Jubiläum: Rückblick und Verheißung

Predigt von Bischof Stephan Ackermann zur Feier des Silbernen Priesterjubiläums von Weihbischof Jörg M. Peters, Generalvikar Dr. Georg Holkenbrink, Domkapitular Dr. Georg Bätzing, Domvikar Dr. Michael Kneib am 12.08.2012 im Trierer Dom

Schriftlesungen: 1 Kön 19,4-8/ Eph 4,30-5,2/ Joh 6,41-51 [19. Sonntag im Jahreskr. – B]


Liebe Mitbrüder, die Ihr hier im Dom vor 25 Jahren die Priesterweihe empfangen habt,
liebe Eltern, Verwandte und Freunde,
liebe Wallfahrer aus dem Bistum Limburg,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Wenn wir heute das Silberne Priesterjubiläum von gleich vier Mitbrüdern feiern, dann können wir zunächst einmal an die ursprüngliche Wurzel des Wortes »Jubiläum« denken. Jubiläum leitet sich ja vom hebräischen »Jobel« ab: Mit dem Jobel-Jahr wurde das Jahr bezeichnet, in dem in Israel alle Schulden erlassen wurden. Landbesitz, der aus Not verpfändet oder verkauft worden war, wurde seinem ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben und Israeliten, die bei ihren eigenen Landsleuten in Schuldsklaverei geraten waren, wurden wieder freigelassen. Jedes 50. Jahr wurde als ein solches Erlass- und Jobeljahr begangen. Es erinnerte daran, dass Gott der eigentliche Eigentümer des Landes war, das er seinem erwählten Volk verheißen und geschenkt hatte. Mit dieser Erinnerung an den Ursprung war zugleich die Chance auf einen gesellschaftlichen Neuanfang verbunden. Das Jubeljahr bot also Gelegenheit zur Erneuerung.

Jubiläums-Jahr – Erlassjahr - Erinnerung

In unserer globalisierten Welt hat seit dem Jahr 2000 der Gedanke vom Schuldenerlass neue Aktualität gewonnen, aber schon immer verbindet sich mit der Feier eines Jubiläums die Anknüpfung an den Ursprung. Mit dem Jubiläum verbindet sich dankbare Erinnerung und zugleich die Hoffnung, neue Kraft schöpfen zu können aus der Erinnerung an den Anfang.

Liebe Mitbrüder, Ihr werdet in diesen Wochen mit Verwandten und Freunden mehr als sonst zurückblicken auf den Sommer 1987, vielleicht auch Fotos von Weihetag und Primiz anschauen, vor allem aber werden innere Bilder aufsteigen, werden Gedanken, Gefühle und Stimmungen wach, die Euch an das Geschehen von vor 25 Jahren erinnern. Möge Euch das Jubiläum helfen, Euch Eures priesterlichen Dienstes zu vergewissern und darin zu bestärken.

Am Anfang: Jesu grenzenlose Zuwendung zu uns

Aber gerade als Priester haben wir natürlich noch eine andere Möglichkeit, um an den Anfang unseres Dienstes anzuknüpfen als den Blick ins Fotoalbum. Wir brauchen schlicht nur das zu tun, was wir jetzt in dieser Stunde tun, da wir Eucharistie feiern. Es ist dieselbe Feier, die auch am Beginn des Dienstes stand. Als Priester, nein als Christen überhaupt, sind wir gerade hier immer wieder verbunden mit dem Anfang, der nicht nur einen bestimmten Punkt unserer persönlichen Biographie markiert, sondern den eigentlichen Ursprung unseres Glaubens und unserer kirchlichen Gemeinschaft. Dieser Ursprung veraltet und vergilbt nicht wie Fotos im Album, sondern er bleibt aktuell, weil das Ereignis, das er bezeugt, bis heute gilt: die grenzenlose Zuwendung Jesu Christi zu uns Menschen. Wir dürfen sie erfahren in der Gabe der Eucharistie, in der Jesus Christus sich uns mit Fleisch und Blut schenkt. Wir dürfen sie uns zusprechen lassen im Wort der Heiligen Schrift, das uns in jeder Feier der Eucharistie verkündet wird.

Schauen wir genauer hin auf das, was uns soeben verkündet wurde. Im Unterschied zu dem freudigen Anlass, der uns zusammenführt, sind die Lesungen dieses Sonntags nicht von Jubeltönen bestimmt. Im Gegenteil, in der alttestamentlichen Lesung und im Evangelium herrscht Krisenstimmung. Im 6. Kapitel des Johannesevangeliums kann man regelrecht zuschauen, wie der anfängliche Jubel über Jesus in Kritik und Anfeindung umschlägt. Erinnern wir uns: Die Menschen hören Jesus gerne. Sie sind fasziniert von der Kraft seiner Worte; sie staunen über die Heilungen, die er vollbringt. So heften sie sich an seine Fersen, vergessen darüber sogar zu essen. Da macht Jesus sie satt, indem er aus dem Wenigen an Brot und Fisch mehr als genug macht für alle. Darüber wächst die Begeisterung so, dass die Menschen ihn zu ihrem König machen wollen (Joh 6,15).

Jesus beschenkt – und ruft zur Entscheidung

Wie aber kommt es zu dem plötzlichen Stimmungsumschwung? Je länger die Menschen Jesus hören, umso deutlicher spüren sie – und Jesus selbst lässt keinen Zweifel daran, dass sie nicht in der Rolle der staunenden Zuschauer, der bloßen Mitläufer und - so könnten wir auch sagen: der Konsumenten verbleiben können. Die Gleichnisse, die er vom Reich Gottes erzählt, sind nicht Märchen, die für kurze Zeit die graue Realität des Alltags vergessen lassen wollen. Und die Nahrung, die er gibt, ist keine Gratisversorgung. Nein, Jesus bekennt seinen Hörern gegenüber unverhohlen, dass sich an ihm alles entscheidet: »Ich bin das Brot, das vom Himmel herabkommt. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch« (Joh 6,41.51). Mit anderen Worten: Ich bin der Weg zum Himmel. Wer mich annimmt, ja aufnimmt, der gewinnt das Leben, das bleibt. Wer mich nicht aufnimmt, der lebt am eigentlichen Sinn des Lebens vorbei, der wird seinen Hunger nach Sinn nie wirklich stillen können. Dem wird immer etwas fehlen.

Von hierher verstehen wir den Stimmungswandel der Menge: Denn eines ist es, nachzudenken über den Sinn des Lebens, vom Himmel zu träumen, sich Geschichten erzählen und sich satt machen zu lassen. Ein anderes ist es, sich entscheiden zu müssen, für einen bestimmten Weg, für eine bestimmte Option, eine konkrete Lehre, ja einen konkreten Lehrer zum Leben. Genau diesen Anspruch aber richtet Jesus vor seinen Zuhörern auf. Kein Wunder, dass sich viele mokieren und sagen: »Sollte der, den wir unter uns haben aufwachsen sehen und dessen Eltern wir kennen, etwa der Dreh- und Angelpunkt von Himmel und Erde sein? Das ist viel zu naheliegend, ja viel zu banal, um wahr zu sein.«

Die Antwort auf die Lebensfragen ist schon gegeben…

Liebe Schwestern und Brüder! Der priesterliche Dienst liegt genau im Schnittpunkt dieser Linien: Denn zum einen hält er die großen, die eigentlichen Fragen unseres Lebens wach: die Frage nach Gott, nach unserem Woher und Wohin, die Frage nach der Wahrheit, die Frage nach dem, was Leben eigentlich ist und was am Ende bleibt. Es sind die großen Fragen, die die Menschen zu allen Zeiten umtreiben, mögen sie heute auch vielfach verschüttet und verdrängt sein in der Hektik unserer Tage. Zugleich aber steht der priesterliche Dienst auch dafür, dass diese Fragen nicht bloß Fragen sind, ungelöste Rätsel, die uns elektrisieren oder uns bedrängen. Der Dienst des Priesters steht dafür, dass uns die Antwort gegeben ist in Jesus Christus, in seiner Botschaft, ja in seiner Person. Wir brauchen die Antwort auf die Fragen des Lebens weder aus unendlichen Fernen zu holen, noch vor ihnen zu kapitulieren: Sie liegt offen vor uns. Sie ist uns gegeben in Jesu Christus. Das zu bezeugen, macht das Große und Faszinierende des priesterlichen Dienstes aus. Darin liegt aber auch seine besondere Herausforderung.

… und scheint manchen ermüdet

Denn nicht nur den Menschen damals zur Zeit Jesu, auch uns scheint die Antwort des Glaubens oft genug zu gewöhnlich und zu naheliegend, vor allem auch zu konkret, um wirklich wahr zu sein. Wir kennen das Murren auch unserer Zeitgenossen, die laut oder heimlich sagen: »Was, Jesus und seine Botschaft, die sollen der Schlüssel sein zum Geheimnis der Welt? Die kennen wir doch schon seit zweitausend Jahren. Die sind wirklich nicht neu. Dazu kennen wir die Familiengeschichte der Kirche, die auch kein reines Ruhmesblatt ist.« Viele denken so, lassen die Botschaft auf sich beruhen oder wenden sich gar von ihr ab.

Liebe Schwestern und Brüder, so stark die Faszination und Begeisterung für Jesus und seine Botschaft am Anfang eines priesterlichen Lebens auch sein mag, in zweieinhalb Jahrzehnten priesterlichen Dienstes bleibt einem die gerade beschriebene Erfahrung nicht erspart. Da wird Ohnmacht spürbar. Mitunter mag man sich fühlen wie Elija unter dem Ginsterstrauch und sagen: »Ach, es ist genug, Herr« (1 Kön 19,4). Welchen Erfolg hatte der errungen, der dann so entmutigt war! Auf dem Berg Karmel hatte er die Baalspriester in einem aufsehenerregenden Gottesurteil als Scharlatane überführt. Gott hatte mit einem gewaltigen Feuer geantwortet und Elija Recht gegeben. Doch der Prophet muss die Erfahrung machen, dass trotz seines machtvollen Auftretens König und Königin nicht zum Jahweglauben zurückkehren. Im Gegenteil, nun trachten sie Elija nach dem Leben. So bleibt sein leidenschaftlicher Einsatz letztlich ohne positive Wirkung. Er ist deprimiert, doch er wendet sich nicht von Gott ab, sondern bleibt in der Bindung an ihn, ja sogar selbstkritische Töne sind zu vernehmen: »Ich bin nicht besser als meine Väter« (1 Kön 9,4).

Faszination des Anfangs – unvermeidliche Fragen – Gottes Anziehungskraft

Das Bekenntnis des Elija verweist auch uns Priester noch einmal auf uns selbst zurück. Denn Fragen und Zweifel haben ja nicht nur die Anderen. Nein, wenn einmal die Faszination des Anfangs nachgelassen, wenn das kräftige Selbstbewusstsein des Jungpriesters sich gelegt hat, wenn früher oder später die eigenen menschlichen Grenzen deutlich spürbar werden, dann stellt sich auch beim Priester die Frage ein: »Ist es wirklich wahr, dass in Jesus Christus ›alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis‹ enthalten sind (Kol 2,3)? Ist es nicht geradezu unglaublich, dass der Altar, an dem ich stehe, der Ort ist, an dem der Himmel die Erde berührt, wenn die schlichten Gaben von Brot und Wein gewandelt sind in Leib und Blut Jesu Christi? Und wieso sollte sich der allmächtige Gott ausgerechnet meiner Person bedienen, um Menschen anzusprechen?«

Solche Fragen sind im Leben eines Priesters unvermeidlich. Sie sind aber nicht dazu da, ihn kleinmütig machen. Vielmehr sollen sie ihn daran erinnern, dass Jesus gesagt hat: »Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht« (Joh 6,44): Die eigentliche Anziehungskraft für Gott und sein Reich ist Gott selbst. Auch Jesus überlässt diese letzte Macht dem Vater. Das entlastet und zeigt, dass wir nur Werkzeug sind. Geben wir nur Acht darauf, dass wir die Anziehungskraft Gottes nicht schmälern, dass wir – wie der Apostel sagt –  »nicht den Heiligen Geist Gottes beleidigen, dessen Siegel wir tragen« (Eph 4,30).

Brot des Alltags

Schauen wir noch einmal auf Elija: Von seiner Vollmacht und seinem Erfolg überzeugt, musste der Prophet lernen, dass der Herr nicht nur der ist, der in Feuer und Sturm kommt, sondern dass er sich ebenso (ja häufiger) leise dem Menschen naht wie das Säuseln des Windes. Und ist es nicht ein schönes Symbol, dass das Brot, das den Propheten in der Einsamkeit der Wüste stärkt, nicht in einem gewaltigen Feuerofen gebacken ist, sondern in »glühender Asche«: Dieses Brot trägt in seinem Geschmack den Staub der Mühe und des Alltags, aber es zeugt zugleich von der Glut des Anfangs, die nicht erloschen ist. So steht dieses Brot zusammen mit dem Krug Wasser für Einfachheit, Reife und Tiefe.

Jubiläum als Verheißung

Liebe Mitbrüder, mit denen wir heute das Jubiläum begehen: Nehmt die Schriftlesungen dieses Sonntags als Lesehilfe für Euren priesterlichen Weg, angefangen von der ersten Faszination und Begeisterung über manche Ernüchterung bis hin zur Reife des heutigen Tages. Nehmt diese Feier auch zum Anlass, staunend dankbar zu sein dafür, dass der Herr Euch die Treue schenkte. Und, nehmt das Jubiläum als mutmachende Verheißung für die kommende Wegstrecke. 25 Jahre seid Ihr nun als Priester Jesu Christi aktiv in der Kirche von Trier. Als Bischof danke ich Euch dafür von Herzen. Gerade in den letzten Jahren seid Ihr alle an herausgehobener Stelle für unser Bistum tätig, und so danke ich Euch auch persönlich dafür, dass Ihr mir in der Leitung unseres Bistums mit ganzer Kraft und brüderlich zur Seite steht. Es ist gut, Euch an der Seite zu wissen! Wenn man es zusammenrechnet, dann repräsentiert Ihr mit Euren 4 x 25 Jahren insgesamt 100 Jahre priesterliches Wirken für das Bistum Trier. Toll! Mit allen Anwesenden gratuliere ich Euch dazu sehr herzlich! Wir freuen uns mit Euch auf die nächsten 100 Jahre und erbitten dazu Gottes reichen Segen. Amen.

Weiteres:

Jubiläum: Rückblick und Verheißung

in der Predigt