Predigt bei der Priesterweihe - Juli 2015

Lebenslang Loslassen in Gelassenheit

Liebe Weihekandidaten, liebe Angehörige und Freunde unsere beiden Mitbrüder,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Die Feier der Priesterweihe fällt in diesem Jahr zusammen mit dem Fest des heiligen Benedikt. Nicht umsonst wird Benedikt auch Schutzpatron Europas genannt, denn durch seine Spiritualität, durch die Klosterregel, die er geschrieben hat und die unzähligen Männer und Frauen, die in den letzten anderthalb Jahrtausenden nach dieser Regel gelebt haben, hat er wesentlich zur Christianisierung unseres Kontinents beigetragen. Und Europa kann in diesen Wochen und Monaten das Vorbild und die Fürsprache seines Schutzpatrons wahrhaftig gebrauchen. Möge der heilige Benedikt mit dazu beitragen, dass die Einheit unseres Kontinents nicht gefährdet wird!

Die biblischen Texte, die wir gehört haben sind, die Eigenlesungen vom Fest. Das verwundert nicht, wenn wir an das Lob auf die Weisheit aus dem Buch der Sprichwörter denken und insbesondere an die Verse aus dem Matthäusevangelium. In ihnen geht es um das Alles-Verlassen. Das lässt uns unwillkürlich an eine Berufung zum Mönchsleben denken.

Was aber können die beiden Verse für den Dienst und das Leben von Priestern in einem Bistum bedeuten? Diese sollen ja nicht die Welt verlassen. Sie sollen Zeitgenossen sein, nah an den Menschen, nicht abgehoben… So wird es immer wieder erwartet, und das ist richtig. Und dennoch: Auch wenn sie – anders als Mönche – in der Welt leben, so sollen sie doch nicht „von der Welt sein“, wie Jesus sagt (vgl. Joh 17,15f). Sie sollen nicht in der Welt aufgehen, sollen sich nicht bürgerlich in ihr einrichten. Insofern scheint uns das Wort vom Verlassen heute Morgen durchaus nicht unpassend. Nicht zuletzt der Zölibat, den die Kandidaten bei der Diakonenweihe bereits versprochen haben, ist eine ganz konkrete Weise, in der dieses Verlassen gelebt werden soll.

Kein Verzicht um des Verzichtes willen

Doch der Reihe nach: Schauen wir noch einmal intensiver auf das Evangelium, das mit der Frage des Petrus an Jesus einsetzt: Du weißt, wir haben alles verlassen und sind Dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen? Eine Frage, die sehr modern klingt. Petrus will wissen, was es den Jüngern „bringt“, dass sie Jesus nachgefolgt sind. Jesu Reaktion auf diese Frage ist in zweierlei Hinsicht erstaunlich. Zunächst: Jesus weist den Petrus nicht in die Schranken, tadelt ihn nicht als egoistisch oder kleingläubig, sondern gibt bereitwillig Antwort. Das heißt: In den Augen Jesu ist es offensichtlich erlaubt, so zu fragen. Und es wird deutlich, dass Jesus nicht zum Verzicht um des Verzichtes willen auffordert, sondern dass es beim Verzicht um Jesu willen um ein höheres Gut geht. Der Verzicht ist also nicht Selbstzweck, sondern soll zu einem anderen Reichtum führen.

Frei sein für Gottes Familie

Worin besteht dieser Reichtum, der aus dem Verlassen der Familie und der angestammten Verhältnisse entspringt? Diejenigen, die Jesus folgen, werden neue Schwestern und Brüder, Väter und Mütter gewinnen. Sie werden nicht auf die blutsmäßige Familie beschränkt bleiben, sondern werden Mitglied der großen Familie Gottes. Wir Priester, die schon längere Zeit im priesterlichen Dienst leben, können bestätigen, dass das Wort Jesu wahr ist. Wie viele Menschen durften wir schon als Priester kennenlernen, mit wie vielen Menschen Beziehungen knüpfen, Leben teilen, mit wie vielen Menschen verbunden sein! Die meisten von ihnen hätten wir nie kennengelernt, wenn wir nicht in diesem Dienst stünden. Frei zu sein für die Familie Gottes, bedeutet eine ungeahnte Weitung und Bereicherung meines Lebens. Wenn das übrigens nicht schon jetzt für unsere beiden Weihekandidaten gelten würde, dann wäre der Dom nicht so voll. Dann wären hier heute Morgen nur die engsten Familienangehörigen. Unsere Gottesdienstgemeinde selbst ist in sich schon Beweis für die Wahrheit des Wortes Jesu!

Damit ist auch schon der zweite Aspekt benannt, der uns an der Reaktion Jesu staunen lässt: Jesus verspricht Petrus nicht erst und nur einen Lohn im Himmel, jenseits dieses konkreten irdischen Lebens. Nein, er verspricht das Hundertfache schon in dieser Welt und für die kommende Welt das ewige Leben.

„Verlassen“ hat noch andere Aspekte

Freilich, die Voraussetzung dazu bleibt das Verlassen. Wie aber ist das Verlassen gemeint? Von den beiden Mitbrüdern, die heute zu Priestern geweiht werden, wird ja nicht erwartet, dass sie ihre Herkunftsfamilien verleugnen oder sich von ihnen lossagen. Etwas anderes ist gemeint. Ich habe schon eine konkrete Weise des Verlassens genannt: Es ist die Lebensform des Zölibates, die darauf verzichtet, selbst eine eigene Familie zu gründen. Ein Verzicht, der wahrhaftig keine Kleinigkeit ist! Zu dem Verlassen, von dem das Evangelium spricht, gehört auch das Versprechen des Gehorsams, d. h. die Bereitschaft, nicht allein über sein Leben zu verfügen, allein seine Dispositionen zu treffen, sondern sich ein Leben lang in den Dienst Jesu Christi zu stellen, d.h. eben auch über sich verfügen zu lassen, konkretisiert im Gehorsam gegenüber dem Bischof.

Das ist übrigens keine Entscheidung, die die Weihekandidaten nur am heutigen Morgen, ein für alle Mal treffen und dann hinter sich hätten. Das Verlassen, von dem Jesus spricht, bleibt eine lebenslange, ja tägliche Aufgabe. Das macht auch der Text des Neuen Testamentes selbst deutlich. Denn das griechische Wort, das der Evangelist an dieser Stelle benutzt, hat nicht nur die Bedeutung von Verlassen, sondern auch von Loslassen. Damit wird klar, dass es hier nicht bloß um einen einmaligen Vorgang geht und auch nicht bloß um unsere beiden Weihekandidaten. Letztlich trifft das Wort Jesu uns alle: Der Herr will, dass wir bereit sind, immer wieder Dinge, Verhältnisse, in denen wir uns eingerichtet haben, auch Personen, an denen wir hängen (vielleicht sogar klammern), loszulassen. Nur wenn wir loslassen, wenn wir immer wieder unsere Hände öffnen, kann Gott sie mit seinen Gaben, seinem Reichtum, seinen Überraschungen füllen.

Loslassen: eine Lebensaufgabe

So einleuchtend das klingt, so anspruchsvoll ist es. Das spüren wir. Da haben die Jüngeren es noch einfacher. Wir Älteren tun uns schwer, das loszulassen, was wir kennen. Und wie groß ist die Gefahr, sich einzurichten! Wie groß die Gefahr, bei dem zu bleiben, was man kennt, nichts Neues zu wagen! Das gilt für uns als einzelne. Das gilt für unsere Gemeinden. Das gilt für die Kirche als ganze. Wir spüren, wie schwer es ist, Gewohntes loszulassen: Traditionen, Strukturen, Besitz (auch Häuser und Äcker …), eingefahrene Denkmuster … Jedoch die Aussage des Herrn ist klar: Gute, reiche, hundertfache Frucht werden wir nur erhalten, wenn wir loslassen. Wenn wir festhalten, werden wir über kurz oder lang verlieren. Denn nichts in dieser Welt lässt sich für die Ewigkeit festhalten.

Liebe Mitbrüder! Vielleicht wird ihr Dienst als Priester gerade in den kommenden Jahren vielfältiger Umbrüche in der Kirche wesentlich darin bestehen, bei den Menschen, vor allem natürlich bei den Gläubigen, zu denen Sie gesandt werden, die Bereitschaft zum Loslassen zu bestärken. Sie werden das nicht nur in der Verkündigung tun, sondern sollen es auch durch Ihr priesterliches Lebenszeugnis zeigen, mit dem Sie sagen: „Ich habe mich auf Christus hin losgelassen und habe dadurch nicht verloren. Nein, im Gegenteil: Neues, vielfältiges Leben ist mir dadurch geschenkt worden.“ Natürlich, es bleibt ein Wagnis, ein Risiko. Aber das wirklich Schöne und das Große in unserem Leben entsteht immer im „Risikobereich“ (G. Kremer). Nicht zuletzt wird – davon bin ich überzeugt – aus der Bereitschaft zum Loslassen auch eine neue Gelassenheit des Glaubens erwachsen. Die brauchen wir. Wie oft stellen wir uns in der Kirche krampfig an. Allerdings: Ohne „Los-Lassen“ wird es keine „Gelassenheit“ geben.

„Jesus first“

Kehren wir noch einmal zurück zum Heiligen des heutigen Tages, dem heiligen Benedikt: Eines der Schlüsselworte in seiner Regel lautet: Der Liebe zu Christus nichts vorziehen (RB 4,21; 72,11 u. a.). Damit ist nicht gemeint, dass wir die Welt verabscheuen müssen. Aber wie oft drängen sich die Dinge dieser Welt nach vorne, gebärden sich als das eigentlich Begehrenswerte, als das einzig Erfüllende; suggerieren uns, dass es nichts Wichtigeres gäbe. Dann hilft dieses Wort: Der Liebe zu Christus nichts vorziehen. (Modern würden wir vielleicht sagen: In allem: Jesus first.) Es ist so etwas wie ein innerer Kompass, auf den Sie immer wieder schauen sollten. Der Liebe zu Christus nichts vorziehen - Mit dieser Formulierung greift Benedikt ein Wort auf, das sich schon beim nordafrikanischen Kirchenvater Cyprian von Karthago (+ 258) findet. Cyprian gibt auch eine Begründung dafür. Er sagt: Wir dürfen der Liebe zu Christus nichts vorziehen, denn auch er hat uns nichts vorgezogen (domin. or. 15). Das hat er uns in seinem Leben und in seinem Tod bewiesen. Er hat um unseretwillen alles losgelassen: seine göttliche Herrlichkeit und sein menschliches Leben. Eben das zeigt der priesterliche Dienst wie kein anderer Dienst in der Kirche, zeigt es immer wieder, besonders durch die Feier der Eucharistie. Hier hören wir Christus zu uns sagen: Ich für Euch. Für das Leben der Welt. Amen.

Weiteres:

Alles Verlassen - eine Lebensaufgabe

in der Predigt