„Die Liebe Christi drängt uns“

Predigt von Bischof Stephan Ackermann bei der Priesterweihe am 7. Juli 2013

 

Schriftlesungen: 1 Sam 3,1-10/ 2 Kor 5,14-20 / Joh 15,9-17

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
liebe Eltern und Verwandten unserer Weihekandidaten,
vor allem: liebe Weihekandidaten selbst!

 

Vor drei Wochen konnte ich zwei Steyler Missionaren in St. Augustin bei Bonn die Priesterweihe spenden. Die beiden Kandidaten, von denen der eine Kristoforus, der andere Agateus hieß, stammen von der Insel Flores in Indonesien. Nach ersten Studien auf ihrer heimatlichen Insel wurden sie zur Beendigung des Studiums von ihrem Oberen vor sechs Jahren nach Deutschland geschickt. Sie sollen nach ihrer Weihe auch hier in Deutschland arbeiten.

Einige Tage später erhielt ich aus der lokalen Zeitung einen Bericht über die Weihe zugeschickt. Er begann mit dem Satz: „Sie sind über 12.000 Kilometer gereist, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen. Jetzt wurden Kristoforus und Agateus zu Priestern geweiht.“ Ehrlich gesagt, ich war sprachlos über das Verständnis von Priesterweihe, das sich in diesen Worten offenbart: Die Weihe als Erfüllung eines Lebenstraums … Ob das, was der Schreiber des Artikels wahrscheinlich ohne großes Nachdenken formuliert hat, einem verbreiteten Verständnis entspricht? Ich schließe es nicht aus. Dann ist aber auch nicht verwunderlich, dass unser katholisches Amtsverständnis so häufig auf Unverständnis stößt, wenn man Priesterweihe und –sein als ein Ziel sieht, das man - so ambitioniert es auch sein mag - beim Einsatz entsprechender Kräfte realisieren kann wie andere persönliche Ziele oder Träume auch.

Kein persönlicher Lebenstraum sondern Berufung

Der gemeinsame Weihespruch unserer beiden Weihekandidaten, der von Paulus stammt und dem Abschnitt des 2. Korintherbriefs entnommen ist, den wir eben gehört haben, steht einem solchen Weihe- und Amtsverständnis deutlich entgegen: Die Liebe Christi drängt uns, schreibt Paulus. Er schreibt es in einer schwierigen Situation. Denn er ist in der Gemeinde angefochten: Gegner sind aufgetreten und haben bei den Christen in Korinth die Autorität des Paulus in Frage gestellt nach dem Motto: „Wie kommt er eigentlich dazu, euch zu belehren? Dieser Paulus spielt sich vor euch als Apostel auf, er hat dazu aber gar nicht die Legitimität!“ Auf diese Anfeindungen antwortet Paulus mit seinem Bekenntnis „Die Liebe Christi drängt uns“. Paulus will damit sagen: „Ich habe mir meinen Auftrag nicht einfach ausgedacht. Ich erfülle mir mit dem Apostelamt keinen persönlichen Lebenstraum. Nein, die Liebe Christi ist es, die mich drängt. Ich habe den erfahren, „der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). Wie Paulus diese Liebe bewusst geworden ist, wissen wir durch die Erzählung seines Bekehrungserlebnisses vor Damaskus. Christus hat seinen Verfolger nicht wie ein Rächer zu Boden gestreckt, sondern ihm seine Liebe gezeigt. Er hat ihn bekehrt, indem er ihn berief.

Wenn unsere beiden Mitbrüder heute morgen das Wort des Paulus aufgreifen, dann sagen sie uns: „Wir haben Ähnliches erlebt, nicht so dramatisch wie Paulus, doch auch wir stehen hier, nicht weil wir uns das selbst ausgedacht haben, sondern weil der Ruf irgendwie von außen an uns herangetreten ist.“

Besonders anschaulich geschildert wird diese Dimension von Berufung in der Geschichte vom jungen Samuel, der einen Anruf vernimmt, ihn aber nicht einordnen kann. Er braucht dazu den alten Eli, der ihm hilft zu verstehen, was da vorgeht. Erschreckend, dass Eli drei Anläufe braucht, um zu verstehen, wer da ruft: Er ist doch selbst Priester und müsste ein Gespür dafür haben. Dazu befinden sie sich im Tempel, das heißt in einem heiligen Bereich, wo man durchaus damit rechnen kann, dass Gott seine Gegenwart zeigt. Doch offensichtlich rechnete Eli nicht mehr damit.

Anzeichen erkennen

Manchmal, liebe Schwestern und Brüder, beschleicht mich die Befürchtung, dass es bei uns so ähnlich sein könnte. Damit meine ich nicht nur die Priester, die „Elis“ unseres Bistums, sondern alle Glieder im Volk Gottes. Wenn ich die geringe Zahl der Priesterkandidaten sehe, frage ich mich: Ruft der Herr wirklich so wenige oder hängt die kleine Zahl damit zusammen, dass wir in unserer Welt und Zeit gar nicht mehr mit Priesterberufungen rechnen? Ob bei uns drei Anläufe reichen würden, um die Anzeichen dafür zu erkennen, dass bei einem jungen Mann eine Berufung zum Priester gegeben sein könnte? Und trauen wir uns dann zu sagen: „Ich glaube, in dir ist eine Suche, eine Sehnsucht, die ist nicht menschengemacht. Die hat mit Gott zu tun und seinem Ruf in die Nachfolge.“

Ein Anzeichen für eine Berufung liegt sicher darin, dass in dem Angerufenen eine Unruhe da ist. Das ist das „Drängen“ des Paulus. Es ist nicht zu verwechseln mit einer Nervosität oder Umtriebigkeit, sondern es ist eine innere Kraft, die in positivem Sinne unruhig macht. Es ist die Unruhe, die etwa Maria ergriffen hat, als sie von Geist Gottes erfüllt und mit dem Kind im Leib zu ihrer Verwandten Elisabeth aufbricht. Der Evangelist Lukas sagt: „Nach einigen Tagen machte sich Maria auf und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa“ (Lk 1,39). Die Unruhe der Angerufenen ergreift auch die Hirten, die nach der Botschaft durch die Engel nach Bethlehem aufbrechen (Lk 2,16): Sie schlendern nicht zur Krippe, sondern sie eilen, sagt der Evangelist. Und ähnlich ist es bei den Menschen, die erleben, wie Jesus die Kranken heilt. Sie laufen um den See Gennesaret herum, um Jesus nicht zu verpassen (Mk 6,33). Sie spüren, wenn auch wohl noch ungenau: Hier bricht Gott in unser Leben ein und bringt es in Bewegung.

"Ich habe euch erwählt"

„Aber ist es denn positiv, gedrängt zu werden?“, so könnte man fragen. Und sei es selbst von der Liebe Christi. Wer will schon gedrängt, gar bedrängt werden? Das macht doch unfrei. Da sind gerade wir emanzipierte Menschen des 21. Jahrhunderts sehr empfindlich. Wir wollen uns frei entscheiden, zumal dann, wenn es um so etwas geht wie eine Lebensentscheidung. Im Evangelium, das wir gehört haben, könnte uns zumindest ein Satz in ähnlicher Weise aufstoßen, wenn Jesus zu den Aposteln sagt: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15,16). Da ist er wieder, dieser Ton, der uns so sehr nach Fremdbestimmung klingt und einem Nicht-mehr-Herr-über-sich-selbst-Sein …

Das Erstaunliche ist allerdings, dass diejenigen, die auf den Ruf Jesu geantwortet und dem Drängen seiner Liebe nachgegeben haben, sich gar nicht unfrei fühlten. Das bezeugen uns die Hl. Schrift und die Geschichte unseres Glaubens: Menschen, die von göttlicher Unruhe ergriffen wurden, kamen sich nicht vor wie Knechte, wie willenlose, hin- und hergetriebene Objekte. Im Gegenteil: Das Drängen wurde in ihnen zu einer Kraft, die sie über sie selbst hinausführte, aber nicht so, dass sie sich dabei verloren hätten.

Sehnsucht nach Zukunft

Eine schöne Erklärung für diese Erfahrung gibt Papst Franziskus in seiner ersten Enzyklika Lumen Fidei, die gestern veröffentlicht wurde. In ihr stellt er unter anderem Abraham als große Gestalt des Glaubens vor. Die Geschichte Abrahams ist die erste große Berufungsgeschichte der Hl. Schrift: Auch Abraham erlebt, dass der Impuls zum Aufbruch in ein für ihn unbekanntes Land nicht aus ihm selbst kommt, sondern von außen, durch den Ruf Gottes. Aber so überraschend dieser Ruf auch war, so lag er doch nicht völlig außerhalb seines Erfahrungsbereichs. Er entsprach in der Tiefe der Sehnsucht nach Zukunft, die für Abraham gerade in der Nachkommenschaft bestand. „In der Stimme, die sich an ihn wendet, erkennt Abraham einen tiefen Ruf, der von jeher in das Innerste seines Seins eingeschrieben ist“ (Lumen Fidei 11). Wenn Gott an den Menschen herantritt, dann mag das zwar überraschend sein, vielleicht sogar irritierend, aber Gott kommt nicht als der völlig Fremde; denn er kommt als der Liebende, der uns Erwählende und darin als der, der die Sehnsucht unseres Herzens kennt.

Was ich sage, liebe Schwestern und Brüder, gilt für die Weihekandidaten in einer besonderen Weise, aber natürlich nicht nur für sie. Es gilt im Grunde für jeden Getauften, ja eigentlich für jeden Menschen, denn jeder einzelne ist von Gott erschaffen und geliebt. Der bekannte Theologe Romano Guardini hat einmal gesagt: „Wenn der Mensch geboren wird, wird ihm ein Wort mitgegeben… Nicht nur eine Veranlagung, sondern ein Wort. Das wird hineingesprochen in sein Wesen. Und es ist wie das Passwort zu allem, was dann geschieht… Alles, was dann im Gang der Jahre geschieht, ist Auswirkung dieses Wortes… Und es kommt alles darauf an, dass der, dem es zugesprochen wird…, es versteht und mit ihm ins Einvernehmen kommt.“ So trifft das göttliche Wort, der Anruf von außen auf das Wort, das in uns lebt.

Den Menschen helfen

Am heutigen Tag sind wir dankbar und freuen uns, dass unsere beiden Mitbrüder ihr „Passwort“ gefunden haben und dass sie mit ihrem Jawort Antwort darauf geben. Ihr priesterlicher Dienst wird darin bestehen, durch ihre Verkündigung, durch die Spendung der Sakramente, durch all ihren Einsatz, den Menschen zu helfen, ihr je persönliches „Lebenswort“ zu finden. Beten wir also, dass die beiden dem sie liebenden Wort Gottes ein Leben lang treu bleiben, dass es seine drängende Kraft in ihnen entfaltet und sie dazu befähigt, immer wieder neu aufzubrechen zu den Schwestern und Brüdern, zu denen sie gesandt sind. Amen.

Weiteres:

„Die Liebe Christi drängt uns“

in der Predigt