Liebe Mitbrüder im geistlichen Dienst, liebe Schwestern und Brüder im Glauben!
„Frohe Ostern!“ - Mit diesem Gruß werden wir heute und morgen wieder einander grüßen. Vielleicht ersetzt dieser Gruß sogar das „Guten Tag“. Gibt es eigentlich so etwas wie eine ungeschriebene Regel, ab wann man nicht mehr mit „Frohe Ostern“ grüßt, so habe ich mich manchesmal schon gefragt. Zumindest in der Osterwoche könnte das doch unser Gruß sein. Wenn man es richtig betrachtet, könnte man sich sogar in der ganzen Osterzeit so grüßen. Das aber ist unüblich. Wir würden uns wundern, wenn uns jemand in drei Wochen „Frohe Ostern!“ zurufen würde. Viele würden sagen: Aber Ostern ist doch schon längst vorbei. Aber das stimmt eigentlich nicht. Denn die große österliche Festzeit, sie reicht ja bis zum Pfingstfest.
Dass wir den Ostergruß nur so kurze Zeit verwenden, mag aber auch noch einen anderen Grund haben. Vielleicht liegt es nämlich auch daran, dass dieser Gruß in sich ungewöhnlich ist. Denn er unterscheidet sich von unseren üblichen Grußformeln, die ja in der Regel einen Wunsch ausdrücken wie „Guten Morgen“, „Guten Tag“, „Alles Gute“ … Kann man sich denn überhaupt „Frohe Ostern“ wünschen? Ostern, das ist doch das Ostern Jesu Christi. Es ist seine Auferstehung. Und es ist schließlich ein Geschehen, das sich vor 2.000 Jahren ereignet hat. Wie können wir ein solches Geschehen als Wunsch formulieren? Ich wünsche ja auch einem anderen nicht einen „frohen Sonntag“, oder einen „guten Appetit“, wenn der Sonntag bzw. die Mahlzeit schon vorbei ist.
In der Tat, zunächst ist Ostern ein Geschehen, das sich an Jesus vollzieht. Der klassische Gruß, mit dem sich die Christen der Ostkirche begrüßen, macht das sogar noch deutlicher: Denn sie tauschen an Ostern den Gruß aus: „Christus ist auferstanden. – Ja, er ist wahrhaft auferstanden!“ In diesem Wechselruf ist scheinbar gar kein Wunsch mehr enthalten, er ist eine reine Feststellung. Er schließt sich an das an, was Lukas am Ende der Emmausgeschichte erzählt: Nachdem die beiden Jünger den unbekannten Wanderer am Brotbrechen als ihren Herrn erkannt haben, kehren sie nach Jerusalem zurück und berichten den anderen Jüngern ihr Erlebnis. Diese aber rufen ihnen schon entgegen: „Der Herr ist wahrhaft auferstanden und dem Simon erschienen“ (Lk 24,34). Da bestätigen die Emmausjünger, dass sie dieselbe Erfahrung gemacht haben und bringen sie in die Worte: „Der Herr ist auferstanden!“
Wie aber waren sie zu der Feststellung gekommen? Offensichtlich nicht einfach durch das leere Grab. Denn das leere Grab lässt sich unterschiedlich deuten. Das haben wir eben im Evangelium gehört: Vom Apostel Johannes heißt es, dass er sich in das Grab hineinbeugte, es leer sah und dadurch zum Glauben an die Auferstehung kam (Joh 20,8). Aber Maria Magdalena kommt zu einem anderen Schluss. Sie entdeckt das leere Grab und sagt: „Man hat uns den Herrn weggenommen“ (Joh 20,2). Und der Evangelist Matthäus berichtet, dass zwar das Faktum des leeren Grabes selbst von den Hohenpriestern nicht zu leugnen war, diese aber die Wachsoldaten bestachen, damit sie das Gerücht verbreiteten, die Jünger selbst hätten den Leichnam gestohlen (Mt 28,11-15).
Nein, nicht das leere Grab hat die Jünger darauf gebracht, dass der Herr auferstanden ist, sondern die Erfahrung, dass er lebendig ist, ja sogar die Nähe zu ihnen sucht, ihnen entgegenkommt in Jerusalem und in Galiläa. Wie sollten sie diese Lebendigkeit anders erklären als: Jesus, unser Herr ist auferstanden! Insofern also ist Ostern zwar ein Ereignis der Geschichte, aber es ist keine Vergangenheit! Es ist eine Wirklichkeit, die mit der Auferweckung Jesu von den Toten begonnen hat, weitergeht und sich erfahren lässt. Denn offensichtlich hat Jesus das Grab nicht verlassen, um der Welt, die ihn so schlecht behandelt hat, ein für alle mal den Rücken zu kehren. Im Gegenteil, er betritt sie nun auf eine ganz neue Weise und zeigt, dass es eine bisher ungeahnte Durchlässigkeit zwischen der Welt der Menschen und der Welt Gottes gibt.
Genau das war ja die umwerfende Erfahrung, die die Jünger seit dem ersten Tag der Woche machen durften: Die Wirklichkeit des neuen Lebens Jesu flutet hinein mitten in die alte Welt! So wurde aus der zunächst noch überraschten Feststellung, dass Jesus auferstanden ist und lebt, ein Jubelruf und ein Bekenntnis, das aber eben nicht bloß eine Feststellung ist, sondern zugleich einen Wunsch beinhaltet: „Der Herr ist auferstanden – und ich wünsche Dir, dass Du es auch so erlebst!“ Wenn wir also einander „Frohe Ostern“ wünschen, dann wünschen wir uns gegenseitig das neue „Lebensgefühl“, das sich mit der Auferstehung Jesu eröffnet hat. Einem anderen Menschen „Frohe Ostern“ zu wünschen, heißt, ihm zu wünschen, dass auch er dem Herrn begegnet, ihn als Lebendigen erfährt.
Freilich, es wäre unredlich, wenn wir so tun würden, als ob wir das neue, österliche Leben schon jetzt ungehindert und in seiner ganze Fülle erleben dürften. Es stimmt, was der Apostel den Christen in Kolossä schreibt: Das neue Leben ist mit Christus verborgen in Gott (Kol 3,3). Es liegt nicht einfach und immer zutage. Es überlagert nicht alles. Das wäre auch nicht die Sprache von Ostern. Die Sprache von Ostern ist behutsam und leise, sie nötigt nicht, sie ist einladend. Hinweise werden ausgestreut für die, die sie zu lesen vermögen. Der Auferstandene kommt zu den Seinen. Sie erleben seine Nähe so intensiv, dass ihre Herzen brennen (Lk 24,32), aber er entzieht sich ihnen auch wieder. Deshalb ist der Gruß „Frohe Ostern“ nicht nur ein Wunsch, sondern auch so etwas wie ein Weck- und Erinnerungsruf: „Frohe Ostern! Das heißt: Halte die Augen offen, dass Du die Zeichen von Jesu Gegenwart nicht übersiehst!“
Und wie ist das nun, liebe Schwestern und Brüder, mit Menschen, die nicht an Ostern glauben? Kann man denen überhaupt „Frohe Ostern“ wünschen oder sollte man sich da besser zurückhalten? Ich bin überzeugt, dass man jedem Menschen “Frohe Ostern” wünschen darf, ob er ein glaubender Mensch ist oder nicht. Denn was könnte ich einem Menschen Besseres wünschen, als dem lebendigen Gott zu begegnen?! Die “Minimalvoraussetzung” dafür, dass dieser Wunsch nicht ganz ins Leere läuft, besteht darin, dass ein Mensch sich nicht völlig in dieser Welt eingerichtet und mit sich selbst genug hat, sondern sich eine Nachdenklichkeit bewahrt hat, ein Fragender und Suchender geblieben ist. Das früheste und prominenteste Beispiel dafür ist Saulus: Er hat als gesetzestreuer Jude wahrhaftig nicht an den Auferstandenen geglaubt, aber er war – wenn auch fanatisiert – ein Sucher nach der Wahrheit. Das war die Tür, durch die der Auferstandene in das Leben des Saulus eintreten konnte. In dem Moment, als dies am hellichten Tag auf offener Straße vor Damaskus geschah, war für Saulus Ostern (vgl. Apg 9,1-18).
Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir Ostern so verstehen, dann können wir wirklich von Herzen einander, ja allen Menschen „Frohe Ostern“ wünschen; nicht nur heute am Ostersonntag und morgen am Ostermontag, sondern eigentlich das ganze Jahr über. Amen, halleluja!