen schon bei Lebzeiten als tot gelten, zeigte der
Redner in prachtvoller Weise die Aufgabe des lebendig-strebenden Jehudi und die Ziele des
Agudas Jisroel. Mit Begeisterung und innerer Anteilnahme folgten wir alle den inhaltsreichen schönen Worten und Gedanken dieser verdienstvollen Persönlichkeit, deren sympathisches und frohes Wesen den Eindruck der rede stark erhöhten. – Es
folgten dem Vortrag kurze, aber schöne Ausführungen der Herren Rabbiner Dr. Merzbach und
Rabbiner Wassermann, die die Notwendigkeit und Möglichkeit zum Anschluss an den (hebräisch) in verschiedenen Farben beleuchteten. Herr Lehrer wahrhaftig betonte, dass sie reorganisierte
Agudas Jisroelgruppe in Darmstadt nicht den Zweck habe, einen Verein mehr inmitten der anderen Vereine darzustellen, sondern das Zugehörigkeitsgefühl des Einzelnen zur jüdischen Gemeinschaft stärken und fördern zu wollen.
Nach kurzer Diskussion wurde der unter dem Vorsitz des Herrn Arthur Dernburg geleitete Vortragsabend in später Abendstunde geschlossen.
Es war ein recht genussreicher Abend, der uns mit Befriedigung erfüllte und in uns allen das alte,
ewig neue Bewusstsein auslöste, dass unsere heilige Tora immer der ewigsprudelnde Quell für ein jüdisches Leben bleibt." |
Sijum des
Talmud-Thora-Vereins
(1929)
Anmerkung: Sijum bedeutet den feierliche begangene Abschluss des Lernens von
bestimmten Lehrinhalten. Nach dem ersten Artikel wurde im Talmud-Tora-Verein
eine Ordnung (Sammlung von Traktaten) der Mischna fertiggelernt, vgl. Wikipedia-Artikel
"Liste der Mischnatraktate". Nach dem zweiten Artikel wurde ein
einzelner Traktat fertiggelernt.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 9. Juli 1929: "Darmstadt, 1. Juli. Vor kurzem versammelten sich im hiesigen Lehrraum eine große Anzahl von Männern, diesmal nicht wie allabendlich zu den
Schiurim (Lernstunden), sondern um einen Sijum auf Michnajot
Seder Kodaschim (Mischna-Traktate der Ordnung Kodaschim) zu feiern, der in schöner Weise vom Talmud Thora-Verein veranstaltet wurde. Nach dem von Herrn
Rabbiner Wassermann, dem Leiter des Schiur, vorgetragenen Schlusslernen, begann die frohe
Sijum-Sudoh, gewürzt durch Tora-Worte der Herren Rabbiner Dr. Merzbach und
Rabbiner Wassermann. Das Essen, der gute Trunk und die von Herrn Saffra gesungenen herrlichen chassidischen Lieder brachten eine recht hohe Stimmung in die Teilnehmerschaft. Man ahnte leise die Schlussworte von
Kinim (Mischna-Traktat), (hebräisch zitiert und deutsch
interpretiert:) dass uns durch die Tora im zunehmenden Alter und im stetig fortschreitenden Lernen eine immer klarere Erkenntnis unserer Aufgabe übermittelt wird. Erst vor
Mitternacht trennte man sich in dem Bewusstsein, eine wahre Freude
über das Gottesgebot durchlebt zu haben." |
|
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Juli 1929: "Darmstadt, 14. Juli. Letzten Sonntag versammelte sich im Esraheim der
Israelitischen Religionsgesellschaft eine frohe Schar zum Sijum auf
Masechat Berachot (Mischnatraktat Berachot). In pietätvoller Weise begann der Dozent und verdienstvolle Leiter des Schiurs, Rabbiner
Wassermann, seinen Hadron mit einer Gedenkrede auf Rabbi Salomon Kluger
- das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen - den weltberühmten Rabbiner von Lemberg und Brody, an dessen 60. Todestag die hiesige
Chewras Talmud Thauro (= Talmud-Tora-Verein) das frohe Fest begehen konnte. In großer Ergriffenheit lauschten alle Anwesenden dem Lebensbild des großen Mannes und seines bescheidenen Wesens, dessen Gelehrsamkeit und Produktivität wir 28 wertvolle
Bücher – darunter Sefer Ha-Chayim und Chochmas Schlomo
auf Schulchan Aruch und Nidrei Zerizin auf Masechat
Nedarim – verdanken, außer der großen Fülle (146) nachgelassener Schriften. Zum Hadran auf die beschlossene
Masechat (Traktat) übergehend, verstand es der Vortragende in geistvoller Weise, den Schluss der
Massechat (Traktat) mit dem Anfang, sowie mit dem Anfang von Masechat
Schabbat zu verbinden und unter scharfsinnigem Hinweis auf die Wochen-Sidra das Problem von
Verstehen und Tun bei den Mizwot (Geboten) zu erläutern.
Die Freude über das Gottesgebot vereinigte darauf alle Anwesenden in froher animierter Stimmung, die begleitet von Gesängen des Herrn Saffra alle Teilnehmer des Schiurs sowie die Gäste bis zur Morgenstunde beisammenhielt." |
zu Rabbiner Salomon Kluger vergleiche Wikipedia-Artikel
Shlomo Kluger |
Festlicher
Sijum-Abend des
Talmud-Thora-Vereins
(1930)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 6. Februar 1930: "Darmstadt, 2. Febr. Einen festlichen Ehrenabend begann die hiesige
Chewra Talmud Tora (Talmud-Tora-Verein) am Ausgang des Heiligen
Schabbat WaEra durch den Sijum auf Masechat Chullin, die nach 4
1/2-jährigem Lernen unter der Leitung des Herrn Rabbiners Dr. Merzbach
beendet wurde. In angeregter Weise lauschten die zahlreich Erschienenen den geistvollen Ausführungen des Herrn Rabbiners beim Lernen der letzten
Mischna und den trefflichen halachischen und agadischen Deutungen, die er daran knüpfte. Die
Simcha (Freude) gestaltete sich ferner durch die gleichzeitige Jahrzeit für unseren vor 6 Jahren heimgegangenen
Rabbiner Dr. Moses Marx - das Andenken an den Gerechten
ist zum Segen - zu einer wehmutsvollen Gedenkstunde um den unvergesslichen Führer der hiesigen Israelitischen
Religionsgesellschaft, der leider allzu früh inmitten seiner Tage von uns scheiden musste. In
tief empfundenen Worten zeigte Rabbiner Dr. Merzbach, dass das erfolgreiche Wirken des
Talmud-Tora-Vereins und somit auch die ... des Abends der unermüdlichen Tätigkeit und dem Verdienst des verewigten
Gerechten zu danken sei, der stets das idealste Zedakat H'
mit towat habriot zu vereinen verstand und – deshalb in Stadt und Land so verdienstvoll für Erhaltung von
Tora und Religion wirkte.
Ein einfaches Festmahl, begleitet von trefflichen Worten der Tora der Herren Rabbiner Wassermann, Eisenheimer und Dimant vereinigte die Festteilnehmer noch mehrere Stunden in angeregter Unterhaltung." |
Vortragsabende - veranstaltet durch die Agudas Jisroel
Darmstadt (1931)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 26. November 1931: "Darmstadt. Die bestehende wirtschaftliche Not, das aufreibende Leben des Alltags hinderte in starkem Maße das jüdisch-geistige Aufwärtsstreben. Daher erwächst uns heute
doppelt die Aufgabe, der jüdischen Seele Nahrung und damit durch neu gewonnenes Gottvertrauen ein Gegengewicht gegen die Schwere der Zeit zu geben. Wir haben uns deshalb entschlossen, ein reichhaltiges Winterprogramm zusammenzustellen, das neben einem Vortragszyklus des Herrn Rabbiner Dr. Merzbach über
'Erziehung als Aufgabe des Judentums' verschiedene zeitgemäße und interessierende Vorträge hiesiger und auswärtiger Redner bietet. Ort der Vorträge: Hotel Stadt Frankfurt, Bleichstraße 22. Zeit der Vorträge: 20.15 Uhr. 1. Dez.: Die volkserzieherische Bedeutung des Minhag. Rabb. Dr. Merzbach. 15. Frankfurt a. M. 27. Dez.: Dir. Rotschild, Eisenach : Lichtbildervortrag über Erez Jisroel. 5. Jan.: Die Gesetze der Thora in ihrer erzieherischen Wirkung. Rabb. Dr. Merzbach. 19. Jan.: Die Seelenkämpfe unserer Jugendlichen. Lehrer L. Wahrhaftig. 2. Febr.: Lehre und Gesetz-Erziehungsmethoden. Rabb. Dr. Merzbach. 16. Febr.: Einzelmensch und Gemeinschaft im Judentum. Rabb.-Uff. Schwab. 1. März: Selbsterziehung durch Mussar. Rabb. Dr. Merzbach. 15. März: Aus dem Leben der Juden in Frankreich. Hellmuth Lederbau. 26. März: Generalversammlung. – Außerdem verweisen wir auf den noch bekanntzugebenden Vortrag des Herrn. Rabb. Dr.
Munk - Ansbach über 'Jugendbewegung'. Ein gemütliches
Chanukoh-Zusammensein (sc. am Chanukkafest) ist vorgesehen. Um zahlreichen Besuch bittet
Agudas Jisroel Darmstadt." |
Aus der Arbeit der Agudas Jisroel-Jugendgruppe
(1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 7. Juni 1934: "Darmstadt, 29. Mai. Die hiesige Agudas
Jisroel- Jugendgruppe kann in letzter Zeit von einer regen Tätigkeit berichten. Abgesehen von intensiver Arbeit, die innerhalb der 9 Gruppen durchgeführt wird, konnten in den letzten Wochen verschiedene Referate gehalten werden, die sich einer großen Zuhörerschaft erfreuten. So sprach am 13. Mai
Herr Arthur Neuhaus, Frankfurt a. M. über 'Warum Agudas Jisroel?' Der Redner referierte über die Aufgaben der Aguda und ging dann zur jetzigen Lage im Erez Jisroel über. Die vielen Erschienenen waren ihm für deine inhaltsreichen Ausführungen sehr dankbar. – Am
1. Tag von Schawuot (Wochenfest) sprach Isidor Cederbaum,
Darmstadt in einem Referat über 'Schabbos', das ebenfalls mit großem Interesse aufgenommen wurde. Den Höhepunkt aller Veranstaltungen bildete jedoch die von
Herrn Rabbiner Dr. Merzbach begonnene Arbeitsgemeinschaft, in der zu dem Thema
'Die Bodengesetze in Erez Jisroel ' Stellung genommen wurde. Zunächst wurde der erste Punkt
Rand (sc. für die Armen) behandelt, der sehr wichtig für die Beurteilung des religiös sozialen Lebens im Tauroh-Staat ist. Herr
Rabbiner Dr. Merzbach hat es dabei verstanden, die vielen Teilnehmer, unter denen auch ein großer Teil der zionistischen Jugend
anwesend war, an sich zu ziehen. Es wäre nun zu erwarten, dass sich diese Arbeitsgemeinschaft auch weiterhin eines so regen Interesses erfreuen würde. Nicht zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass die Führerschaft darauf bedacht ist, die Jugend auf die Erez Jisroel-Arbeit der Agudo hinzuweisen und sie zum Sammeln für den Keren Hajischuw zu interessieren." |
Vortragsabende - veranstaltet durch die Agudas Jisroel
Darmstadt (1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Oktober 1934: "Darmstadt, 21. Okt. Das Programm der Agudas Jisroel in Darmstadt sieht für diesen Winter folgende Vorträge vor: Jeden letzten Dienstag im Monat (mit Ausnahme des Dezembers), also 30. Oktober 1934, 27. November 1934, 29. Januar 1935, 26. Februar 1935; Vortragszyklus: Grundlagen des jüdisch-religiösen Denkens, Herr
Rabbiner Dr. J. Merzbach, Darmstadt. 1. Tauroh – die Offenbarung. 2. Erez Jisroel – die Stätte der Erfüllung. 3. Moschiach – das Endziel. 4. Aulom habo – die Ewigkeit. – Dieses Jahr sind 800 Jahre seit dem Geburtstage des Maimonides (Rambam) vergangen. Es soll als Rambamjahr im Gedenken eines großen Meisters stehen. Herr
Redakteur Schachnowitz, Frankfurt a. M. spricht Dienstag, den 13. November,
abends 8.15 Uhr in der 'Bauhütte' über Leben und Persönlichkeit des Maimonides. – Herr Lehrer
Wahrhaftig, Darmstadt. Dienstag, den 11. Dezember, abds. 8.30: Messianische Ideen und Bewegungen. – Herr
Lehrer Bick, Darmstadt, Dienstag, den 7. Januar 1935, abds. 8.30 Uhr: Unsere Kinder und die Erfordernisse der Stunde. – Herr Dr.
Kahan, Fulda, Samstag, den 22. Dezember, abds. 8.30 Uhr: Einleitendes zur jüdischen Geschichte. Weitere Vorträge mit auswärtigen Rednern werden, ebenso wie die Veranstaltungen der zweiten Winterhälfte, gesondert
bekannt gegeben. Sämtliche Vorträge, außer Vortrag Schachnowitz, finden abends 8.30 Uhr, im Vortragssaal der Israelitischen Religionsgesellschaft, Darmstadt, Grafenstr. 13. (Eingang linke Synagogentüre) statt.
Arbeitskurse für Herren: Herr Rabbiner Dr. Merzbach, Darmstadt,
14-tägig, Samstag abends 8.30 Uhr, Beginn am 20. Oktober; „Probleme des alt-jüdischen rechts“ (Eine Einführung in die Gedankenarbeit des Talmuds). – Für
Damen: Herr Lehrer Wahrhaftig, Darmstadt, 14-tägig, Samstag abends 8.30 Uhr, Beginn am 20. Oktober:
'Pirke Owaus'. Sprüche der Väter. – Für Jugendliche: Herr Rabbiner Dr.
Merzbach, Darmstadt, 14tägig, Samstag abends 8.30 Uhr:
'Arbeitsgemeinschaft'. – Herr Bick, 14-tägig, Donnerstag abends 8.45 Uhr:
'Jehudi ha-Levi, Kusari Lektüre'. – Alle Arbeitskurse finden in den Räumen der jüdischen Schule statt. Auf die dauernden Schiurim der Israelitischen Religionsgesellschaft (allabendlich) Dienstag und Donnerstag: Mischnoh. Montag und Mittwoch: Gemoro. Sonntag: Schulchan Oruch. Freitag-Abend Chumisch wird aufmerksam gemacht.
Hebräische Sprachkurse: Anmeldung bei Frl. Lea Feinstein, Grafenstr. 13. Lehrer:
Wollmann stud. rer. pol. Frankfurt a. M. Sudoh Schlischis (Oneg Schabath) jeden Schabbos 1 Stunde vor Nacht." |
Arbeitstagung der Pirche Agudas Jisroel in Darmstadt
(1934)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 25. Oktober 1934: "Arbeitstagung der Pirche Agudas Jisroel in Darmstadt.
Der Schabbos Parschas Nauch vereinte die Führerschaften der Gruppen Frankfurt a. M. und Darmstadt in einer zweiten Arbeitstagung der P. A. J., diesmal in Darmstadt, die Dank der Gastfreundschaft der Damen und Herren der Religionsgesellschaft und der Schule zu einem außerordentlichen Ergebnis gelangte.
Die Tagung wurde von warmen Begrüßungsworten des Vertreters der Ortsgruppe, Herrn A. Dernburg, am Freitagabend eingeleitet. Die eigentliche Tagung begann am Schabbosmorgen mit einem groß angelegten Referat des Herrn Lehrer Wahrhaftig über die „Eingliederung der biblischen Geschichte und des Tenach in den Rahmen der Gruppenarbeit“, dem sich eine der Aktualität des Themas entsprechend rege Diskussion anschloss.
Der Nachmittag war für eine „Gruppengemeinschaft“ der Darmstädter Pirchim vorgesehen, die Chawer Sally Storch, Ffm., mit großem Geschick leitete. Die Arbeitsgemeinschaft des Herrn Rabb. Dr. J. Merzbach musste zum großen Bedauern aller ausfallen; doch wurde die Zeit durch eine Arbeitsgemeinschaft von Chawer Arthur Neuhaus, Ffm., „Grundlegende Überlegungen über das Wesen des Augidismus“ fruchtbar ausgefüllt. Die folgende „S’udo schlischis“ war in jeder Beziehung gut arrangiert und brachte gut gelungene Darbietungen einiger Gruppen. Der offizielle Teil der Tagung fand seinen Abschluss mit einem Elternabend. In den Referaten über Augidistische Erziehungsarbeit wurde von Herrn David Ullmann und Arthur Neuhaus das zum Ausdruck gebracht, was geeignet ist, das Verhältnis zwischen Bund und Elternhaus in harmonischer Weise zu gestalten. Beide Referate wuden mit starkem Beifall aufgenommen. Ein gemeinsames Lied schloss den eindrucksvollen Abend.
Ein Beisammensein bei Kaffee und Kuchen gab nochmals Gelegenheit zur Aussprache und Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen. Das ganze Treffen, von der Darmstädter Gruppe unter Führung von Jakob Hirschkorn ausgezeichnet vorbereitet, hinterließ bei allen Teilnehmern einen bleibenden Eindruck." |
Generalversammlung der
Israelitischen
Religionsgesellschaft (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 18. Juni 1936: "Darmstadt, 11. Juni, Die hiesige Religionsgesellschaft hielt am 24. Mai eine außerordentliche Generalversammlung ab. Der stellvertretende Vorsitzende, Herr H. Strauß, gedachte zunächst unseres verewigten ersten Vorsitzenden, Joseph Freitag und gab der Trauer der Gemeinde Ausdruck. Bei der Vorstandswahl wurden die
Herren Abraham Eisenheimer und Joseph Marx zu Vorstandsmitgliedern bestimmt, ersterer zum Vorsitzenden der Gemeinde. Herr Eisenheimer hielt dann zu Ehren des
Herrn Bankier Carl Lehmann, der demnächst seinen Wohnsitz in Palästina nehmen wird, eine Ansprache, in der er Herrn Lehmann als einen der Berufensten unserer Gemeinde bezeichnete und seine Friedensliebe, Opferwilligkeit und eifrige Mitarbeit in- und außerhalb der Verwaltung unserer Religionsgesellschaft schilderte." |
Vortrag von Rabbiner Dr. Cahn (Fulda) bei der
Ortsgruppe der Agudas über "Chassidismus"
(1937)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. März 1937: "Israelitische Religionsgesellschaft Darmstadt,
Die Aguda (hiesige Ortsgruppe) unter rühriger Leitung des Herrn Arthur Dernburg ließ am 17. Februar nach längerer Pause wieder einen Vortrag halten. Als Redner war Herr
Provinzialrabbiner Dr. Cahn, Fulda, gewonnen worden, der über
'Chassidismus' sprach. In eineinviertelstündiger Rede unter Verwendung mannigfacher Sprüche aus Gemara und Mischna
wurde uns über die Entstehung des Chassidismus ausführlich berichtet. Es würde zu weit führen, wollte man all das hier wiedergeben, was uns der gewandte Redner übermittelt hat. Auch seine trefflichen Mussarworte fanden willige Aufnahme. Die vielen Zuhörer spendeten am Schlusse der Ausführungen lebhaften Beifall." |
Berichte zu einzelnen Personen aus der Gemeinde
Zum Tod von Frau A. Haas (1877)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 19. September 1877: "Darmstadt, am Tag vor
Rosch Haschanah (d.h., der Brief wurde am 7. September 1877
geschrieben). Gestern haben wir eine Frau in die Erde gebettet, die es verdient, dass ihr in dieses Blättern ein Nachruf gewidmet werde.
Nach kurzem Krankenlager schied von uns Frau A. Haas Witwe, eine Zierde der Familie und Gemeinde, nach zurückgelegtem 69. Lebensjahre. Sie gehörte zu den leider immer seltener werdenden jüdischen Frauencharakteren, die ihre höchste Freude finden in Erfüllung jüdischer Pflicht und Sitte und menschenfreundlichem
Wohl tun. Sie war der Stolz ihres seligen Gatten, mit dem sie 46 Jahre in ungetrübter Ehe gelebt und dessen Haus sie mit der altjüdischen Weise so zu umgeben verstand, dass man dasselbe gerne aufsuchte und sich heimisch darin fand. In diesem Sinne erzog sie die Kinder um so leichter, als sie in Allem ein lebendiges Vorbild war.
Schabbat und Feiertag wurden nicht nur streng gefeiert, sondern auch besonders ausgezeichnet; sie war unglücklich, wenn sie die Synagoge nicht besuchen und das Gotteswort nicht hören konnte. Die Psalmen las sie täglich und den Wochenabschnitt versäumte sie nie zu lesen und holte sich bei allen religiösen Zweifeln durch
Fragen (sc. beim Rabbiner) sofort Rat. Mit Glücksgütern reichlich gesegnet, fand sie einen hohen Genuss, Armen und
Notleidenden zu spenden und so beweinen nun gar Viele in ihr die stets sorgsame Spenderin; auch die Armen Jerusalems vergaß sie nie. Sie hatte ihre
Challah-Büchse, in die sie Woche für Woche ansehnliche Gaben für
die Armen des Landes Israel legte. So wie sie gelebt, war sie bestrebt, dass nach ihrem Tode gehandelt werde. Es fand sich ein Brief an ihre Kinder vor, der in der
Tat rührend ist. Sie ermahnte sie, Frieden untereinander zu halten und stets in Liebe miteinander verbunden zu bleiben. Nie von der Frömmigkeit zu lassen und im regelmäßigen Synagogenbesuch – nicht nur während des Trauerjahres – dies zum Ausdruck zu bringen; denn nur in und durch Gottesfurcht könne man glücklich sein. Beigeschlossen war diesem Briefe eine namhafte Summe Geldes mit der Bestimmung, dass vorzüglich damit 4
Torastudierende, die sie selbst namhaft machte, honoriert werden sollten, die während des
Trauer-Jahres zu ihrem Seelenheil Mischna-Lernstunden lernen möchten.
Die Gefühle der Trauer gab am Grabe Herr Rabbiner Dr. Marx in tiefgefühlten Worten vollen Ausdruck. Er schilderte wahrheitsgetreu ihr Leben, kam zu dem trostreichen Resultate, dass ein Mansch, der so gelebt, eigentlich nicht gestorben, sondern in seinen edlen Handlungen fortlebe, uns Allen als Mutter stets vorschwebe und uns auffordere, ihm nachzustreben. Der
Hintritt einer solchen Gerechten sei für uns, wie der Midrasch Tanchumi bemerkte,
'und Mose ging...' – eine Mahnung, so zu leben und in Bezug darauf sinnig und talmudische Erzählung
(Ketubot 104) deutend, die eines tiefen Eindrucks nicht entbehrte. Ein imposanter Leichenzug zeugte von der Liebe und Achtung, die der Heimgegangenen gezollt wurde! Sie ist nun beim
himmlischen Vater und wird sich ihres Lohnes freuen; von den Kindern aber hegen wir die Hoffnung, dass sie das Testament der Mutter treu erfüllen werden, und das wird der schönste Nachruhm sein.
A." |
Zum Tod von Rabbi Löb Sulzbach,
Gründer der Israelitischen Religionsgesellschaft (1882)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 1. März 1882: "Mainz, 27. Febr. Gestern wurde in Darmstadt ein Mann zu Grabe getragen, dessen Hinscheiden als ein großer Verlust nicht alleine für die israelitische Gemeinde, in deren Mitte er lebte, sondern auch für die ganze Provinz, ja für ganz Israel bezeichnet werden kann.
Rabbi Löb Sulzbach - er ruhe in Frieden - ist nicht mehr. Donnerstag, den 23. Februar, Abends 9 Uhr, wurde er vom Schauplatze seiner irdischen
Tätigkeit abberufen.
Rabbi Löb Sulzbach - er ruhe in Frieden - wurde im Jahre 1804 in
Schopfloch in Bayern geboren und erreichte demnach ein Alter von 78 Jahren. Sein Vater, ein
Sofer (Toraschreiber) und ein Toragelehrter unterrichtete den Sohn sowohl in seinem Geschäfte, als auch in der heiligen Gotteslehre. Nachdem der Knabe das dreizehnte Jahr erreicht hatte, bezog er die damals ins
Ansbach blühende Jeschibah, von wo er sich später, um seine Studien fortzusetzen, nach
Mainz begab. Dann trat er als Hauslehrer in das Haus des berühmten Kabbalisten Rabbi Seckel Löb Wormser
- Das Gedenken an den Gerechten ist zum Segen, Rabbiner zu Michelstadt. Von da aus ging er nach
Darmstadt und wurde ein Schüler des dortigen Rabbiners R. Kalme Mönkeburg
– das Andenken an den Gerechten ist zum Segen. Nach dessen Tod verwaltete er zwei Jahre lang das dortige Rabbinat. Während dieser Zeit
verheiratete er sich und ließ sich als Sofer (Toraschreiber) in Darmstadt nieder, woselbst er länger als ein halbes Jahrhundert lebte und wirkte.
Eine unabsehbare Menschenmenge, vielleicht tausend Personen, folgte gestern der Bahre. Nicht alleine die ganze jüdische Bevölkerung von Darmstadt und der Umgebung, sondern auch aus der Ferne, aus Frankfurt, aus Mainz, aus Wiesbaden, aus
Biebrich, aus Worms, aus Biblis
etc. waren die Freunde und Verehrer des teuren Mannes herbeigeströmt, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Herr
Rabbiner Dr. Marx gab der Trauer der Versammelten den gebührenden Ausdruck. In begeisterter Rede schilderte er alle die vortrefflichen Eigenschaften des Verewigten: seine innige und aufrichtige Frömmigkeit, seine große Gelehrsamkeit, seinen unermüdlichen Fleiß, wie er bei Tag fleißig sein Handwerk betrieb, um sich
und die Seinen zu ernähren und die Nacht dem Torastudium gewidmet. Der Redner führte aus, wie der Verewigte in selbstloser und
uneigennütziger Weise viele Schüler unterrichtete, die jetzt als Rabbiner,
Juristen, Ärzte, Kaufleute und Handwerker im Sinne ihres unvergesslichen Lehrers leben und wirken. Kein Auge blieb
tränenleer, als der Redner die unvergleichliche Demut und Bescheidenheit des Heimgegangenen schilderte,
welcher wie in vielen anderen Dingen, namentlich hierin dem Ideale unseres großen Lehrers Moscheh nachstrebte, an dessen Todestage, dem siebenten
Ador (Adar, = 26. Februar 1877), die sterblichen Überreste Rabbi Löb
Sulzbach's zu Grabe getragen wurden. Der Redner schilderte ferner die große, unaussprechliche Gottinnigkeit des Verklärten, seine Standhaftigkeit in allerlei Sorgen und Kümmernissen, seine Anspruchslosigkeit und seine, trotz nur bescheidener Verhältnisse, fast übergroße
Wohltätigkeit und Gastfreundlichkeit gegen Reiche und Arme, wobei ihm seine edle Gattin
- Gott mehre ihre Tage - hilfreich zur Seite stand.
Hierauf widmete der Herausgeber dieser Blätter dem Dahingeschiedenen Freunde einige
Worte des Nachrufes und wies namentlich auf die Größe des |
Verlustes und die gewaltige Lücke hin, die der Tod hier gerissen. Für einen Talmid
Chacham (= Weisen) gab es zu allen Zeiten nur schwer einen Ersatz, um wie viel
mehr in der unsrigen! Der Redner forderte in eindringlicher Weise die Anwesenden dazu auf, dass Jeder dazu beitrage, soviel in seinen Kräfte stehe, die Lücke auszufüllen und namentlich die Kinder zur
Tora und für die Tora zu erziehen. – Auch Herr Dr. Wolf, Schuldirektor zu
Biblis, ein Schüler des Verewigten, sprach einige warme und tief empfundene Worte.
Rabbi Löb Sulzbach - er ruhe in Frieden - war der Gründer und Erhalter der israelitischen Religionsgesellschaft, orthodoxer Richtung, in Darmstadt. Als die Gemeinde, nach dem Wegzuge des unvergesslichen
Landesrabbiners Dr. B. H. Auerbach - das Andenken an den Gerechten ist
zum Segen -, sich der sogenannten Reform zuwandte, sammelte er eine kleine
Schar frommer Gesinnungsgenossen um sich und fungierte bei denselben zwölf Jahre lang in uneigennütziger Weise als Rabbiner, bis vor elf Jahren Herr Rabbiner Dr. Marx berufen wurde, mit dem ihn dann die enge Freundschaft verband und dem er stets bei allen rabbinischen Funktionen ein freundlicher und liebevoller
Berater blieb.
Dem Verewigten war es vergönnt, die Saat, die er gesät, aufgehen zu sehen. Die
Israelitische Religionsgesellschaft zu Darmstadt ist aus kleinen Anfängen zu einer ansehnlichen Gemeinde herangewachsen. Möge sein Andenken auch ferner segenreich wirken.
Das Andenken an den Gerechten ist zum Segen!"
|
Zum Tod von Channa Neigaß (1927)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 17. November 1927: "Darmstadt, 9. November (1927). Eine Schreckenstunde durcheilte Dienstag den. 1. November die hiesige Gemeinde. Frau
Channa Neigaß, eine mit den edelsten jüdischen Tugenden ausgezeichnete Frau war beim Überschreiten der Straße von einem Auto erfasst worden und den tödlichen Verletzungen bald erlegen. Selten hat sich eine Frau so allgemeinste Liebe erworben wie die Verstorbene. Von edelstem Geschlecht abstammend – eine Urenkelin des großen
Schach - das Andenken an den Gerechten ist zum Segen – verfügte sie über ein selbst bei ostjüdischen Frauen ungewöhnliches jüdisches Wissen. Mit eisernem Fleiß und erstaunlicher Willensenergie ausgestattet, ernährte sie sich kümmerlich aber mit heroischer Seelengröße.
Glückselig vom geringsten Ertrag ihrer Arbeit noch Gutes tun zu können. In den zahlreichen Häusern, wohin sie geschäftlich kam, war sie wegen ihres bescheidenen und stets zur Jüdischkeit eintretenden Wesens freundschaftlich aufgenommen. Hier beriet sie jeden Einzelnen in seinen Sorgen, dort half sie bei der Erziehung und Versorgung der Kinder, andere eiferte sie
zu(r Einhaltung) der Gebote in Haus und Leben an, kurz sie war überall teilnehmende Freundin und Helferin. Herr
Rabbiner Dr. Merzbach gab am Grabe der allgemeinen Trauer treffenden Ausdruck, dem schwergeprüften Gatten wendet sich das allgemeinste Mitgefühl zu. Möge das
Verdienst dieser seltenen Frau ganz Israel und der heiligen Sache, der sie sich unablässig weihte,
beistehen. Amen. Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von Berta Mayer
(1930)
Anmerkung: Berta Mayer hatte im Sozial- und Beerdigungsverein Chewra Kadischa
die Leitung der Schwesternschaft inne.
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. Januar 1930: "Darmstadt, 10. Jan. Im gesegneten Greisenalter von 83 Jahren wurde
Frau Berta Mayer ihrer Familie und dem großen Kreis der sie hochschätzenden Freunde und der tieftrauernden Gemeinde entrissen. Als Schwiegertochter des um die hiesige Israelitische Religionsgesellschaft hochverdienten Baruch
Mayer, setzte sie im eigenen Heim des Geist des Elternhauses fort. Für die zahlreiche Familie bildete sie den geliebten Mittelpunkt, für die
Chewra Kadischa (Wohltätigkeits- und Beerdigungsverein) war sie lange Jahre als Führerin richtunggebend in edelster Ausübung der
Wohltätigkeit und ihr auf Frieden und Wohl tun gegründetes Wesen erwarb sich ungewollt die Zuneigung aller jüdischen Kreise. Trotz ihres hohen Alters war die rührige regsame Frau
allgemein als Freundin und bewährte Ratgeberin hoch geschätzt, und ihr unerwartetes Ableben erweckte überall herzliche Teilnahme. Am Grabe würdigte Rabbiner Dr. Merzbach in
beredter Weise das Wesen der edlen Frau und Herr Carl Lehmann rief ihr namens der
Frauen-Chewra Worte des Dankes nach. Ihre Seele sei eingebunden
in den Bund des Lebens." |
Zum Tod von Max Jonas Meyer (1931)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 16. April 1931: "Regensburg, 14. April. Vor Jahresfrist wurde in Darmstadt ein Mann zu Grabe getragen, dessen Verdienste in diesen Zeilen eine kurze Würdigung erfahren sollen:
Max Jonas Mayer ließ in der Synagoge der Gemeinde Alsbach (Hessen), seiner frommen Gesinnung gemäß, an der Frauenschule ein Gitter anbringen und stiftete dazu noch ein prächtiges
Parochet (Vorhang vor dem Toraschrein). In Baden-Baden, wo er des öfteren zur
Erholung weilte, schenkte er dem dortigen Gotteshause mehrere wertvolle Kultusgegenstände. Beide Gemeinden ernannten ihn zu ihrem Ehrenmitglied.
Den größten Teil seines gottesfürchtigen Lebenswandels verbrachte er in
Darmstadt, wo er an der Seite seiner ihm ebenbürtigen Gattin -
sie ruhe in Frieden - ein Haus schuf, das wegen seiner Gastfreundlichkeit und Wohltätigkeit weit und breit bekannt war.
In den letzten Jahren seines Lebens erfüllte er noch die seltene Weisung
zum Schreiben einer Torarolle. Sein Sohn, der vor kurzem seinen Wohnsitz nach hier
(sc. Regensburg) verlegte, ließ in seiner Wohnung für das selten schön geschriebene
Sefer (Torarolle) einen Aron HaKodesch (Toraschrein) anfertigen. Während des Trauerjahres wurde in seinem jüdischen Hause an jedem
Schabbat gelernt.
Zum ersten Jahrzeitstage am Schabbat Paraschat Schmini, dem 14. Nisan, an dem das oben genannte
Sefer (Torarolle) ausgehoben wurde, widmete der Sohn des Verewigten ein würdiges Geschenk für unsere
Synagoge zum Andenken seines frommen Vaters." |
Zum Tod von Mirjam Lebermann, Tochter von Lehrer Jacob Lebermann (1933)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. Oktober 1933: "Darmstadt, 1. Okt. Seit einigen Wochen
bangten wir um das teure Leben von Mirjam Lebermann, der Tochter des weitbekannten, verehrten
Jacob Lebermann; am 1. Selichaustag hauchte sie ihre reine Seele aus. Mit ihr ist ein edles
Wesen dahingegangen, das verstand, das Leid anderer, durch tiefes Mitgefühl zu lindern. Wie sie zu Hause jederzeit ihrer Mutter als hilfreiche Tochter zur Seite stand, so bewies sie als Lehrerin nicht nur echtes, warmes Interesse für die geistige Entwicklung, sondern auch für die
einzelnen Sorgen der ihr anvertrauten Jugend. Durch ihre Bescheidenheit und ihr liebevolles Wesen hatte sie sich alle Herzen gewonnen. Aber
irr höchstes Ziel sah sie darin, in echt jüdischem Geiste zu lehren, und ihr Ideal war, ihr jüdisches Wissen immer mehr zu bereichern. So schied sie von uns, trotz jungen Jahren ein frühvollendetes Leben. Möge
Gott der schwergeprüften Mutter in ihrem herben Leid von Seinem Trost
zuteil werden lassen. Ihre Seele sei eingebunden in den Bund des
Lebens." |
Zum Tod von Babette Mainzer geb. Mainzer
(1935)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 29. Mai 1935: "Darmstadt, 27. Mai. Eine echtjüdische Frau ist am 13. Nissan
(Dienstag, 16. April) dieses Jahres von uns geschieden: Frau Babette Mainzer, geb.
Mainzer, die ein Alter von 66 Jahren erreichte. Aus einem frommen Hause in
Lorsch a. d. Bergstraße stammend, hat sie sie in der Kindheit erworbenen jüdischen Kenntnisse und Traditionen des Elternhauses in ihrem eigenen Hause weitergepflegt. Durch ihr frommes
Gemüt verstand sie es, ihr Heim zu einem auf Gottesfurcht aufgebauten kleinen
Heiligtum zu gestalten. Wie sehr sie für ihren Gatten und ihre Kinder lebte, zeigte ihr letztgesprochenes Wort. Es galt ihrem in der Ferne weilenden Sohne.
Bei der Überführung vom Trauerhause am Erew Pesach (17. April) nach
Tefilat Schacharit (Morgengebet) war eine sehr große Anzahl von Menschen erschienen. Auch die reiche Beteiligung bei der (hebräisch) war Zeugnis für die Achtung, die diese Frau in ihrem Kreise genoss. (hebräisch)
" |
Zum Tod des ersten Gemeindevorstehers der Israelitischen
Religionsgesellschaft Josef Freitag (1936)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 4. Juni 1936: "Darmstadt, 25. Mai. Eine überaus große
Trauergemeinde hatte sich am 23. Ijar (= 15. Mai 1936) auf dem Friedhofe
unserer Religionsgemeinschaft eingefunden, um unserem an einem Herzschlag verschiedenen ersten Vorsitzenden,
Josef Freitag, die letzte Ehre zu erweisen. In einer großangelegten Rede schilderte Herr
Rabbiner Dr. Merzbach die vielen Vorzüge des Heimgegangenen, indem indem er ihn als treuen Fürsorger seiner Gemeinde, als fürsorgenden Gatten und Vater, sowie als friedliebenden und redlichen Menschen bezeichnete. Das älteste
Mitglied der Verwaltung unserer Religionsgesellschaft entbot ihm den Schalom-Gruß, brachte in kurzer
Rede zum Ausdruck, was er unserer Gemeinde gewesen ist ist und rief ihm Worte des Dankes und steten Gedenkens für seine der Religionsgesellschaft geleisteten Dienste nach. Ein Mann von großer Beliebtheit, der auch im Vorstande verschiedener jüdischer Vereine war und sich voll und ganz für deren Belange einsetzte, ist dahingegangen. Möge
Gott der Witwe und ihrem Sohne, sowie vielen, die seinen Heimklang beklagen, Trost spenden und unsere
Kehiloh (Gemeinde) vor weiteren Schicksalsschlägen bewahren." |
|
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
20. Mai 1936: "Im 70. Lebensjahre ist am 13. Mai (21. Ijar) der
Vorsitzende unserer Religionsgesellschaft
Herr Joseph Freitag - er ruhe in Frieden -
plötzlich verschieden.
Ein Mann von innerer Wahrhaftigkeit und größter Friedensliebe, von
Bescheidenheit und von pflichtbewusster, treuer Arbeit im Vorstand der
Religionsgesellschaft, der jüdischen Schule, des Saumech-Nauflim-Vereins,
sowie des hessischen Landesverbandes gesetzestreuer Synagogengemeinden ist
uns mit ihm entrissen worden, dem wir ein ehrendes Gedenken wahren werden.
Rabbinat und Vorstand der Israelitischen Religionsgesellschaft zu
Darmstadt." |
Sonstiges
(aus der Sammlung von Peter Karl Müller, Kirchheim / Ries, Erläuterungen auch
auf Grund der Recherchen von P.K. Müller)
Briefumschlag
von Herz Bodenheimer (1884) |
Abgebildet
ist der Umschlag eines Briefes von von H. Bodenheimer, der am 18. April
1884 nach Waldülversheim (Uelversheim) verschickt wurde.
Herz Naftali Bodenheimer ist am 10. September 1928 in Darmstadt geboren und starb am 30. Mai 1900.
Er war verheiratet mit Katharina geb. Bendheim, die am 24. September
1828 geboren und am 17. Mai 1909 gestorben ist. Die beiden hatten zusammen
zehn Kinder: Rickchen "Rosa" verheiratete Marx (geb. 7. Dezember 1857,
gest. 1936), Minna verheiratete Plaut (geb. 7. September 1860,
umgekommen am 5. September 1942 im Ghetto Theresienstadt), Karl Zhakaria
(geb. 15. Juni 1862, Sterbedatum und Sterbeort unbekannt), Johanna verheiratete
Feuchtwanger (geb. 9. März 1864, gest. im Januar 1926 in München), Sofie
verheiratete Feuchtwanger (geb. 19. September 1869, gest. 1943 in Niedersachsen an den Folgen ihres Aufenthalts im Durchgangslager
Westerbork), Berthold Baruch (geb. 1866, gest. in Darmstadt), Eva,
Lion, Simon (gest. 1906), Regine verheiratete
Fraenkel (gest. 1906 in Frankfurt).
Herz Bodenheimer war maßgebend beteiligt an der Gründung der "Israelitischen Religionsgesellschaft Darmstadt"
und gehörte dessen erstem Vorstand an (siehe oben). Er war auch Mitglied des ersten Vorstands des am 7. September 1871 gegründeten "Vereins der gesetzestreuen Israeliten der Provinz Starkenberg".
Die Arisierung der "nichtarischen" Geschäfte Darmstadt betraf auch die Fa.
Herz Bodenheimer, Kolonialwaren und Getreide-Großhandlung, in der Rheinstraße.
Quellen: http://www.dfg-vk-darmstadt.de/Lexikon_Auflage_2/Arisierung.htm
https://www.geni.com/people/Herz-Bodenheimer/6000000008018564639
http://data.synagoge-eisleben.de/gen/fg03/fg03_007.htm |
Zur Geschichte der Synagoge
Seit Ende der 1850er-Jahre wurden - wie bereits oben
genannt - die Gottesdienste in den Wohnungen von Rabbi Löb Sulzbach, dann von
Hermann Neustadt abgehalten.
Die 1863/64 erbaute Synagoge
1861 kauften 14 Mitglieder der
Religionsgesellschaft auf den Namen von Löb Sulzbach, da die
Religionsgesellschaft noch keine Korporationsrechte besaß, ein Grundstück, das
sich unmittelbar an das Synagogengrundstück in der Kleinen Ochsengasse
anschloss. Seit 1863/64 wurde in dem Hintergebäude/Anbau zur Synagoge
die orthodoxen Gottesdienst abgehalten. Nach dem Bericht von 1867 (s.o.) hatte
bereits dieser Betsaal eine "prächtige Einrichtung". Am 31. August
1867 konnte die Einweihung einer neuen Torarolle gefeiert werden.
Die orthodoxen Israeliten erwerben ein Haus zur
Einrichtung einer Synagoge (1863)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 3. Juni 1863: "Darmstadt, den 21. Mai (1863). Die hiesigen
gesetzestreuen Israelitischen haben bereits seit der Einführung der Orgel
und der übrigen Reformen in der hiesigen Synagoge einen separaten
Gottesdienst eingerichtet. Dieselben haben nunmehr ein eigenes Haus akquiriert,
um daraus eine Synagoge zu erbauen; auch sind sie bei der
Großherzoglichen Regierung um die Ermächtigung zu vollständiger
Löstrennung von der bisherigen Gemeinde
eingekommen." |
Besuch in der Synagoge der
Israelitischen
Religionsgesellschaft (1864)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 23. März 1864: "Darmstadt, 6. März (1864). Gestern
besuchten wir zum ersten Male unsere schöne, neuerbaute Synagoge. Alle
Mitglieder unserer (orthodoxen) Religionsgesellschaft waren sichtbar
erfreut, dass sie, obgleich von sehr geringer Anzahl (die Gemeinde besteht
nur auf 15 Familien), das Glück hatten, ein Gotteshaus sich bauen zu
können. Die Freude würde, nach dem Aussprache der Mitglieder,
genussreicher gewesen sein, wenn, wie beabsichtigt worden war, ein
orthodoxer Rabbiner die Einweihung vorgenommen hätte. Der Wille der
Gemeinde stieß durch die Einsprache der Rabbiners Landsberg auf
Hindernisse, und bist heute ist von der höchsten Stelle noch keine
Entscheidung eingelaufen. Die Meinungen der Mitglieder waren deshalb
geteilt, ob man die höchste Entscheidung abwarten, oder ob die Eröffnung
durch den allgemein geachteten, talmudisch gebildeten Rabbi Herrn
Sulzbach geschehen sollte. Doch die nach Verwirklichung des Satzes
(hebräisch und deutsch:) 'ich freue mich, wenn man zu mir spricht, wir
wollen in ein Gotteshaus gehen' trachtende Sehnsucht siegte und so wurde
denn unser Gotteshaus unter Gottes Beistand und Hilfe mit Gebet und
Vortrag durch Herrn Sulzbach eröffnet. In seinem Gebet dankte er
Gott, dass die Gemeinde das Glück habe, statt in einer beschränkten
Kammer nun in einem Gotteshause sich versammeln zu können. In
überzeugender Weise stellte er die Gründe der Trennung dar und schloss
mit den kräftigen Worten, welche auf dem Wochenabschnitt Wajekahel
basierten: festzuhalten an unserer alten jüdischen Religion; er
erläuterte in geordneter Rede, dass unsere ganze Religion und somit
unsere jüdische Existenz auf dem 2. Satze des Wochenabschnitte beruhe
(hebräisch und deutsch): 'sechs Tage sollt ihr arbeiten, den siebenten
Tag sollt ihr heilig halten, einen Sabbat des Herrn, wer an demselben
arbeitet, der soll sterben', und erwähnte schließlich, dass die
vollständige Weise des Hauses durch den von der Gemeinde allgemein
gewünschten Rabbinen geschehe, sobald die höhere Genehmigung erteilt
sein würde. Die schönen kräftigen Worte des Herrn Sulzbach wurden von
allen an der Gemeinde beteiligten und nicht beteiligten Zuhörern, deren
Letztere in großer Anzahl bei der Eröffnung vertreten waren, einstimmig
mit Wohlgefallen anerkannt. Die Synagoge ist sehr freundlich, bei deren
Anblick wurde unser Innerstes durch freudige Regungen bewegt. Wenn alle Mitglieder
zum Bau der Synagoge das Ihrige beitrugen, so gebühr doch besonders dem
Vorstande und dem Leiter des Synagogenbaues, Herrn Jonas Meyer,
öffentliche Anerkennung; indem er mit vielen Aufopferungen den schönen
Bau zum Ziele führte. ...L."
*) Die Entscheidung ist am 16. d.M. erfolgt und erschien bereits in Folge
dessen am 20. eine Deputation beim Herausgehen d.Bl. ihn zu der am 26.
statthabenden offiziellen Einweihung einzuladen. -
Red." |
Die
Einweihung der Synagoge der Israelitischen
Religionsgesellschaft (1864)
Artikel in der Zeitschrift "Der Israelit"
vom 6. April 1864: "Mainz, den 2. April (1864). Gestern,
Sabbat Paraschat Schemini, fand die offizielle Einweihung der Synagoge der
israelitischen (orthodoxen) Religionsgesellschaft zu Darmstadt
statt, die wegen der in voriger Nummer erwähnten Reise des Herausgebers
dieser Blätter nach Worms um 8 Tage hatte verschoben werden müssen. Mit
freudiger Bereitwilligkeit hatte die israelitische Religionsgesellschaft
zu Mainz zu dieser Feierlichkeit auch ihren Vorsänger, den weithin
rühmlichst bekannten, durch seine wundervolle Stimme und seinen
weihevollen Vortrag ausgezeichneten Herrn Jakob Marx, überlassen,
der mit sechs Meschorrerim, unter denen wir den Dirigenten Herrn Leo
Cahn namhaft machen, in einer Weise vorbetete, die auf die überaus
zahlreichen Besucher des Gotteshauses einen mächtigen Eindruck machte.
Die wohl kleine, aber sehr geschmackvoll gebaute Synagoge, war sowohl
während des Freitagabends, wie während des
Samstagmorgengottesdienstes förmlich überfüllt. Der Herausgeber dieser
Blätter hielt die Weiherede. Er sprach über 3. Buch Mose 9,23-24;
10,1-3: über das echte Feuer, das uns von oben gesandt worden, das
falsche Feuer, das den Tod vor Gott nach sich zieht, und über die
Heiligung des göttlichen Namens durch die, so ihm nahe stehen. Anlehnend
an Joma 21b, wo uns fünf Eigenschaften des oben oben gekommenen Feuers
dargelegt werden, setzte der Redner auseinander, dass das himmlische
Feuer, das in uns lodern, uns erwärmen |
und
erleuchten soll, kräftig sein muss wie der Löwe, lauter wie die Sonne,
etwas Wirklichkeit, von gleichem Einflusse auf die Jugend wie das Alter
und dass es endlich nur leuchten und erwärmen, nicht aber nach Außen
durch weithin sichtbaren Rauch prangen und prahlen soll. Hierauf warnte
der Redner vor dem falschen Feuer, das den Tod nach sich zieht vor Gott,
indem er das Vergehen der Söhne Ahrons nach den verschiedenen Interpretationen
erklärte und auf die Gegenwart anwandte; zum Schlusse wurde dann noch
auseinander gesetzt, dass der Endzweck des jüdischen Lebens die Heiligung
des göttlichen Namens sei (10,3: 'an den mir Nahen will ich geheiligt
werden'), eine Heiligung, die namentlich Israel als dem Volk seiner
Nähe obliege und unter den Israeliten vorzüglich den Gesetzestreuen,
damit 'Gott vor allem Volke geehrt werde', indem alle Nationen sprechen:
Gelobt sei der Gott Israels, der solche Diener hat, gepriesen sei die
Religion Israels, die solche Bekenner besitzt. Mit dem Gebete für die
Gemeinde, für Fürst und Vaterland, für die wiederherzustellende
Einigkeit in Israel schloss die Rede, deren Eindruck näher zu bezeichnen
uns nicht ziemt.
Bei allen Israeliten der Stadt, die, wie man uns sagte, fast sämtlich dem
Gottesdienste beigewohnt hatten, - auch die Behörden waren vertreten -
herrscht die festlichste Stimmung. Namentlich wetteiferten die Mitglieder
der Religionsgesellschaft, ihre Gäste zu ehren und zu erfreuen,
überhaupt den Tag zu einem hohen Festtag zu gestalten.
Abends fand kein Ball, wohl aber ein Festmahl statt, das die
Teilnehmer bis gegen zwei Uhr vereinigte, dem aber der Schreiber dieses
nicht bis zu Ende beiwohnte; er zog sich, nachdem er noch einmal eine
längere Rede gehalten, in welcher die Unverbrüchlichkeit unserer
heiligen Gotteslehre dargelegt wurde, um Mitternacht zurück. Heute Mittag
schon eilten wir der Heimat zu, zu unsern Berufsgeschäften und andern
Arbeiten, noch des Eindruckes voll, den freudiger Opfermut für unsere
heiligsten Güter notwendiger Weise hervorruft. Noch ist die israelitische
Religionsgesellschaft zu Darmstadt klein an Mitgliederzahl; sie wird aber
wachsen und gedeihen, sodass an ihr in Erfüllung geht das Wort: Und es
wird sein dein Anfang gering, allein dein Ende wird wachsen gar
sehr!" |
Die 1873/74 erbaute Synagoge
1872 beschloss der Vorstand der Religionsgesellschaft, eine neue Synagoge
an der Ecke Bleichstraße/Grafenstraße zu bauen. Diese neue
Synagoge wurde um 1873 fertiggestellt und eingeweiht. Ein
Bericht zur Einweihung konnte in jüdischen Periodika noch nicht gefunden
werden. Aus den oben bereits zitierten Berichten ist zu entnehmen: Bericht vom
2. Oktober 1872 (Bericht):
"So hat die Opferwilligkeit der Gemeinde es
ermöglicht, dass die jetzt im Bau begriffene Synagoge noch vor dem
Winter unter Dache gebracht werden kann. Auch die Frauen in Darmstadt
nehmen regen Anteil an der Konsolidierung und Kräftigung der Gemeinde;
dieselben haben zum Beispiel jetzt ein Komitee gebildet zur Anschaffung
von Parochet (Toraschreinvorhang) und sonstiger Synagogenutensilien."
Im Bericht vom November 1872 heißt es (Bericht): "Unsere Synagoge kommt diese
Woche unter Dach. Mikwe und Schullokal werden dann
auch in Angriff genommen".
Am 6. November 1878 heißt es im Rückblick (Bericht):
"Die
Religionsgesellschaft besitzt eine eigene erst vor einigen Jahren neu
erbaute Synagoge".
Ausschreibung der Stelle des Synagogendieners der
Israelitischen Religionsgesellschaft (1900)
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
18. Oktober 1900:
"Die israelitische Religionsgesellschaft in Darmstadt sucht
per sofort einen streng gesetzestreuen
Synagogendiener.
Bevorzugt werden Bewerber, die jüdisches Wissen besitzen. Meldungen mit
Zeugnissen über religiös-sittliche Lebensführung nimmt entgegen
Der Vorstand der israelitischen Religions-Gesellschaft
Darmstadt." |
Die 1905/06 erbaute Synagoge
Die um 1873 erstellte Synagoge war nur gut 30 Jahre in Benutzung. Sie erwies sich für die größer gewordene
Israelitische Religionsgesellschaft bereits in den 1890er-Jahren zu klein und wurde 1904 abgebrochen, um an
derselben Stelle 1905/06 einen Neubau zu errichten.
Diese neue, durch den Darmstädter Architektur-Professor Georg Wickop
(1868-1914) erstellte Synagoge
der Religionsgesellschaft war ein prachtvoller Bau mit einer Vorhalle und zwei
Turmrisaliten. Der Innenraum war von einer Kuppel überspannt, die Emporenräume
mit Tonnengewölben gedeckt. Architektonisch wurde ein Mittelweg zwischen
Jugendstil und dem neuen Monumentalstil der Zeit um 1910 beschritten. Die
Synagoge hatte 290 Plätze für Männer, 136 für Frauen. Der
Bau konnte überwiegend mit freiwilligen Spenden finanziert werden. Darunter
waren größere Spenden von 10.000 Mark von Herz und Karoline Bodenheimer Erben,
13.200 Mark von fünf Spendern namens Bodenheimer, 2.000 Mark von Isaak Lehmann
usw. Die Kosten des Baus betrugen insgesamt über 185.000 Mark. Leiter der
Baukommission war Simon Bodenheimer, nach dessen Tod (1906) Dr. med. Lion
Bodenheimer.
Die Einweihung der neuen Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft
war am 25. November 1906.
Die Einweihung der neuen
Synagoge der Israelitischen Religionsgesellschaft am 25. November 1906
Artikel
im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 30. November
1906: "Darmstadt, 26. November (1906). Gestern wurde die in
der Bleichstraße neu erbaute Synagoge der israelitischen
Religionsgesellschaft feierlichst eingeweiht. Es hatte sich ein
zahlreiches Publikum eingefunden. Darunter Herr Oberbürgermeister
Morneweg. Die Feierlichkeit wurde mit dem Mincha-Gebet in dem
bisherigen Lokale eingeleitet. Dann wurden unter Glockengeläute und
Chorgesang die Torarollen in das neue Gotteshaus übergeführt. Herr Dr.
Bodenheimer, der Vorsitzende des Vorstandes, hielt eine kurze
Ansprache, in der er die Einweihung am Geburtstage des Landesherrn als ein
gutes Omen bezeichnete und des verewigten Herrn Simon Bodenheimer, des
eifrigen Förderers des Baues, besonders gedachte. Von den weiteren
Rednern seien hervorgehoben: Herr Prof. Wickop, der Erbauer, und
der Rabbiner der Israelitischen Religionsgesellschaft Herr Dr. Marx.
Der Großherzog hatte bereits am Samstag die Synagoge besucht und
eingehend in Augenschein genommen.
Die Synagoge macht sowohl in ihrem Inneren, wie in der äußeren
Ausgestaltung einen ebenso imponierenden, wie künstlerisch vornehmen
Eindruck. Sie ist in frühmittelalterlichem Stile, nach romanischer Art,
auf dem Platze der früheren, 1872 errichteten Synagoge, die sich als zu
klein erwies, in moderner Ausstattung in grauem Kalkstein - die inneren Flächen
auf rohem Verputz in Kaseinfarben gemalt - gebaut. Das Gebäude macht
besonders durch den mächtigen Turmbau, der im Innern die hohe Kuppel
enthält, einen imponierenden Eindruck." |
Synagogenutensilien zu verkaufen (1907)
Anmerkung: die Israelitische Religionsgesellschaft hat sich nach der
Einweihung der neuen Synagoge von älteren Einrichtungsgegenständen und
verschiedenen Untensielen getrennt; diese standen vermutlich in der alten
Synagoge und in dem Betsaal, der in der Zeit zwischen dem Abbruch der alten
Synagoge und der Einweihung der neuen Synagoge genutzt wurde.
Anzeige in der Zeitschrift "Der Israelit" vom
10. Januar 1907:
"Eine Reihe in gutem Zustande befindliche Synagogenutensilien:
Bänke mit zugehörigen Pulten, Vorbeterpulte, Oranhakadesch
(Toraschrein), Beleuchtungskörper für Gas eingerichtet etc. stehen zum
sofortigen Verkaufe.
Der Vorstand
der Israelitischen Religionsgesellschaft
Darmstadt. |
Die Synagoge der israelitischen Religionsgesellschaft, die als
schönste Synagoge Darmstadts galt, bestand nur knapp 32 Jahren.
Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge durch SA-Angehörige der
SA-Standarte 115 geschändet und niedergebrannt. Die
Brandruine musste - teilweise durch die Gemeindeglieder selbst - abgeräumt
werden.
Eine Gedenktafel erinnert heute an die ehemalige Synagoge an ihrem
Standort.
Adresse/Standort der Synagoge: Bleichstraße
2-4 / Ecke Grafenstraße
Fotos
Links und Literatur
Links:
Literatur (kleine
Auswah!l)
| Paul Arnsberg: Die jüdischen Gemeinden in Hessen.
Band I S. 113-132. |
| ders.: Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder -
Dokumente. S. |
| Studienkreis Deutscher Widerstand (Hg.):
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der
Verfolgung 1933-1945. Hessen I Regierungsbezirk Darmstadt. 1995 S.
54-55. |
| Moritz Neumann / Eva Reinhold-Postina: Das
Darmstädter Synagogenbuch. Eine Dokumentation zur Synagogeneinweihung am 9.
November 1988. Im Auftrag des Magistrats der Stadt Darmstadt und der
Jüdischen Gemeinde Darmstadt. Darmstadt 1988. |
| Jutta Reuss und Dorothee Hoppe (Hrsg.):
Stolpersteine in Darmstadt. Justus von Liebig Verlag. Darmstadt 2013. ISBN
978-3-87390-321-0. 14,80 € |
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