Die katholische Kirche begeht an diesem letzten Sonntag im Oktober ihren alljährlichen Tag der Weltmission. Dabei richtet sich der Blick vor allem auf die Jungen Kirchen in Afrika, Asien und Ozeanien, mit denen wir uns an diesem Tag besonders verbunden wissen. Das Stichwort »Mission« erinnert aber auch an das, was wache Zeitgenossen schon seit geraumer Zeit diagnostizieren: Dass nämlich Deutschland angesichts der fortschreitenden Erosion des Glaubens selbst wieder ein Missionsland geworden sei. Das Problem hat Erzbischof Reinhard Marx noch als Bischof von Trier so formuliert: »Deutschland ist Missionsland, doch leider sind wir keine missionarische Kirche.«
Fragt man, warum das so ist, dann wird gerne darauf verwiesen, dass die Geschichte der Kirche beim Thema Mission nicht unbelastet sei. Man erinnert an verfehlte Weisen aggressiver Missionstätigkeit, die es tatsächlich in den vergangenen Jahrhunderten gegeben hat. Es komme hinzu, dass es in unserer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft erhöhter Sensibilität von allen Seiten bedarf. Und es stimmt ja auch: Angehörige anderer Religionen reagieren empfindlich auf scheinbare Bekehrungsversuche.
Andererseits finden wir es völlig normal, wenn die Werbung tagtäglich ebenso subtil wie machtvoll über die Medien an uns herandrängen und eine geradezu missionarische Kraft entfalten, um uns von der Wichtigkeit ihres Produkts zu überzeugen. Wir haben gelernt, damit umzugehen. Nicht nur das: Auch wir selbst legen nicht selten eine Art »missionarische« Kraft an den Tag, wenn es etwa darum geht, den eigenen Familienangehörigen oder Freunden von einem guten Film zu erzählen, den wir gesehen haben, ein gutes Lokal zu empfehlen, das wir entdeckt haben, ein Mittel weiterzugeben, das sich positiv auf unsere Gesundheit ausgewirkt hat ...: »Das musst du gesehen haben! Geh’ da mal hin! Probier’ das doch einmal!«, so werben wir. Die alltäglichen Beispiele zeigen, was im Kern das Wesen aller Mission ist: Ich behalte etwas, das ich als bereichernd für mein Leben erfahren habe, nicht für mich, sondern empfehle es anderen weiter. Und es ist nur natürlich, dass ich die gute Erfahrung vor allem mit denen teilen will, die mir besonders nahe stehen.
Freilich, keinen kann und darf ich zu seinem Glück zwingen - weder im Kleinen noch im Großen, mag ich selbst noch so sehr von einer Sache überzeugt sein. Um sich überzeugen zu lassen, bedarf es der freien Zustimmung von Herz und Verstand. Die Kirche hat diese Lektion, wenn auch mit Mühe, gelernt: Beim letzten Konzil hat sie feierlich erklärt, dass die Wahrheit des Glaubens »nicht anders Anspruch erhebt als kraft der Wahrheit selbst« (Dekret über die Religionsfreiheit, Nr. 1). Die Kirche ist sich gewiss, dass die Wahrheit des Evangeliums ihre Überzeugungskraft in sich besitzt und jedes Herz, das sich ihr öffnet, zu ergreifen vermag. Jede Art, Menschen mit Gewalt zu missionieren, ist daher eindeutig abzulehnen. Diese Forderung gilt freilich nicht nur für Christen, sondern für alle Religionen.
Wenn wir dies respektieren, dürfen wir anderen Menschen getrost von unserer Glaubensüberzeugung mitteilen, und wir sollen es sogar. Ansonsten könnte es nämlich sein, so hat es der Jesuit Willi Lambert einmal in Anlehnung an das Gleichnis vom großen Weltgericht formuliert (Mt 25,31-46), dass der wiederkehrende Christus nicht nur fragen wird: »Wo warst Du, als ich hungrig und durstig und nackt und obdachlos war?«, sondern uns auch sagt: »Ich war hungrig und durstig nach Sinn und hätte so sehr die Botschaft gebraucht, um die du wusstest, aber du hast dich in vornehmer Zurückhaltung geübt ...«
Glaube bedeutet nicht nur eigenes Glück, sondern auch Verantwortung für die andern. Das sind keine Gegensätze, sondern nur die zwei Seiten einer Medaille. Gerade die Jungen Kirchen Afrikas, Asiens und Ozeaniens machen uns dies mit ihrer Glaubensfrische und –lebendigkeit deutlich.
Ich wünsche Ihnen einen guten Sonntag!