Schriftlesungen: Jes 35,1-10/ Mt 11,2-6
Liebe Schwestern und Brüder!
Die Schriftlesungen, die wir soeben gehört haben und die zugleich die Lesungen des Dritten Adventssonntags sind, sind von einer ungeheuren Spannungen geprägt: Da ist die große Vision des Propheten Jesaja, der die Zeit des messianischen Heils, der Fülle und des Friedens ankündigt, die Gott selbst herbeiführen wird. Es ist Bild des Trostes und der Ermutigung für die, die im Exil, fern ihrer Heimat leben müssen. Aber es geht in dieser Vision nicht nur um die Rettung, die Wiederherstellung, die Restauration Israels in dem von Gott verheißenen und als Erbe gegebenen Landes. Die Botschaft des Propheten greift weit darüber hinaus: die Wüste - ja: alles wird blühen. Die Welt insgesamt wird heil und schön, ja prächtig.
Die Verheißung ist so groß und anziehend, dass sie auch nach mehr als 2000 Jahren nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat. Auch uns sprechen bis heute diese Bilder an. Sie sprechen von der Sehnsucht, die das Herz des Menschen bis in unsere Zeit hat. Sie sprechen uns vielleicht gerade deshalb an, „weil sie die Brüchigkeit, ja Gebrochenheit des Lebens, dessen Heilung und Erneuerung von Gott her sie besingen, nicht verschweigen“ (Magnificat, Dezember 2013, 167).
Auf der anderen Seite hören wir den Propheten Johannes, der das unmittelbare Bevorstehen dieser messianischen Heilszeit angekündigt hat, ja, der den Messias sogar in Jesus von Nazareth identifiziert hat und die Menschen entsprechend auf ihn hinwies. Indem die Liturgie des Dritten Adventssonntags diese beiden Texte gemeinsam vorlegt, macht sie deutlich, dass Johannes in der Linie der Verheißung des Propheten Jesaja steht: Gott wird kommen, so die prophetische Botschaft, und sich machtvoll in die Geschichte der Menschen einschalten. Doch die Vorstellung des Johannes, wie das geschieht, unterscheidet sich erheblich vom tatsächlichen Auftreten Jesu Christi. Ob man vielleicht sogar sagen kann, dass Johannes nicht damit gerechnet hat, dass es Gott mit seinem Kommen in diese Welt so ernst ist?
Gott kommt nicht, um aus einem Sicherheitsabstand heraus die Welt mit seiner allmächtigen Energie zu überziehen und im Feuerball zu erneuern. Nein, er kommt in die ganz konkreten menschlichen Verhältnisse unserer Welt. Er wird Mensch, dringt gleichsam in die innersten Bereiche dieser Welt ein, bis in das Herz des Menschen. Er nimmt selbst das Herz eines Menschen an. Gott bleibt also nicht an der Oberfläche. Er teilt nicht flüchtig das Geschick dieser Welt und des Menschen, sondern er teilt es von der Geburt bis zum Tod. So wird er gewissermaßen ununterscheidbar von der Welt. Gott ist es anstößig ernst mit der Inkarnation, dem Kommen in unser Fleisch.
Liebe Schwestern und Brüder, als Synodale haben wir uns in den zurückliegenden beiden Tagen in die Spannung der Schrifttexte hineingestellt: Wir haben es in einem sehr konkreten Sinn dadurch getan, dass wir den prophetischen Text des Jesaja auf einem der großen Banner seit gestern präsent hatten; und andererseits waren wir von Bildern unserer konkreten Welt und Zeit umgeben; Bildern, die Schülerinnen und Schüler zweier Schulen in unserem Bistum gemacht haben und die immer wieder auf die Leinwand projiziert wurden.
Die Vorbereitungskommission hatte diese Gestaltungselemente ganz bewusst ausgewählt, weil sie auch Ausdruck unserer inneren Bereitschaft sein wollen, uns in diese Spannung hineinzustellen, indem wir in diesen beiden Tagen immer wieder nach den Zeichen der Zeit gefragt haben. Die Zeichen der Zeit im Sinne des Evangeliums können wir nur erkennen, wenn wir auf unsere konkrete Welt, auf ihre Geschichte, auf unser persönliches Geschick schauen und zugleich auf Gottes Wort hören. Anders gesagt: Wir wollen in unserer Synode den Auftrag aufgreifen, den Jesus den Jüngern des Johannes mitgibt, die zu ihm kommen und fragen: Bist du der, der kommen sollen oder müssen wir auf einen anderen warten? Ihnen sagt Jesus: Geht und berichtet was ihr hört und seht (Mt 11,4). Was sie sehen, klingt außergewöhnlich: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Tote stehen auf … Wenn wir aber den Zusammenhang des Gesprächs Jesu mit den Johannesjüngern ernstnehmen, stehen diese Zeichen eher für die Unscheinbarkeit des Auftretens Jesu.
Als katholische Christen - als Christen überhaupt in dieser Zeit sind wir Johannes und seinen Jüngern verwandt: Auch wir wünschen uns, dass Gott seine Gegenwart und Macht zeigt, dass er den Spöttern den Mund stopft, den Suchenden entgegenkommt, die Zweifelnden überzeugt, den Verzagten wieder Mut gibt; der Kirche, da wo ihr die Versteppung des Glaubens droht, neue Lebendigkeit und Blüte schenkt. Wie schön wäre es, wenn die Lahmen – auch in der Kirche – ans Laufen kämen und mehr Grund wäre zum Jubeln, anstatt, dass uns die Zunge bleischwer im Mund liegt, weil wir nicht recht zu antworten wissen.
Gott aber bleibt seinem Weg, den er in Jesus Christus unwiderruflich begonnen hat, treu. Denn er kennt uns besser als wir selber uns kennen. Er weiß, dass wir Menschen letztlich und dauerhaft nur durch die Zustimmung unseres Herzens gewonnen werden können, nicht durch Spektakel und Gewalt. Denn diese bewirken Furcht, bestenfalls Respekt, aber keinen Glauben und kein Vertrauen. Damals wie heute gilt: Gott fegt nicht erst die alte Welt hinweg, um die neue Schöpfung zu begründen. Nein, mitten in der Geschichte bricht das Reich Gottes an: wie das Senfkorn und der Sauerteig, die sich allmählich, aber wirksam durchsetzen. Es gilt, die Zeichen dieses Reiches in der Welt zu entdecken.
Wer Ohren hat, der höre, so wird Jesus an anderer Stelle zu seinen Jüngern sagen (Mt 13,9), und: Selig sind, die sehen, was ihr seht und die hören, was ihr hört (Mt 13,16; Lk 10,23). Damit ist nicht einfach der physiologisch-körperliche Vorgang gemeint – wie viele haben Jesus gesehen und gehört in seinen Worten und in seinen Taten, ohne dass sie sich zu ihm bekehrt hätten! Nein, es geht um ein viel tieferes Hören und Sehen: Es geht um Einsicht und Verstehen.
Liebe Schwestern und Brüder, mehrmals ist seit gestern betont worden, dass rein äußerliche Vorgänge, Ereignisse, Trends in unserer Welt darauf hin zu befragen sind, wo sie auf den Anbruch des Reiches Gottes hinweisen, wo sie dazu einladen, an die Gegenwart von Gottes Herrschaft mitten unter uns zu glauben. Der Ereignisse unserer Zeit werden zu Zeichen, wenn sie im Licht des Glaubens angeschaut werden. Damit ist nicht gesagt, dass alle Ereignisse und Vorgänge, in denen sich Zeichen der Zeit für die Kirche verbergen, vom ersten Augenblick an wohltuend und bestärkend sind. Auch schwierige und schmerzliche Vorgänge können Zeichen der Zeit enthalten. Jeder Aufbruch kostet nämlich Energie. Jeder Aufbruch heißt, Altvertrautes zurückzulassen. Das ist schon rein menschlich so. Warum sollte es nicht auch im Zusammenhang des Reiches Gottes und seiner Kirche so sein? Und nicht selten sind auch Wachstumsprozesse mit Schmerzen verbunden, angefangen von den ersten Zähnen … Warum sollte das in der Kirche anders sein?
Wenn wir aber als Christen davon überzeugt sind, dass Gott in Jesus Christus in diese Welt gekommen ist, wenn es also tatsächlich diesen ersten, alles entscheidenden Advent in der Geschichte dieser Welt gegeben hat; und wenn es wahr ist, dass Gott sich nicht wieder aus ihr zurückgezogen hat, dann ist es an uns, uns seiner Gegenwart zu öffnen, damit er die Welt mehr und mehr mit seiner Gegenwart erfüllen kann, indem wir ihm die Räume unseres Lebens öffnen.
So fügt es sich wirklich gut, dass der Beginn unserer Synode zusammenfällt mit der Zeit des Advents, einer Zeit großer Hoffnungen und der Erneuerung der Bereitschaft, sich auf Gott hin zu öffnen, damit er uns mit seiner Gegenwart entgegen kommen kann. Die Gebete und Lieder der Liturgie rufen uns dies immer wieder in Erinnerung. Sehr oft verstehen wir dies bloß individuell-persönlich. Am Beginn unserer Synode wollen wir unsere Bereitschaft zur Erneuerung aber auch gemeinschaftlich bekunden, wollen sagen: Ja, Herr, komm! Wir wollen dir den Weg bereiten in und für unser Bistum! Wir sagen dies in der gläubigen Gewissheit, dass noch heute die Zusage des Propheten Jesaja gilt: „Der Weg gehört dem, der ihn geht“ (Jes 35,8).