Sehr geehrter Herr Präses,
lieber Bruder Schneider,
sehr geehrte Mitglieder der Kirchenleitung,
hohe Synodale!
Sehr herzlich danke ich Ihnen für die Einladung zum Besuch im Rahmen Ihrer Landessynode! Ich verstehe es als einen großen Vertrauensbeweis und eine Ehre, dass Sie mir die Gestaltung dieser Morgenandacht an Ihrem letzten Sitzungstag anvertraut haben. Bereits in den letzten Tagen habe ich Ihre Beratungen mit meinem Gebet begleitet. In der Vorbereitung für diese Andacht war mir ja Ihr Tagungsplan zugegangen, so dass ich – natürlich auch durch die Presseberichterstattung - mitverfolgen konnte, womit Sie sich seit dem vergangenen Sonntag beschäftigt haben.
Hören wir als Schriftlesung nun einen Abschnitt aus dem Ersten Korintherbrief:
»Schwestern und Brüder! Wenn einer meint, er sei ein Prophet oder vom Geist erfüllt, der erkenne, dass es des Herrn Gebot ist, was ich euch schreibe. Wer aber das nicht anerkennt, der wird auch nicht anerkannt. Darum, liebe Schwestern und Brüder, bemüht euch um die prophetische Rede und wehrt nicht der Zungenrede. Lasst aber alles ehrbar und ordentlich zugehen.
Ich erinnere euch aber an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr’s festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt. « (1 Kor 14,37-15,2)
Wieso habe ich ausgerechnet diese Verse ausgesucht? Seit dem 6. Mai des vergangenen Jahres steht vor dem Südportal des Trierer Domes ein wohnwagengroßer Kasten. Er ist ein Blickfang in knallig roter Farbe und mit viel Glas. In diesem Kasten befindet sich ein stählerner Industrieroboter, der Tag und Nacht in Arbeit ist. Computergesteuert schreibt er auf eine Papierrolle den Text der gesamten Heiligen Schrift. Ja, er druckt sie nicht, er schreibt sie mit einer schlichten Füllfeder, Buchstabe für Buchstabe, ein ganzes Jahr lang, mit einer ganz staunenswerten Präzision und Stetigkeit. So wächst seit dem 6. Mai 2011 die ganze Heilige Schrift heran.Bibelroboter bei der Arbeit
Bevor ich heute morgen aufgebrochen bin, habe ich eigens noch einmal bei ihm vorbei geschaut. Da schrieb er gerade diese Verse. Er schreibt sie in der Lutherübersetzung! Als ich am Gedenktag des Heiligen Rockes im vergangenen Jahr den Startschuss für das Projekt geben durfte und dabei erfuhr, dass der Roboter mitten vor dem Trierer Dom die Heilige Schrift in der Lutherübersetzung schreiben wird, da war ich – ehrlich gesagt – zunächst doch verdutzt. Die jungen Karlsruher Künstler, die dieses Kunstprojekt erdacht haben, erinnerten mich dann daran, dass für die geschichtliche Zeit des Übergangs vom rein handschriftlichen Kopieren von Texten zur mechanisierten Vervielfältigung durch den Buchdruck, die Lutherbibel zu den ersten und wichtigsten Texten gehörte, die vervielfältigt wurden. Die Verbindung von Mensch und Maschine aufzuzeigen, das ist das besondere Interesse der Künstler an ihrem Bibelroboter. Eine seelenlose Maschine schreibt heilige Texte, die von hoher emotionaler und poetischer Dichte sind.
Mich persönlich fasziniert immer wieder, wenn ich an dem Roboter vorbeigehe, die Sorgfalt und Behutsamkeit, ja die fast provozierende Langsamkeit, mit der er die Buchstaben formt, mit der aus ihm die Worte eins ums andere hervorwachsen, die Sätze sich bilden. Im Zuschauen geht einem die Kostbarkeit des einzelnen Wortes auf. Viele Menschen bleiben neugierig stehen, drücken die Nasen an die Scheiben, um dem Roboter zuzuschauen. Auch heute morgen in Dunkel und Kälte spähte schon ein Straßenkehrer hinein. Manche kommen inzwischen regelmäßig, um zu sehen, wie weit er ist. Intuitiv spüren die Menschen, wie gut die Entschleunigung tut und der Blick auf jedes einzelne Wort – in einer Welt, in der das einzelne Wort durch immer neue Tsunamis an Texten und Informationen entwertet wird.
Mich erinnert der Blick auf den Bibelroboter an eine Notiz aus dem Leben des hl. Franz von Assisi: »Wenn er, Franziskus, irgendwo, sei es auf der Straße oder in einem Hause oder auf dem Boden, etwas Geschriebenes fand, mochte es von Gott handeln oder den Menschen, so hob er es mit der größten Ehrfurcht auf und legte es an einem heiligen Ort nieder. Und was nicht weniger verwunderlich ist: Wenn er einige Zeilen zum Gruße oder zur Ermahnung schreiben ließ, gestattete er nicht, dass ein Buchstabe oder eine Silbe ausgelöscht werde, mochten sie auch oft überflüssig sein oder an unrechter Stelle stehen. Es sind ja Buchstaben, aus denen man den glorwürdigsten Namen des Herrn, unseres Gottes zusammensetzen kann.« (1 Cel. 82)
Welche Ehrfurcht vor dem einfachen Wort, ja sogar den einzelnen Buchstaben, wird aus dieser Anekdote deutlich! Die Ehrfurcht des hl. Franziskus entspringt aus dem Staunen darüber, dass Gott unsere menschliche Sprache verwendet, um uns anzusprechen und in ihr ansprechbar zu sein.
Für mich lässt der Bibelroboter, der Zeile um Zeile die Hl. Schrift auf der Grundlage der Übersetzung Martin Luthers hervorbringt, schon das Wallfahrtsmotto in seiner ökumenischen Dimension lebendig werden: »und führe zusammen, was getrennt ist«. Ich als Bischof wurde jedenfalls schon in der Wallfahrtsvorbereitung von einer unerwartet evangelischen Note überrascht ... Und das ist nur eine einzelne persönliche Erfahrung. Es ist nicht die einzige. Wenn ich es richtig wahrnehme, hat die Vorbereitung auf die Wallfahrt und auf das Ökumenische Forum, das ja bereits in gut zwei Wochen stattfindet, noch manche andere ökumenische Entdeckung bewirkt und die Sensibilität füreinander gestärkt. Als ich vor wenigen Tagen zum ersten Mal die Orientierungshilfe sah, die die Rheinische Kirche zur Heilig-Rock-Wallfahrt herausgegeben hat, war ich wirklich berührt angesichts der Sorgfalt, der Kreativität und der Ernsthaftigkeit, mit der diese Broschüre erstellt ist, die auch die kritischen Stimmen nicht verschweigt.
Liebe Synodalen, ich sprach von ökumenischen Entdeckungen. Wir haben sie nötig. Denn wir glauben, uns schon hinreichend zu kennen, glauben zu wissen, wie unser konfessionelles Gegenüber denkt und fühlt. Aber stimmt das wirklich? Wie oft sind wir gerade als institutionell verfasste Großgemeinschaften auf uns selbst bezogen und mit uns selbst beschäftigt. Der Themenkatalog, mit dem Sie sich in diesen Tagen befasst haben, ist unsereinem wahrhaftig nicht fremd: Schrumpfende personelle Ressourcen, die eine vorausschauendere und abgestimmtere Planung nötig machen, schwierige ethische Fragen, die sich aufgrund immer besserer medizinischer Möglichkeiten (für die wir ja wirklich dankbar sind) stellen; sodann finanzielle Sorgen und vor allem die Frage danach, was helfen kann, junge Leute stärker für den Glauben zu begeistern (Stichwort: Jugendkirchen). Liebe Schwestern und Brüder, unsere brennenden Kirchenthemen sind vielfach dieselben, aber weil sie auch viele Kräfte binden, glauben wir, kaum Potenzial zu haben, über den eigenen kirchlich-konfessionellen Zaun hinweg zu schauen.
Gerade das aber wäre für mich das Bild und die Hoffnung, die sich hinter der Einladung zur Beteiligung an der Wallfahrt verbirgt: Schauen wir uns doch gegenseitig über den nachbarlichen »Zaun«. Wie schön wäre es, wenn die vielen Pilgerwege, die zwischen dem 13. April und dem 13. Mai nach Trier gegangen und gefahren werden, so etwas werden wie »Entdeckungsreisen« auf Gegenseitigkeit. Das gilt im ökumenisch-konfessionellen Sinn. Das gilt aber für mich auch noch umfassender: Wie wunderbar wäre es, wenn die Pilgerwege nach Trier und in Trier auch für Menschen, die dem christlichen Glauben distanzierter gegenüberstehen, zu einer Entdeckungsreise würden, die auf neue Weise neugierig macht auf den Glauben der Christen.
Ich gebe zu, eine Heilig-Rock-Wallfahrt ist zuerst und zunächst eine arg katholische Veranstaltung. Doch in ihrem katholischen »Gewand« lenkt sie unseren Blick auf die gemeinsame Mitte unseres Glaubens, Jesus Christus. Und wir haben den Glauben an Jesus Christus ja nie abstrakt, sondern immer in dem konkreten »Gewand« einer lebendig-gewachsenen Kirchengestalt.
Am vergangenen Mittwoch haben wir in Trier des fünften Todestages von Bischof Hermann-Josef Spital gedacht, des Bischofs, der die letzte Wallfahrt im Jahr 1996 ausgerufen hatte, und dem in enger Verbindung mit Präses Peter Beier die ökumenische »Verträglichkeit«, nein, mehr noch die ökumenische Akzentuierung der Wallfahrt ein Herzensanliegen war. Im Zusammenhang des Jahrgedächtnisses bin ich noch einmal auf eine Aussage von ihm gestoßen, die auch ich für 2012 genauso unterschreiben würde: »Wir machen nicht eine Wallfahrt zum Heiligen Rock, wir machen eine Heilig-Rock-Wallfahrt, bei der es um Jesus Christus geht und unsere Herzenshinkehr zu ihm.«
»Und führe zusammen, was getrennt ist«, so lautet diesmal das Leitwort. Es entstammt dem Wallfahrtsgebet von 1959 und geht eigentlich auf eine Anregung des großen Konzilspapstes Johannes XXIII. zurück, der in seiner Grußbotschaft zur Wallfahrt damals den Pilgerinnen und Pilgern das Anliegen der Einheit besonders ins Stammbuch schrieb, indem er daran erinnerte, dass das unzerteilte Gewand Jesu Christi (vgl. Joh 19,23f) seit ältester Zeit als mahnendes Symbol für die Einheit der Christenheit verstanden wurde. »Und führe zusammen, was getrennt ist«: Das ist kein Appell an die Anderen. Es ist kein Aufruf. Es ist erst recht kein Schlachtruf. Nein, es ist Gebet. Es ist demütige Bitte an Jesus Christus selbst, dass er mit der Macht seiner Liebe und seiner heilenden Kraft uns zu Hilfe kommt, wo wir an die Grenzen unserer Kräfte oder unseres guten Willens stoßen und nicht das zusammen bringen, was eigentlich eins, was eigentlich heil und ganz sein sollte. Dabei denken wir natürlich an die Einheit der Christen.
Das Leitwort lenkt aber den Blick auch auf den Menschen unserer Zeit, unabhängig von Konfession und Religion: Wie viele, gerade junge Menschen, leiden unter Zerrissenheit und Entfremdung am eigenen Leib und in sozialen Beziehungen. Wie viele klagen über das spürbare Auseinanderdriften der unterschiedlichen Gruppen in unserer Gesellschaft. Insofern hat das Leitwort der Wallfahrt nicht nur kirchliche, sondern auch gesellschaftliche Bedeutung. Und: Denken wir an die große Ebene unserer einen Welt: Die Globalisierung ist nicht aufzuhalten, aber sie will gestaltet sein, damit sie nicht entzweit und gegeneinander aufbringt (womöglich noch im »Namen« Gottes …), sondern damit sie wirklich global zusammenführt.
Auf all diese Situationen lenkt das Leitwort unseren Blick. - »Und führe zusammen, was getrennt ist.« Doch noch einmal: Es ist zuerst und vor allem Bitte an Jesus Christus. Wir katholische Christen im Bistum Trier wenden uns damit an den Herrn und laden viele ein, es mit uns gemeinsam zu tun. Denn wenn wir auf ihn, unseren Herrn zugehen, dann finden wir auch zueinander und zu uns selbst.