Geschenk und Berufung

Gedanken zum Sakrament der Ehe - Text eines Beitrags in Radio Horeb

Liebe Hörerinnen und Hörer!

In seinem Abschnitt über das Sakrament der Ehe erinnert uns der Katechismus der Katholischen Kirche daran, dass die Hl. Schrift mit der Erschaffung von Mann und Frau beginnt und mit der Vision von der »Hochzeit des Lammes« im Buch der Offenbarung (Offb 19,7.9) endet (KKK 1602). Das Motiv der Ehe umspannt also die ganze Bibel und bildet damit den Interpretationsrahmen für die dramatische Geschichte Gottes mit dem Menschen. Das wirkt auf den ersten Blick überraschend. Sollte die Ehe wirklich so bedeutend sein? Suggeriert uns nicht die Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte ein anderes Bild, wonach die ehelose Lebensform der Ordensleute und Priester das ausdrucksstärkere Zeichen ist, und deshalb größere Hochachtung verdient? Wie dem auch sei, biblisch bleibt es dabei, dass das Bild von Hochzeit und Ehe die verbindende Klammer der ganzen Heilsgeschichte ist.

Das zeigt, wie groß die Bibel vom Menschen denkt, und es zeigt, wie ernst der biblische Glaube die Überzeugung nimmt, dass der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Nur deshalb nämlich kann die gegenseitige Liebe von Mann und Frau »ein Bild der unverbrüchlichen, absoluten Liebe [werden], mit der Gott den Menschen liebt«, so der Katechismus (KKK 1604). In der abendländischen, der lateinischen, Kirche kommt diese Überzeugung auch dadurch zum Ausdruck, dass einem Hochzeitspaar das Sakrament der Ehe nicht durch den anwesenden Priester oder Diakon gespendet wird, wie es bei den anderen Sakramenten der Fall ist, sondern dass sich die Brautleute selbst das Sakrament spenden, indem sie sich im Gottesdienst einander das Eheversprechen geben. Das bedeutet aber auch, dass das Sakrament nicht nur eine Stärkung für den persönlichen Weg, eine Art von privatem Ehesegen darstellt. Nein, die Ehepartner sollen in ihrer Liebe zueinander Sakrament, das heißt lebendiges Zeichen der überschwänglichen und unwiderruflichen Liebe Gottes zu uns Menschen sein.

Wenn uns diese Gedanken nicht irgendwie vertraut wären, müssten sie uns Herzklopfen verursachen, so gewagt sind sie. Denn die Liebe, von der hier die Rede ist, meint ja keineswegs eine rein vergeistigte Liebe, meint kein frommes Destillat von Liebe. Die Liebe, von der hier die Rede ist, schließt die sinnlich-konkret-körperliche Dimension mit ein, sie ist m. a. W. absolut nicht erotikfeindlich. Gerade darauf hat zum Erstaunen vieler Papst Benedikt in seiner ersten Enzyklika Deus Caritas est hingewiesen: Mag das Wort »Liebe« auch noch sehr missbraucht werden, von seinem innersten Wesen her lassen sich in ihm Caritas - oder griechisch ausgedrückt: Agape – das ist die selbstlose Nächsten-Liebe, und Eros nicht voneinander trennen (DCe 7). Eros, das ist die Urkraft, in der wir angezogen werden vom Anderen, hinausgeführt werden über uns selbst. Eros verlockt uns zur Ekstase, das heißt er lockt uns aus uns selbst heraus. Und das ist gut. Denn wir Menschen sind angelegt auf Ekstase. Wir sollen nicht bei uns selbst bleiben, sondern über uns hinauswachsen. Weil wir aber sündige Menschen sind, weil wir die innere, ursprüngliche Balance des Paradieses verloren haben, deshalb sind die Kräfte und die Sehnsüchte nach dem Anderen in uns auch Gefahr. Sie können ins Maßlose abrutschen. Aus Sehnsucht kann Sucht werden. So kann aus Eros und Ekstase pure Begierde werden, die den Anderen nicht mehr als Person sieht, sondern zum reinen Objekt der Begierde degradiert. Von Blaise Pascal, dem berühmten Philosophen und Mathematiker stammt das pessimistische Wort: »Man liebt niemals Personen, sondern nur Qualitäten.« Wenngleich dieser Satz in seiner Ausschließlichkeit sicher nicht stimmt, so zeigt er doch eine reale Gefahr an: Die Faszination, die bestimmte Personen auf uns ausüben, hängt an bestimmten Eigenschaften dieser Personen. Das gilt auch für Verliebte: Man kann von körperlichen oder charakterlichen Eigenschaften des Anderen fasziniert sein: den gut proportionierten Formen des Körpers, den Augen, der Haut, einem Duft, dem Witz oder Charme, dem Mut, der Einfühlsamkeit usw.

Wirklich: Eros

Damit aus dieser Faszination, bei der der Eros eine wesentliche Rolle spielt, wirkliche Liebe wird, geht es nicht darum, das Begehren abzuschalten. Der Papst sagt: Es geht nicht um Absage an den Eros, nicht darum ihn wie Gift unschädlich zu machen. Vielmehr geht es um »seine Heilung zu seiner wirklichen Größe hin« (DCe 5). Dazu müssen die Verliebten einen Weg der Reinigung und der Reifung gehen. Auf diesem Weg werden in der Regel gegenseitige Überforderungen und Enttäuschungen nicht ausbleiben, braucht es Vergebungsbereitschaft und Verzichte und immer wieder das Gespräch, in dem man sich neu verständigt und sich tiefer respektieren und kennen lernt. Das ist, um es noch einmal zu sagen, keine Absage an die Ekstase, im Gegenteil: »Liebe ist ›Ekstase‹«, schreibt Benedikt XVI., »aber Ekstase nicht im Sinn des rauschhaften Augenblicks, sondern Ekstase als ständiger Weg aus dem in sich verschlossenen Ich zur Freigabe des Ich, zur Hingabe und so gerade zur Selbstfindung, ja zur Findung Gottes: ›Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es gewinnen‹ (Lk 17,33).«

Simone Weil, die französische Philosophin, die ihr ganzes Leben lang unterwegs war zum Glauben an Christus, hat in einer unnachahmlich kurzen und prägnanten Definition in ihr Tagebuch geschrieben: »Liebe. Man verlegt den Mittelpunkt aus sich selbst heraus« (Cahiers. Aufzeichnungen 2, München-Wien 1993, 83). Das ist ja das Eigenartige, dass uns Menschen das Leben nicht wirklich wertvoll ist, wenn es nicht etwas oder jemanden gibt, der uns mehr wert ist als wir uns selbst wert sind, wenn wir m. a. W. unseren Mittelpunkt in uns selbst suchen statt außerhalb. Paradoxerweise verlieren wir nicht unsere Persönlichkeit, sondern wir finden sie, wenn wir das eigentliche Zentrum unseres Lebens außerhalb unserer selbst suchen. Der Schöpfer hat es so gewollt.

In unserer Welt, die heute vielfach so ichbezogen, ja geradezu ich-fixiert und dabei zugleich so depressiv ist, können daher christlich gelebte Ehen zu wirklichen Zeichen der Heilung und des Heils in unserer Gesellschaft werden. Darauf käme es an: Weder verklemmt noch enthemmt sich am Geschenk der Liebe zwischen Mann und Frau zu freuen und darin die Berufung zu sehen, diese Freude dann auch in unaufdringlicher Weise zu teilen mit Bekannten und Freunden, Familienangehörigen, Kollegen und Nachbarn, und insbesondere mit den Kindern, die aus dieser Liebe hervorgehen.

Die Messe als "Hochzeits-Predigt"

Liebe Hörerinnen und Hörer, christlich gelebte Ehe ist Geschenk und Berufung zugleich. Das heißt, sie ist nicht nur Gabe, sie ist auch Aufgabe, die immer wieder neu in Angriff genommen werden will. Was kann dabei helfen?

Um diese Frage zu beantworten, stütze ich mich auf Anregungen von Willi Lambert, der nicht wenigen von Ihnen wahrscheinlich bekannt ist durch seine Veröffentlichungen. Willi Lambert, Jesuitenpater und erfahrener Exerzitienbegleiter, hat vor zwei Jahren in der Reihe »Ignatianische Impulse« im Echter-Verlag ein Bändchen herausgegeben, das den Titel trägt: »Wovon die Liebe lebt«. Im Vorwort beschreibt er, wie es zu diesem Büchlein kam: Als er vor Jahren seine erste Hochzeitspredigt zu halten hatte, stand er vor der Frage: »Was soll ich ›den Leuten‹ und dem Brautpaar bloß sagen, damit die Hochzeitspredigt über den Festtag hinaus eine Hilfe ist?« (7). Da kam ihm die Idee, die Brautmesse, ja die Eucharistiefeier selbst als Predigt an die Brautleute zu verstehen. Denn er sagte sich: Wovon die Liebe lebt, das sagt uns die Eucharistiefeier; und das Schöne daran ist, sie sagt es uns nicht als bloß moralisierende Belehrung, sondern in Form eines Ritus, einer Feier. Sein Anliegen für die Brautleute hieß also: Wenn Ihr wissen wollt, was für eure Liebe wichtig ist, dann schaut auf die Messe! Er sagte es sogar noch etwas provokanter: »Bevor Ihr zur Eheberatung geht, wenn Ihr in Eurer Beziehung in eine Krise geratet, feiert doch die sonntägliche Eucharistie und lasst Euch von ihr sagen, was für das Wachsen einer Beziehung wichtig ist« (ebd.). Denn die Eucharistie ist die Schule der Liebe. Die Brautleute hätten das verstanden. Seither, so schreibt P. Lambert verschmitzt, halte er immer die gleiche Hochzeitspredigt.

Wie sieht diese Predigt nun näherhin aus? Ganz einfach: Sie geht an den zentralen Elementen der Messfeier entlang und setzt sie in Beziehung zu Grundwahrheiten der Liebe, das heißt:

  • Erstens: Die Liebe lebt vom Loben und Danken: Wie oft kommt dieses Element in der Messe vor: Es beginnt schon mit dem Namen »Eucharistie«: lobpreisende Danksagung; wie oft ist das Eingangslied ein Loblied, dann folgt das Gloria, das »Lob sei Dir, Christus « nach dem Evangelium, der Lobgesang der Präfation usw. Wie arm ist eine Beziehung, eine Ehe, eine Familie, wenn in ihr kaum oder nicht mehr gedankt wird, sondern alles als selbstverständlich genommen und nur noch kritisiert wird, wenn etwas nicht so läuft, wie es laufen soll.
  • Dann: Die Liebe lebt vom Verzeihen: Denken wir an den Bußakt und die vielfältigen Formen der Bitte um Vergebung, die es im Verlauf der Messe gibt: die Begleitgebete des Priesters bei der Händewaschung, die Vergebungsbitte im Vater unser, der Gesang des Lamm Gottes. Die Messe hebt nicht von der Wirklichkeit ab, verliert sich nicht in euphorischen Hallelujarufen, sondern weiß um unsere Schwachheit, unsere Sündigkeit, unsere Rückschritte; weiß, dass wir Verzeihen brauchen, um verzeihen zu können. Die »ideale Ehe« leben zu wollen, die niemals Verzeihen nötig hat, wäre die pure Überforderung.

  • Dann der Wortgottesdienst: der Wechsel von Zuhören, Schweigen, Antworten insbesondere bei den Schriftlesungen, im Gesang, im Bekenntnis. Wie die Messe, so lebt die Liebe vom Hören, vom Schweigen und Antworten. Das hinhörende Schweigen und die mitteilende Rede sind die Basis einer liebevollen Beziehung. Zwei dröhnende Lautsprecher haben keine Kommunikation miteinander. Wie oft zerbrechen Ehen daran, dass einer dem anderen nicht mehr wirklich zuhört.

  • Sodann lebt die Liebe vom Opfer, man könnte auch weniger dramatisch sagen: vom Empfangen und vom Geben, so wie wir es besonders sinnenfällig bei der Bereitung der Gaben während der Messe sehen: Was Gott uns schenkt und in die Hände legt, das bringen wir ihm dar, die Gaben der Schöpfung. Wir bringen sie dar als Ausdruck unseres eigenen Lebens: Nur wo ich bereit bin zu geben und loszulassen, kann ich auch empfangen. Auf diesem Doppelrhythmus ist unser ganzes Leben und jede Liebe aufgebaut. Dies einzusehen fällt uns nicht leicht, zumal dann, wenn wir nicht sehen, wohin es führt bzw. wozu es gut ist, etwas loszulassen. Das ist schmerzlich. Dann erhält der Rhythmus von Geben und Empfangen den Charakter des Opfers.

  • Die Liebe lebt von der Wandlung: Im Zentrum der Eucharistiefeier steht die Wandlung der eucharistischen Gaben in Leib und Blut Jesu Christi. Diese Gaben empfangen wir. Wir empfangen sie, damit auch wir uns wandeln, damit wir uns immer mehr wandeln lassen von der Liebe, wie Jesus Christus sie versteht und lebt. Wir empfangen den Leib Christi, um als Kirche immer mehr »ein Leib und ein Geist zu werden in Christus«. - Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie hochzeitlich diese Formulierung mitten im III. Hochgebet ist?!
    Über unserem ganzen Leben steht das Wort der Wandlung. Wandlung heißt Wachstum und damit letztlich Leben. Wer nicht bereit ist zu Wachstum, der ist bereits tot. Das gilt auch für Beziehungen: Wo ich nicht bereit bin, neue, bisher unbekannte Seiten des Partners zu sehen und anzunehmen, neue Lebenswendungen mitzugehen, da gerät die Beziehung leicht in Gefahr.

  • Und schließlich lebt die Liebe von der Sendung, lebt sie davon, dass sie nicht nur im geschlossenen Binnenraum bleibt. Jede wahre Liebe hat einen Auftrag. Nur wenn sie ihn ergreift, wird sie auch fruchtbar, bleibt sie nicht Egoismus zu zweit. »Ite missa est«, heißt es auf Latein: Die Eucharistiefeier endet, indem sie uns Feiernde wieder in die Welt sendet, damit diese mehr und mehr verwandelt wird und am Ende alle teilnehmen können an der nie endenden Hochzeitsfeier in der himmlischen Stadt, die die Braut und deren Bräutigam Christus ist.

Weihbischof Dr. Stephan Ackermann

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