Schriftlesungen: Eph 2,19-22/ Joh 20,24-29
Liebe Weihekandidaten, liebe Eltern und Verwandten,
liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,
liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Seelsorge,
Schwestern und Brüder im Glauben!
Wenn heute Morgen drei Männer durch die Priesterweihe in den apostolischen Dienst der Verkündigung des Evangeliums hineingestellt werden und wir dieses Ereignis am Fest des Apostels Thomas begehen, dann empfinde ich das als eine schöne Fügung. Denn der Blick auf den Apostel kann uns helfen, besser zu verstehen, was den priesterlichen Dienst ausmacht. Wir haben soeben aus dem Johannesevangelium die bekannteste Szene gehört, in der der Apostel Thomas uns entgegentritt. Sie hat ihm den Ruf des Zweiflers eingetragen. Ich möchte aber in der Predigt insgesamt ein wenig den Stellen nachgehen, an denen Thomas im Vierten Evangelium namentlich auftaucht.
Das erste Mal ist dies im elften Kapitel. Es ist in einem kritischen Moment des Lebens Jesu: Jesus hat sich entschlossen, nach Betanien zu gehen, um seinen gestorbenen Freund Lazarus wiederzuerwecken. Damit kommt Jesus Jerusalem und seinen Gegnern gefährlich nahe. Die Jünger warnen Jesus. Sie raten ab. Sie haben wohl nicht nur Angst um ihren Meister, sondern auch um sich selbst. Als sie zögern und beraten, tritt Thomas beherzt auf und sagt zu den anderen: »Dann lasst uns mit ihm gehen, um mit ihm zu sterben« (Joh 11,16).
Die Weihekandidaten haben sich diesen Satz als Weihespruch ausgewählt. Sie haben, richtiger gesagt, die erste Hälfte dieses Satzes gewählt. Die Bemerkung vom Sterben haben sie weggelassen. Das verstehen wir gut. Denn sie gäbe dieser Stunde eine dunkle Schwere. Ja, der Weihespruch klänge sogar etwas lebensmüde. Das wäre keine gute Startbedingung für den Dienst. Recht besehen bedeutete die zweite Hälfte auch eine unnötige Dramatisierung: Wir Christen stehen in Deutschland nicht in Zeiten der Verfolgung, wenigstens nicht in dem Sinn, dass wir an Leib und Leben bedroht würden. Allerdings hat das Wort »verfolgen« im Deutschen auch noch eine andere Bedeutung. Sie liegt uns während der derzeit laufenden Fußball-Weltmeisterschaft näher, wenn etwa davon die Rede ist, dass Millionen Menschen aufmerksam die Spiele verfolgen. So verstanden kann man schon sagen, dass man auch in Deutschland Christen »verfolgt«, die Priester zumal: Denn die Menschen schauen aufmerksam hin auf das, was wir sagen und vor allem, wie wir leben; und sie fragen: Passt das zusammen? Ist das glaubwürdig?
Insofern ist der Satz, den sich die Weihekandidaten als Weihespruch ausgesucht haben, vor allem ein Satz des Mutes: »Lasst uns mit ihm gehen!« Das ist also das Erste, was an Thomas auffällt: sein Mut und seine Entschlossenheit, sich zu Jesus zu bekennen und bei ihm zu bleiben; mit anderen Worten: sein Leben ganz eng zu binden an das Leben Jesu, das eigene Geschick abhängig zu machen von ihm, und dies zu tun aus der Gewissheit, dass er, Jesus, die Lebenskraft und Stärke besitzt, die auch mich durch alle Situationen hindurch zu tragen vermag, wenn ich mich an ihm festhalte. Nicht umsonst gehört ab heute, liebe Mitbrüder, für Euch zu den persönlichen Stillgebeten des Priesters während der Messe die Bitte: »Herr, lass nicht zu, dass ich jemals von dir getrennt werde.«
Kommen wir zu der zweiten Stelle, an der Thomas im Johannesevangelium zu Wort kommt: Angesichts des Mutes, den Thomas bisher gezeigt hat, müsste uns diese zweite Stelle verwundern. Es ist während des Letzten Abendmahls: Jesus kündigt ohne Umschweife den Jüngern seinen bevorstehenden Tod an, aber er deutet den Weg in den Tod nicht als Weg in das Dunkel des Nichts, sondern als Weg in das Haus des himmlischen Vaters, um den Jüngern einen Platz vorzubereiten, damit auch sie dort sind, wo er ist. Und er fügt hinzu: »Den Weg dorthin kennt ihr« (Joh 14,4). Da schaltet sich Thomas ein und sagt: »Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg kennen?« Es liegt uns auf der Zunge zu fragen: Thomas, was ist denn mit dir geschehen? Eben noch hast du den anderen Mut gemacht, mit Jesus zu gehen, selbst wenn es lebensgefährlich werden sollte. Du hast dich Jesus anvertraut. Bist den Weg mit ihm gegangen. Und nun sagst du, du würdest weder das Ziel noch den Weg kennen. Wir wissen, liebe Schwestern und Brüder, zu welch wunderbarer Antwort Thomas Jesus mit seiner Frage provoziert: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben« (Joh 14,6).
Für uns scheinen mir an dieser Begebenheit zwei Dinge wichtig: Erstens: Nach dem Mut und dem Enthusiasmus des Anfangs, der immer auch in der Gefahr steht, den Mund zu voll zu nehmen, gibt es auch das Andere: die Nachfrage, den Zweifel, den Punkt, an dem man sich über das Ziel und den Weg nicht mehr so klar ist, wie man zu Beginn gedacht hat. Sie, liebe Weihekandidaten, werden solche Phasen schon während Ihres Studiums und während der Vorbereitung auf den heutigen Tag erlebt haben. Und schon jetzt kann ich Ihnen sagen: Das ist mit der Weihe nicht ein für alle Mal vorbei. Das wird mit der Handauflegung nicht zugedeckt. Phasen der Nachdenklichkeit, vielleicht sogar der Erschütterung werden neu kommen. Die haben wir, die hat jeder Christ zu durchleben und zu bestehen, wenn sein Glaube reifen soll. Die priesterlichen Mitbrüder, die hier anwesend sind, vor allem diejenigen, die schon mehrere Jahrzehnte im Dienst stehen, werden das bestätigen. Und gerade in der Situation der Kirche in unseren Tagen ist Verunsicherung spürbar über das Ziel und die richtigen Wege. Menschen fragen mich als Bischof – wenn auch nicht immer direkt, aber doch spürbar: Was sind unsere Ziele? Wo wollen Sie mit uns hin? Welche Wege haben wir einzuschlagen? Fragen, denen wir uns in der nächsten Zeit konkret auch in unserem Bistum zuzuwenden haben.
Letztlich aber bleibt, hinter und unter allen kurz- und mittelfristigen Antworten auf die Frage nach den Zielen, die Antwort des Evangeliums: Das Ziel und der Weg ist Jesus selbst. Und alles, was dazu hilft, ihn und seine Botschaft als die Wahrheit des Lebens zu entdecken und anzunehmen, ist der richtige Weg. Diese Antwort klingt einfach, manch einem zu einfach, weil wir sie schon oft gehört haben. Dennoch wissen wir, wie anspruchsvoll sie ist, weil sie uns persönlich immer wieder neu herausfordert.
Und dann die dritte Stelle, an der Thomas auftaucht: Es ist die Begegnung mit dem Auferstandenen, die wir als Festevangelium gehört haben. Hier möchte ich den Blick lenken auf ein Detail, das uns in der Szene des ungläubigen Thomas in der Regel nicht so ins Auge springt. Bekanntlich sagt Thomas gegenüber den anderen Jüngern: »Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht« (Joh 20,25). Wäre nicht eher zu vermuten gewesen, dass Thomas sagt: Wenn ich Jesus nicht von Angesicht zu Angesicht sehe, und ihn als meinen Herrn erkenne, glaube ich nicht? Nicht das Gesicht, sondern die Wunden, die ihm zugefügt wurden, scheinen für Thomas das Entscheidende. Sie werden nach Ostern zum Erkennungsmerkmal Jesu, weil sie der entscheidende Ausdruck sind für seine Liebe, die bis zum Äußersten geht.
Was heißt das nun für den Priester? Was heißt das für den, der in besonderer Weise Jesus nachfolgen will? Es heißt, bewusst anzunehmen, dass man in der Nachfolge dessen geht, der auch als der Auferstandene der Verwundete ist. Es heißt, dazu bereit zu sein, sich selbst verwunden zu lassen. Aber auch hier geht es nicht um einen Aufruf zur Lebensmüdigkeit oder gar zur Lebensverweigerung. Nein, gemeint ist eine besondere Sensibilität. Der von den Nazis ermordete Jesuit Alfed Delp hat in einem Gegenbild einmal von den »unheilbar Gesunden« gesprochen, von jenem »Menschentyp, vor dem selbst der Geist Gottes ratlos steht und keinen Eingang findet, weil alles mit bürgerlichen Sicherheiten verstellt ist.« In der Tat gibt es Menschen, die so von Robustheit und Selbstsicherheit strotzen, dass alles Nachdenkliche und Fragende an ihnen abprallt. Wer Jesus nachfolgt, muss über Sensibilität verfügen; eine Sensibilität, die sich von der Nähe Gottes treffen lässt; eine Sensibilität aber auch, die sich ebenso vom Geschick der Menschen treffen lässt - in ihrem Glück und in ihren Schmerzen. Wer Jesus, dem Auferstandenen-Verwundeten folgt, muss in diesem Sinne verwundbar bleiben, darf sich keinen Panzer zulegen, an dem alles abprallt.
Das gilt in besonderer Weise für die Priester: Nichts schlimmer, als wenn der Priester zu einem sakralen Funktionär degeneriert. Um uns davor zu bewahren, sieht die lateinische Kirche für die Priester die Lebensform des Zölibates vor. Sie ist in der jüngeren Vergangenheit immer einmal wieder verglichen worden mit einer Wunde. Eheloses Leben soll ein Leben sein, das nicht in sich geschlossen ist, sondern das in sich die Sehnsucht und den Stachel trägt nach dem Über-sich-Hinaus auf Gott und die Menschen hin. Die ehelose Lebensform ist gedacht als Schutz davor, dass sich das priesterliche Leben in eine falsche Selbstgenügsamkeit verschließt. Wo der Zölibat so begriffen und gelebt wird, hat er seinen guten Sinn und wird verstanden – auch und sogar heute noch. Dessen bin ich gewiss.
Freilich, die ehelose Lebensform ist auch eine gefährdete Lebensform. Wenn wir sie noch einmal mit einer Wunde vergleichen, dann gilt für sie, was für jede Wunde gilt: Sie muss gepflegt werden, damit sie nicht zu groß wird und am Ende alles andere in Mitleidenschaft zieht. Wird eine Wunde zu groß, wird sie lebensgefährlich, absorbiert alle Kräfte. Hier liegt die besondere Verantwortung des Ehelosen um seiner selbst, aber auch um des Dienstes willen, der ihm übertragen ist. Liebe Mitbrüder, diese Verantwortung kann niemand für sich allein tragen. Das geht nur gemeinsam. Das wird mir immer klarer. Es braucht die brüderliche Gemeinschaft, die über alle dienstlichen und privaten Beziehungen hinaus trägt und korrigiert.
Auch dazu hält übrigens die Gestalt des Apostels Thomas einen schönen Fingerzeig bereit. Er findet sich in der letzten Szene, in der Thomas bei Johannes auftaucht: Es ist bei der Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen am See Tiberias nach einer erfolglosen Nacht. Thomas ist dabei und wird ausdrücklich noch einmal mit seinem Beinamen genannt: Didymus – Zwilling. Vermutlich hatte er zu Hause tatsächlich eine Zwillingsschwester oder einen Zwillingsbruder. Wir dürfen diesen Beinamen aber auch geistlich verstehen: Er ermutigt uns, Thomas gewissermaßen als Zwillingsbruder für uns anzunehmen: Ihn, den Mutigen, den Fragenden, den Zweifelnden, den Tastenden, den Bekenner ... Darüber hinaus erinnert uns der Name Didymus daran, dass wir unseren Weg als Christen insgesamt nicht gehen können ohne Zwillingsbrüder und schwestern. Wir brauchen einander nicht zu kopieren, sollen aber doch in einer ganz besonderen Weise miteinander verbunden sein.
Liebe Weihekandidaten, ich wünsche Ihnen, dass der Heilige Ihres Weihetages Ihnen Glaubensbruder bleibt; dass sie selbst »Zwilling« werden den Menschen, zu denen Sie gesandt werden und die Ihr Ohr, Ihr gutes Wort und die Stärkung des Glaubens brauchen. Und über allem stehe als Lebens-Refrain das Thomaswort: Kommt, »lasst uns mit ihm gehen!« Amen