Glaube schenkt Identität in Vielfalt

Predigt am Hochfest Peter und Paul 2009 - von Bischof Dr. Stephan Ackermann am Schluss des Paulus-Jahres

Lesungs-Texte: Apg 3,1-10 / Gal 1,11-20 / Mt 16,13-19

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Mit dem heutigen Tag endet das Jubiläumsjahr des hl. Paulus, das Papst Benedikt ausgerufen hat und das am Hochfest der Apostelfürsten Petrus und Paulus im vergangenen Jahr begann. Den Anlass für die Ausrufung gab zum einen das um 8 nach Chr. vermutete Geburtsjahr des Völkerapostels, das heißt also also die 2000. Wiederkehr seines Geburtstags. Zum anderen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, den Paulussarkophag in der Basilika St. Paul vor den Mauern in Rom wieder freizulegen.

Wurde die Ausrufung zunächst etwas zögerlich aufgenommen, so hat dieses Paulusjahr doch viele, viele Initiativen auch in unserem Bistum angestoßen. Ich erinnere nur an die Wanderausstellung »mensch paulus«, die an vielen Stellen unseres Bistums und nicht nur in kirchlichen Räumen, sondern auch in Foyers von Banken und Kreisverwaltungen zu sehen war. Rund um diese Ausstellung gab es viele Vorträge und Gesprächsabende. Das Paulusjahr hat unserer Kirche gutgetan. Denn in der Regel schaut ja die katholische Kirche mehr auf Petrus, ist im allgemeinen Empfinden mehr »Peterskirche«. Paulus dagegen galt lange Zeit mehr als Apostel für die Kirchen der Reformation. In der Tradition und Verehrung der Kirche aber sind beide untrennbar verbunden und werden seit ältester Zeit gemeinsam gefeiert. So wird der Patron unseres Domes, Petrus, sicher nichts dagegen haben, wenn ich heute abend aus gegebenem Anlass in der Predigt mehr das Augenmerk richte auf seinen Mitapostel Paulus

Paulus – der Apostel über sich selbst

Ich möchte dabei ausgehen von dem Selbstzeugnis, das Paulus im Galaterbrief gibt und das wir eben in Lesung gehört haben. Zum Bewundernswerten seines Zeugnisses gehört, dass er seine im Blick auf den Christenglauben zwielichtige Vergangenheit nie schamhaft verschwiegen oder gar vertuscht hat. Offen bekennt er sich dazu, dass er zunächst ein fanatischer Gegner des Christusbekenntnisses war und die »Anhänger des neuen Weges« maßlos verfolgte.

Über das Warum dieser Heftigkeit ist unter den Gelehrten schon viel diskutiert worden. Sicher ist, dass Saulus, der in einer strengen pharisäischen Schule erzogen worden war, in dem neuen Weg der Christusanhänger eine Bedrohung des Glaubens Israels sah. Und sicher spielt dabei der veränderte, ja freie Umgang der Christen mit dem überlieferten jüdischen Gesetz, wie er sich schon bei Jesus findet, eine entscheidende Rolle. Es wäre sicher aber auch zu kurz gegriffen, Paulus ein rein erbsenzählerisch-formalistisches Gesetzesverständnis zu unterstellen.

„Gesetz“ prägte die Identität des Gerechten

In einer seiner Ansprachen während des Jubiläumsjahres hat Papst Benedikt zu dieser Frage eine Interpretation angeboten, die ich wirklich erhellend fand: »Gesetz«, so sagt der Papst, bedeutete für Paulus natürlich zunächst die Torah, die fünf Bücher Mose; aber es bedeutete noch mehr: Es »beinhaltete in der Auslegung der Pharisäer, wie es Paulus studiert und sich zu eigen gemacht hatte, einen Komplex von Verhaltensweisen, der vom ethischen Kern bis zur Befolgung der Riten und Kultregeln reichte und im Wesentlichen die Identität des gerechten Menschen bestimmte. Das galt insbesondere für die Beschneidung, die Einhaltung der Speisevorschriften und die rituelle Reinheit im allgemeinen, sowie die Vorschriften zur Einhaltung des Sabbatgebots usw. Es sind Verhaltensweisen, die oft auch in den Auseinandersetzungen zwischen Jesus und seinen Zeitgenossen auftauchen. Die Beachtung aller dieser Gesetzesregeln, die Ausdruck einer sozialen, kulturellen und religiösen Identität sind, war zur Zeit der hellenistischen Kultur ab dem 3. Jahrhundert v. Chr. ganz besonders wichtig geworden. Diese Kultur, die zur universalen Kultur der damaligen Zeit geworden war und eine dem Anschein nach rationale Kultur war, eine dem Anschein nach tolerante Kultur, die die verschiedensten Religionen und Kulte erlaubte, stellte dennoch einen starken Druck in Richtung der kulturellen Gleichförmigkeit dar und bedrohte somit die Identität Israels, das aus politischen Gründen dazu gezwungen war, in diese allgemeine Identität der hellenistischen Kultur einzutreten; das hatte den Verlust seiner eigenen Identität zur Folge und damit auch den Verlust des kostbaren Glaubenserbes der Väter, des Glaubens an den einen Gott und an die Verheißungen Gottes.

Gegen diesen kulturellen Druck, der nicht nur die israelitische Identität, sondern auch den Glauben an den einen Gott und an seine Verheißungen bedrohte, war es notwendig, eine Wand der Unterscheidung zu schaffen, einen Verteidigungsschild zum Schutz für das kostbare Erbe des Glaubens; diese Wand bestand in der Beachtung der jüdischen Regeln und Vorschriften. Paulus, der diese Beachtung der Vorschriften in ihrer Funktion zur Verteidigung des Geschenkes Gottes, des Glaubenserbes an einen einzigen Gott erlernt hatte, hatte diese Identität durch die Freiheit der Christen bedroht gesehen: Deshalb verfolgte er sie.« (Ansprache während der Generalaudienz am 27.08.2008)

Mit Christus sein macht gerecht

Im Augenblick seiner Begegnung mit dem Auferstandenen wurde Paulus klar, dass sich mit dem Kommen Jesu Christi die Situation radikal geändert hatte: Christus wird nun der entscheidende Bezugspunkt. Mit Christus wird der Gott Israels der einzige wahre Gott, der Gott aller Völker. Die »Wand« zwischen Israel und den Heiden ist nicht mehr notwendig: Christus, und nicht mehr ein ausgeklügeltes System an Weisungen und Vorschriften schützt vor dem Verlust des Glaubens und der Identität. Christus ist der entscheidende Bezugspunkt. Denn er ist ganz und gar einzigartig und mit seiner Botschaft doch zugleich zugänglich für alle Menschen. In seiner Kirche eint Christus die Vielen mit Gott und untereinander. »Gerecht sein« heißt nun einfach: »Mit Christus und in Christus sein. Und das genügt. Die Befolgung anderer Regeln ist nicht mehr notwendig.«

Heute: Identität durch Abgrenzung?

Wir spüren, wie aktuell diese Botschaft für heute ist sowohl für das Leben der einzelnen, als auch unserer Gesellschaft: Wie sehr sind die Menschen unserer Zeit auf der Suche nach ihrer Identität. Wie schwer fällt es vielen, sich selbst zu finden. Wie krampfig wirken viele Versuche, einen bestimmten Stil auszuprägen, sich ein bestimmtes Outfit zu geben, bestimmte Verhaltensweisen an den Tag zu legen, um unverwechselbar zu sein. Und doch spürt man schnell, dass so vieles rein äußerlich, beliebig, auswechselbar und rein modisch bleibt.

Und wie brisant ist das Thema Identität erst im gesellschaftlichen Dialog, und dies nicht erst in der Begegnung der Religionen! War der Hellenismus zur Zeit des Paulus scheinbar tolerant, so scheint es auch unsere globalisierte Welt zu sein. Man versteht sich als weltoffen. Doch nüchtern betrachtet, gibt es auch da den nicht zu übersehenden Druck zur Uniformierung, angefangen bei der Sprache der Computer … Dass dies Ängste und Unterlegenheitsgefühle schürt, ist eigentlich nicht verwunderlich. So versuchen gesellschaftliche Gruppen ihre Identität dadurch zu finden, dass sie sich abgrenzen, dass sie ausgrenzen, oder gar andere aburteilen. Identität und Profil werden nicht von innen, aus dem Eigenen heraus gewonnen, sondern in der Konfrontation zu anderen.

Glaube öffnet für Identität in Vielfalt

Liebe Schwestern und Brüder, mit dem Glauben an Jesus Christus, so wie ihn Paulus und alle Apostel verkündet haben, ist uns für unser Leben als einzelne und als Gemeinschaft ein unschätzbares Geschenk gegeben. Freilich, wo Christus und seine Botschaft angenommen werden, wirken sie sich auch stil- und kulturbildend aus. Wir brauchen uns nur umzuschauen, um festzustellen, wie stark der Glaube das Bild unserer Städte und Gemeinden bis heute prägt. (Wir durften es mit dem Domkapitel am heutigen Tag bei unserer Besichtigung in Simmern, Kirchberg und Ravengiersburg erleben!) Doch das Großartige ist, dass der Glaube an Jesus Christus nicht zur Festlegung auf eine Kultur zwingt, sondern offen ist für die Vielfalt der Kulturen. Denn der Glaube ist in seinem Kern nicht eine Ansammlung von bestimmten Lehren und Verhaltensweisen, von Formen und Gebräuchen, sondern die Beziehung zu einer Person: Jesus Christus. Im Kontakt zu ihm finden wir als einzelne, persönlich und als Gemeinschaft unsere wirkliche Identität. Christus sagt uns, wer wir in Wahrheit sind, indem er uns sagt, wer wir für ihn sind. Das ist die Mitte und der Ausgangspunkt. Alles andere ergibt sich von hier aus. Amen

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Glaube schenkt Identität in Vielfalt

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