Schriftlesungen: 1 Sam 3,1-10.19-20/ Mk 1,16-20
Liebe Weihekandidaten,
liebe Eltern und Verwandten,
liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge,
Schwestern und Brüder im Glauben!
Es herrscht Endzeitstimmung – am Wallfahrtsheiligtum von Schilo: Der Kultbetrieb läuft zwar noch, aber irgendwie ist er leer geworden: »Worte des Herrn waren selten, Visionen waren nicht häufig«, sagt die Lesung. Beim alten Priester Eli sind die »Augen schwach geworden, und er konnte nicht mehr sehen«; will sagen: Er blickt nicht mehr durch, kennt sich nicht mehr recht aus. Vor allem kann er dem Treiben seiner Söhne, die seine Nachfolge als Priester angetreten haben, keinen Einhalt gebieten. Ihr Lebenswandel lässt massiv zu wünschen übrig, und das ist noch vornehm ausgedrückt. Wer Näheres wissen möchte, schauen nach in 1 Sam 2 ... Immerhin, die »Lampe Gottes«, Zeichen seiner Gegenwart, war noch nicht erloschen. Ein Hoffnungsfunke scheint noch da zu sein.
Liebe Weihekandidaten, Sie haben diese Lesung ausgesucht. Was hat Sie zu dieser Wahl veranlasst? Sehen Sie darin etwas beschrieben von unserer Kirchenstunde? Endzeitstimmung – auch in der Kirche? Manch einem kommt es so vor:
Liebe Mitbrüder Weihekandidaten, waren es wirklich diese Verbindungslinien, die Sie bewegt haben, die Lesung für heute auszuwählen? Oder erkennen Sie sich doch mehr wieder in dem jungen Samuel, der den Ruf Gottes erfährt, aber damit zunächst nicht umzugehen weiß und erst peu à peu darüber Klarheit gewinnt?
Wenn wir auf Samuel schauen, scheinen mir zwei Beobachtungen besonders bemerkenswert: Die eine finde ich in der Notiz, dass »Samuel den Herrn noch nicht kannte« (V. 7). Kann das denn sein? Seine Mutter Hannah hatte ihn doch schon als Kleinkind ans Heiligtum gebracht. Er war von Kindsbeinen an »Ministrant« gewesen, ganz zu Hause im Gottesdienst. Und da sollte ihm Gott unbekannt geblieben sein? Offensichtlich gibt es das: Man kann im Ritus beheimatet sein und doch ist Gott einem fremd. Das ist ernst zu nehmen. Auch wenn sich unser Priesterbild wesentlich von dem des Priesters im AT unterscheidet, so sind wir in der Kirche dennoch nicht gefeit davor, in religiöse Routine abzugleiten. Sie bringt uns Gott aber nicht näher, im Gegenteil sie entfremdet sogar. Deshalb brauchen wir gerade als Priester die Balance zwischen der Gottesbegegnung in der Feier der Liturgie, der Begegnung mit Gott in der Einsamkeit und Alltäglichkeit des schlichten, persönlichen Gebets, aber auch der Begegnung mit ihm in Phasen der Erholung. Das dürfen wir uns gerade kurz vor Beginn der Sommerferien noch einmal sagen lassen. Erstaunlicherweise ruft Gott ja den Samuel weder bei der Liturgie, noch während des persönlichen Gebets, sondern in einer so banalen Situation wie im Schlaf. Das ist aber genau die Zeit, in der unsere selbstgesteuerte Aktivität ruht, wir uns sozusagen für einige Stunden aus der Hand geben.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie entlastend und befreiend für mich während der Studienzeit die Erkenntnis war, dass Begegnung mit Gott immer und überall, sogar in ganz banalen Situationen geschehen kann. Schon die große Teresa von Avila spricht ja bekanntlich zu ihren Schwestern von der Gegenwart Gottes, die sich nicht nur in der Kapelle, sondern auch zwischen den Kochtöpfen findet. Gemeinhin haben wir die Vorstellung, dass der eigentliche Ort, Gott zu erfahren, der Gottesdienst und das Gebet seien. Umso enttäuschender, wenn da auf Dauer wenig passiert, sich kein erhabenes Gefühl einstellt, keine spirituellen Höhenflüge. Mir hilft es, das Gebet gerade dann zu verstehen als eine Zeit, die mich dazu disponiert, d. h. mich bereit macht, Gott zu begegnen, wann immer er es will und für richtig hält. Das Gebet als Zeit die inneren Sinne zu schärfen für Gott, um dann Augen und Ohren offen zu haben für seine Nähe. Sie kann mir im Gottesdienst oder im Gebet begegnen, sie muss es aber nicht. Darum zu wissen, entlastet und gibt den langen Atem, dem Gebet auch dann treu zu bleiben, wenn es wenig ergiebig erscheint.
Damit sind wir bei einem zweiten Hinweis, den der Text noch bereit hält: Der Ruf Gottes an Samuel ist so unspektakulär und zugleich so menschlich, dass Samuel ihn mit der Stimme Elis verwechselt. Das bedeutet: Der Ruf Gottes braucht Dolmetscher, braucht Menschen, die anderen helfen, die Stimme Gottes herauszuhören aus den vielen Stimmen, die uns umgeben. Es braucht Menschen, die wie der greise Eli aus eigener menschlicher und gläubiger Erfahrung in der Lage sind, den Anruf Gottes zu erkennen. Wir hören diesen Anruf vor allem in den Worten der Hl. Schrift, natürlich; aber eben nicht nur da. Gottes Anruf tritt uns auch entgegen durch bestimmte Situationen unseres Lebens, durch die innere Stimme unseres Gewissens, durch Worte von Mitmenschen. Mag der andere sich vielleicht gar nichts Besonderes dabei gedacht haben, so kann sein Wort doch ein Wink sein, der meinem Leben Richtung gibt.
Schon vor Jahren hat der verstorbene Bischof Klaus Hemmerle von Aachen gesagt: »Ich glaube eigentlich nicht, dass es zu wenig Samuels gibt. Aber wo sind die Elis? Sind wir es?«
Das ist zunächst natürlich eine ernste Frage an uns, liebe Mitbrüder im Priesteramt: Sind wir »Elis«? Helfen wir den Menschen, Gottes Anruf in ihrem Leben zu hören? Das heißt zunächst ganz schlicht: Machen wir die Menschen, denen wir begegnen, auf die Wirklichkeit Gottes aufmerksam? Zeigen wir ihnen durch unser Reden und Tun, dass wir fest mit der Wirklichkeit Gottes rechnen? Dann aber heißt es auch, gerade junge Menschen auf die Möglichkeit einer besonderen Berufung in die Nachfolge aufmerksam zu machen. Vielleicht denkt ein Jugendlicher selbst nicht einmal im Traum daran, sondern spürt wie der junge Samuel vielleicht in sich nur so etwas wie eine innere Unruhe, irgendeine undefinierbare Herausforderung, die er selbst gar nicht zu deuten weiß. Vielleicht erscheint diese Unruhe auf den ersten Blick nicht einmal besonders fromm. Umso wichtiger ist es, dass wir für solche Phänomene sensibel sind.
Könnte nicht das Priesterjahr, das Papst Benedikt ausgerufen hat, ein »Weckruf« für uns sein, der uns dazu motiviert, stärker als üblich Ausschau zu halten nach den verborgenen Samuels in unserer Umgebung und dann auch mit unserer eigenen Berufungserfahrung nicht hinter dem Berg zu halten. Ich fände das großartig.
Was für die Priester gilt, liebe Schwestern und Brüder, das gilt aber letztlich für alle Christen: Die Rolle des Eli ist weder ein Privileg, noch eine alleinige Pflicht der Priester. Bitte helfen Sie alle mit, Berufungen – und das darf ich heute morgen bei der Priesterweihe besonders hervorheben – Berufungen zum Priestertum zu entdecken und dazu zu ermutigen. Ich bin überzeugt: Die Zahl der »Samuels« hängt auch an der Zahl der »Elis« in unserem Bistum. Was wäre gewesen, wenn Eli den Knaben beim dritten Mal fortgeschickt hätte mit der barschen Bemerkung: »Junge, du tickst nicht richtig. Lass mich mit Deiner Spinnerei in Ruhe« ... Ob Samuel seine Berufung überhaupt entdeckt hätte?
Liebe Weihekandidaten! Dass Sie als Leitfigur zu Ihrer Weihe nicht den greisen Eli, sondern die Menschenfischer gewählt haben, verstehe ich. Denn die Berufungserzählung vom See Gennesareth atmet noch ganz die Ursprünglichkeit und Faszination des Anfangs. Und doch geht es bei den Menschenfischern im Tiefsten um nichts anderes als bei Eli: Hier wie dort geht es darum, Menschen für Gott zu gewinnen. Dazu werden die künftigen Menschenfischer zunächst selbst einmal zu Gefischten. Aus sicherer Distanz heraus lässt sich nämlich der Beruf des Menschenfischers im Sinne Jesu Christi nicht ausüben. Es gilt das Wort des hl. Johannes Don Bosco: »Wer Menschen fischen will, muss sein eigenes Herz an die Angel hängen.« Oder um es noch einmal mit einer Formulierung der Samuel-Lesung zu sagen: Wer Menschen gewinnen will, muss immer wieder bereit sein zu sagen: »Hier bin ich«, d. h. er muss sich selbst ins Spiel bringen. Diese Haltung war dem Eli offensichtlich trotz seiner Altersmüdigkeit nicht abhanden gekommen. Wahrscheinlich wurde er durch Samuel an seine eigene Erfahrung, an sein eigenes »Adsum« erinnert. Deshalb konnte er den geheimnisvollen nächtlichen Ruf deuten.
Liebe Mitbrüder, Sie haben eben zu Beginn der Liturgie Ihr »Hier bin ich« gesprochen und werden es gleich bei den Weiheversprechen noch einmal bekräftigen. Die Fruchtbarkeit Ihres Dienstes wird wesentlich davon abhängen, dass Sie die Bereitschaft, sich selbst »an die Angel zu hängen«, nie ablegen. Sie werden nur gute Menschenfischer sein, wenn Sie selbst Ihr Leben lang von Jesus Gefischte bleiben. Und Sie können den Menschen nur ein hilfreicher und wegweisender Eli sein, wenn sie zugleich der junge Samuel bleiben. Dass Ihnen dies gelingt, darum wollen wir nun gemeinsam beten. Amen